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Kaum klingelte der Wecker um Punkt 5:15 Uhr am Morgen, war ich auch schon aus dem Bett gesprungen und unter die Dusche gehüpft.
Es war einer der wenigen Augenblicke des Tages, an dem ich keine Angst vor einem Anfall zu haben brauchte, sondern einfach nur das Gefühl des heißen Wassers, welches an meinem Körper hinablief und dabei kleine Rinnsale bildete, genießen konnte.
Als ich noch klein war und meine Eltern noch gelebt haben, hatte ich diese Beschwerden noch nicht. Es fing alles erst nach dem Vorfall an, der mein Leben und meine Weltvorstellung für immer veränderte. Und meinen Körper.
Bis dahin schien alles wie in rosarote Zuckerwatte gehüllt. Ich wurde umsorgt und geliebt, beschützt und wahrscheinlich auch ein kleines bisschen verhätschelt.
Aber welche Tochter würde das nicht von sich behaupten?
Im Alter von 5 Jahren wurde mir die rosarote Brille von den Augen gerissen.
Denn als ich 5 war starben meine Eltern.
Glücklicherweise befand ich mich zu diesem Zeitpunkt nicht bei ihnen. Wo genau ich mich zu diesem Zeitpunkt aufhielt, war mir unklar. Ich wusste nur, ich war nicht zuhause, wo ich eigentlich friedlich in meinem hübschen, himmelblauen Bett schlafen sollte.
Stattdessen erinnerte ich mich an Kälte und an eine raue Stimme, die mir befahl leise zu sein.
Es könnte die Stimme meiner Mutter gewesen sein. Allerdings glaubte ich nicht daran. Mamas Stimme hätte ich überall wiedererkannt.
Diese Stimme konnte ich bis heute nicht zuordnen, keine Stimme glich ihr auch nur annähernd. Dennoch verspürte ich nicht das Gefühl, dass die Person hinter der Stimme mir etwas Böses antun wollte, ganz im Gegenteil, sie schien um meinen Schutz bemüht und klang nur rau, nicht harsch oder anderweitig bedrohlich.
Damals war ich der felsenfesten Überzeugung, dass meine Mama und mein Papa ausgezogen waren, um mich vor einer Gefahr zu beschützen. Und dass sie jeden Moment zurückkehren würden, um mich abzuholen.
Doch dies war nicht der Fall.
Nachdem die Leichen meiner Eltern gefunden und ihre nunmehr kalten seelenlose Körper abtransportiert wurden, fragte man mich, ob ich etwas wüsste, was die Lage in ein klareres Licht tauchen würde. Ich erinnerte mich noch jetzt daran, dass ich antwortete, ein böser Mann mit Klauen und Reißzähnen wäre hinter uns her gewesen. Und dass meine Mami und mein Papi den bösen Mann zur Strecke bringen würden.
Heute wusste ich, dass dies Blödsinn war.
Die Hirngespinste eines kleinen, traumatisierten Mädchens, welches der Wahrheit einfach nicht in die Augen blicken wollte. Der Wahrheit, dass ihre Eltern sie für immer verlassen hatten und das Mädchen nun ganz alleine war.
Wohin seid ihr nur gegangen?
Doch nun, im Alter von 24 Jahren, wusste ich es besser. Es war genau wie der Polizeibeamte mir versucht hatte zu erklären. Ich hatte mir alles nur eingebildet, reine Fantasy.
Als kleines Kind konnte ich die Realität noch nicht von meinen Vorstellungen unterscheiden. Dabei hatte ich zwar schon immer eine blühende Fantasy gehabt, wusste aber normalerweise immer, wo meine Grenzen lagen und wann die Realität den Vorrang besaß. Außerdem wusste ich bis heute nicht, wie genau der Tod meiner Eltern verursacht worden war. Diese Informationen hielt die Polizei seitdem streng unter Verschluss, genau wie ihre Leichen und alles Hab und Gut.
Nachdem meine Eltern also tot aufgefunden wurden, brachte man mich zu einem meiner engeren Verwandten. Zu meinem Onkel Benjamin. Bei ihm sollte ich leben bis ich meine Volljährigkeit erreicht hatte und wusste, was ich mit meinem Leben anfangen wollte.
Zunächst verlief auch alles der Situation entsprechen gut. Ja, es verlief gut. Immerhin hatte mein Onkel auf einen Schlag seine Schwester und seinen Schwager verloren. Da kann man nicht gleich erwarten, dass er mich ohne Vorbehalte und mit offenen Armen aufnimmt. Manchmal denke ich sogar, er trauert noch heute um die Beiden.
Dann kam jedoch der nächste Schicksalsschlag.
Im zarten Alter von 6 Jahren zeigten sich die ersten Symptome.
Bis zu diesem Zeitpunkt hielt ich mich für ein Kind, wie jedes andere auch.
Ich irrte mich.
Zunächst einmal kamen die Geräusche. Furchtbar lautes Geflüster, was mich tagsüber am Lernen und nachts am Schlafen hinderte.
Jeden Abend, wenn mir die Geräusche wieder einmal zu viel wurden, tapste ich hinüber zu Onkel Benjamin, der mir jedes Mal einen Tee aus irgendwelchen exotischen Kräutern machte und mich zu sich ins Bett holte. Der Tee bewirte damals wie heute wahre Wunder. Meine Rettung! Ich trank und das Geflüster ließ nach, von jetzt auf gleich. Es fühlte sich an, als würde eine weiche Decke über meine Sinne gelegt, die alles Fremde fernhielt und mich tief und fest schlafen ließ.
