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Um Punkt 5:30 Uhr stellte ich das lauwarme Wasser ab.
Nackt tapste ich ins Schlafzimmer, zog meinen Kleiderschrank auf und erblickte mein Spiegelbild in dem eingebauten Schrankspiegel.
Jeden Tag sah ich das selbe schmale Gesicht vor mir, mit den viel zu großen, matschbraunen Augen, der kleinen Nase und den vollen Lippen, wobei die Ober- größer war, als die Unterlippe.
Auch der Rest war nicht wirklich was Besonderes. Ein zierlicher Körperbau und eine unspektakuläre Größe von 1, 60.
Das einzig Ungewöhnliche waren die blassen, silberfarbenen Linien, welche sich über quer meinen ganzen Körper zogen. Sie waren angeordnet wie die Streifen eines Tigerfelles und maßen locker anderthalb Zentimeter im Durchmesser.
Je nachdem, wie der Lichteinfall war, leuchteten sie auf oder verschwanden komplett.
Ich griff nach einem schwarzen Hoodie in Größe XXL und einer ausgeleierten Jeans, stieg in beides hinein, natürlich nicht, ohne vorher ein Set Unterwäsche angezogen zu haben, und ging in die Küche, welche ich aus Leidenschaft komplett blau-silbern eingerichtet hatte. Die Schränke waren silbern und die Türen dunkelblau, zum Schrecken meiner Freunde und vor allem meines Onkels, der selbst kein besonders farbiger Mensch war.
Wenn ich schon keine farbenfrohen Kleidungsstücke tragen konnte, wollte ich zumindest meine Bereiche im großen Haus so bunt wie möglich halten.
Meine dunkelbraunen Haare hatte ich zuvor durchgekämmt und ließ sie nun an der Luft trocknen. Einen Fön konnte ich ja leider nicht zur Hand nehmen, wir kamen einfach nicht miteinander klar.
Auf der alten zerkratzten Tischplatte lag mein Handy - direkt neben meinen cremefarbenen Handschuhen, welche ich mir auch sogleich überstreifte. Schnell noch mal meine SMS checken.
Und siehe da! Drei neue Nachrichten. Alle von meinem Chef Ricky Holeman.
Schnell schrieb ich zurück und beantwortete noch seine Frage, ob ich eine weitere Schicht übernehmen könnte.
Natürlich war die Antwort ja, so wie immer. Mr Holeman wusste, dass er auf mich zählen konnte, sollte es einmal einen spontanen Ausfall geben. Und es ist ja nicht so, als ob ich etwas Besseres zu tun hätte. Ganz im Gegenteil - wenigstens bin ich so beschäftigt.
Die Uhr an der Wand zeigte nun 5:45Uhr.
Zeit mich auf den Weg zu machen.
Schnell aß ich noch eine Banane aus der spärlich gefüllten Obstschale, bevor ich auch schon durch die Tür schlüpfte und mich der kalten Morgenluft stellte.
Die Bibliothek, in der ich arbeitete, die Queen's Library, lag nur drei Blocks von meiner Wohnung entfernt. Den Weg legte ich innerhalb kürzester Zeit zurück. Die Kapuze des Hoodies zog ich mir dabei tief ins Gesicht, keiner sollte die Streifen erkennen können, die auch mein Gesicht zierten, also musste der Schatten so groß wie möglich sein. So waren bestenfalls mein Mund und meine Kinnpartie zu sehen.
Kaum war ich auch schon durch die schwere eiserne Tür getreten, roch es nach Kaffee und alten Büchern. Ein Gefühl der Geborgenheit und Ruhe überkam mich.
Hier, zwischen all diesen Büchern, fühlte ich mich sicher. Sicherer als an jedem anderen Ort.
Mein Arbeitsplatz befand sich im hintersten Bereich der Bibliothek. Ein Stuhl, ein Schreibtisch, eine Topfpflanze und mein Computer, mehr befand sich nicht in der kleinen Kammer, an dessen Türklinke ein „Bitte herein" Schild hing.
