Kapitel 02 ~ Das Märchen

Am nächsten Morgen wachte ich tatsächlich zeitig auf. Noch bevor die Vögel erwachten kämmte ich mir meine Haare aus und zog mich an.

Ich blickte in den Spiegel und nickte mir selbst zu. Heute sollte alles gut gehen, ohne unelbentypische Zwischenfälle, wie Stolpern und Zwerge anstarren.

Langsam ging die Sonne auf und ich zog die Stiefel an, nahm meinen Bogen und den Köcher von der Wand. Es klopfte an der Tür. „Ja, tritt ein.“ Es war meine Mutter. „Guten Morgen Elennya, du bist ja schon auf und ganz fertig.“ Sie klang sehr erfreut.

Hochmotiviert nickte ich. „Ja, Mutter, heute wird ein guter Tag, ich werde gleich hinuntergehen und etwas zum Frühstück essen, bevor ich dann meinen Dienst antreten werde und die Nachtwache bei den Zwergen ablöse.“

„So ist es richtig mein Kind. Ist also nicht nur deines Vaters Blut in dir.“ Sie erstarrte. Nun hatte sie etwas gesagt, was sie nicht sagen wollte. Über meinen Vater wusste ich nicht viel. Nur, dass er meine Mutter verließ, als ich gerade auf diese Welt kam. Ob er überhaupt noch lebte und wenn ja, wo, wusste niemand. Erstaunt schaute ich sie an. „Wie meinst du denn das?“ Ich versuchte ihr in die Augen zu sehen, doch es war nicht möglich, sie wich mir aus. Offensichtlich ärgerte sie sich sehr, über das, was sie gesagt hatte und wollte der Situation schnellstmöglich entfliehen, denn sie griff schon nach der Türklinke und öffnete diese mit einer raschen Bewegung.

„Mutter! Was meintest du damit?!“ „Ich kann es dir nicht sagen, Elennya, nicht jetzt wo …“

„Jetzt wo was!?“ Und schon war sie verschwunden. - Super, genau solch eine Begegnung braucht man früh Morgens, wenn man sich vorgenommen hat, dass alles gut laufen soll! -

Nie sprach sie über meinen Vater und was hat sie gemeint, nicht jetzt wo … was!?

Nachdem ich später gefrühstückt hatte als ich es mir vorgenommen hatte, ging ich ohne Umwege zu den Kerkern und Verliesen. Die Nachtwache saß zusammengekauert auf einem Stuhl und zuckte zusammen als ich mich näherte. „Elennya, mit dir habe ich ja noch gar nicht gerechnet, heute aus dem Bett gefallen?“ „Ja, ja, sehr lustig. Geht nach oben, macht Feierabend. Ich übernehme jetzt."

„Ist es schon so weit?“ , fragte er völlig verdattert und schaute sich um. „Ja, ich bin etwas früh, aber es ist bald so weit. Das geht in Ordnung und Mella kommt sicherlich auch in wenigen Augenblicken, dann bin ich nicht mehr allein.“ Die Wache nickte und stand auf. „Vielen Dank, wir sehen uns dann zum Ablösen. Ruhigen Dienst wünsche ich.“ Und er ging.

Schnell sah ich mich um. Es war ruhig. Nirgends war jemand zu sehen, oder zu hören, bis auf das laute Schnarchen, welches noch aus manchen Zellen der Zwerge kam.

Der Stuhl, auf dem die Wache eben gesessen hatte, stand direkt neben der Zelle von Kili und Fili. Es lockte mich, einmal kurz hineinzusehen, doch ich widerstand dem Drang und gab nicht nach.

Ich setzte mich auf den Stuhl, lehnte mich zurück und schloss die Augen. Die Worte meiner Mutter gingen mir nicht mehr aus dem Kopf.

