--23.2--
Vor uns erstreckte sich soweit das Auge reichte ein aus dem Fels geschlagener Gang, dessen Wände aus Kristallen bestanden. Sie glitzerten und duplizierten das Licht, welches aus mehreren Spalten strömte, so als wäre es extra so angelegt worden. Und das war es! Jeder noch so kleine Teil der Metallwand war geschliffen und poliert. Die einzelnen Einkerbungen waren perfekt angeordnet, um den Tunnel zwar zu erhellen, einen Passanten jedoch nicht zu blenden.
„Hier kannst du Laufen. Folge einfach dem Gang, er bildet einen Kreis und mündet direkt wieder hier, du kannst also so lange bleiben, bis dir die Beine versagen."
Etwas sprachlos sah ich in den Tunnel und versuchte mir vorzustellen, wie er entstanden war. Der Gedanke, endlich wieder zu laufen, die Anstrengung und Geschwindigkeit zu fühlen, und das alles nur aus reiner Freude, kam mir wie eine Illusion vor.
„Aber natürlich kannst du in dem Aufzug nicht laufen. Rechts von dir befindet sich eine Felsspalte, dort sollten sich mehrere Trainingsanzüge befinden. Such dir einfach was Passendes aus und ruf mich, wenn du fertig bist. Getränke sind auch da." Kurz fühlte ich das Verlangen, Tritus zu umarmen, doch als ich mich umdrehte war er schon weg.
Voller Vorfreude ging ich zur besagten Wand und fand auch schnell die Felsspalte. Mit meiner Hand tastete ich mich vorwärts und zog sie enttäuscht wieder heraus – leer. Hatte Tritus gelogen? Wenn ja, welchen Grund sollte er gehabt haben?
Noch einmal untersuchte ich die Spalte genauer – ich wollte noch nicht aufgeben – und fand tatsächlich einen kleinen Knopf wo die Schatte begannen. Ich drückte ihn und ein Teil der Wand glitt zur Seite. Ein breites Grinsen legte sich auf meine Lippen, als ich voller Begeisterung über die speziellen Anzüge strich. Er hätte mir aber auch sagen können, dass es Nanoanzüge sind!
Hinter der Wand befand sich auch ein Minikühlschrank, den ich mir für später aufhob. Zuerst einmal schlüpfte ich in einen der kleineren Anzüge und genoss dessen Geschmeidigkeit. Er schmiegte sich fast wie eine zweite Haut an jede meiner Rundungen, nicht eine Falte bildete sich auf dem festen Gewebe, unter dem man keinerlei Unterwäsche benötigte. Praktisch und leicht zu tragen. Sehr schön!
Ich begann mich mit einfachen Aufwärmübungen warmzumachen und hielt mich strikt an meinen vorgegebenen Atemrhythmus. Fertig aufgewärmt brachte ich mich in Startposition und lief los.
Schon rauschten die glitzernden Wände an mir vorbei. Tritus hatte die Wahrheit gesagt, ich spürte die leichte Krümmung des Tunnels und passte meinen Schwerpunkt dementsprechend an. Bald schon merkte ich sie gar nicht mehr und konzentrierte mich nur auf das Laufen.
Es war berauschend, seltsam bekannt sowie unbekannt. Meine Füße machten keine Geräusche. Wo früher ein stetiges klatschen meine Schritte verfolgt hatte, war nun nichts mehr. Ich fühlte wie sich meine Energie regte, als wäre sie aus einem langen Schlaf erwacht. Sie streckte ihre Fühler aus, tastete sich durch den Gang. Je weiter ich lief, desto wacher wurde ich. Auch mein Geist war nicht mehr so benebelt wie kurz zuvor.
Folglich bemerkte ich einen größeren Felsbrocken in letzter Sekunde – er hatte sich dem Boden farblich angepasst – und rette mich mithilfe eines großen Sprunges, der mich mitten in ein Schlachtfeld führte.
Ich stolperte, schlug hart auf dem Boden auf und blinzelte nach oben. An die Decke starrend spielte sich eine Szene nach der anderen vor meinem geistigen Auge ab. Wie ich Seth gefunden hatte, ihn mitnahm. Wie er auf meinen Onkel traf und diesen bedrohte. Wie er mich beschützte, vor Timothy, den Nox und wahrscheinlich auch vor sich selbst. Ich sah auch meinen Kampf, der eigentlich seiner gewesen war, spürte seinen Schmerz und die Pein, hörte die Worte dieser kalten, roten Frau und wollte einfach nur aufwachen. Die Erinnerungen krachten regelrecht in mich. Es war einfach zu viel, zu viele Alpträume, zu viele Bilder, die da auf mich zustürmten.
