--24.1--
„Seth. Komm her!", rief mich meine Mutter. Als Anführerin des Domane Clans und Mitglied des Trogovats war sie die Clanangehörige mit der höchsten Stellung. Wer sich mit ihr gut stellte hatte es einfach im Leben. Alle anderen mussten immer darauf achten, Perfektion und Hingabe für ihren Clan zu zeigen. So auch ich.
„Ja, Mutter?" Ihre missbillig dreinschauender Blick streifte meine Gestalt, die dreckigen Kleider, verkrusteten Finger und das militärisch kurze Haar.
„Wie ist es gelaufen? Irgendwelche fortschritte?"
„Nein, Mutter.", sagte ich und senkte beschämt den Kopf, so wie an jedem Morgen. Meine Bestrafung würde nicht lange auf sich warten lassen.
„Dann geh mir aus den Augen." Sie wandte sich ab.
Erleichtert atmete ich auf und hielt mir sofort den Mund zu. Die Augen meiner Mutter bohrten sich das erste Mal seit langem wieder in meine. Was sie sah, gefiel ihr wohl nicht. „Für dich gibt es heute Extratraining. Vielleicht zeigst du mir ja morgen etwas mehr ... nun ja, etwas mehr eben ...
Die Tür fiel ins Schloss und vor ihr reihten sich die Wächter fein säuberlich auf.
„Seth Domane, du bist hiermit angeklagt, Peter Develov, eines der ehrbarsten Ältesten des Trogovats, ermordet zu haben." Der Mann auf einem der vielen Podeste sprach mit deutlicher Autorität in der Stimme, die von einem Leben als Hochrangiger herrührte.
Mein Feuer hatte sich beim Anblick der Vertreter aller Rassen verflüchtigt. Ihre geballte Energie durchströmte den Raum und umstrich mich wie eine sanfte Briese.
Ich verneigte mich vor den Ältesten und setzte zum Sprechen an: „Wenn ihr gestattet, Euer Ehren, ich habe meinen Eidschwörer seit vielen Jahren nicht mehr gesehen, geschweige denn Hand an ihn gelegt. Es gäbe für mich auch keinerlei Grund ..."
„SCHWEIGT!", donnerte es von einem anderen Podest aus. Ein Mann mittleren Alters mit grau meliertem Haar war von seinem Sitz aufgesprungen. „Ein ehemals Ungebundener besitzt nicht das Recht, zu sprechen. Wer außer einem wie dir hätte solch eine frevelhafte Tat verüben können?" Das Glas, welches er zuvor noch in seinen Händen hielt, lag in seine Einzelteile zersprungen auf dem Boden. Ich roch das Blut des Ratsmitgliedes, gemischt mit dem edlen Tropfen auf dem Boden.
Ein lauter Knall erscholl. „Ratsmitglied Consveil, wenn ich Sie daran erinnern dürfte, dass wir uns hier in einer geschlossenen Gesellschaft befinden. Heben sie sich ihre persönlichen Differenzen bitte für die Zeit nach dem Treffen auf." Wieder sah mich der erste Mann an. Er war eindeutig der Kopf der Versammlung.
„Zurück zu Ihnen, Seth Domane. Auch wenn sie beteuern, nichts mit dem Mord an Develov zu tun zu haben, gibt es doch einige Beweise, die gegen sie sprechen. Da wären zum einen ein Zeuge, der Euch dabei beobachtet haben soll, wie Ihr und der Ermordete euch stritten."
„Euer Ehren, das kann nicht stimmen. Nie habe ich ...", wollte ich beteuern, doch eine gewaltige Macht legte sich auf mich und erstickte meine nächsten Worte. Noch nie hatte ich eine solche Kraft gespürt. Mit allem was ich hatte versuchte ich, der Macht entgegenzuwirken und mich gleichzeitig auf den Beinen zu halten. Das erste Mal in meinem Leben begegnete ich einem Wesen, das selbst meine Mutter in den Schatten stellte.
„Ich fahre fort. Den zweiten Beweis liefert der Tatort selbst. Soweit es mir bekannt ist, besitzt du eine Affinität zur Todesgöttin Ankou und dem Element Feuer, ist das korrekt?" Außerstande zu sprechen, nickte ich nur. Dabei wendete ich meinen Blick nicht eine Sekunde ab, was meinem Gegenüber ein anerkennendes Nicken entlockte.
„Du musst dich sicherlich fragen, was dies für eine Rolle spielt, nicht wahr? Nun denn, am Tatort fand man die Überbleibsel eines Kampfes. Darunter befinden sich ebenfalls Brandspuren, und zwar solche, die exakt zu deiner Sense passen." Er wandte sich ab und sah in die Runde. „Ratsmitglied Domane, wenn Sie bitte so freundlich wären und den Zeugen nun hereinbitten würden?"
Ein Schlag traf mich. Meine Mutter war hier! In genau diesem Moment befand sie sich unter den hier Anwesenden, war eine von denen, die mich still belächelten, ohne ihre Anwesenheit an die große Glocke zu hängen.
„Aber Vorsitzender Nicolai,", schnurrte eine melodische Stimme, „Sie wissen doch, dass sie mich Lara nennen dürfen." Schneller als es Nicolai erwartet hätte, hatte ich mich befreit und schon halb verwandelt. Im allerletzten Moment nahm er mich erneut gefangen, gerade rechtzeitig, denn sonst wäre von der Frau mit den langen, roten Fingernägeln nicht viel übriggeblieben.
Mit einer Anmut, um die sie viele Frauen beneiden würden, erhob sie sich von ihrem Podest und schlenderte mit erhobenem Kopf und dem Gang einer Königin auf mich zu.
„Mein lieber Sohn, wie groß du doch geworden bist."
„Steck dir das mit dem Sohn sonst wo hin!"
„Aber aber, wie redest du denn mit deiner Mutter?" Gespielt entsetzt hob sie die Hand an den Mund.
„Du hast in dem Moment aufgehört meine Mutter zu sein, als du mich verstoßen hast." In ihren Augen sah ich kalte Berechnung und einen Abgrund, in den schon viele Männer gefallen waren. Meinen Vater miteingeschlossen.
„Wenn sie jetzt bitte den Zeugen hereinbitten würden.", seufzte eine Frau Mitte dreißig und erntete damit einen giftigen Blick meiner Mutter.
„Natürlich Abigail. Bringt sie herein!"
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