Meine Kapuze streifte ich nach hinten. Ich brauchte sie nicht mehr.
„Welch bezauberndes Antlitz ich hier vor mir sehe! Ich fühle mich geehrt, dir den heutigen Tag durch meine Anwesenheit zu bereichern."
Am Türrahmen lehnte mein Arbeitskollege und bester Freund Terry Jones. Lächelnd löste er sich aus seiner Haltung und setzte sich mir gegenüber. Die Hände hatte er hinter dem Kopf verschränkt.
„Wenn du auch nur versuchst, deine Füße auf meinem Schreibtisch abzuladen, kannst du gleich wieder gehen."
„Aber, aber. Wer ist den gleich so schlecht gelaunt? Und dass, obwohl ich dir doch etwas mitgebracht habe."
Oh nein. Eine von Terrys berühmten Überraschungen.
„Und? Was hast du mir denn mitgebracht?", fragte ich misstrauisch.
Terry fasste sich unter seine maßgeschneiderte Anzugsjacke und zog etwas hervor.
„Tadaaa!"
In seiner Hand befand sich eine kleine Box. Vorsichtig nahm ich sie an mich.
Und um vorsichtig zu sein, hatte ich auch allen Grund.
Es gingen nämlich schon Gerüchte um, in denen es hieß, Terry hätte mehrere Schmetterlinge oder eine Hand voll Gummischlangen in solche Boxen hineingepackt.
Sich zu erschrecken war im Moment einfach keine Option für mich. Immerhin hatte ich ein Computerleben zu beschützen.
„Ähm, Terry?"
„Ja?"
„Da ist aber jetzt nicht Godzilla drinnen, oder?"
„Ich muss dich leider enttäuschen, Godzilla war heute bereits gebucht."
Sein trockener Humor und ernstes Gesicht zauberte ein Lächeln auf meine Lippen und ließen mich kichern. Nur Terry konnte eine solche Frage kontern.
„Aber dir sollte es trotzdem gefallen. Mach es schon auf!"
Immer noch skeptisch öffnete ich das Paket. Im Inneren waren weder Gummischlangen noch Schmetterlinge, stattdessen sah ich zwei Kinokarten am Boden der Box. Sie waren für den neuen Teil von Thor, dessen Hauptrolle Chris Hemsworth spielte. Terry wusste genau, dass ich nicht wie die meisten Frauen auf Liebesschnulzen stand, sondern einen guten Actionfilm einer Romanze immer vorzog und außerdem ein riesen Chris-Fan war. Außerdem war es nicht irgendein Filmabend. Es waren Karten für die allererste Filmvorstellung mit anschließender Aftershowparty.
„Oh Terry. Du weißt doch, dass so etwas nicht nötig ist."
Das ist doch völliger Quatsch. Du musst mal rauskommen, dich unter Leute mischen. Außerdem hast du Geburtstag. Und ein jeder weiß, dass man es an seinem Geburtstag krachen lässt."
„Terry, ich weiß nicht recht. Du weißt doch was passiert, wenn ich nervös werde."
Ein eindringlicher Blick.
„Du weißt genauso gut wie ich, dass du dich ganz wunderbar im Griff hast. Außerdem werden Clarice und ich die ganze Zeit bei dir sein. Bitte Miranda, tu es uns zuliebe."
Es war unmöglich nein zu sagen, wenn ich mit solchen Augen angeguckt wurde. Keine Chance.
„Na schön. Aber wirklich nur den Film, danach rufe ich mir ein Taxi." Terry wollte schon etwas erwidern aber ich unterbrach ihn.
„Und versuch es erst gar nicht. Du weißt das ich mich in großen Menschenmengen nicht wohlfühle. Obendrein wäre es viel zu gefährlich für alle Anwesenden, wenn ich mit zur Party käme.