Ein paar Wochen später ließ das Geflüster plötzlich nach. Zunächst erfasste mich helle Freude. Ich war den Schmerz endlich los!
Diese Freude wurde sogar noch größer als ich herausfand, dass ich es nun steuern konnte. Je länger und stärker ich mich konzentrierte und dabei an nichts Bestimmtes dachte, dann konnte ich die Stimmen heraufbeschwören. Ich sah mich gerne selbst als eine Art Radiostation, welche die verschiedensten Frequenzen empfangen konnte.
Wandte ich diese Methode an, so waren die Stimmen laut und deutlich in meinem Kopf zu hören, zwar noch nicht verständlich aber ich machte mich.
Nach einiger Zeit konnte ich einzelne Stimmen sogar herausfiltern und kanalisieren.
Eine kurze Weile hörte ich einer ganz besonders reinen Stimme zu, die sich heftig über ein ungemachtes Bett aufzuregen schien, dessen Unordentlichkeit in keinster Weise zu ihrem Auftreten passte.
Ich musste kichern.
Die Stimme verstummte - Ein Kreischen.
Ich fiel auf die Knie, hielt mir den Kopf, als mich eine Druckwelle frontal erwichte.
Wimmerte.
Das Kreischen verstummte abrupt.
„Liliana Elfenstein, was schreist du hier so herum?" Diese Stimme hatte ich vorher noch nie gehört. Sie klang ähnlich wie die der unmenschlich Reinen, der ich bis eben noch gelauscht hatte.
„Mama, hast du es nicht gemerkt?", erklang die Reine.
„Was soll ich bitte gemerkt haben?", konterte die Fremde.
„Das Mädchen hat gekichert. Aber hier ist weit und breit niemand zu sehen. Sie hat mich bestimmt gehört"
Ein Schnauben war zu vernehmen. „Liebchen, du weißt doch, dass uns Menschen nicht hören können. Sie sind einfach zu sehr an sich selbst gebunden, um uns wahrzunehmen."
Mittlerweile hatte ich mich aufrecht hingesetzt. Ich fand, dass es Zeit war, mich in das Gespräch einzugliedern.
„Entschuldigung, ich kann euch sehr wohl hören, auch wenn ich euch nicht sehen kann. Seid ihr wirklich da?"
Jetzt war es an der fremden, eindeutig älteren Stimme zu schreien. „Beim allerheiligsten Elfenstaub, die Kleine hat doch tatsächlich gesprochen!"
„Das habe ich dir doch gesagt! Die ist nicht normal. Die riecht auch nicht normal..."
Mit sechs fiel es mir noch schwer einer Unterhaltung länger als ein paar Sätze zu folgen, was mir eine Teestunde mit meinem Onkel und seinen überaus nervenaufreibenden Tanten gezeigt hatte. So war auch diese Unterhaltung keine Ausnahme. Ziemlich schnell widmete ich mich den Einrichtungsgegenständen des Raumes, anstatt weiter dem angeregten Gespräch der unsichtbaren Stimmen zu lauschen. So war es kein Wunder, dass ich nur das Ende der Unterhaltung mitbekam.
„...nicht normal sein. Dagegen spricht zu viel."
„Dann kann ich in ihrer Nähe bleiben?" Im reinen Klang der Stimme schwang so etwas wie kindliche Hoffnung mit.
„Nun gut. Du verstößt genau genommen gegen keines unserer Gesetzte, was spricht also dagegen? Aber hüte dich vor den Menschen, wenn du dich sichtbar machst."
Der besorgte Unterton der älteren Stimme war nicht zu überhören.
Selbst der kleinen Version von mir war klar, wie sehr die reine Stimme geliebt wurde.
Daraufhin fühlte ich einen Stich der Eifersucht, welcher aber sofort von Staunen ersetzt wurde, als sich vor meinen Augen etwas Unmögliches abspielte. So schön.
Ein faustgroßes weißes Licht schwebte vor meinem Kopf, direkt gegenüber meiner Nase.
Langsam nahm das Licht Gestalt an. Zuerst kamen die Umrisse eines zierlichen Körpers zum Vorschein. Danach ein durchscheinendes Gewand und Flügel, so filigran, dass sie aussahen, als könnte der kleinste Windhauch sie zerreißen.
Das Haar des kleinen Wesens war schneeweiß und wehte im Wind einer nicht vorhandenen Briese.
Sie schwebte vor meinen Augen.
So etwas Zartes und Wunderschönes hatte ich noch nie zuvor erblickt. Ich war von ihrem wundersamen Anblick völlig verzaubert, ja geradezu in den Bann geschlagen.
Ganz automatisch streckte ich meine Hand nach ihr aus, als sich auch schon die Tür zu meinem Zimmer öffnete...
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Hey Leute,
das zweite Kapitel dient ebenfalls als kleiner Einstieg. Sollten jetzt Fragen aufgetreten sein, habt Gedult. Der weitere Verlauf sollte vieles klären.
Was sagt ihr zu dem Ende?
Wer kommt da ins Zimmer?
Eure GiulyanaBlue
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