--28.2--

Wieder einmal war ich ausgeschlossen worden! Seths Geist ließ keinen Schlupfwinkel offen, den ich benutzen könnte, um ihn zu erreichen. Dabei hatten wir diese Situation doch schon erlebt, sodass er es doch besser wissen müsste.
Augenblicklich versuche ich meine Atmung zu senken, um einen Anfall zu vermeiden. Bis jetzt hatte doch alles so gut funktioniert; mithilfe vom Geist meines Gefährten kam so etwas wie Stabilität in mein Leben. Auf keinen Fall würde ich es zulassen, dass diese dunklen Gewitterwolken in seinen Augen uns zurückwarfen.
„Seth, kannst du mich hören? Seth! Was auch immer du gerade durchmachst, lass mich ein Teil davon sein." Silbrig-blaue Energie sammelt sich bereits in meinen Händen, bereit, ihr zerstörerisches Ausmaß zu entfalten.

„Ich verspreche dir, den ersten Blitz werde ich auf dich richten. Das wird wehtun." Selbst in meinen Ohren klang die Stimme meiner Gedanken bar jedes Gefühls. Wenn ihn ein Blitzschlag nicht aus seinen Gedanken reißen konnte wusste ich auch nicht weiter.

Die Energie meines Hexenerbes mütterlicherseits entlud sich mit einem Knall. Wie versprochen stürmte sie auf meinen Tiermann zu, doch ich hatte vergessen, wie stark ich geworden war. Auch wenn ich die Tigerin nun fast vollständig unter Kontrolle hatte, die Macht einer Hexe war mir noch zu unbekannt. In diesem Gebiet steckte ich praktisch noch in den Kinderschuhen.
„Pass auf", schrie ich kurz bevor der Blitz Seth von den Füßen holte und durch die hintere Wand schleuderte. „Verflixt!" Eilig rannte ich hinterher und begann, unter den Trümmerteilen nach Seth zu suchen. Erleichtert bemerkte ich, wie er mir einen fragenden Gedanken in Form eines Bildes sandte und antwortete ihm prompt mit einem Gegenbild.

Die Energie hatte ihn durch den ganzen Stauraum katapultiert, jedoch nicht so stark verletzt, wie ich befürchtet hatte. Seufzend ließ ich mich neben ihn nieder und lehnte mich an seine angesenkte Seite.
„Wie oft willst du dich noch umhauen lassen, bevor du lernst, mich nicht mehr auszuschließen?", fragte ich mit Belustigung in der Stimme. „Mir ist ja egal wie oft du gedenkst, dich ansengen zu lassen. Nur sag bitte vorher Bescheid, damit wir rausgehen können. Ich würde es dir übelnehmen, wenn du unsere Hauswände in Zukunft ebenso in Mitleidenschaft ziehst."
Seth stöhnte und streckte die Beine aus. Mit dem Rücken lehnte er an der Wand. „Keine Sorge", gab er gepresst von sich. „Freiwillig errichte ich keine Barriere zwischen uns." Ich zog beide Augenbrauen nach oben und sah ihn skeptisch an. Er lachte hart.

„Ach Engelchen, sollte der Tag kommen, an dem ich vergessen kann, dann werde ich mit Freude alle noch existierenden Grenzen zwischen uns niederreißen. Leider ist dem nicht so. Meine Erinnerungen, Miranda - und das ist wichtig – sind schon für mich schwer genug zu tragen." Er sah mir in die Augen. „Ich weiß, wie sehr du mir helfen möchtest, doch gib mir Zeit. Diese Sache mit uns, so sehr ich diese Verbindung auch will, weckt dunkle Erinnerungen."
„Und jetzt gehst du weg. Allein. Das gefällt mir nicht."
„Ich weiß", war alles was er erwiderte.
„Humpf." Ich verschränkte die Arme vor der Brust und schmollte in dem Wissen, dass Seth mich näher an sich ziehen würde. Er tat es und legte seinen Kopf auf den meinen. Seine Finger strichen zärtlich durch mein Haar.
Plötzlich zuckte mein Kopf nach oben. „Hast du überhaupt genug Geld für so eine Reise? Wir wissen ja nicht, wie lange du weg sein wirst." Jetzt war er es, der eine Augenbraue hob – wofür ich ihn beneidete – und so herzhaft lachte, dass sein ganzer Körper bebte. Seiner Verletzung schien das gar nicht zu gefallen, denn er zog danach scharf die Luft ein.
„Alles okay?" Auf einmal fühlte ich mich schuldig.
Bei der Frage lachte er nur wieder.
„Weißt du, das Erste, was du fragst, nachdem du die Tatsache meiner Mission akzeptiert hast, ist ob ich genug Geld habe? Für solche Fälle habe ich ein eigenes Bankkonto! An Geld mangelt es mir nicht. Nein. Was hättest du überhaupt gemacht, wenn ich ja gesagt hätte?"
„Ähm ja, ich hätte, da ist...", stotterte ich mit hochrotem Kopf und rückte etwas ab. Wie dumm, dumm, dumm, Miranda! Seth ist in der orbis alius bekannt wie ein bunter Hund. Natürlich hat er als Kopfgeldjäger einen Haufen Geld!

