--8. 1--
Etwas Kaltes und gleichzeitig Nasses berührte meine Stirn. Ich schlug die Augen auf, sah aber nichts als Dunkelheit.
„Oh, Moment, gleich siehst du wieder."
Die Dunkelheit verzog sich und ich erblickte...wow. Sie war wunderschön. Ein Traum dunkelbrauner Haare umrandete ihr ebenmäßiges, herzförmiges Gesicht und ihre großen braunen Augen erinnerten mich an geschmolzene Schokolade. Ein Engel, das kann nur ein Engel sein.
„Hier, vielleicht solltest du etwas überziehen.", sprach die Frau mich vorsichtig an.
Als sie an mir herabsah, errötete sie leicht. Ich folgte ihrem Blick und riss sogleich das Bettlaken über mein entblößtes Stück. Dankbar nahm ich die Hose und das Hemd an, welche sie mir reichte. Die Schönheit verließ sicherheitshalber den Raum, wodurch ich Gelegenheit bekam, mich anzuziehen.
Fertig angezogen machte ich ein paar Schritte Richtung Tür und lauschte. Anscheinend stritt mein Engel mit jemanden. Heilige Scheiße, seit wann nenne ich jemanden, den ich gerade erst kennengelernt habe, meinen Engel?
Mein Kopf und mein Herz schienen nicht die gleiche Sprache zu sprechen. Der Kopf sagte, „verschwinde solange du noch kannst", während mein Herz nur eines wollte. Mein Herz, dieser Verräter, wollte die Schönheit an sich ziehen und nie mehr loslassen. Es wollte sie schmecken, wollte wissen wie sie reagiert, wenn ich in ihr war und sie laut meinen Namen schrie.
Ich muss hier weg!
Langsam bewegte ich mich rückwärts zum Fenster, als ein Lautes Scheppern erklang. Sofort stürzte ich zur Tür, ließ meine Hand jedoch vor der Klinke stoppen. Alles an mir wurde ruhig, selbst mein Herzschlag. Ich vernahm einzelne Wortfetzen durch die dünne Holztür, wovon einige eindeutig zu meinem Engel gehörten.
„...dich einmal ausgehen und dann das!"
„Onkel Ben, beruhige dich."
„Nein, ich will mich nicht beruhigen. Weißt du eigentlich, was für Sorgen ich mir gemacht habe? Fast hätte ich das Trogovat gebeten, einen Suchzauber auszusprechen!" - Ein weiteres Scheppern erklang.
„Es tut mir leid. Aber du musst dich beruhigen. Sonst legst du noch das Haus in Schutt und Asche."
Tatsächlich beruhigte sich der Andere - eindeutig ein Mann. Sein Herz schlug nun langsamer. Selbst durch die Tür konnte ich es pochen hören. Der Mann klang müde, denn seine nächsten Worte hatten so einiges von ihrer Lautstärke verloren.
„Warum hast du ihn hierhergebracht? Jemand wie er ist gefährlich. Du weißt doch gar nicht, wozu er in der Lage ist."
„Zu was er in der Lage ist? Hörst du, was du da sagst? Als ich ihn fand lag er bewusstlos und schwer verletzt in einer dreckigen Gasse. Hätte ich ihn dort sterben lassen sollen?"
„Ja, wahrscheinlich hättest du das", murmelte der Mann.
Die Schönheit schien über diese Aussage zu erschrocken, um zu antworten. Eine Weile herrschte Schweigen. Ihre nächste Frage durchschnitt die Stille wie ein Pistolenschuss. „Onkel Ben, sei ehrlich zu mir, kennst du diesen Mann?" Der Mann - Onkel Ben - antwortete, seine Stimme war nur ein leises Raunen. „Nein, nicht persönlich, aber ich kenne seinen Ruf. Du hast da jemand sehr gefährlichen mit nach Hause gebracht, Mira."
Wie recht er doch hat.
„Erzähl es mir!", forderte die Frau.
Der Befehlston in ihrer Stimme war nicht zu überhören. Hinter dieser Tür stand eine willensstarke Persönlichkeit, die gerne mit dem Kopf durch die Wand lief. Ich mochte schon immer Frauen mit verstecktem Temperament. Ob sie so temperamentvoll auch im Bett ist. Oder ist sie eher der schüchterne Typ?
