--19.1--
Ich duckte mich noch tiefer ins Dickicht und versuchte meine Atmung zu senken. Nach einiger Zeit entfernte sich das Knacken. Zwei, vielleicht auch drei Schritte weiter vernahm ich es erneut und schallte mich selbst ein naives Dummchen, zu denken, es würde einfach so verschwinden.
Das Knacken stoppte, woraufhin auch ich meinen Atem anhielt. Eine Gänsehaut überzog meine Arme und ich spürte einen Juckreiz, dem ich auf keinen Fall nachgeben durfte. Die Augen zusammengekniffen suchte ich nach der Energie in meinem Inneren, versuchte sie zum Vorschein zu bringen, um sie im Notfall nutzen zu können. Doch je stärker ich danach zu greifen versuchte, desto mehr entglitt sie mir. Es war zum Verrücktwerden! Sonst zierst du dich doch auch nicht so!
Gerade jetzt wünschte ich mich verzweifelt an einen anderen Ort. An einen Ort, an dem ich keine Angst zu haben brauchte, an dem ich in Sicherheit wäre. Ich wünschte mir Seth an meine Seite. Von allen Leuten wollte ich unbedingt diesen aufdringlichen, unhöflichen, sexy Clanangehörigen hier bei mir haben. Ich wollte sein Grinsen sehen, wie er die Mundwinkel leicht nach oben verzog und mich trotz meines Protestes Engelchen nannte.
Was hatte er nur an sich, dass ich mich bei ihm so geborgen und verstanden fühlte? Lag es an seiner Stärke oder an seinem Auftreten oder einfach an der Tatsache, dass er mich bereits einmal gerettet hatte? Klar, er war kein Ritter in strahlender Rüstung, dennoch stellte er momentan meine einzige Chance auf Rettung dar.
Plötzlich musste ich daran denken, wie er reagiert hatte, als er mein Gesicht mit all seinen Makeln sah. Er hatte mich verletzt, doch das alles spielte jetzt keine Rolle mehr. Vielleicht mutierte ich ja gerade zu einer dieser anhänglichen Frauen, die ständig die Anwesenheit eines Mannes bedürfen, um sich sicher zu fühlen. Jedenfalls wäre ich dann nur ein weiteres Opfer, das, ohne Schuld zu tragen, von einem Mann abhängig geworden ist.
Dennoch blieb das Ergebnis gleiche: Seth antwortete nicht, egal wie sehr mein Geist nach ihm schrie.
***
Schon eine Weile hatte ich das Knacken nicht mehr gehört. Mit halb tauben Glieder kämpfte ich mich frei und nahm dabei allerlei Krabbeltiere und Geäster mit mir mit. Sie verfingen sich in meinen Haaren und krabbelten unter meine Klamotten. Ihhhh!
Heftig schüttelte ich den Kopf, sprang von einem aufs andere Bein und beförderte die Krabbeltiere in Windeseile zu Boden. Dabei streifte Mein Fuß einen Stock, auf dem ich ausrutschte und der Länge nach zu Boden fiel. Ich erstarrte. Hatte man mich gehört?
Vorsichtiger als zuvor kämpfte ich mich wieder hoch. Mein Blick streifte die alten, knorrigen Bäume und Büsche, bevor ich nach möglichen Spuren Ausschau hielt. Es war nicht zu erkennen, in welche Richtung mein Verfolger gegangen, geschweige denn, aus welcher Richtung er gekommen war. Niemand war hier.
So schnell ich konnte rannte ich zurück auf den Hauptweg. Von dort aus würde ich schnell zurückfinden, schließlich war ich schon oft durch diesen Park gelaufen.
Gerade als ich den Endspurt antreten wollte, hörte ich das Knacken erneut. Ich beschleunigte, wurde so schnell ich konnte, doch es gab kein Entkommen. Ich spürte die Präsenz meines Verfolgers im Rücken und versuchte ihn abzuhängen, indem ich mehrere Haken schlug, die ihn verwirren sollten. Doch schon bald ging mir die Puste aus und meine Gegenwehr wurde schwächer.
Mein Verfolger hatte mich schon fast erreicht, da erstrahlte der Wald vor mir und tauchte die Welt in ein strahlendes Weiß. Schützend warf ich mich zu Boden, zu geblendet von dem Licht, dessen Energie ich Instinktiv als die eines Hexers einordnen konnte. Und noch während ich mich fallen ließ, erklang ein seltsamer Gurgellaut, der mir durch Mark und Bein ging.
„Alles in Ordnung?", erklang eine Stimme über mir. „Das war ganz schön knapp." Heftig blinzelnd hob ich den Kopf und sah in ein Gesicht, auf das ich nicht vorbereitet war.