Mein Entschluss stand fest.
Hatte ich mir erstmal etwas in den Kopf gesetzt, konnte keiner, nicht mal mein Onkel, mich umstimmen. Das wusste auch Terry.
Mit einem Seufzen stand er auf und schlenderte zur Tür. Kurz drehte er sich noch einmal zu mir um.
„Du kannst dich nicht ewig verstecken. Irgendwann wirst du dich aus deinem Schneckenhaus heraustrauen müssen und anfangen zu leben. Und zwar richtig zu leben. Das bedeutet auch mal etwas anderes zu machen, als dich immer nur auf die Arbeit zu konzentrieren. Es bedeutet, etwas Unerwartetes zu tun. Und ich hoffe es aus ganzem Herzen, dass dir mal etwas so Unerwartetes passiert, dass du zu einer Handlung gezwungen wirst. Das sage ich dir als Freund, der weiß, was für ein wundervoller Mensch du doch bist."
Mit diesen rührenden Worten verschwand er durch die Tür und ich ließ mich auf meinen Schreibtischstuhl plumpsen.
Das Gesprochene wirkte noch eine ganze Weile in mir nach.
Hat er recht? Verstecke ich mich vor mir selbst?
Doch Terry wusste es nicht, konnte es nicht wissen. Er wusste nur von einem kleinen Teil des großen Ganzen. Ich hatte ihm nie die ganze Wahrheit über mich erzählt. Ich hatte mich noch nie einem Menschen nahe genug gefühlt, sodass ich in der Lage gewesen wäre, mich komplett zu öffnen. Dafür waren die Wunden einfach zu tief. Auch nach all diesen Jahren schmerzten sie noch wie frisch geschlagen.
***
Ich arbeitete bis 12:45Uhr durch. Genau genommen, bis eine imposante Erscheinung mein Zimmer stürmte und mich in ihre Arme zog.
Meine Cousine Abigail war so bunt gekleidet, wie ein Papagei zur Karnevalszeit. Das war ihr Markenzeichen. Das, und ihre direkte Art, die Dinge anzugehen.
Im Gegensatz zu ihr war ich die graue Maus. Ich hielt mich lieber an gedeckte Farben und ein zurückhaltendes Auftreten, jedenfalls draußen.
„Es tut so gut, dich nach so langer Zeit wiederzusehen. Wie lange ist es her? Drei Jahre? Oder länger? Ich kann es gar nicht glauben! Meine kleine ist jetzt schon 25. Wie die Zeit vergeht! Es kommt mir so vor, als wärst du erst Gesten bei deinem Onkel Benjamin eingezogen."
„Ich freue mich auch, dich zu sehen, Abigail."
Ein weiteres herzliches Drücken.
„Natürlich tust du das, Kindchen. Alle lieben es, mich zu sehen. Ach, da fällt mir ein, ich soll dir was von diesem gutaussehenden Mann ausrichten."
Ihr blick wurde verträumt.
„Er sagte, dass er schon etwas früher da sein wird, da er vorher noch etwas Essen geht. Sei ehrlich – läuft da was zwischen euch beiden?"
„Was, zwischen Terry und mir? Nein, wir sind nur Freunde. Außerdem ist er bereits vergeben."
Daraufhin zog Cousine Abigail eine Schnute.
„Papalapap! Wer keinen Verlobungsring trägt ist noch zu haben. Das ist eine Lebensweisheit. Wie sonst angelte ich mir meinen dritten Ehemann?"
„Cousine, du bist echt unglaublich!"
„Natürlich bin ich das, war ich schon immer."
Und erstaunlich selbstverliebt bist du auch.
