--4--
Die Zeit verging und mein Zellennox verlor allmählich an Anspannung. Auch die Wächternox, welche im Falle einer Flucht meinerseits vor dem Gang positioniert waren und Siroff in Statur und Größe ähnelten, versuchten nicht einmal mehr, ihre Gespräche in einem unverständlichen Flüstern zu halten. Stattdessen ließen sie keine Gelegenheit verstreichen, mich zu schikanieren.
Ich wurde durch die Gitterstäbe verspottet und mit alten Essensresten beworfen, währenddessen ich ihnen am liebsten die Augen ausgekratzt hätte.
Bei meinen regelmäßigen Folterungen schauten sie zu wie kleine Kinder, ständig darauf bedacht, sich nicht in mein Blickfeld zu begeben.
Sind wir hier bei findet den Nox, oder was? Euch rieche ich zehn Meilen gegen den Wind, da helfen auch die Schatten nicht im Geringsten! Geht, eure Mamis warten sicher schon.
Mittlerweile hatte ich genug. Das Ausharren war nun vorbei, endgültig. Keiner der hier Anwesenden sah noch eine Gefahr in mir.
Und wie sollten sie auch, gab ich doch keine, allzu beeindruckende Erscheinung ab.
Da ich nach wie vor nichts anhatte, war jede meiner nur langsam verheilenden Wunden deutlich zu erkennen. Aus meinen Augen und Ohren sickerte das Blut, da sie mir die Augen erst vor Kurzem ausgestochen hatten, wohl wissend, dass sie sich früher oder später nachbilden würden. Meine Ohren dagegen, hatten schon kurz nach der ersten Folter angefangen zu bluten. Und obwohl sich mein Blut schnell regenerierte, machte mir der Blutverlust doch deutlich zu schaffen.
Meine von Geburt an milchkaffeefarbene Haut hatte bereits eine gräuliche Färbung angenommen und hob sich nun stark von meinem pulsierenden Signum ab.
Eine bedrohliche Erscheinung bin ich nun wirklich nicht mehr.
Mithilfe eines großen Teils meiner letzten Energiereserven schloss ich alle bewegungshindernden Wunden. Dabei ließ ich die oberflächlichen Wunden bestehen, damit niemand meinen verbesserten Zustand bemerkte. Meine Augen hingegen würden noch eine Weile brauchen, um vollständig zu verheilen, dafür war der Blutverlust einfach zu groß. Das störte mich aber nicht weiter. Auch blind fand ich meinen Weg, egal ob ich durch Tunnel oder die Straßen Venedigs laufen musste, um diesen Ort zu verlassen. Ich verließ mich ausschließlich auf die mir gebliebenen Sinne, auf das Tasten, Hören, Riechen und Erspüren.
Nach dieser Tortur gönne ich mir erstmal einen wundervollen Brandy. Am besten einen aus dem 18. Jahrhundert.
Ich hatte schon immer eine Schwäche für einen guten Brandy gehabt, was Viper regelmäßig zur Weißglut brachte, war er es doch, der mich nach einem Glas zu viel aufsammeln musste. Für einen aus meiner privaten Sammlung, einen 30-jährigen Glenfiddich, hätte ich im Moment alles getan. Naja, fast alles.
***
Als mein Zellennox das nächste Mal meine Behausung betrat, bewegte ich mich ein Stück, das hieß, dass ich meinen Rücken durchstreckte, was ich bereits die letzten Wochen über Stück für Stück getestet hatte.
Zunächst war er noch jedes Mal zusammengezuckt, was mir innerlich ein Grinsen entlockte. Diese Reaktion war nun jedoch allmählich vergangen und einer Portion Desinteresse gewichen, die mir ungemein zugutekam.
Somit viel es niemandem auf, dass ich mich in einer komplett aufrechten Position befand, obwohl ich nach wie vor in Ketten an der Wand hing.
„Jetzt kennen wir uns schon so lange, wie wäre es, wenn wir uns ein bisschen unterhalten würden.?", richtete ich das Wort an den still vor sich hinarbeitenden Nox.
Der Kopf des Nox schnellte daraufhin in meine Richtung, die Augen leuchteten bernsteinfarben, eine bedrohliche Farbe.
Diese war es jedoch nicht, die mich in den Bann schlug. Vielmehr waren es die vertikalen Schlitze, zu denen sich die Pupillen des Nox zusammengezogen hatten und stark einem Kojoten ähnelten.
Zu meinem Glück war ich gegen die irritierenden Blicke der Nox gefeilt, hatte ich schon vor langer Zeit gelernt, keinen in meine Gedanken eindringen oder diese anderweitig beeinflussen zu lassen.
„Wieso sollte ich? Du hast nichts zu sagen, das eine Unterhaltung lohnen würde." Es war eine Feststellung, doch ich gab nicht auf.
„Da wäre ich mir mal nicht so sicher, wenn ich du wäre. Ich habe so einiges Interessantes zu erzählen."
Die Pupillen des Nox zogen sich noch ein weiteres Stück zusammen. Sie waren nunmehr schmale Striche, kaum zu erkennen.
Er wartete.
„Du hast sicherlich schon von mir gehört und weißt somit wer ich bin, habe ich recht?", fragte ich.
„Ja, ich weiß wer du bist. Du bist die Feuerklinge, ein Bastard aus zwei Blutlinien. Ein Clanloser und Kopfgeldjäger. Das ist es, wer du bist."
Offenbar schien er stolz auf seine kleine Ansprache zu sein, denn er reckte die mickrige Brust in die Höhe, welche selbst vor meiner ausgemergelten Gestalt keine gute Figur machte.
Doch er irrte sich. Ich hatte mich schon lange mit meiner Lebenslage abgefunden. Somit empfand ich rein gar nichts seinen Worten gegenüber.