„Terry!" Sofort sprang ich - die Schmerzen ignorierend - auf die Beine und umarmte meinen besten Freund. Er fing mich auf und erwiderte meine Umarmung.
„Ich bin froh, dass wir in der Nähe waren."
„Wir?", fragte ich verwirrt und wollte mich umdrehen.
„Mira, nein! Du solltest jetzt nicht zurückschauen." Die Besorgnis war ihm anzuhören.
Leider besaß ich einen Sturkopf, der auch Terry nicht unbekannt war. Er seufzte und sah mich mit einem Blick an, der sagte: „Es ist deine Entscheidung, du Dickkopf."
Und ja, ich war ein Dickkopf! Ein Dickkopf, der hätte hören sollen.
Mit blitzenden Augen drehte ich mich um, bereit mich allem zu stellen, doch auf diesen Anblick war ich nicht vorbereitet. Keine fünf Meter hinter mir lag ein dunkelhäutiger Mann. Sein sehniger Körper war leblos und schlaff. In der Mitte klaffte ein faustgroßes Loch, die Ränder waren glatt, fast wie durchgebrannt. Erst jetzt wurde mir klar, dass der Körper dieses Mannes den Gurgellaut verursacht hatte. Der Lichtstrahl von eben musste den Mann frontal getroffen und mehrere Meter zurückgeschleudert haben.
Vorsichtig näherte ich mich der Leiche, Terry folgte dicht hinter mir. Ich kniete mich neben den Mann, dessen Leiden noch immer auf seinem Gesicht erkennbar war. Die Lippen hatte er schmerzvoll zusammengekniffen, sie waren bläulich angelaufen und auch sonst wirkte er unnatürlich blass für einen Farbigen.
Galle kam mir hoch und ließ mich würgen. Gerade noch rechtzeitig drehte mich mein bester Freund zur Seite, damit ich mich ins Gras übergeben konnte. Er hockte neben mir, hielt meine Haare zurück und reichte mir ein Taschentuch, mit dem ich mir den Mund abwischen konnte. Danach kniete ich mich ein weiteres Mal neben den Mann und schloss langsam die toten Augen, deren fischige Leere meinen Magen erneut rebellieren ließ.
„Mira, duck dich.", hörte ich Terry schreien. Ein Schuss ertönte. Die Kugel verfehlte mich nur um Haaresbreite, ich spürte den Einschlag, als wäre ich es, die getroffen wurde. Etwas Feuchtes benetzte mein Gesicht, lief daran herab. Ich bewegte mich leicht und hörte Terry stöhnen.
„Scheiße, mich hat es erwischt.", ächzte er und hielt sich die Brust. Ängstlich sah ich meinen Freund an. Ein weiterer Schuss folgte und wir suchten Schutz hinter dem Toten.
„Was machen wir jetzt?", flüsterte ich ängstlich. „Wie versuchen von hier zu verschwinden, ist doch klar.", Terry ließ es so klingen, als wäre es das Einfachste auf der Welt. Ich hatte da so meine Zweifel.
„Und wie sollen wir das anstellen?" Meine Stimme klang leicht panisch. „Mit der Verletzung kannst du nicht laufen, geschweige denn kämpfen."
„Ich kann immer noch zaubern.", erinnerte er mich blinzelnd, und mir viel wieder dieses grelle, weiße Licht ein, was den Mann zuvor niedergestreckt hatte.
Ächzend versuchte er sich aufzurichten, doch ich drückten ihn wieder auf das Gras. „Bleib liegen. Spar dir deine Kräfte. Im Moment scheinen sie nicht näher zu kommen." Seine Hand wanderte zu seiner Hosentasche und fuhr hinein.
„Was macht dich da so sicher?"
„Keine Ahnung." Ich zuckte mit den Schultern. „Die Energie ihrer Geräte kann ich jedenfalls nicht wahrnehmen." Ein leises Lachen erklang. „Ich vergesse immer wieder, wie speziell du doch bist." Kurz verzog er das Gesicht, was mir nicht entging.
„Du gehörst in ein Krankenhaus, soviel steht fest.", sagte ich mit einem Seitenblick auf den immer größer werdenden Blutfleck. „Und du hast recht, wie sollten hier verschwinden."
***
Langsam und stetig suchten wir nach einem Weg aus dem Park, ohne entdeckt zu werden. Aufgrund von Terrys Verletzung kamen wir nur beschwerlich voran. Es schmerzte mich zu sehen, wie er immer mehr an Kraft verlor und dennoch weitermachte. Eine Art Déjà-vu überkam mich.
