--6. 2--
Pünktlich verließ ich die Queen's Library. Die Filmvorführung war erst um 10 Uhr angesetzt und würde bis spätestens 12 Uhr abends andauern. Es blieb mir also noch genügend Zeit, mich einigermaßen herzurichten, bevor ich ins Kriegsgebiet eindringen würde. Das hieß jedoch nicht, dass meine Garderobe viel hermachte. Dominiert wurde sie hauptsächlich von einer großen Anzahl grauer und schwarzer Hoodies, welche mir die Ausstrahlung eines lebendig gewordenen Sackes verliehen.
Gott sei Dank fand ich im unteren Bereich des Schrankes eine einigermaßen enge Jeans und Stiefeletten mit dezentem Plateauabsatz, die mich etwas größer wirken ließen. In Kombination mit einem Hoodie in mattem Grün sah ich gar nicht mal so schlecht aus. Noch ein bisschen Make-up um meine Streifen zu verstecken und voila – aus dem Freak ward eine Frau. Wer's glaubt, dem wachsen Flügel.
Selbst der beste Maskenbildner kann den wahren Kern einer Person nicht ändern, sondern nur hinter einer Fassade aus Schönheit temporär verschwinden lassen. Einmal ein Freak, immer ein Freak, das war allgemein bekannt.
Dass ich ein Teil der orbis alius sein sollte und damit eines der Wesen, die für ihre Stärke bekannt waren, machte es auch nicht leichter, ich zu sein. Im Gegenteil, die Last, zu so einer Welt zu gehören, wog schwer auf meinen Schultern. Weder war ich besonders schnell oder stark, noch konnte ich meine Gestalt verändern, wozu Clanangehörige oder Vampire in der Lage waren.
All meine Fähigkeiten richteten sich schon seit meiner Kindheit immer nur gegen mich und jeden, der etwas mit mir zu tun haben wollte.
Meine emphatischen Begabungen hatten mir schon oft genug Kopfschmerzen bereitet. Es fühlte sich dann jedes Mal an, als würden meine Gedanken durch einen Fleischwolf gedreht. Dennoch - ich würde es niemals zugeben - gefiel es mir, die Stimmen der magischen Geschöpfe hören und ihnen antworten zu können.
Oftmals halfen sie mir, mit meiner Andersartigkeit umzugehen und waren dabei bessere Freunde, als die menschlichen Kinder es in meinem Alter je hätten sein können.
Und von meinen anderen Fähigkeiten wollte ich gar nicht erst anfangen. Schließlich versuchte ich sie, seit ihrem Erscheinen vor 16 Jahren, unter Verschluss und somit außer Reichweite zu halte. Sie sollten nie die Chance bekommen, an die Oberfläche zu treten, um mein verpfuschtes Leben noch weiter aus der Bahn werfen zu können.
Fertig angezogen mache ich mich auf den Weg und genoss den Spaziergang aus vollen Zügen. Ich liebte die engen, verzweigten Straßen von Inverness, zu deren Einwohnern ich gehörte. Die Entscheidung meines Onkels, hierherzuziehen hatten wir nie bereut. Der Umzug hatte uns beiden gutgetan und erleichterte einiges erheblich.
Zu Fuß waren es gerade mal 45 Minuten von meiner Wohnung bis zum Kinocenter – eine wirklich minimale Entfernung für eine leidenschaftliche Läuferin wie mich.
Aber doch genug, um mich auf das Bevorstehende vorbereiten zu können und mir selbst Mut z machen.
Während ich ging, atmete ich in einem ganz bestimmten Rhythmus. Zweimal ein, einmal aus, danach dreimal ein und zweimal aus. Die gleichbleibenden Wiederholungen halfen mir, mich zu sammeln und zu fokussieren. Mein Onkel hatte mir diesen Atemrhythmus beigebracht, kurz nachdem ich ihm von meinen Kopfschmerzen erzählt hatte, unter denen ich eine lange Zeit lang gelitten hatte.
