--7.1--
Warum müssen Verstecke immer unterirdisch sein? Sie hausen unter der Erde, in kalten feuchten Höhlen, wie die Ratten in der Kanalisation.
Scheiße! Da kommt noch eine Gabelung.
Schon seit geraumer Zeit bewegte ich mich durch die Gänge. Die wage Richtung zum Ausgang hin war mir bekannt, jedoch glich die Struktur der Gänge einem Labyrinth, was meinem bereits, durch die Schwäche zugesetzten Orientierungssinn nicht gerade half.
Jede Gabelung erhöhte die Wahrscheinlichkeit, einen falschen Weg zu wählen, wodurch ich dem Tode geweiht wäre. Und genau vor so einer stand ich.
Das macht dann wohl neun.
Ich entschied mich für den rechten Weg. Dieser roch anders, irgendwie frischer als die Bisherigen.
Mit großer Wahrscheinlichkeit ist er mit der Oberfläche verbunden, und wenn nicht, muss ich eben weitersuchen.
Langsam begann sich mein Umfeld zu verändern. Die feuchten Wände wichen Putz, der Boden bestand nun aus Holz und Antiquitäten schmückten die grauen Korridore.
Doch dies alles nahm ich nur am Rande wahr. Es schien mir, als würden die Gänge immer länger werden, während mein Körper immer schwerer wurde, ein weiteres Zeichen der Schwäche.
Doch schlussendlich stand ich am Ende des dunklen Korridors. Vor mir, ... ein Fahrstuhl. Echt jetzt?
Hinter mir, ... – Nox.
Sie spiegelten sich in der Tür des Fahrstuhls vor mir, die sich mit einem Pling öffnete...
Entgegen meinem Versprechen, begab ich mich nicht direkt nach Hause. Stattdessen schlenderte ich ziellos umher. Immer in Bewegung.
Ein wirkliches Ziel hatte ich nicht im Sinn. Da war nur so ein Gefühl, ein Ort, wo ich sein sollte.
Gefühle waren schon etwas Seltsames. Mal gaukelten sie dir etwas vor, mal versetzten sie dich in Angst und Schrecken und manchmal brachten sie einen dazu, Dinge zu tun, die man normalerweise nicht tat.
Da es bereits sehr spät war, sollten die Geschäfte schon alle geschlossen sein. Dennoch brannte in einem Gebäude, nur wenige Schritte entfernt, ein wärmeverströmendes Licht.
Licht, so hell und einladend, dass ich mich dabei ertappte, auf den Ladeneingang zuzusteuern. Zögerlich öffnete die Tür.
Im Inneren herrschte Schweigen. Nichts regte sich, woraufhin ich beschloss, mich auf eigene Faust umzusehen. Überall standen Regale verteilt im Raum. Über und Über gefüllt mit allerlei Schnickschnack. Da waren handgewebte Teppiche, steinernes Besteck und groteske Masken, alle entweder bunt, alt oder von starken Gebrauch gezeichnet.
Was mich aber am meisten beeindruckte, war die Sammlung von Schmuckstücken, von glänzende Juwelen aus den entferntesten Ländern, Haarnadeln, scharf wie Klingen und bestickten Seidentüchern aus den erlesensten Stoffen.
Ein schmales, silbernes Armband gefiel mir besonders gut. Eingebettet waren zwei verschiedenfarbige Steine, rot und grün. Wenn ich mich nicht täuschte, waren es ein Rubin und ein Smaragd.
Die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um Nachahmungen handelte, war groß. Trotzdem wollte ich es nicht mehr von mir geben.
Das Armband immer noch in der Hand haltend, schlenderte ich weiter. Ich war gerade zu einem der Bücherregale gegangen und strich über die Kanten der oberen Reihe, als hinter mir ein Räuspern erklang.
Verschreckt blickte ich hinter mich und sah den wohl hässlichsten Mann der Welt.
Er besaß eine graue fleckige Haut, die durch ihre Einkerbungen stark an einen Stein erinnerte, zwei große, zusammengeklappte Flügel und dicke Tränensäcke.
Ohne Scherz, da haben selbst die Tränensäcke schon Tränensäcke.
Außerdem reichte er mir gerade einmal bis zur Hüfte.
Vor mir stand ein waschechter Gargoyle. Ein Wesen aus alten Geschichten, die von steinernen Wächtern erzählten, welche durch einen jahrhundertealten Fluch an die Nacht gebunden waren. Es war ihnen nicht vergönnt, bei Tage zu wandeln.
„Oh, es ist schon so lange her, dass mich jemand deiner Herkunft besuchen kam. Ich bin so einsam hier. Früher wurde ich so gut wie jede Nacht besucht. Zu meinem Bedauern pflegen nur noch sehr wenige die alten Sitten."
Er sah mich direkt an. Ich blickte zurück. Seine Augen waren unglaublich ausdrucksstark, stahlgrau, wie eine frisch polierte Klinge. Man sagt, die Augen seien die Tore zur Seele. Bei ihm traf dies definitiv zu.
„Das tut mir leid." Etwas anderes fiel mir auf die Schnelle nicht ein.
„Ach, das braucht es nicht. Komm, wir trinken eine Tasse Tee, das macht den Kopf frei." Der Gargoyle wandte sich ab und überließ es mir, ihm zu folgen.
Zunächst plagten mich Zweifel. Soll ich mit diesem Geschöpf wirklich mitgehen?
Mein Inneres Gefühl, der Teil, der noch nie falschlag, konnte keine negativen Gedanken wahrnehmen. Es sollte schon alles gut gehen.
Der Gargoyle führte mich in einen etwas abgegrenzten Bereich. Ein Gedeck, passend zum Geschirr, stand auf einem alten Aufklapptisch.