„Na, endlich gute Gesellschaft!“ Ich schreckte hoch. Direkt neben mir stand Kili in der Zelle und grinste mich an. „Guten Morgen Elennya, schön dass Sie die mürrische Nachtwache abgelöst haben.“ Hektisch stand ich auf. „Woher kennst du meinen Namen, Zwerg!?“

„Ich bin ein guter Zuhörer und merke mir schöne Dinge.“ Er zwinkerte. Das kann es doch nicht geben! Was versuchte er da gerade!? Und zu allem Überfluss stieg mir nun auch noch die Hitze ins Gesicht und ich wurde rot, noch so eine Macke, die nicht gerade elbisch ist, ich hasste es!

Statt zu antworten, starrte ich ihn bloß an. Dann lachte er. „Was soll denn so lustig sein?“ „Ach, gar nichts, aber niemals zuvor sah ich eine Elbin, wie euch.“ „Kümmert euch um eure Angelegenheiten, Herr Kili und lasst mich meinen Dienst machen.“

„Ihr kennt meinen Namen also auch.“ , hauchte er und griff nach der Eisenstange die zwischen uns stand.

„Und selbst wenn, das ist nicht von Bedeutung.“ Verdammt! Ich musste ihn einfach anstarren.

„Elennya, was tust du da schon wieder!?“ , Mella kam heran geeilt. „Ich , öhm, unterhalte mich...?!“

Schnell sah ich weg von Kili und setzte mich wieder auf den Stuhl. „Der Zwerg wollte etwas zu essen haben und ich habe ihm Auskunft über die Mahlzeiten gegeben, die ihm zustehen.“

Nun war Mella bei mir angekommen und schaute zu mir herab. Dann sah sie zu Kili, der noch immer an den Stangen stand. „Ganz schön vorlaut für einen Zwerg, findest du nicht auch? Wenn das so weiter geht, müssen wir uns etwas für diese beiden hier überlegen.“
„Wie meinst du das?“ , fragte ich mit etwas erhöhter Stimme. „Die zwei haben die halbe Nacht Radau gemacht und haben versucht die Wachen mit Steinen zu bewerfen.“ - OhOh -

Hinter mir räusperte sich Kili und Fili versuchte im hinteren Teil der Zelle ein Lachen zu ersticken.

Ich sagte gar nichts. Mit hochgezogenen Augenbrauen musterte Mella mich. „Ich werde zu dem Zwerg da oben gehen, Thorin Eichenschild. Der sieht aus als würde er jeden einzelnen Elb mit bloßen Händen umbringen wollen und mir ist unwohl bei dem Gedanken, ihn nicht bewacht zu wissen. Kommst du hier klar, Elennya?“ Thorin Eichenschild also, das war der Zwerg, der auch mich gestern so feindselig angesehen hatte.

„Ja, natürlich komme ich hier klar, sind ja alle eingesperrt.“ Mella nickte und lief dann Hinauf, bis zur Zelle von Thorin, die um eine leichte Ecke lag, so dass Mella mich nicht mehr sehen konnte.

„Die wären wir also auch los.“ Wieder blickte Kili zu mir herüber. Ich beschloss, dass Ignoranz vielleicht die beste Methode wäre, um den Zwerg loszuwerden, doch er blieb einfach dort stehen. Ständig spürte ich seine Blicke im Nacken.

„Kili, nun komm mal weg da, Bruder und lass sie in Frieden.“ Innerlich dankte ich Fili dafür, aber aus irgendeinem Grund wollte ich, dass Kili da bleibt, wo er war und zu mir rüber sah.
Als ich zu ihm sah, lies er gerade die Stangen los, wandte sich von mir ab und ging zurück zur Zellenwand.

Ich musste gähnen. Es war endlos langweilig diesen Wachdienst zu schieben, doch etwas anderes durfte ich nicht tun. Viel lieber hätte ich Bögen gebaut und Pfeile gefertigt, sogar Wände verziert oder Kleidung genäht, aber König Thranduil tat wohl Recht daran, mich hier sitzen zu lassen. So konnte wenigstens nichts kaputt gehen.

