Kapitel 09 ~ Nachtwache

Nun saßen wir also beide des nachts an einem kleinen, bereits abgebrannten Lagerfeuer, welches nur noch wenig Glut übrig hatte, um uns etwas Licht in der Dunkelheit zu spenden.

Die Zwerge und Bilbo hatten es sich in der kleinen Höhle so gemütlich wie möglich gemacht und obwohl wir einige Meter entfernt waren, hörte ich jedes einzelne Schnarchen und Grunzen aus der Ferne.

Kili saß mir gegenüber, auf der anderen Seite des ehemaligen Feuers und stocherte mit einem Zweig darin herum. Sicherlich machte er sich noch immer Sorgen um seinen Bruder, selbst wenn das Schwert nicht vergiftet war, die Verletzung war tief und schmerzte dem Zwerg sehr. Ich bekam eine Gänsehaut, als ich an den Schrei zurück dachte, den Fili von sich gegeben hatte, als die Spitze entfernt wurde.

Es schüttelte mich und ich lehnte mich nach hinten, stütze mich auf meine Hände ab und blickte gen Himmel. Es waren die selben Sterne, wie die, die ich sah, als ich Wache gehalten hatte in den Kerkern Thranduils. Jetzt hielt ich wieder Wache, doch die Situation war eine ganz andere. Die, deren Leben ich vernichten sollte, sind nun diejenigen deren Leben ich um jeden Preis zu schützen versuchte. Mein Blick glitt hinüber zu Kili, der mich zu beobachten schien, während er mit seinem Stock im Feuer spielte. Leicht verlegen lächelte er mich an. Wir hatten noch nicht ein Wort gewechselt, seitdem wir beide die Nachtwache antraten und ich genoss die Stille, auch wenn sie etwas Merkwürdiges an sich hatte. Insgeheim fragte ich mich, warum er nicht mit mir sprach und bloß da saß und mich ansah, doch dann dachte ich mir wieder, es wäre sowieso besser nicht allzu viel mit Ihm zu sprechen. Doch ich war diejenige, die sich freiwillig meldete um mit ihm Nachtwache zu halten. Ach war das alles fürchterlich kompliziert!

Wieder sah ich zu den Sternen.

„Du bist wunderschön.“ Kili sprach so leise, dass ich ihn fast nicht gehört hatte und mir auch nicht sicher war, ihn richtig verstanden zu haben. Dennoch sah ich ihn erstaunt an. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass er so etwas sagen würde. Das er flirten würde, ja, aber so … ?

Unsere Blicke trafen sich über dem erloschenen Feuer und schon spürte ich die Röte, die mir im Gesicht aufstieg.

„Sag so etwas nicht …“ Wieder lächelte er bloß und schaute wieder weg. Was war nur los mit ihm?

Jetzt war es an der Zeit, dass ich ihn beobachtete, schließlich tat er genau das ja auch mit mir. Etwas verlegen wirkte er und er sah sich um, dann griff er in seine Tasche und holte etwas heraus. Es sah aus wie ein kleiner, ovaler Stein. Geschickt schnippte er ihn in die Luft und fing ihn wieder auf.

„Was ist das?“ Meine Neugier war geweckt.

„Ein Runenstein.“ , das war seine Antwort. Mehr nicht … Na schön, also spielte ich das Spiel mit.

„Welche Runen?“
„Zwergenrunen. Wenn jemand sie liest, der kein Zwerg ist, ist er für immer verflucht!“

Ich musste schlucken. „Und was ist mit Halbzwergen?“ , fragte ich ihn und er lachte.

„Ich denke bei Halbzwergen überlegt sich der Stein, ob er den Leser verflucht, oder ihn verschont. Kommt eben ganz auf den Zwergenanteil an.“ Nun musste auch ich lachen.

