--26.3--
Sie sah mich mit ihren großen Augen an. Ich konnte es gar nicht oft genug denken oder sagen, wie schön sie war, denn es würde ihr nie auch nur annähernd gerecht werden.
„Wo soll ich da bitte anfangen?", seufzte ich und legte meine Arme hinter meinen Kopf. Kaum hatte ich das Kissen berührt, kuschelte sich mein Engel an meine Seite und gab mir allein durch ihre Anwesenheit die Kraft, weiterzusprechen.
„Früher lebte ich in einer Gemeinschaft der Clanangehörigen. Vorrangig reinblütige Pantherwandler, mit Vorurteilen nur so gespickt. Es war und ist einer der größeren Clans, wenn nicht sogar der größte des Landes. Und der Abgeschottetste." Einen Moment lang starrte ich geradeaus. Nicht in der Lage, den Klos in meinem Hals herunterzuschlucken. Bilder tanzten vor meinem imaginären Auge. Dann spürte ich etwas Warmes an meiner Wange und mein Blick klärte sich. Mirandas Antlitz erschien wie von Zauberhand, woraufhin ich meinen Kopf in ihre Handfläche sinken ließ.
„Wir lebten wie die Außenseiter, die wir dank meiner Mutter auch waren. Lara Sophaste Domain besitz keinerlei Liebe in ihrem Herzen. Da ist nur der Drang nach mehr Macht und Einfluss." Eine Gier, die sie von innen heraus auffrisst.
„Jedoch hat auch sie Bedürfnisse. Und aus einem von ihnen bin ich entstanden. Ein Kind mit gemischtem Blut, eine Schande für das Ansehen meiner Mutter, was sie mich immerzu spüren ließ. Nie war ich gut oder schnell genug, nein, nicht einmal gehorsam bin ich gewesen. Jedenfalls laut meiner Mutter nicht. Mittlerweile weiß ich es besser.", sagte ich leicht verbittert. „Meinen Vater habe ich nie kennengelernt. Er war nur ein einfacher Kater, den meine Mutter von der Straße pickte. Wahrscheinlich weiß er gar nicht, dass es mich gibt. Es ist wahrscheinlich besser so."
„Denkst du das wirklich?" Mirandas Hand verkrampfte sich in meinem Schoß. „Weißt du überhaupt, was für ein Mensch dein Vater ist? Hast du ihn jemals persönlich getroffen?"
Ich stand auf und sah auf den Teich. Nichts entging mir. Jede Bewegung war für mich wie in Zeitlupe. „Nein." Damit war unser Gespräch meiner Meinung nach zu ende. „Lass uns zurückgehen. Bald wird man nach uns rufen lassen." Ich sah wieder zu meinem Engel und der Ausdruck in meinen Augen ließ sie das Thema auf sich beruhen. Ein gequältes Lächeln zog meine Mundwinkel nach oben. „Komm.", sagte ich.
Etwas zögerlich nahm sie meine Hand und ließ sich von mir auf die Füße ziehen. Zusammen packten wir schnell die Reste ein; auf dem Rückweg würden wir wieder an der Küche vorbeikommen und diese loswerden können.
Unser Timing war perfekt. Kaum hatten wir die Türen hinter uns geschlossen, da klopfte es. Ein Gregory stand im Flur und sah uns mit diesem wie mir schien typisch kalten Ausdruck an.
„Ich soll euch mitteilen, ihr werdet in einer Stunde in der großen Halle erwartet." Mit steifen Schritten entfernte er sich. Irgendwie erinnerte sein Gang mich an jemanden und als ich herausfand an wen, musste ich mir selbst auf die Wange beißen, um nicht laut loszulachen. Immerhin war einer von diesen Killern in der Nähe. Keine Ahnung wie gut sein Gehör war, wenn es auch hundertfach besser als meines sein musste. Meistens zumindest. Jedenfalls tat es mir gut zu lachen, nachdem Seth mir einige seiner weniger angenehmen Erinnerungen anvertraut hatte.
