--22.2--
Ich öffnete meine Augen. Sie waren von den geweinten Tränen ganz verklebt und geschwollen. Vorsichtig bewegte ich meine Glieder. Ich wunderte mich über den fehlenden Schmerzen, das fehlende Unwohlsein und Ungemütlichkeit. Stattdessen fühlte ich die Weichheit eines Bettes und die wohlige Schummrigkeit nach einem erholsamen Schlaf.
Das letzte an das ich mich erinnern konnte, waren starke Arme, die Wärme eines anderen Wesens und leise, gemurmelte Worte, die mir in den Schlaf hineinhalfen. Alles Dinge, die ich seit meiner Kindheit vermisst hatte. Das Gefühl, wenn dich eine Hand berührt, du in den Arm genommen wirst, wenn Haut auf Haut trifft, musste ich so lange missen, dass ich beinahe daran zerbrochen wäre. Auch jetzt noch lastete dieser Fluch auf mir, diese Energie in meinem Inneren, die mich von allen abhob und ausgrenzte. Doch es gab Hoffnung. Endlich konnte, nein durfte ich wieder daran glauben, nicht mehr allein sein zu müssen.
Mit diesem froh stimmenden Gedanken rieb ich mir die Augen, vertrieb den restlichen Schlaf und setzte mich auf. Sofort entglitten meine Gedanken und machten sich auf die Suche nach Seth. Sie durchdrangen die Wände und stießen auf geschäftiges Treiben. Zunächst nahm ich an, es wäre mein Tiermann, doch als ich noch eine zweite Lebensquelle ausmachte und keine von beiden meine Gedanken einließen, ließ ich diese erschreckt verschwinden.
Als meine nackten Füße den kalten Boden berührten, versteifte ich mich kurz, ging dann jedoch auf Zehenspitzen zur Tür und lauschte. Die Geräusche waren verschwunden, einfach so und ohne ersichtlichen Grund. Nun übertönte einzig mein schlagendes Herz und das Rauschen meines Blutes die Stille. Nach weiteren dreißig Sekunden wagte ich es, die Tür einen spaltbreit zu öffnen und spähte hinaus. Gerade als ich die Tür noch etwas weiter öffnen wollte, erklang ein Poltern, gefolgt von einem deftigen Fluch. Eine Männerstimme.
Das zuvor noch so heimische Gefühl verschwand noch im selben Augenblick und machte einem Zittern in meinem Körper breit, welches mich dazu bewegte, die Tür wieder zu verschließen. Ein kleiner Seufzer entwich mir, als ich mich mit dem Rücken an der Tür hinuntergleiten ließ. Es befanden sich mindestens zwei Wesen in diesem Haus, einer davon männlich und kein Seth weit und breit. Kurz flackerte die Wut in mir auf. Wie konnte er mich schon wieder zurücklassen, wo er doch wusste wie verletzlich ich mich fühlte?! Vor allem hatte er mir selbst beigebracht diese Gedankenübertragung zu nutzen und dann war er nie zu erreichen!
Ein hysterisches Lachen wollte mir entweichen, doch ich erstickte es im Keim, bevor es noch meinen wachen Zustand verraten konnte.
Mein Blick wanderte durch den Raum. Nahm zum ersten Mal alles richtig wahr. Und obwohl auch dieser Raum eine maskuline Atmosphäre verströmte, bezweifelte ich doch stark, dass es sich um Seths Schlafzimmer handelte. Außer dem großen Bett, einer Kommode und einer weiteren Tür könnte ich keinerlei Mobiliar erkennen. Sicherlich gehörte Seth nicht zu den Sammlern, die ihre Räume gerne mit Schnickschnack füllten, dennoch gestand ich ihm den ein oder anderen persönlichen Gegenstand zu.