„Du verschaukelst mich doch?“ Er nickte und seine Haare fielen ihm ins Gesicht.
„Ja, es ist bloß ein Andenken. Ein Runenstein, den meine Mutter mir gab um mich an mein Versprechen zu erinnern.“
„Welches Versprechen?“

„Das ich heile wieder nach Hause komme … und Fili auch.“ , er sah hinüber zur Höhle, in der die anderen lagen und wo auch Fili untergebracht war.

„Das ist ein schönes Versprechen. Ich glaube fest daran, dass du es einhalten wirst und bald zu ihr zurückkehren kannst.“ Wieder nickte er. „Willst du ihn sehen und prüfen ob er dich verflucht?“

Er hatte einen listigen Glanz in den Augen und etwas leicht kindliches. Er hatte einfach die Gabe in mir sofort gute Laune und Wohlbefinden auszulösen.

„Na nur zu gern.“ , antwortete ich und stand auf, um zu ihm hinüber zu gehen.

Er blieb sitzen und wartete, dass ich das Lagerfeuer umrundet hatte, dann hielt er mir sein Hand hin und hielt sie, während ich mich neben ihn auf die Erde setzte. Er lies sie gleich wieder los und hielt mir den Runenstein hin. Er war wirklich hübsch. Ganz glatt und oval war der dunkelblaue Stein. In seiner Mitte standen Runen geschrieben, die ich in meinem Leben noch nicht gesehen hatte, sicherlich war es das alte Zwergisch, welches kaum noch jemand verstand.

„Er ist sehr schön. Und er hat mich wohl nicht verflucht.“ Ich gab ihm den Stein zurück und musste lächeln. „Nein, dein Zwergenanteil scheint ihm zu gefallen.“

„Ach so ist das also, den Rest mag er nicht? Immerhin sehe ich gar nicht so sehr nach Zwergin aus.“ , witzelte ich und sah ihm in die Augen.

„Nein, wie eine Zwergin nicht …“ Er atmete laut aus und ich spürte eine Wärme, die nicht vom Feuer kam. Er sprach nicht weiter und auch ich sagte nichts mehr. Wir saßen nur da, in dieser sternenklaren Nacht, in der wir Wache halten sollten, und sahen uns an. Ich verlor mich in seinen dunkelbraunen Augen, die ich wohl niemals mehr aus meinem Kopf bekäme. Jeden seiner Gesichtszüge musterte ich. Den kurzen Bart, der stoppelig an seinem Kinn und unter der Nase wuchs. Dann nahm er plötzlich eine meiner Haarsträhnen zwischen zwei seiner Finger und spielte damit. Es war fast wie damals in dem Verlies, als er dies zum ersten mal tat. Damals waren wir jedoch von schweren Eisenstangen getrennt, heute nicht. Heute stand nichts zwischen uns. Nichts was mich davon abhielt, mich zu ihm rüber zu beugen und …

Genau wie in den Verliesen legte ich meinen Kopf schief und berührte mit meiner Wange seinen Handrücken. Unsere Gesichter waren sich so nah, dass ich seinen Atem spüren konnte und mir beinahe der Atem wegblieb.

Auch er sah aus, als wüsste er nicht genau, wie weit er gehen durfte und er brach den Blickkontakt wohl aus Unsicherheit ab, sodass ich mich schnell wieder fing und ein Stückchen von ihm abrücken konnte.

Es war eine unangenehme Situation und ich war froh, als er das Schweigen brach.

„Auch wenn du es nicht für richtig hältst, ich gebe so schnell nicht auf.“ Er griff nach meiner Hand und wieder zog er sie zu sich, Diesmal etwas ruckartiger und kräftiger als zuvor, sodass ich wieder ein Stück zu ihm hinüberrutschte und meine Knie die seinen berührten.

Er lies meine Hand nicht los, sah mir tief in die Augen und drückte einen Kuss auf meinen Handrücken.