Dass seine eigene Mutter ihn von sich geschoben hatte, eher emotional als körperlich, musste tiefe Narben im Herzen des kleinen Kindes von damals hinterlassen haben. Ich kannte dieses Gefühl, diesen Schmerz. Auch meine Eltern waren zu früh von mir gegangen. Und auch ich hatte Narben davongetragen, die mich veränderten. Mich zu der gemacht hatten, die ich bis vor kurzem noch war.
Jetzt jedoch eröffnete sich eine ganz neue Welt vor mir. Farben strahlten kraftvoller, was mich mit Staunen erfüllte. Denn jetzt gab es jemanden, der neben mir den längsten und wohl schwierigsten Gang meines Lebens entlanggehen würde und mich alleine mit seiner Anwesenheit zum ausgeglichensten Wesen der Welt machte. Ok, zugegeben. Ich übertrieb etwas. Ausgeglichen konnte man mich und meine sture Energie wohl wirklich nicht nennen. Doch bedachte man, dass wir uns praktisch dem Schafott näherten, der ältesten Instanz der orbis alius, konnte man mich durchaus als solches bezeichnen.
„Was denkst du gerade?", fragte mich Seth und seine Augen blitzten, als ich ihn nur lange ansah und mich dann mit geröteten Wangen abwandte.
„An nichts Besonderes." Ich nahm seine Hand und drückte sie fest. „Gerade keine Lust, in meinen Gedanken zu schnüffeln?"
Ein Lächeln erhelltesein Gesicht. „Wozu? Ich weiß doch was sich in deinem hübschen Köpfchen abspielt. Würde ich da jetzt hineinschauen, stände mit Sicherheit der Adonis der Katzennation im Adamskostüm vor mir." Er zwinkerte mir zu, bevor wir um die nächste Ecke bogen, wo eine der vielen Wachen des Trogovats auf uns wartete. Meine schlagfertige Antwort musste ich zunächst hinunterschlucken.
Ein letztes Mal drückte Seth meine Hand. Ich blickte auf das markante Profil meines Gefährten und prägte mir jede Einzelheit ein. Wie die kleinen Narben nahe seinen Schläfen, die tiefblickenden Augen – nunmehr schwarz statt rotglühend – die Lippen, die praktisch zum Küssen einluden und zuletzt das seidig schwarze Haar, das ihm wieder einmal vorwitzig in der Stirn hing. So oft hatte ich es die letzten Minuten angesehen und doch überkam mich immer wieder das Gefühl, die Zeit renne uns davon. Doch Zeit rennt nicht, sie tickt. Und wenn sie nicht tickt, dann schlägt sie.
Die Wache an der Wand trat einen Schritt zur Seite und machte uns somit Platz einzutreten.
„Wartet!"
Zeitgleich hielten Seth und ich inne und sahen zurück. Mein Herz setzte einen Schlag aus, bevor es wie wild zu pochen begann.
„Das glaube ich jetzt nicht.", flüsterte ich, bevor ich mich in die Arme des schwer atmenden und verschwitzten Mannes warf. Dieser erwiderte sogleich die herzliche Umarmung und verkrampfte leicht, als mein Gefährte hinter mir auftauchte. Sie maßen sich mit Blicken.
„Kater..."
„Magier..."
Schweigen.
„Wo du auftauchst, herrscht Blut und Chaos. Alleine in deiner Nähe zu sein gefährdet meine Nichte."
„Pass auf, was du sagst. Immerhin leben wir noch. Ohne einen Kratzer am Körper. Hättest du das in einer solchen Situation vermocht?" Seths Stimme erinnerte an das Fauchen einer Katze. Er war mächtig angepisst.
Ich sah es als ein Zeichen, mich einzumischen. Hoch erhobenen Hauptes verließ ich die Umarmung und stellte mich zwischen die Streithähne, die sich mit Blicken duellierten. Naja, immerhin besser, als mit Krallen und Magie.
„Ich will ja wohl bitten! Onkel Ben, muss du dich so aufführen? Und Seth, was ist jetzt mit deiner hoch geschätzten Beherrschung?" Die Energie in mir knisterte verheißungsvoll.
Bei meinen Worten duckten sich zwei der mächtigsten Männer, die ich kannte und wanden den Blick voneinander ab.