Wir setzten uns gegenüber, die Gesichter aufeinander zugewandt.
Zunächst sagte keiner etwas, dafür war die Stimmung zu niederdrückend. Dann fing der Gargoyle an zu erzählen. Seine Themen liefen querfeldein, was mich nicht störte. Nach einiger Zeit merkte ich, wie die Anspannung von mir abfiel und ich folgte interessiert den Geschichten des Gargoyles.
Übrigens heißt er Timothy und ist Informationshändler.
***
Wir sprachen lange miteinander. Genosse jeder die Gesellschaft des anderen. Währenddessen erfuhr ich, dass der Laden tagsüber ebenfalls geöffnet war.
Natürlich übernimmt ein normaler Mann dann den Job, Timothy ist schließlich tagsüber nur eine Statue. Und da er so hässlich ist, braucht er keine Angst zu haben, gekauft zu werden. Hihi.
Nach mehreren Stunden beendeten wir die Unterhaltung – ich hatte viel Neues gelernt und versprach natürlich, noch einmal vorbeizuschauen.
Beim Aufstehen bemerkte ich das Armband, welches sich immer noch in meiner Hand befand. Ich hatte es wohl die ganze Zeit über bei mir gehabt.
Als ich es zurückgeben wollte, lachte Timothy nur. „Wie es scheint, ist das Armband für dich bestimmt. Nimm es mit. Ich schenke es dir als Zeichen unserer Freundschaft."
„So etwas Wertvolles kann ich nicht annehmen.", wies ich das Geschenk zurück.
„Aber aber, ich bestehe darauf und werde kein Nein akzeptieren. Außerdem gibt es zu diesem Stück ebenfalls eine Geschichte. Die erzähl ich dir dann das nächste Mal. Und nun mach, dass du nach Hause kommst."
„Danke... wirklich."
Ich beugte mich herunter, um ihm einen Kuss auf die Wange zu drücken, da packte er meinen Arm und hielt mich unten.
„Solltest du jemals Informationen benötigen, egal wie heikel das Thema auch sein sollte, komm zu mir. Einer wie dir helfe ich immer gerne."
Das Lächeln auf seinem Gesicht war herzlich. Dennoch zweifelte ich nicht daran, dass er es ernst meinte. Ich ging zur Tür – dachte nach.
Auch außerhalb des Ladens wiederholte ich die Worte Timothys immer wieder im Kopf.
Was meinte er bloß mit „einer wie dir"?
***
Ein Schrei ließ mich hochfahren. Erst jetzt wurde ich mir meiner Umgebung bewusst. Ohne es zu merken war ich in die gefährlichste Gegend der Stadt gelaufen. Warum bin ich hier? Sonst komme ich nie vom Weg ab!
Ich wollte schon umkehren, als erneut ein Schrei ertönte, noch lauter als zuvor.
Oh...mein...Gott. Irgendwas läuft hier doch gewaltig schief! Da, wieder der Schrei! Jetzt ist er näher.
Mit der Angst wuchs auch das Drängen in meiner Brust. Als ich den Schrei zum vierten Mal vernahm, fing ich an zu laufen. Keuchend bog ich um eine Ecke nach der anderen, bis etwas in meiner Brust explodierte und ich auf die Straße viel. Ich wurde ohnmächtig.
***
Vorsichtig hob ich die Lieder. Mein Schädel brummte. Offensichtlich hatte ich mich an etwas Hartem gestoßen, denn meine Hand - die zuerst zu meinem Kopf wanderte - ertastete eine große Beule.
Mich aufzusetzen war momentan unmöglich, der Schwindel war einfach zu stark. Mit der anderen Hand ertastete ich Blut. Jede Menge Blut.
Das kann niemals alles von mir sein!
Ich holte ein paar Mal tief Luft. Jetzt nur nicht in Panik geraten.
Die Blutlache war mit Sicherheit nicht von mir. Außer der Beule hatte ich keine anderen, nennenswerten Verletzungen finden können, also musste es von jemand anderem sein, alles andere stand außer Frage. Bitte, lass mich nicht Zeugin eines Mordes werden!
Trotz meiner Atemübung stand ich wieder kurz vor der Ohnmacht. Die ganze Situation war einfach zu viel für mich. Meine Angst wurde immer stärker, wodurch sich in Windeseile Energie in meinem Körper ausbreitete. Diese vertrieb zunächst die Starre in der sich mein Körper befand. Ich konnte aufstehen, wobei ich mehrmals in der Blutlache ausrutschte.
Als ich endlich stand, war das Blut überall an mir. Erst jetzt bemerkte ich die Fußabdrücke, welche sich von der Blutlache entfernten und weiter in die dunkle Gasse führten.
Der Verletzte lebt! Oder er lebte noch bis vor Kurzem.
Einen Menschen in Not konnte ich noch nie ignorieren. Diese Eigenschaft hatte mich schon oft in Konfliktsituationen gebracht, vor denen mich mein Onkel immer versucht hatte, zu beschützen. Meistens mischte ich mich in Streitereien ein, die mich eigentlich nichts angingen oder kam zu spät zur Arbeit, weil ich noch einen Verletzten ins Krankenhaus brachte oder gleich selbst behandelte.
Während der letzten Jahre hatte ich mehrere Medizinkurse besucht, wodurch ich gelernt hatte, erste Hilfe zu leisten.
Auch bei diesem Verletzten würde ich nicht zögern.
Ich war auf alles gefasst, jedenfalls glaubte ich das, als ich der Blutspur folgte und mich immer weiter vorwagte. Gott sei Dank kam ich an einer Bar vorbei, die ich kannte, wodurch ich die Orientierung wiederfand.
Doch nichts hätte mich auf den Anblick vorbereiten können, der sich mir in der nächsten Seitengasse bot...
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top