Nach außen hin versuchte ich wenigstens so auszusehen, als würde ich noch normal atmen können, doch innerlich spielte sich gerade zu viel ab, um diese Gefühle auf Papier zu bringen. Ich erinnere mich daran, dass ich ihm dabei in die Augen sah und die Luft durch meinen Mund an sog. Wieder musste er lachen. Er musste so häufig lachen, wenn ich in seiner Nähe war und es gefiel mir, wenn er lachte.

Er lies meine Hand frei und blickte hinüber zur Feuerstelle, somit lies er mir die Zeit, die ich brauchte, um wieder eine regelmäßige und normale Atmung zu erlangen. Das war noch solch ein 'Nicht-Ganz-Elb-Ding' neben dem Rotwerden, Kleinsein und Tollpatschsein, das Atemloswerden. Ich verfluchte es früher sehr, wenn einer dieser Macken an die Oberfläche gelangten, doch heute zeigte es mir nur, was ich wirklich war und es erfüllte mich mit Stolz.

Als ich zum Horizont blickte, sah ich, dass es in wenigen Stunden bereits Morgen werden würde und ich gähnte unfreiwillig. Der Schlaf fehlte mir und auch ein bequemes Bett. Kili sah zu mir herüber.

„Du solltest ein wenig schlafen. Ich werde hier die Stellung halten. Ich schaffe das schon allein.“

„Nein, danke. Ich werde hier bleiben. Schließlich hat Thorin sich bereit erklärt, mich Wache halten zu lassen. Es ist ein Vertrauensbeweis und ich möchte zeigen, dass ich genauso mithalten kann, wie ihr. Auch wenn ich nicht so bin wie ihr … „

„Und das schätze ich so sehr an dir.“ , sagte Kili rückte ein Stück zu mir herüber.

Wir saßen noch eine Weile so dar und beobachteten die Glut und den Himmel. Dann sank mein Kopf auf seine Schulter herab und ich schlief ein.

Als ich erwachte, spürte ich als erstes die unbequeme Lage in der ich mich befand. Aufrecht und mit dem Kopf zu einer Seite. Mein Kopf lag auf etwas hartem, mit Stoff überzogenem …

Ich macht die Augen auf, blinzelte und sah, wie einige der Zwerge am Feuerholz suchen waren, oder am Fluss angelten. Es war heller Tag … ich lag … auf Kili's Schulter!

Ich schreckte hoch und er sah mich belustigt an. „Einen wunderschönen guten Morgen.“ Dabei neigte er zwinkernd den Kopf. Thorin stand wenige Meter von uns entfernt und sprach mit Balin.

„Ohje, hat Thorin … hat er es gesehen?“ Kili nickte. „Ja, hat er. Er sagte, ich solle ein Mann sein und dich schlafen lassen.“ Wieder zwinkerte er.

Ich errötete und stand auf. Als Thorin mich sah, kam er auf uns zu und auch er hatte ein Lächeln auf den Lippen.

„Guten morgen Elennya, dem Nachtdienst wohl doch nicht ganz gewachsen, was? Es geht Fili im übrigen schon viel besser. Wir bleiben noch eine Nacht und morgen ziehen wir dann weiter. Macht euch nützlich und holt etwas Holz oder zu essen.“ Dann ging er wieder und lies uns stehen.

Es war mir ein Rätsel, warum Thorin nicht mindestens wütend war, dass ich die Wache verschlafen hatte, doch darüber nachdenken wollte ich jetzt auch nicht.

Eilig ging ich hinunter zum Fluss und wollte mich ein wenig waschen, den Kopf frei bekommen. Die Stiefel, den Bogen, Köcher und das Mieder legte ich ab, um in das eisig kalte Wasser zu gehen. Bis zu den Knien schaffte ich es, weiter nicht. Kälte mochte ich noch nie besonders, schon gar nicht die feuchte Kälte von Flusswasser. Schnell spritze ich mir Wasser ins Gesicht und wusch mir die Haare. Immer wieder sah ich mich dabei um, doch keinen der Zwerge schien es zu interessieren, was ich hier tat. Alle gingen ihren Pflichten nach. Gut.

