--25.1--

Kaum hatte Tritus angehalten, war ich auch schon aus dem Auto gesprungen und folgte seitdem der unsichtbaren Anziehungskraft, die mich beständig tiefer in den Untergrund führte. Ich befand mich in einem alten Gemäuer, viele viele Meter unter der Oberfläche. Wahrscheinlich sogar tiefer als die Wasserwege, dessen Bekanntschaft ich fast gemacht hätte.

Jeden Schritt, den ich machte, wurde begleitet von einem Gefühl der Dringlichkeit. Es war unangenehm, mir vorzustellen, hinter der nächsten Ecke einem anderen Clanangehörigen zu begegnen. Ihn vielleicht sogar zu berühren.

Vielleicht bliebt mir aber auch gar nichts anderes übrig, immerhin brauchte ich mir um einen möglichen Energieschub keine Gedanken mehr zu machen. Als ich das Gebäude betrat, hatten mich keine Wachen daran gehindert. An sich schon etwas merkwürdig, doch in meinem nachdenklichen Zustand viel es mir nicht groß auf. Erst als etwas in meinem Augenwinkel reflektierte und ich mich auf den Boden fallen ließ, wurde mir klar, dass ich von Anfang an beobachtet worden war.

Meine Energie hatte zwar immer noch ihre Launen, doch mittlerweile war es leichter geworden sie zu erspüren. Auch jetzt hielt ich sie bereit. Mein Blut kochte. Die Energie machte mich wachen, aufmerksamer und schärfte meine Sinne bis aufs äußerste.

Ich war gerade in einen neuen Gang eingebogen – die Wände waren mintfarben – da stand plötzlich ein Berg von einem Mann vor mir und versperrte den Weg. Zwei unterarmlange Klingen steckten an seiner Hüfte, ansonsten schien er unbewaffnet.

Er sah auf mich hinab. „Kein Betreten für Unbefugte. Das hier ist Privatgelände." Seine Nasenflügel weiteten sich, dann ließ er eine der Klingen vorschnellen. „Kätzchen, ich empfehle dir zu gehen."

Dachte dieser Berg wirklich, ich würde mich so leicht einschüchtern lassen? Dann hatte er sich aber gehörig geschnitten! So nahe an meinem Gefährten könnten mich nicht einmal ein Dutzend Mann aufhalten. Da wird schon etwas mehr Pferdestärke benötigt.

Also tat ich etwas sehr sehr Dummes. Etwas, was ich mich normalerweise niemals getraut hätte. Ich packte den Arm des Berges, ließ bewusst meine Energie hineinfließen und brach ihn kurzerhand in zwei. Ein Grunzen verließ die Lippen des Mannes, ansonsten war kein Anzeichen von Schmerz in seinem Blick.

„Bist wohl ein ganz harter, was?", fragte ich und war schockiert über meine Dreistigkeit. Ich vollführte eine geschmeidige hundertachtziggrad Drehung, beförderte mich so an die Brust des Berges und stieß den Flachen Handballen meiner rechten Hand gegen die harten Muskeln über seinen Rippen. Ach du Scheiße!

Anstatt diesen Angriff wie den vorherigen einfach wegzustecken, kippte er um. Er kippte um!

Schnell griff ich unter seine Achseln und schleppte den Riesen in einen Nebenraum. Ohne es genau zu wissen vermutete ich, dass es sich um ein Büro handelte. Da würde sich später jemand auf eine Überraschung gefasst machen müssen. Ich wollte gerade wieder hinaustreten, da kamen zwei Personen in meine Richtung. Ich spürte sie mehr, als dass ich sie hörte.

Eine von beiden war ganz eindeutig eine Frau, so wie sich ihre Energiesignatur anfühlte. Bei der zweiten Person musste es sich um einen älteren Herrn handeln, mindestens um die fünfundvierzig Jahre alt.

„Denkst du wirklich, unsere Anwesenheit ist erforderlich?", fragte die Frau. „Immerhin sind die Gregory zugegen."

„Das tut nichts zur Sache. Wir sind nur für die Gänge zuständig, daran halten wir uns."

„Aber bist du denn nicht neugierig? Ich habe schon viele Geschichten über die Feuerklinge gehört, die meisten waren nicht von der guten Sorte. Ihn jetzt mal live zu sehen ..." Das Gespräch verlor sich, als sie außer Sichtweite waren.

Bei der Erwähnung des Titels Feuerklinge hatte ich sofort an Seth denken müssen. Irgendwo hier unten musste er sein. In Gemeinschaft des Trogovats, der höchsten Regierung der orbis alius. Und obwohl keiner so genau wusste, wann sie gegründet worden war, gab es nur wenige Gruppen oder Einzelgänger, die sich gegen ihren Willen auflehnten. Der Wille des Trogovats war absolut.

Immer tiefer in das Gebäude eindringend erinnerte ich mich an einen Zeitraum meiner Kindheit, in dem ich schon einmal unter der Erde war. Mir waren zwar nicht viele Erinnerungen darüber geblieben, doch an eine Person erinnerte ich mich. An eine Stimme. Sie klang so unglaublich liebevoll, dass ich den stählernen Unterton nie heraushören wollte. Erst jetzt bemerkte ich ihn. Es war der gleiche Ton, der auch in meiner Stimme mitklang. Schon seit einigen Tagen spürte ich die Veränderungen in mir. Zunehmendes Vertrauen, Stärke und Kontrolle waren nur das Eine, etwas viel Wichtigeres fand ich erst hier, abgeschottet vom Rest der Welt, heraus: Seth, Lerius und Tritus, sowohl wie all die anderen Clanangehörigen und Wesen auf dieser Erde machten mir nun keine Angst mehr. Ich war ein Teil von dem allen hier, ein Teil von Seth, und keiner würde es wagen, mir meinen Gefährten wegzunehmen! Er. Ist. Mein!

Etwas fing an zu brennen. Die Flamme unserer Verbindung schwoll zu einem wahren Inferno an. Ein nicht aufzuhaltender Besitzanspruch ließ meine Zähne pochen, sodass mir kurz schwindelig wurde. Alles schien irgendwie heller und schärfer zu sein, Konturen, Oberflächen, Fasern und Muster. Ich sank auf die Knie und lauschte intuitiv meinem Herzschlag, der im schnellen Takt vor sich hin hämmerte. Sekundenlang verharrte ich.

Einem Tiger wird zwar nachgesagt, ein geduldiges Gemüt zu besitzen, doch allem Anschein nach reichte es ihm so langsam. Die Wildkatze wurde ungeduldig und steckte auch den menschlichen Teil an. Zusammen wurden wir zu einer üblen Mischung überstrapazierten Menschleins und rasenden Raubtiers. In diesem einen Moment waren wir uns einig. Wir wollten Seth, und würden ihn uns holen, komme wer da wolle.

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