Endlich war jede Erinnerung zu mir zurückgekehrt und ich sackte erschöpft in mich zusammen. Warum hatte ich es nur vergessen? Wie konnte ich es nur vergessen? All diesen Schmerz, er raste durch mich hindurch und ließ jeden Teil von mir verlangend aufschreien.
Rasende Wut packte mich. Meine Streifen leuchteten auf und das daraus gewonnene Licht wurde von den Kristallwänden zurückgeworfen. Wahrscheinlich hatte ich nun mehr Ähnlichkeit mit einer Discokugel, als mit einem Menschen. Während meine Zähne sich verlängerten, meine Iren in einem hellen gelb leuchteten und ich die scharfen Krallen ausfuhr, wusste ich was zu tun war. Knurrend rappelte ich mich schwankend hoch und rannte den Rest der Strecke in halsbrecherischer Geschwindigkeit. Nur am Rande nahm ich wahr, dass ein Teil sogar unter freiem Himmel verlief, dafür war ich zu sehr auf die Wut in mir fokussiert.
„TRITUS", brüllte ich noch bevor das Ende des Ganges in Sicht kam. Da, die Tür! Sie öffnete sich und ich lief geradewegs in die Arme eines aufgeschreckten Clanangehörigen.
„Tritus, ich ...", brachte ich knurrend hervor. „... erinnere mich wieder. Schnell! Weck Lerius!"
Er nickte nur und zog mich mit sich. In einem Gang etwas abseits ließ er mich wieder los.
„Was wollen wir hier? Hast du mich nicht gehört, wir müssen uns beeilen!" Tritus beachtete mich gar nicht, seine Hände waren damit beschäftigt, Zahlencodes einzugeben, welche den großen Schrank öffnen sollten.
„Zuallererst einmal brauchen wir Waffen.", teilte er mir mit und machte sich auch schon daran, die offene Schranktür zur Seite zu schieben. „Hier." In seiner ausgestreckten Hand erblickte ich eine kleine Handfeuerwaffe und nahm sie ihm ab. Ihren Namen kannte ich nicht, doch ihr Gewicht, das mich sehr an meine Eagle von Zuhause erinnerte, machte sie mir gleich sympathisch. Es folgten noch einige weitere Waffen, die ich alle mit einem Nicken an mich nahm und an meinem Körper anbrachte: Die Pistole in den Hosenbund, einige Klingen in Ärmel und Schuhe, ein Armband mit GPS und zu guter Letzt einige Magazine, die ich an einem speziellen Gürtel befestigte.
„Jetzt zu Lerius.", drängte ich zur Eile. Wir nahmen noch einige Waffen für den anderen Zwilling mit und hetzten zu seinem Zimmer.
Es war im Großen und Ganzen schlicht und dunkel gehalten, wobei mein Blick etwas länger an einem großen Stillleben hängenblieb, eine Bilderbuchlandschaft. Der Maler hatte die Weite einer Steppe eingefangen. Die Freiheit der Mustangs, der kleine Rauch aus einigen Tipis und der azurblaue Himmel waren Zeugen der puren Freiheit. Die Intensität dieses Bildes erschütterte meine Seele. Auch meine Energie schien sich danach auszustrecken und ich fragte mich, warum so jemand lebensfrohes wie Lerius, ein Bild in seiner Nähe haben möchte, welches solch eine Sehnsucht hervorrief.
Auf dem Bett wartete Lerius bereits auf uns und nahm die Waffen ohne Reaktion entgegen. Sie wandten sich zum Gehen. Ich stockte. „Wollt ihr nicht wissen, um was es geht?"
„Brauchen wir nicht." Sie liefen einfach weiter. „Anhand deiner Reaktion muss unser Eidschwörer in Gefahr sein. Wir hatten schon seit einer Weile so ein komisches Gefühl, was du uns nur bestätigt hast. Den Rest besprechen wir im Auto." Für Lerius schien es damit genug der Worte, denn er nahm noch einen Zahn zu. Dank meiner wiedererwachten Energie konnte ich problemlos schritthalten, so war es auch mit Seth gewesen.
Das Auto befand sich in einem großen Hohlraum und war abfahrtbereit. Ich stieg hinten ein, während die Zwillinge sich auf die Vordersitze pflanzten. Ich rutschte nach vorne und sah zum Tunnel hinaus. „Wohin führt er?" Mit einem Nicken deutete ich in das Unbekannte.