Das und der fehlende Geruch nach Mann und Panther führte mich zu dem Schluss, in einer Art Gästeraum gebracht worden zu sein. Seltsamerweise war ich zum Teil erleichtert und enttäuscht. Ich war froh, nicht in Seths Nähe schlafen zu müssen, wo ich am Ende noch etwas Unüberlegtes anstellte, gleichzeitig verzerrte ich mich nach den Berührungen, die mir nur mein Tiermann verschaffen konnten.
Etwas klopfte an meine Tür und schreckte mich aus meinen Gedanken. „Zimmerservice!", rief eine fröhliche Stimme. Schnell rappelte ich mich hoch und wich zurück hinters Bett. „Eine Lieferung für die schlafende Prinzessin. Heute gibt es Pizza!" Die Stimme vor meiner Tür verschwand auch dann nicht, als ich nicht reagierte. Minutenlang versuchte sie mir das Essen - welches so herrlich duftete und mir das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ – schmackhaft zu machen. Es war so amüsant, dass ich mir ein kleines Lächeln nicht verkneifen konnte. Wäre ich nicht so hungrig gewesen, ich hätte die Stimme und die dazugehörige Person noch länger zappeln lassen. Mein lautes Magenknurren machte mir da jedoch einen Strich durch die Rechnung. Selbst in meinen Ohren dröhnte es wie ein Presslufthammer.
„Ich kann hören, dass du hungrig bist. Die Pizza ist immer noch warm und wartet nur darauf, von dir gegessen zu werden." Mein belustigtes Lächeln über diese lächerliche Ansage verwandelte sich in Unglauben, als ich die Tür öffnete. Vor mir stand kein Junge, sondern ein hochgewachsener Mann mit aschfarbenem Haar. Wie Seth und die meisten Männer überragte er mich um mindestens einen Kopf, wodurch ich zunächst seine breite Brust und die Hand, die den Pizzakarton hielt, sah. Aber am meisten fesselten mich seine Augen. Ich hatte schon bemerkt, dass die Clanangehörigen allesamt unwirkliche Iren besaßen, doch diese setzten dem Ganzen noch die Krone auf. Das linke Auge war von einem leuchtenden Grün und erinnerte mich an frisches Gras, während das rechte Auge die Farbe des Meeres besaß und zwar zu der Zeit, wenn es gerade in all seiner Pracht schillerte.
„Hey Tritus, ich hatte Recht, sie ist hungrig!", schrie er bei meinem Anblick.
„Ich habe nie darauf bestanden, sie sei es nicht, du Oberschlaumeier.", kam die gedämpfte Antwort. Wieder knurrte mein Magen und ich zwang mich, den Blick von diesen zweifarbigen Augen zu lösen. Der junge Mann lachte nur und neigte den Kopf in Richtung der anderen Stimme. „Leisten wir meinem Bruder ein wenig Gesellschaft. Er braucht sowieso ein bisschen mehr verbalen Kontakt."
„Und du solltest dir deine Zeit besser einteilen. Du wartest immer bis zum letzten Moment, bevor du auch nur einen Finger krümmst."
„Du bist doch nur neidisch, dass ich im Gegensatz zu dir ein paar Freunde habe."
„Ich neidisch auf dich? Auf jemanden ohne Anstand? Du träumst wohl!"
„Wenigstens habe ich Spaß, solltest du auch mal versuchen. Natürlich nur, wenn du weißt, was das ist." Gerade als sich die Lage zwischen zuzuspitzen schien, knurrte mein Magen ein drittes Mal und peinliche Stille trat ein.
Vor dem Mann am anderen Ende des Tisches stand ein Notebook und eine dampfende Kaffeetasse. Er stand auf, sah mich an und ich dachte augenblicklich: Zwillinge!
Leicht verbeugte er sich vor mir. „Es ist mir eine Freude dich kennenzulernen. Ich bin Tritus und das ist Lerius, mein Zwillingsbruder." Er deutete auf den Mann, der immer noch den Pizzakarton hielt. „Wie du bereits bemerkt haben solltest, ist er bei seiner Geburt auf den Kopf gefallen und seitdem etwas aufmüpfig. Ich entschuldige mich in seinem Namen für sein schlechtes Benehmen."