Nun war es offiziell, ich verlor den Verstand. Nie hatte ich auf eine Person, geschweige denn eine Frau, so stark reagiert. Am liebsten wäre ich zu den Beiden ins Zimmer gestürmt und hätte den Mann dort, auf der anderen Seite der Tür, verprügelt. Mein Beschützerinstinkt in Bezug auf diese Frau war selbst mir unheimlich.
Und das kommt selten vor.
Es war mein Job, mein Alltag, zu finden und zu vernichten, da war nie viel Platz für Gefühle gewesen. Die wenigen Kontakte, die ich pflegte, lebten auf der ganzen Welt verstreut. Es waren meist Leute, mit denen ich arbeitete und denen ich bis zu einem gewissen Grad vertrauen konnte. Die wenigen echten Freunde unter ihnen kannte ich schon fast mein ganzes Leben lang. Wir waren zusammen durch Dick und Dünn gegangen und hatten uns viele Male unsere Loyalität gegenüber bewiesen.
Wie kam es also, dass ich dieser Frau vertraute, was meine Sicherheit in diesem Haus anging? Wieso stand ich noch immer hier und lauschte einem Gespräch, welches mich eigentlich überhaupt nicht interessieren sollte?
Ich hatte keine Ahnung. Mein Verhalten warf mir selbst Rätsel auf. Fakt war, ich brauchte Antworten. Und um diese zu bekommen, würde ich mich wohl oder übel noch einmal ausgiebig mit der Schönheit unterhalten müssen.
Bevor ich es mir anders überlegen konnte, öffnete ich die Tür...
Onkel Ben und ich stritten wegen dem Verletzten, den ich gerettet hatte. Ich wusste von Anfang an, dass ihm meine Entscheidung nicht gefallen würde, jedoch hatte ich nicht gedacht, dass er sich so aufregen würge. Er weigerte sich einfach strikt dagegen, den Verletzten aufzunehmen und wenigstens so lange zu pflegen, bis er wieder bei Kräften war.
„...Du hast da jemanden sehr gefährliches mit nach Hause gebracht.", hörte ich ihn sagen. Es reichte. Alles reichte. Genug! Die Geheimnisse, die Lügen, das Gefühl, meinen Onkel nicht zu kennen. Ich wollte Antworten. Mit aller Autorität, die ich aufbringen konnte, forderte ich ihn auf, „Erzähl es mir!".
Überrascht sah ich, dass er tatsächlich zu einer Antwort ansetzte. Endlich!
„Du kennst ja bereits die orbis alius. Was ich dir bis heute nicht erzählt habe ist, dass diese Welt mehr als nur eine schlechte Seite hat. Leider hat sie auch keine zwei oder drei, sondern zu viele, um sie noch zählen zu können. Die Ungebundenen kennst du ja bereits, doch sind sie nur ein kleiner Teil des großen Ganzen."
„Ja, du hast mir von ihnen erzählt. Aber du hast auch erzählt, dass sie nicht in die Nähe von Städten kommen."
„Das stimmt. Nichtsdestotrotz stellen sie eine Bedrohung dar. Und sie sind bei weitem nicht die Einzigen, mit denen man sich besser nicht abgeben sollte. Unter den meisten Angehörigen der orbis alius gibt es jene, Ausnahmen, welche außer Kontrolle gerate sind."
„Und was hat das jetzt mit dem Verletzten zu tun?" Langsam wurde ich ungeduldig.
„Dazu komme ich jetzt. Ein außer Kontrolle geratener Vampir ist stark genug, eine ganze Stadt auszulöschen, und ein verlorener Hexer könnte die mächtigsten Dämonen der Unterwelt auf die Menschheit hetzte. Und glaub mir, so etwas geschieht viel öfter, als du dir vorstellen kannst."
Ich wurde nachdenklich. „Das bedeutet also, dass irgendjemand diese Vorfälle vertuscht."
„Damit liegst du völlig richtig, Engelchen!", rief eine mir unbekannte Stimme, bei der sich in mir alles zusammenzog. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie mein Onkel einen schnellen Angiffszauber ausstieß.