Trotzdem konnte ich mir ein Lachen nicht verkneifen. Sie war aber auch einfach zu exzentrisch, um ihr lange böse zu sein. Außerdem war ich noch nie der Typ Frau, der es schaffte, lange zu schmollen. Dafür amüsierte ich mich in Anwesenheit von Abigail einfach zu sehr. Von all meinen Verwandten, war sie, von meinem Onkel einmal abgesehen, die Einzige, die sich wirklich für mein Leben interessierte. Und das rechnete ich ihr hoch an.
„Also, um nochmal auf diesen Mann sprechen zu kommen. Du sagtest er sei schon vergeben. Dennoch habe ich deutlich das Päckchen gesehen, welches er dir vorhin überreicht haben muss. Raus damit! Ich möchte jedes Detail erfahren. Und damit meine ich JEDES!"
Stures Frauenzimmer. Und neugierig noch dazu!
„Es war wirklich nichts Besonderes. Terry hat mich nur, zusammen mit seiner Freundin, zu einem Kinobesuch eingeladen. Da kannst du doch nicht wirklich irgendwelche versteckten Intensionen hineininterpretieren."
Aufmerksam studierte Abigail die Kinotickets. Sie hatte sie sich schon während meines erbärmlichen Erklärungsversuches geschnappt. Wirklich beachtet hatte sie mich also nicht.
„Huhu, Erde an Abigail.", währen ich das sagte wedelte ich vor ihrem Gesicht herum.
Ruckartig sah sie auf.
„Von wegen keine Intension. Das sind Karten für deinen Lieblingsschauspieler. Und teure noch dazu. Wie kannst du das nicht als Annäherungsversuch betrachten?"
Langsam nervten mich ihre Vorwürfe, also fiel meine Antwort schärfer aus, als ich beabsichtigt hatte.
„Zum einen kennt er meinen Geschmack, da wir schon seit einer Ewigkeit beste Freunde sind und zum anderen hat er bereits eine Freundin. Clarice ist eine anständige, selbstbewusste Frau mit Karrierechancen. Da würde er sich doch niemals mit jemanden wie mir treffen wollen."
„Jetzt hör dich doch an!", begehrte Abigail auf. „Hör bitte endlich damit auf, dich schlecht zu reden. Du bist ebenfalls eine begehrenswerte Frau – nur auf eine andere Art. Diese Clarice hat dir nichts voraus. Das Einzige, was du jetzt brauchst, ist ein Tapetenwechsel. Und wie es der liebe Gott für dich vorgesehen hat, ist heute Abend die perfekte Gelegenheit dazu."
Innerlich sträubte sich noch alles beim Gedanken, am Abend ausgehen zu müssen. Ich würde angestarrt werden. So wie immer. Und nirgends würde ich mich verstecken können. Ich möchte mich nicht wieder so fühlen.
Abigail schien meine Zweifel zu spüren, denn sie nahm mir noch schnell das Versprechen ab, auf jeden Fall zu diesem Film zu gehen, bevor sie ein Termin dazu zwang, sich von mir zu verabschieden. Genauso schnell wie sie gekommen war, war sie auch schon wieder weg.
Zu meinem Übel nahm ich Versprechen sehr ernst. Hatte ich erst mal eines gegeben, hielt ich es auch. Mir blieb also nichts anderes übrig, als zu dieser Filmvorführung zu gehen. Seufz.
Terry schrieb ich noch schnell eine Zusage und stellte mir gleich darauf noch einen Wecker, bevor ich mich wieder an die Arbeit machte.
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Soooo, hier hätten wir das zweite Kapitel für heute. Ab jetzt wird es nur eins pro Tag geben, sonst kann ich den angegebenen Zeitraum von zwei Wochen nicht einhalten.
Kommen wir zu was anderem: Wie findet ihr Miranda so? Ich habe ein paar Andeutungen gamacht, die ein Problem in den Vordergrund heben ... Was das aber für ein Problem ist verrate ich nicht. Hihi, ich bin ja so gemein.
Würde mich freuen, von euch zu hören.
Wir lesen uns ;)
Eure GiulyanaBlue
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