Schließlich gelang mir mit leiser Stimme zu flüstern: „Ohne Onkel Ben hätte ich nichts getan."
Starke ahme zogen mich an eine vibrierende Brust, dessen Ursache dieses Mal kein Lachen war. Knurrend hielt er mich fest und ich zitterte bei all den brutalen Bilder, die ihm beim Gedanken an Onkel Ben durch den Kopf schossen. Ich hatte ihn gebeten, mich nicht auszuschließen. Jetzt hatte ich was ich wollte und musste mich mit dem auseinandersetzen, was er mir zeigte.
„Sieh hin, Engelchen. Das alles würde ich diesem Verräter am liebsten antun", drang Seths grollende Stimme an mein Ohr.

„Wir wissen doch gar nicht, wieso er gegen uns ausgesagt hat. Vielleicht wurde er dazu gezwungen oder er wurde verzaubert", versuchte ich dagegenzuhalten.
Seths nüchterne Antwort belehrte mich eines Besseren. „Wenn er unter einem Zauber gestanden hätte, wäre es einem anderen Ratsmitglied, besonders deiner Tante sicherlich aufgefallen. Ob er gezwungen wurde kann ich nicht sagen, doch frage ich dich eines; was kann wichtiger sein als ein Mitglied seiner Familie, um das er sich jahrelang gekümmert hat? Womit konnte man ihn zwingen, sich gegen dich zu stellen?" So hatte ich das Ganze noch nicht gesehen. Es machte mich nachdenklich. Was mein Gefährte sagte klang einleuchtend. Warum also?
In meinen tiefsten Gedanken machte ich mir drei Kreuze, der Sache auf den Grund zu gehen. Seth würde ich erst mal nichts von meinem Vorhaben erzählen, warum ihn unnötig sorgen?
„Also schön. Das sehe ich ein. Trotzdem muss es einen Grund geben. Den gibt es doch immer."
„Mir egal, was der Grund sein mag. Dein Onkel ist ein toter Mann, sollte er sich uns noch einmal in den Weg stellen." Mir fuhr ein Schauer den Rücken hinunter und ich betet, flehte, dass mein Onkel unschuldig war. Dass er zu dieser Aussage gezwungen wurde.
Ich kuschelte mich noch näher an meinen Gefährten, genoss seinen leicht feurigen Geruch und das er schon wieder leichter atmete. „Wann ist es so weit?", fragte ich ohne die Antwort wirklich wissen zu wollen.
„Bald. Morgen früh, wenn die Sonne aufgeht." Seth nahm sein Handy in die Hand und schrieb eine schnelle Textnachricht, wartete kurz und stand mit mir in seinen Armen auf.
„Viper wird mir einen Flug buchen, erst einmal an den Rand Ägyptens. Ich werde auf dem Weg ins Innere einen alten Freund treffen, den ich schon lange nicht gesehen habe. Das wird schon."
„Ich würde dir so gerne helfen", seufzte ich. Solange ich von starken Armen gehalten wurde, war die Welt in Ordnung. Meine Neugierde musste dennoch gestillt werden. „Kennst du diesen Freund von der Arbeit, oder habt ihr beide in jungen Jahren die Gegend zusammen unsicher gemacht?"
Schnellen Schrittes gelangten wir durch die Korridore. Wäre ich selbst gelaufen, ich hätte sicherlich joggen müssen, um mit meinem Gefährten mitzuhalten. Lange Beine, hmmm. Anstatt zu laufen sollten sie sich um mich schlingen.
Unbewusst waren meine Gedanken abgedriftet. Als Seth wieder sprach, fühlte ich mich ertappt und wurde rot: „So in etwa. Er ist ein Clanangehöriger ohne Clan, so wie ich einer war; ein einsamer Wolf und der beste Scharfschütze, von dem ich weiß. Außerdem wird mich Vincent am Flughafen treffen und mir meine Ausrüstung mitbringen. Er würde auch mitkommen, nur als Vampirprinz hat man allerhand höfische Pflichten."
„Du merkst also, ich lege Wert auf gute Vorbereitung und habe einige Freunde auf der Welt", fügte er noch hinzu.
„Warte."
„Aber wir sind doch fast da."
„Sehr witzig", meinte ich sarkastisch. „Und lenk mich nicht ab. Ich denke nach."
„Also?" Seth hob eine Augenbraue so aristokratisch in die Höhe, dass ich ihn am liebsten küssen würde. Verdammte Männer und ihre Fähigkeit, einen so sexy zu verspotten!
„Du kennst den Vampirprinzen von Venedig!? Vincent Visenti Vianello?", schaffte ich zu fragen. „Wie ist das nur wieder geschenen?"
Mein Gefährt sah darin offensichtlich nichts Besonderes. Er zuckte die Schultern mit mir auf den Armen, als wäre ich gar nicht da und lächelte spitzbübisch zu mir herunter.
„Was bekomme ich für diese Information? Es ist echt eine interessante Geschichte, wie wir uns kennengelernt haben. Alle mal einer Belohnung gerecht." Erst jetzt bemerkte ich, dass wir bereits vor unserer Tür standen. Die Tür, welche zu einem eigenen, privaten Schlafzimmer führte. Ein Schlafzimmer mit großem Bett. Die Röte kehrte in mein Gesicht zurück und angespannte Energie ließ meine Streifen spürbar schimmern.
Ich griff in Seths seidiges Haar und hob meine Oberkörper an, sodass meine Lippen seine Ohrmuschel streiften. Meine Stimme war atemlos vor Verlangen. „Du bekommst mich. Mit allem Drum und Dran."
„Engelchen, darauf kann ich nur eines erwidern. Deal."