Nach einer langen langen Zeit kam Mella ein Stück die Treppen herab und schaute um die Ecke zu mir. „Holst du das Essen!?“ „Ja, ich geh gleich los.“ „Super, danke, ich komm dann gleich und nehme Dir das Wasser ab.“

Also wie immer. Ich stand auf und ging rasch in Richtung Küchen. Dieses Mal zählte ich die Brotstücken ab. 14 Stücke brauchte ich, für 14 Zwerge. Mit dem Brot und dem schweren Wasserkrug beladen eilte ich dann die Treppen wieder hinauf. Mella wartete schon vor der Zelle von Kili und Fili auf mich.

„Du warst aber schnell.“ Wie verabredet nahm sie den Krug und machte ihre Runde von Zelle zu Zelle. Als sie ein Stück entfernt war, trat ich an die Zelle von Kili und Fili heran.

„Euer Brot.“ Kili saß in der hintersten Ecke des Verlieses und blickte von unten zu mir hinauf. Er lächelte. „Es ist schön, dass ihr uns unser Essen bringt, Elennya, wenn es auch nicht viel ist.“

Wieder musste ich ihn anstarren. „Es reicht, um euch am Leben zu erhalten. Mehr steht euch laut des Königs Befehl nicht zu.“ Er nickte bloß und ich legte zwei Scheiben Brot auf einen Teller hinter den Eisenstangen.

Danach ging ich weiter und verteilte den Rest. Die anderen Zwerge beachteten mich überhaupt nicht, oder sahen mich nur feindselig an. Am schlimmsten war Thorin Eichenschild. Mella hatte Recht gehabt. Er sah wirklich so aus, als wolle er jeden Einzelnen von uns töten.

„Euer Brot, Herr Eichenschild.“ , sagte ich und neigte meinen Kopf ein wenig. Freundlichkeit und Respekt gehören sich nun mal.

„Ich will euer Brot nicht! Nehmt es und bringt es wem anders! Ich werde nichts annehmen, von jemanden wie euch, oder eures gleichen!“ Erschrocken sah ich ihn an. „Aber dann werdet ihr verhungern. Mein Blick viel auf das gefüllte Glas mit Wasser. „Und verdursten auch. Ihr müsst etwas zu euch nehmen."

Doch Thorin dreht sich weg von mir und setzte sich mit dem Rücken zu mir in eine Ecke. - Nun gut, dann nicht … -
Mella kam mir entgegen. „Fertig? Dann übernehme ich den hier wieder.“ „Ja, ich bin fertig, aber er verweigert sein Essen.“ , antwortete ich und machte eine Kopfbewegung zu Thorin hin.

„Ich weiß. Er aß auch gestern nichts. Aber er wird essen und trinken, wenn er leben will.“ Da war ich mir nicht so sicher, aber ich nickte und ging wieder hinunter zu meinem Wachposten.

Thorin war offensichtlich der Anführer der Gruppe.

Irgendetwas hatte dieser Zwerg an sich. Irgendetwas, was mir das Gefühl gab, schon einmal von ihm gehört zu haben. Eichenschild … Thorin Eichenschild … Immer wieder flüsterte ich den Namen. Dann viel es mir ein! Thorin Eichenschild! Sohn von Thrain, Sohn des Thror! Die Zwergenlinie Durins. Der König unter dem Berge.

Dies war ein altes Kindermärchen, welches mir meine Mutter früher oft erzählte, bevor ich einschlief.

Der einsame Berg, Erebor, war einst die Heimat eines großen Zwergenkönigs, doch dieser wurde von dem Feuerdrachen Smaug verscheucht und musste mit den Überlebenden seines Volkes losziehen. Thror hatte einen Sohn, Thrain, der Thronfolger und dieser hatte ebenfalls einen Sohn. Thorin, der als Thorin Eichenschild in die Geschichten einging. Nachdem Thror und Thrain von einem Ork getötet wurden, tötete Thorin selbst dieses Ork. Mit zerfetzter Rüstung und nur einem Eichenast als Schild bezwang er den Ork und führte sein Volk in den Sieg.

Seither wurde er nicht mehr gesichtet, doch man sagt, fliegen die Vögel zurück zum Erebor, zum einsamen Berg, so wird Eichenschild kommen und mit seinem Heer zurückverlangen was ist Seins.