Mein Onkel setze zu einer Antwort an, doch ich ließ ihn nicht zu Wort kommen: „Oh nein. Versuch dich jetzt nicht herauszureden. Die ganze Geschichte mit dem fast sterben und der beinahe Entführung ist schon längst hinter uns. Wenn ihr euch unbedingt weiter mit Blicken aufspießen wollt, dann macht das, wenn wir es lebend von hier weggeschafft haben. Und Onkel Ben, du musst verstehen, dass ich ohne Seth schon längst umgekommen wäre. Er stand als einziger zwischen dem Tod und mir. Außerdem ist er jetzt mein Gefährte und damit tabu. Absolut! Als deine Nichte sage ich dir: Ich will nicht, dass sich die Männer, die ich über alles liebe, streiten."
Während meiner Rede hatte ich die Arme vor der Brust verschränkt und war unbewusst näher an Seths warmen Körper herangetreten, sodass ich seine Wärme wie ein prickelndes Feuer an meinem Rücken spürte. Mein Gesicht glühte. Die Streife auf meinen Armen ebenfalls.
Onkel Ben stand nur da wie vom Donner gerührt. Ich glaube er hatte mich noch nie so freizügig gesehen, mit so viel unbedeckter Haut. Ich selbst konnte es ja kaum vor Seths Erscheinung ertragen, mein eigenes Spiegelbild zu sehen und versteckte mich daher lieber hinter übergroßen Klamotten und dunklen Kopfbedeckungen. Mich jetzt hier stehen zu sehen. In all meiner gestreiften Pracht und voll im Glühbirnen-Modus, war er schier sprachlos.
„Onkel Ben?", fragte ich zögerlich. Langsam machte er mir Sorgen.
Beruhigend schlang mein Gefährte seinen starken Arm um meinen Bauch und zog mich weiter weg von dem reglosen Magier, in dessen Augen ein dunkler Sturm zu wüten begonnen hatte.
Augenblicklich verkrampfte ich und wollte schon davonstürzen, doch der Arm, der mich eben noch stützte, entpuppte sich als stählerne Kette, die mich an Ort und Stelle band.
„Lass mich los! So soll er mich nicht sehen müssen." Tränen brannten mir in den Augenwinkeln und überzogen schon bald mein Gesicht mit ihren feuchten Spuren.
„Nein,", knurrte Seth. „genauso sollte er dich sehen. Wie du bist. Dein wahres ich, und nicht dieses verkümmerte Mädchen, was sich nicht selbst als Frau wahrnehmen kann. Du bist mehr als das!" Sein Körper wurde heißer. Brennend heiß. Es war der Beginn seiner Verwandlung, dessen Ergebnis mich jedes Mal mit Ehrfurcht und Begehren erfüllte.
Unter Tränen schmiegte ich mein Gesicht an seinen Oberkörper. Angst vor dem Feuer, das in ihm wütete, musste ich nicht haben. Er würde mich niemals verletzen.
Eine der Wachen, die immer noch die Tür für uns bereithielt, räusperte sich leicht. „Der Rat wartet nicht gerne.", war alles was er noch hinzufügte.
Als ich wieder zurückblickte sah ich gerade noch so die Silhouette meines Onkels um die Ecke verschwinden und musste verzweifelt die Tränen zurückhalten. Von allen Menschen dieser Welt war er mir immer eine Stütze gewesen, mein Bezug zur Wirklichkeit. Mit seinen Geschichten hatte er mir als Kind eine Welt geschenkt und mich gleichzeitig mit Wissen vollgestopft. Ihn jetzt so zu sehen, diese unterdrückten Emotionen zu empfangen, war fast genug, um mich schreiend wegrennen zu lassen. Dahin war meine Entschlossenheit. Wie sollte ich einen ganzen Rat von mir und Seth überzeugen, wenn nicht einmal mein biologischer Onkel zu meinem wahren Ich halten konnte?
Seth drückte mich noch einmal kurz und feste an sich und flüsterte mir noch ins Ohr: „Ich bin bei dir, das weißt du."
Die Türen standen immer noch offen. Unser Weg war vorgegeben. Kein Zurück mehr. It's showtime.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top