Es half. Ich hatte mich nun besser im Griff. Trotzdem würden die Menschenmassen mir zu schaffen machen, hatten sie doch eine starke Auswirkung auf die Energien um mich herum. Ich konnte nur hoffen, dass es nicht wieder zu einem Anfall oder Schlimmeren kommen würde...
***
Im Inneren des Kinocenters erwartete mich Terry bereits ungeduldig.
Er sah wie immer fabelhaft aus, mit seinen stolzen 1,85 Metern und den großen braunen Hundeaugen. Nachdem er mir entgegengeeilt war, schloss er mich in eine innige Umarmung, achtete jedoch darauf, keinen Flecken nackter Haut zu berühren.
„Mensch Miranda!, es ist so schön, dass du doch noch gekommen bist. So eine Chance bekommt man schließlich nicht alle Tage."
„Ich bin auch froh hier zu sein." Die Lüge kam mir leicht von den Lippen. Ich hasste es zwar, Terry anzulügen, doch ich konnte ihm auf keinen Fall erzählen, was ich gerade durchmachte.
„Wo steckt denn eigentlich deine Freundin?", lenkte ich ab.
„Clarice? Ach, die ist uns gerade Popcorn holen gegangen. Sie sollte gleich zurück sein."
Kaum hatte er den Satz beendet, kam Clarice auch schon um die Ecke gebogen. Ich musste zugeben, dass die beiden ein wirklich wunderschönes Paar abgaben. Genau wie Terry war Clarice hochgewachsen und besaß volles blondes Haar. Nicht gefärbt, sondern naturblond.
Insgeheim beneidete ich sie um ihre hohen Wangenknochen und die strahlend grünen Augen mit den goldenen Sprenkeln.
Im Gegensatz zu ihr kam ich mir noch unscheinbarer vor.
Einzig meine Lippen, die die ihren an Fülle und Schwung übertrafen, gaben meinem Gesicht etwas Ausdrucksstarkes.
„Sollen wir uns auf den Weg machen? Die Karten haben wir ja schon."
Die Frage war an mich gerichtet, denn Terry hatte bereits die Finger mit Clarice ihren verbunden und stand in Richtung Korridor 2, unserem Korridor.
Ein Stich des Neides durchfuhr mich.
Händchenhalten muss schön sein. Die Haut eines anderen zu spüren. Wie das wohl ist?
Ich selbst hatte solch eine Erfahrung noch nie gemacht. Die sich stets erneuernde Energie in meinem Inneren, machte den Körperkontakt zu anderen Menschen unmöglich.
Ich nickte und wir begaben uns zu unseren Plätzen.
Trotz Terrys Ungeduld waren wir fast die einzigen im Saal. Daraufhin entspannte ich mich. So schlimm kann es nicht werden. Bis jetzt lief doch alles sehr gut.
Mir Mut zuzureden half nur begrenzt, denn immer mehr und mehr Leute strömten in den Saal, der sich schnell füllte.
„Dann sind wir ja gerade rechtzeitig gekommen, sonst wären alle guten Plätze bereits vergeben." Terry lächelte mich aufmunternd an.
Ich versuchte mich ebenfalls an einem Lächeln, welches wohl eher in einer Grimasse endete, denn Terrys Berauen zogen sich nachdenklich zusammen.
„Und du bist dir sicher, dass du das hier durchstehst? Ich kann dich auch nach Hause bringen, Mira. Wirklich, das macht mir und Clarice nichts aus."
„Danke, aber das schaffe ich schon."
Damit blickte ich zurück zur Leinwand. Ich hatte mich dazu entschieden zu kommen, jetzt würde ich doch nicht klein beigeben!
***
Während der Film lief, verschlechterte sich mein Zustand zusehends. Ein heftiger Druck lastete schwer auf meinem Körper.
Zuerst spürte ich ihn nur in der Brust, danach auch in den Beinen und Armen.
Ich wusste, was nun folgen würde – Alles deutete auf einen Anfall hin.
Vor all diesen Leuten? Unmöglich!