War das möglich? Konnte es sein, dass der König Thranduil diese Zwerge daran hinderte, ihre Heimat zurück zu erobern? Und bestand überhaupt die Möglichkeit, dass das Märchen der Wahrheit entsprach? Ich hielt es immer nur für eine Geschichte, die meine Mutter mir erzählte. Eine nette Geschichte, von kleinen Zwergen, die eine Menge auf sich nahmen.

Ich stand auf und trat an die Stangen von Kili's Zelle heran. „Ähhm, Herr, Kili?“ Er saß noch immer an der Wand gelehnt und blickte zu mir auf. „Was kann ich für euch tun?“ , fragte er, sprang auf seine Füße und kam prompt auf mich zu. Fili schüttelte den Kopf.

„Ich, habe eine Frage …“ , begann ich und räusperte mich. „Ist es möglich, dass ihr die Zwerge aus den Geschichten seid, die meine Mutter mir erzählte, als ich noch klein war?“

Schon als ich diese Frage stellte, wusste ich wie blöd sie sich anhörte, aber einen Versuch war es allemal wert.

„Es kommt wohl ganz auf die Geschichten an, die Euch erzählt worden sind. Da ich diese nicht kenne, kann ich euch Eure Frage leider nicht beantworten.“

„Wohin führt Eure Reise?“ , ich war so aufgeregt, dass ich all meine Vorsicht vergaß und noch näher an Kili herantrat. Ich griff nach der selben Stange, die er mit seiner Hand umfasste und hielt seinem Blick stand. Er atmete scharf ein. „Es ist mir nicht erlaubt, es Euch zu erzählen, selbst wenn ich es wollte.“ „Kili! Pass auf was du tust, Bruder!“ Fili stand nun neben seinem Bruder und sah mich ebenfalls an. „Ich , ich bin bloß neugierig. Ich hörte den Namen Eichenschild und habe eine Geschichte, mehr ein Märchen, über ihn gehört. Ich habe gedacht …“

„Unsere Reise geht euch nichts an, Elb! Kümmert Euch um eure eigenen Angelegenheiten und verschont uns mit solchen Gesprächen.“ Fili war ganz anders als sein Bruder. Er sah ihm zwar ähnlich, hatte aber deutlich mehr Bartwuchs und war älter. Sein Haar war heller und seine Augen ebenfalls. Er packte Kili an der Schulter und zog ihn weg von mir.

Kili lies sich davon nicht beeindrucken. Ein kleines Stück ging er zurück und wandte den Blick kein einziges Mal ab von mir. Ich schaute ihn ebenfalls an. Er faszinierte mich. Und er war … unglaublich hübsch. Für einen Zwerg versteht sich …

Nun lächelte er. Zum Glück war ich mir ganz sicher, dass Zwerge keine Gedanken lesen konnten, sonst wäre ich nun wohl in Panik verfallen. Doch dann nickte er mir zu. Es war ein kurzes Nicken, kaum erkennbar und ganz klein. Nicht einmal Fili neben ihm bemerkte es.

Dies war die Antwort auf meine Frage! Es war also die Wahrheit! Mein Märchen stimmte.

Schnell und unauffällig nickte ich zurück, damit er sah, dass ich begriff.

Nun lächelte er wieder. Dieses Lächeln erfüllte mich mit Glück und , noch immer die Stange in der Hand haltend, beschloss ich, dass es nicht in Ordnung war, dieses Zwerge hier gefangen zu halten. Es war nicht in Ordnung irgendwen gefangen zu halten, nur weil er sich im Wald verirrt hatte. Schon gar nicht, wenn es sich um eine solch gefährliche Reise handelte!

Doch was konnte ich tun? Ich lies mich wieder auf den Stuhl fallen. In der Zelle hörte ich Fili und Kili aufgeregt flüstern. Fili schien wütend auf seinen Bruder, ich verstand allerdings nicht warum.

In meinem Kopf drehte sich alles. Schon wieder so ein Tag, der mich des nachts nicht schlafen lassen würde. Und schon wieder werden mir diese Augen nicht aus den Kopf gehen.

Dieser Zwerg, der so anders war, als die Zwerge meiner Vorstellungen …

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top