Doch der Mann war schneller. Viel schneller. Noch bevor der Zauber ihn auch nur streifen konnte, war dieser bereits außer Reichweite gesprungen. Die Zähne fletschend kauerte er auf dem Boden. Oh mein Gott, sind das Reißzähne?
Zu schnell, um ihm folgen zu können, stand er bereits hinter meinem Onkel und hielt ihm seine Krallen an den Hals. Eine glasklare Warnung.
„Du bist ein Magier!" Sein Knurren vibrierte durch den Raum, direkt in meinen Schoß, welcher sogleich nach Aufmerksamkeit letzte. Mein Onkel ist in Lebensgefahr und ich bin angetörnt von einem Tiermann!
„Was wollt ihr von mir? Warum habt ihr mich hergebracht?" Er sah mich an - verlangte eine Antwort.
„Ich, ich... habe dich gefunden..."
„Und dann hast du dir gedacht, dass ich dir vielleicht was einbringe, richtig?"
„NEIN, so war das nicht! Ich wollte dir nur helfen."
Der Tiermann hob eine Augenbraue. „Ach wirklich? Und das soll ich glauben?"
„Glaub doch was du willst, aber lass meinen Onkel aus dem Spiel. Siehst du nicht, dass du ihm wehtust?"
Der Mann fing an zu lachen. Ein tiefer männlicher Laut, dem ich stundenlang hätte lauschen wollen, wäre die Situation eine Andere.
„Ich tue ihm weh? Er hat versucht mich umzubringen!"
„Und nun versuchst du das Selbe bei ihm.", versuchte ich auf diesen unberechenbaren Mann einzureden.
Ich nahm Blickkontakt zu meinem Onkel auf. Er schien nicht im mindesten beunruhigt. Gut, also hat er einen Plan.
Leicht nickte ich, als Zeichen, dass ich verstanden hatte. Ich würde den Mann zunächst einmal abgelenkt halten. Dann hätte mein Onkel vielleicht die Chance, sich zu befreien.
„Ich weiß, dass ihr etwas plant. Versucht es erst gar nicht. Ich bin speziell trainiert, mit jeder Art von Zauberei zurechtzukommen. Außerdem habe ich nicht vor, euch zu schaden."
Das machte mich stutzig. Ich hatte keine Lüge in seiner letzten Aussage gespürt. Auch alles, was er zuvor gesagt hatte, war die Wahrheit gewesen. Aber was wollte er dann? Wieso war er noch hier, wo er doch sicherlich die Chance gehabt hatte, zu verschwinden?
„Was willst du dann?"
„Ich will reden. Ich habe Fragen."
„Okay wir reden. Frag mich etwas."
Der Tiermann schüttelte den Kopf. „Nein, nicht mit ihm", dabei deutete er auf Onkel Ben, „hier in diesem Raum. Wir werden alleine Reden."
„Einverstanden."
Beide Männer blickten mich an, als sei ich verrückt geworden, einfach so anzunehmen. Bens Blick sagte so viel wie „was denkst du dir bloß?", während der Tiermann einfach nur erstaunt dreinblickte.
„Hört zu Jungs, ich mag zwar klein und eine Frau sein, aber blöd bin ich noch lange nicht. Du", ich hatte mich an den Erstaunten gewandt, „musst schwören, dass du weder meinem Onkel noch mir etwas zuleide tun wirst."
Er nickte.
„Du musst es laut aussprechen, so läuft das doch bei euch, oder?"
Ein echtes Grinsen verwandelte die strengen Züge des Tiermannes in ein wahres Kunstwerk. Sogleich wurde mir wieder warm und ich konnte spüren, wie ich rot anlief.
„Ich schwöre bei den alten und den neuen Göttern, dass ich dir und deinem Onkel, solltet ihr nicht zuerst angreifen, nicht schaden werde. Ist das gut genug für dich?"
„Ja... ja, das ist ausreichend.", sagte ich fest.
Wenn ich ehrlich mit mir selbst war, hatte ich keine Ahnung von Schwüren und dergleichen. Ich musst einfach Vertrauen haben und hoffen, dass mein Bluff ausreichen würde, um meinen Onkel und mich in Sicherheit zu wissen.
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