Nachdem ich aus dem Fluss stieg und mich auf den Fels setzte um zu trocknen, blickte ich den Fluss herab in die Richtung in der die Sonne aufgegangen war. Schon aus der Ferne sah ich, dass er auf uns zu kam. Es war ein alter, morscher Kutter, der den Fluss hinaufschipperte.

Als ich mir ganz sicher war, zog ich mich eilig wieder an und lief zu Thorin.

„Dort kommt ein Kahn den Fluss entlang. Ich kann nicht sagen welcher Art, noch habe ich Besatzung gesehen. Doch er kommt hier her.“

Balin und auch Thorin wurden bleich und raschen Schrittes eilten sie zum Flussufer. Das Bot sahen sie, jedoch nicht die Besatzung.

Der Kahn lag friedlich am Ufer. Offensichtlich unbemannt und ohne nennenswerte Reichtümer.

„Was soll das sein? Ein Fischkutter?“ Thorin besah sich den Kahn herablassend und auch die anderen Zwerge waren nun dazu gestoßen.

„Passt lieber auf, was ihr sagt, Zwerg!“

Alle drehte sich nach der Stimme um. Hinter dem Trupp stand ein großer, hochgewachsener, breiter Mann. Seine Gewänder kamen mir nur allzu bekannt vor. Er war ein Kahnführer aus Seestadt. Oft hatte ich solche wie ihn gesehen. Oft habe ich gesehen wie sie in den Verliesen starben und zu Grunde gingen. Ich schämte mich.

Sicherlich war dieser auf dem Weg, den Fluss entlang um die Fässer aus dem Elbenreich einzusammeln und wieder zurück nach Seestadt zu bringen.

Nun stand dieser Mann dort oben und zielte mit einem Pfeil auf uns. Niemand wagte es, sich zu rühren. Keiner sagte etwas, bis Thorin plötzlich sprach.

„Ihr kommt aus Seestadt, nehme ich an?“ „Das hat euch nicht zu interessieren.“ , sagte der Mensch und zielte mit seinem Pfeil auf Thorin.

„Das mag stimmen, doch hört euch an, was wir zu berichten haben.“

Und Thorin erzählte dem Seemensch eine kleine Lüge, in der es darum ging, dass sie alle ihre Familie in den Eisenbergen besuchen wollten und vom Weg abgekommen sind. Am Ende der Geschichte erfragte er, ob auf diesem alten Kahn genügend Platz sei, um uns nach Seestadt zu verschiffen.

„Der nimmt uns im Leben nicht mit.“ Hörte ich Dwalin flüstern und auch ich hatte kein gutes Gefühl bei diesem Menschen. Doch wir sollten uns irren. Er nahm den Bogen hoch und steckte den Pfeil zurück in seinen Köcher.

Ginge es morgen? Seit ihr morgen erneut unterwegs in diesem Gewässer?“ Es war Fili, der hervor humpelte und dies erfragte.

„Ich schippere jetzt ins Elbenreich. Morgen, wenn die Sonne aufgeht, werde ich erneut an diesem Ort sein, auf dem Weg zurück nach Seestadt. Halte ich an, so nehme ich euch mit. Fahre ich weiter, so müsst ihr euch jemand anderen für eure Reise suchen.

Thorin nickte und der Mensch ging mit großen Schritten zurück zu seinem Bot und fuhr davon.

Eine Weile noch sahen wir ihm nach. Dann ging jeder wieder seines Weges und tat womit er zuvor aufgehört hatte.

Thorin blieb noch eine längere Weile am Ufer stehen und murmelte etwas Unverständliches von Menschen und Elben.

So verging der Tag schnell und am Abend saßen wir bei einem Abendessen gemeinsam zusammen.

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