Bleiben war keine Option mehr. Denn wenn ich blieb, würden viele Leute noch heute im Krankenhaus enden. Getroffen von dem Ergebnis einer meiner Anfälle.
Ich beugte mich hinüber zu Terry und linste auf dessen Armbanduhr. Die Zeiger leuchteten im Dunkeln, weshalb ich sie klar und deutlich erkennen konnte.
Es war gerade einmal Halbzeit. Jeden Moment sollte der Film eine Pause einlegen. Bei viereinhalb Stunden war das auch zu erwarten.
Clarice und Terry wollten sich schon erheben, da packte ich ihn am Arm – Mein Griff war verkrampft und schweißnass.
„Terry, es war super lieb von dir, mich einzuladen aber ich muss jetzt wirklich gehen."
Zu diesem Zeitpunkt musste ich schrecklich ausgesehen haben, wie der Tod, denn mein bester Freund gab keinerlei Wiederworte.
„Ich rufe uns ein Taxi und wir fahren alle zusammen zu mir." Nein, nein, nein, wegen mir müsst ihr nicht auch noch den Film verpassen.
„Es geht schon, wirklich. Ihr müsst mich nicht begleiten. Es ist kein Problem für mich, wenn ich alleine gehe."
Nun schaltete sich auch Clarice ein.
„Natürlich ist es das nicht, trotzdem kann es nachts gefährlich sein. Lass uns dich wenigstens begleiten, bis ein Taxi kommt."
„Dann verpasst ihr den Film. Außerdem müsst ihr den Rest aufnehmen, damit ich ihn später ansehen kann. Als würde ich mir den heißesten aller Männer entgehen lassen."
Auf zwei der attraktivsten Gesichter der Stadt erschien ein Grinsen. Ein jeder wusste, dass das Aufnehmen von Kinofilmen illegal war. Aber kümmerte das Terry oder gar Clarice? Nope, tat es nicht.
„Natürlich machen wir das. Du kannst dich auf uns verlassen. Trotzdem möchte ich dich nicht alleine gehen lassen. Wer weiß, was da draußen so alles herumlungert.", gab mir Terry zu denken.
„Clarice, Terry, es tut mir leid aber im Moment muss ich einfach alleine sein. Niemand kennt die Straßen dieser Stadt so gut wie ich. Außerdem wird mir die frische Luft guttun. Dieser Raum ist mir einfach zu überfüllt. Wärt ihr auch damit zufrieden, wenn ich euch, Zuhause angekommen, eine SMS schicke?"
Terrys Antwort ließ auf sich warten. Er musterte mich. Versuchte mich einzuschätzen. Clarice hatte anscheinend nichts gegen die Idee einzuwenden, denn sie warf ihrem Freund bereits auffordernde Blicke zu. Sie habe ich schon mal umgestimmt, fehlt nur noch Terry.
Trotzig hob ich mein Kinn.
„Nicht zu vergessen bin ich eine erwachsene Frau, die ihre Entscheidungen selbst treffen kann. Ich werde also so oder so gehen"
Die Ansprache zeigte Wirkung. Er willigte zu – nicht ohne sich noch einmal versichern zu lassen, dass es mir auch wirklich gut genug für den Rückweg ging.
So viel steht fest:
Ich habe wirklich den besten Freund auf der ganzen Welt.
Ich verließ das Gebäude. Die kalte Nachtluft blies mir entgegen und brachte allerlei fremde Gerüche mit sich. Sofort löste sich etwas von dem Druck in meiner Brust, der bald nur noch eine ferne Erinnerung war. Ein Nachhall von Energie.
Von meiner Energie...
____________________________________
Das sechste Kapitel ist damit erschienen.
Wie fandet ihr die Kinoszene? Habt ihr schon eine Idee, was Miranda da gespürt hat?
Wenn ihr Fragen zum Kontext haben solltet, könnt ihr sie jederzeit stellen, ich beantworte jeden Kommentar mit Freude.
Wir lesen uns Morgen ;)
Eure GiulyanaBlue
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top