„Nein, ich ...", setzte Lerius an, doch Tritus war schneller. Flink nahm er seinem angekratzten Bruder die Pizza ab und stellte sie auf den Tisch. Mich bat er wie ein Gentleman Platz zu nehmen. „Dürften wir auch deinen Namen erfahren?", fragte er an mich gewandt.
„Natürlich, ich heiße Miranda. Habe ich es richtig verstanden und ihr kennt Seth?" Während wir uns gesetzt hatten, war auch Lerius, trotz seiner üblen Laune, an den Tisch gekommen. „Es war doch nur einmal und dazu ein Versehen. Warum wird es nur immer wieder zur Sprache gebracht?", murmelte er mehr zu sich selbst als zu uns.
Titus beachtete ihn nicht weiter und öffnete den Karton. Schweigend nahm ich mir ein Stück Tunfischpizza und wartete, bis wir alle eins hatten. Erst dann antwortete mir Titus: „Wir kennen Seth jetzt schon seit vielen Jahren. Unsere Eltern starben sehr früh und da kein anderer Clan ein Zwillingspaar wie uns aufnehmen wollte, wurden wir kurzerhand ausgesetzt."
„Lasst mich raten, Seth hat euch gefunden?", unterbrach ich ihn.
„So in etwa. Der Boss von Nightlight wurde auf uns aufmerksam und befahl deinem Seth kurzerhand, uns zu versorgen. Und eines kann ich dir sagen, wir waren ziemliche Rabauken."
„Oh ja,", erklang Lerius verträumte Stimme, „ich erinnere mich noch an all die Streiche, die wir ihm stellten. Ein Kind zu sein hat auch seine Vorzüge." Er zwinkerte mir zu und ich kicherte. „Das kann ich mir lebhaft vorstellen. Ihr habt ihm bestimmt zur Weißglut getrieben"
Ich hörte den Brüdern noch eine Weile zu, wie sie von ihrer aufregenden Kindheit in der Obhut eines Kopfgeldjägers und eines gewissen Bosses erzählten. Wie sie seine Waffen klauten und heimlich Kapfszenen nachstellten. Wie sie es waren, die Seth den letzten Nerv raubten und dabei doch immer ungeschoren davonkamen. Tritus und Lerius waren lebensfroh, jung und verrückt. Sie wollten neues erleben, wussten aber auch um ihre Verantwortung. Nach und nach merkte ich, wie ich die beiden ins Herz schloss. Sie machten es mir auch wirklich schwer, sie nicht gerne zu haben. Lerius besaß die wohl größte Klappe, während Tritus sich von nichts aufzuhalten schien.
„Jetzt sag mal,", zwinkerte Lerius verschwörerisch, „wie habt ihr euch eigentlich kennengelernt. Gab es zwischen euch beiden einen Funken, eure Augen haben sich getroffen und ihr konntet euch nicht mehr abwenden?" Ich lachte auf.
„Einen Funken gab es definitiv. Doch ich glaube nicht, dass du diese Art von Funken meinst."
„Spann uns doch nicht so auf die Folter.", quengelte er. „Ich brauche etwas, um Seth später aufzuziehen. Also raus damit!"
„Naja." Rückblickend fiel mir Seths Wunderheilung wieder ein, die ich eingeleitet hatte. Kurz entglitten mir meine Gedanken und ich hörte nur noch ein ohrenbetäubendes Brüllen, bevor sich meine Wahrnehmung veränderte.
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Heeyyyyyy *Küsschen*,
ein neues Kapitel ist da. Was sagt ihr zu den Zwillingen und zu ihren Namen?
Was für eine Art von Clanangehörigen sollen sie sein, ich brauche Vorschläge!
Eure GiulyanaBlue
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