„Ein paar hundert Meter unter die Erde Richtung Norden, dann kommen wir an die Oberfläsche und fahren durch einen Waldweg, der in eine der Hauptstraße mündet. Du solltest sie bei deiner Ankunft gesehen haben.", antwortete Tritus am Steuer.
Wenn er damit die lange Straße meinte, an der ich auf Seths Rücken entlanggeritten war, wusste ich welche es war.
„Jetzt erzähl aber mal, was hast du gesehen?", wollte Lerius wissen. Seine Augen blitzten kurz auf und erinnerten mich an seine Fähigkeit, Fakten zu kombinieren. Vielleicht konnte er mir ja helfen zu verstehen, was genau geschehen war.
Kurz schloss ich die Augen und visualisierte nochmal alles vor meinem inneren Auge. „Da war dieser Raum, überall sprossen Eissäulen aus dem Boden. Die Vision hat mir alles direkt aus Seths Augen gezeigt, wie er kämpfen musste gegen diese ..." Ich schauderte. „... diese Schauergestalten. Ich ... wir konnten sie nicht so genau erkennen, dafür war es zu dunkel. Da war so viel Blut, so viel ..."
„Hey, es ist alles in Ordnung. Du bist nicht mehr dort, du bist bei uns. Konzentriere dich nur auf die Fakte, blende alles andere aus." Die Stimme half mir, mich aufs Wesentliche zu konzentrieren. Für einen Moment glaubte ich, eine Berührung an meinem Hosenbein zu spüren, doch sie verschwand genauso schnell, wie sie gekommen war. War es Lerius gewesen? Oder Tritus? Eigentlich egal, wer es war, oder wer gesprochen hatte, wenn es nur half.
„Die Toten lagen überall verstreut und verpesteten die Luft. Es war beinahe unmöglich, einzelne Duftnoten herauszufiltern."
„War da noch jemand bei dir?", schallte die Stimme in meinen Ohren. „Ja. Da war noch eine Frau. Eine Frau mit weißen Haaren und Viper. Sie alle haben gekämpft, vor allem diese weiße Frau."
„Sehr gut. Wie ging es weiter?"
„Es kamen immer mehr. Der Strom an Feinden wollte einfach nicht enden. Irgendwann war da ein Duft, den ich eigentlich nicht hätte riechen dürfte. Dieser Duft war mir ... war Seth so bekannt, dass er ... er ..." Eine Träne entrann meinen Augen. Ich fühlte Seths Trauer wie meine Eigene und fasste mir an die Brust.
„Miranda, wir müssen wissen was als nächstes geschah." Dieses Mal klang die Stimme eisern aber dennoch sanft. Tritus.
„Natürlich." Gewaltsam zwang ich mich dazu, meine Hände im Schoß zu falten, so wie ich es auch in meiner Kindheit immer getan hatte. „Der Duft gehört einer Frau. Ich nenne sie die rote Frau, da so vieles an ihr die Farbe rot aufwies. Zum Beispiel ihre Nägel, ihre Lippen und ihr Herz. Als Seth, als wir sie sahen, brach etwas in ihm auf. Ich habe keine Ahnung was es gewesen sein könnte, dafür war es einfach zu mächtig. Den letzten Moment, den ich mit ihm geteilt habe, war so voller unterdrückter Gefühle, dass ich aus seinem Bewusstsein geschmissen wurde. Doch eines bekam ich noch mit. Einen Namen. Lara."
Im Wagen war es still. Tritus und Lerius schienen tief in Gedanken versunken. „Wisst ihr vielleicht etwas, das ich nicht weiß?", erkundigte ich mich zaghaft, konnte den unterschwelligen Drang nach Antworten jedoch nicht ganz heraushalten.
Tritus war der erste, der sich fing. Er sah mich nicht an, als er antwortete:„Diese Frau, diese rote Hexe, das war Seths Mutter."
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Ihr verrückten Bücherliebhaber da draußen,
tut mir leid, dass ich nicht früher das Kapitel geupdatet habe. Leider gab es aufgrund eines Sommers Turm ein paar technische Probleme. Und damit meine ich einen kompletten Ausfall unseres WLAN. Könnt ihr euch das vorstellen? Über 24 Stunden vom Rest der Welt getrennt zu sein?
Ok, ich übertreibe, so schlimm war es nicht. Und jetzt bin ich ja wieder da, für wer weiß wie lange. (3 ×w hihi)
Ich wünsche euch noch eine baldige Abkühlung,
Eure GiulyanaBlue ;)
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