Außerhalb meiner Gedanken machte ich wiederum ein zum Teil bestürztes, zum Teil belustigtes Gesicht.
„All dies stimmt. Gut gemacht. Aber kommen wir mal zu etwas anderem. Ich hätte dir ein Angebot zu machen, das du um keinen Preis der Welt ausschlagen solltest."
Klein Nox kam näher an meine in Ketten hängende Gestalt, was ich an seinen schlurfenden Schritten erkannte.
„Was solltest du mir schon für ein Angebot machen können? Du sitzt hier fest und wirst es wahrscheinlich nicht in einem Stück aus dieser Zelle hinausschaffen. Was willst du also erreichen? Hältst du mich für dumm?"
Volltreffer.
„Natürlich nicht. Ich wollte dich wirklich nur über etwas informieren, was dich interessieren könnte.", kam sofort meine unterwürfige Antwort.
„Dann spuck es schon aus! Oder soll ich warten bis Meister Siroff hier ist, um sich dein Angebot einmal selbst anzuhören?"
Oh oh oh! Wer wird denn da ungeduldig?
„Du hast recht, das möchte ich nicht. Und du solltest es auch nicht wollen. Ich bin im Besitz von etwas sehr wertvollem, etwas von unschätzbaren Wert. Es ist ein Gegenstand, wonach die orbis alius schon lange sucht."
„WAS IST ES?", knurrte er vor meinem Gesicht und verteilte dadurch kleine Speichelfetzten in alle Richtungen.
Die Augen des Nox waren nun nicht mehr bernsteinfarben, sondern schwarz. Ein Zeichen, dass er kurz davorstand, auf mich loszugehen.
„Ich spreche von der Träne Andartes.", sagte ich klar und deutlich.
Zunächst hörte ich nur ein Schnauben, gefolgt von einem Schwall Gelächter.
„Du glaubst doch nicht im Ernst, du hast die Träne Andartes gefunden? Sie wird seit Jahrhunderten vermisst und nicht einmal die Alten aus dem Trogovat wissen von ihrem Verbleib.", stellte er fest.
„Und doch habe ich sie gefunden. Den Beweis dazu findest du im Bund meiner Hose.", hielt ich ruhig dagegen.
Ich spürte wie er nach rechts blickte, denn dorthin hatte man meine Hose achtlos in die Ecke geworfen.
Der Nox setzte sich in Bewegung, bückte sich, was ich am Geräusch erkannte, griff nach der Hose und erstarrte.
„Sollte dies ein Trick sein, wird er dir noch teuer zu stehen kommen.", drohte er und hob die Hose nun vollständig vom Boden auf.
In ihr befand sich ein kleiner lederner Beutel. Dieser enthielt einen dunkelblauen Staub, Überreste einer alten Schutzbarriere, die ich ausversehen betreten hatte, als ich mich auf Verfolgungsjagt quer durch Ägypten befand.
Der Staub stammte tatsächlich aus der Nähe der Träne, er war von dessen Magie durchdrungen, was selbst ein niederer Nox spüren konnte.
„Ja, ganz eindeutig. Diese Magie kann wirklich nur die Träne hervorbringen.", war die gierige Antwort.
Ein scharfer Blick auf seine Gefühlslage verriet mir, unter welchem Zwiespalt der Nox stand.
„Aber wie soll mir dieser Staub dabei helfen, die Träne zu erlangen?" Auf diese Frage hatte ich geantwortet.
„Wirf ihn in die Luft und denk an die Träne. Der Rest sollte sich von alleine klären. Keine Sorge, ich spreche die Wahrheit. Und sollte dich das immer noch nicht überzeugen, bete ich zu der Göttin des Todes, im Falle einer Lüge, über mich zu richten."
Die Augen des Nox weiteten sich, was ich nicht sah, aber spürte. Seine Zunge leckte gierig über seine Lippen.
„Du wärst also bereit, dein Leben aufs Spiel zu setzten?
„Ja."
„So sei es."
Ich konnte zwar nicht sehen, was er tat, doch kurz darauf hörte ich den Klang der auf den Boden schlagenden Fesseln. Ich war frei. Keine Ketten mehr. Nur zu schade, dass ich nach wie vor nichts sehen konnte.
„Ich warte."
Das hätte ich jetzt beinahe vergessen. Da ich die Wahrheit sage, sollte ich den Eid schnell hinter mich bringen. So schlimm kann das ja nicht werden.
„Okay, ich bin soweit."
Ich drehte meinen Kopf in die Richtung, aus der ich den Nox vermutete, kniete mich auf den Boden und begann die formellen Worte zu sprechen.
„Ich verpflichte mich dir, Sohn des alten Geschlechts der Nox. Sollte ich die Unwahrheit sprechen, werden die Götter über mein Schicksal bestimmen. Dies schwöre ich vor Ankou und allen vergessenen Gottheiten. Mögen sie über meine Seele richten und meinen Worten Gewicht verleihen."
Nachdem ich geendet hatte und die Ketten wieder meinen Leib fesselten, drehte sich der Nox um und verschwand ohne ein weiteres Wort in der Dunkelheit. Die Freiheit war zum Greifen nahe. Hoffentlich entpuppte sie sich nicht als zweischneidiges Schwert...
______________________________________
Ohohoh, Seth hat eine Vereinbarung getroffen, ob er es aus der Zelle schafft ...?
Was ihn wohl außerhalb erwartet? Wird er vielleicht sogar entdeckt?
Jetzt möchte ich aber nicht zu viel verraten.
Wir lesen uns ;)
Eure GiulyanaBlue *ein scharfes Schwert in Händen haltend*
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top