Mein kleiner Körper stahl sich geschmeidig in die Nacht hinaus. Dam Versprechen eines kleinen Mädchens nach würde ich wieder hierher zurückkehren. Zu einer Familie, genauso kalt und erbarmungslos wie meine alte – abgesehen von Lizzi.

Samtene Pfoten tapsten über eine Brücke, den Fluss entlang bis zu einem alten Haus, in dessen Inneren ich alles für mein Überleben Nötige versteckt habe. Wochenlang habe ich hier und da etwas mitgehen lassen, den Koch und das Hausmädchen bestochen, indem ich ihre Arbeit machte und mich aus dem schlimmsten Übel der Nachbarschaft herausgehalten. Lizzies Vater durfte mich auf keinen Fall erwischen.
Jetzt, wo ich frei war, erstreckten sich endlose Möglichkeiten vor mir. Mein vierzehnjähriges Selbst sah sich die nächtlichen Sterne an und war verzaubert von dem Augenblick. Ich hatte Glück und keine Wolke verbarg ihren Anblick.
Es gab einen Grund, warum ich diesen Tag gewählt hatte. Heute war mein Geburtstag und nicht einmal Lizzi wusste davon. Ich konnte es nicht übers Herz bringen, ihr davon zu erzählen. Sie hätte gewollt, dass ich noch einen Tag bleibe, was ist schon ein Tag mehr, hätte sie gesagt.

Plötzlich stach mich etwas in den Bauch. Es tat weh und ich verwandelte mich zurück in einen Menschen. Krampfhaft hielt ich mir den Bauch und rollte mich zu einer Kugel zusammen. Das Stechen wurde immer stärker und ich meinte, warmes Blut drang zwischen meinen Händen hervor. Auf einmal wurde mir kalt, dennoch schwitzte ich wie im heißesten Sommer. Etwas lief falsch.
Das Stechen verwandelte sich in Klauen, die meinen Bauch aufrissen und ich schluchze auf – solchen Schmerz hatte ich noch nie gefühlt. Nach einer Ewigkeit, in der ich es nicht wagte mich zu bewegen, schluckte mich endlich das erlösende nichts. Ich verlor das Bewusstsein.
Als ich aufwachte hatte sich etwas grundlegend verändert. Die Luft war aufgebraucht und an den Wänden starrte es vor schwarzem Ruß, als hätte in dem verlassenen Haus ein Feuer gewütet. Jedoch, so sehr ich es auch versuchte, ich konnte mich an nichts erinnern.
Ein Jahr lang ging alles gut. Als Teilzeit-Straßenkater lebte es sich gut. Auch als junger Mann konnte ich mich mit Aushilfsjobs durchschlagen. Dann begegnete ich einem Mann, groß, dunkelhaarig und mit einem stählernen Blick, um den ihn jeder Soldat beneidet hätte.
Ich traf den Boss von Nightlight an einem sonnigen Tag im Park.


Es war nicht die Sonne, die mich weckte, sondern ein innerer Drang, dass es Zeit war zu gehen. Vollständig befriedigt von letzter Nacht stahl ich mich aus dem Bett, in dem mein Engel noch tief und fest schlief und zog mich an. Je schneller ich die Ganze Angelegenheit hinter mich gebracht hatte, desto früher würden wir wieder vereint sein.
Ich verspürte Bedauern, vermischt mit Besorgnis, doch dagegen konnte ich im Augenblick nichts machen. Verschwommene Bilder tanzten durch meinen Geist und ich schmunzelte, als mein Engel träumte, als Agent durch die Welt zu streifen und das Böse zu bekämpfen. Die Kraft dazu hatte sie ja, erinnerte ich mich und rollte meine streife Schulter. Der klare Beweis ihres Könnens.
Die armen Trottel, wenn die doch nur wüssten worauf sie sich mit ihr einlassen. Sie wird ihnen, wenn nötig, den Arsch versohlen.
Kopfschüttelnd über meine eigenen Gedanken verließ ich das geräumige Zimmer, das nach Rose, Sturm und Sex roch, trat in die Schatten und verschwand.

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