Hatte Seth nicht eine ebensolche Verletzung erlitten, als ich kurzzeitig die Kontrolle verlor? Was hatte Viper noch einmal getan, um Seth zu heilen?
Fieberhaft versuchte ich mich zu erinnern, als Terry plötzlich zusammenbrach.
„Scheiße! Erinnere dich endlich!" Es traf mich wie der Blitz.
Als Viper Seths Wunde versorgte, trug er eine Art Paste auf, die laut ihm aus einer Kombination aus Speichel und Erde bestand. Nur wusste ich nicht, ob er den Speichel von Clanangehörigen gemeint hatte, oder nicht. Dementsprechend blieb mir nichts anderes übrig, als es zu versuchen. Wie gut, dass wir in einem Park sind!
Ich nahm mir eine Handvoll Erde und stopfte sie mir in den Mund. Man konnte mir sicherlich glauben, dass ich noch nie etwas Widerwärtigeres gegessen hatte. Schnell zerkaute ich die staubige Masse zu einem Brei und spuckte mir das Ergebnis auf die Hand. Danach zog ich Terrys das vollgeblutete Hemd hoch und verteilte die Paste gleichmäßig auf Brust und Rücken. Jetzt hieß es nur noch hoffen und warten.
Währenddessen scannte ich die Umgebung. Meine energetische Wahrnehmung half mir dabei enorm, sie ließ mich alles wie durch eine Wärmebrille wahrnehmen, nur dass ich Energien jeglicher Art, anstatt von Wärmebildern sah. Auch jetzt konnte ich keine Energieströme ausfindig machen, weder von einem Menschen, noch von etwas Technologischem. Erleichterung machte sich in mir breit. Vorerst waren wir außer Gefahr.
Ich setzte mich aufrecht hin und tastete nach Terrys Puls. Ruhig und gleichmäßig verspürte ich das Pochen und stieß einen kleinen Seufzer aus. Unter meiner Hand begann er sich zu regen, zitterte, nur um dann wieder ruhig weiterzuatmen.
Mein Blick fiel auf eine Beule, die aus der Seite seiner Hose stammte. Neugierig schob ich meine Hand unter den Jeansstoff und ertastete einzelne, kettenartige Glieder. In dem Wissen, dass es sich hierbei um Terrys Privateigentum handelte, nahm ich das Gebilde an mich, welches sich tatsächlich als eine Halskette entpuppte.
Sie bestand aus grob gehauenem Metall, ungeschliffen und glanzlos. Den Kopf bildete ein Kreis, in dessen Mitte das Zeichen des Hexenordens prangte. Ich kannte es, da mein Onkel ebenfalls so ein Zeichen besaß. Bei ihm war es jedoch in einem Ring eingefasst, den ich ihn noch nie habe ablegen sehen.
Wieder in der Gegenwart blieb mir das Herz einen Moment stehen, als ich sah, wie Terry mich anlächelte. Ich lächelte zurück und fragte: „Na, wieder unter den Lebenden?"
Er richtete sich auf, nunmehr ohne Schmerzen zu empfinden. „Schätze mal, das habe ich dann wohl dir zu verdanken. Du hast mir das Leben gerettet." Ich winkte ab. „Das machen Freunde doch. Außerdem sind wir jetzt quitt, also lass uns endlich gehen. Auch wenn ich diesen Park liebe, waren wir lange genug hier."
„Ja, wie sollten..." Er erstarrte.
„Terry, Terry, was ist los?" Ich blickte zurück. "Oh, verdammt!", schrie ich und machte einen Schritt zurück.
Hinter uns stand ein riesenhafter Hund, mit spitzen Ohren und gefletschten Zähnen. Seine Fellfarbe war ein wüstenartiges gelb, unterbrochen von schwarzen und braunen Tupfen.
„Was macht der Köter hier?" zischte ich.
„Das ist kein Hund!", murmelte Terry. „Das ist eine Hyäne!"
„Okkaaayyy. Eine Hyäne, ist klar. Wie sieht der Plan aus?"
„Es gibt keinen Plan!", entgegnete er und nahm meine Hand. „Lauf einfach und blick nicht zurück!" Zusammen rannten wir querfeldein, über der gut gepflegten Blumenbete, bis hin zu dem neu gebauten Kinderspielplatz.
Das kichernde Geräusch der Hyäne konnte wir dabei nicht abschütteln. Die ganze Zeit über lauerte es in unserem Rücken und wurde lauter, wann immer wir langsamer wurden. Irgendwann blieben wir stehen, um uns herum nichts als Bäume und Sträucher.
„Warum hälst du an?", fragte ich Terry und hielt mir die Seite. Ohne meine Energie war es um einiges schwerer, einen Marathon zu laufen.
„Sie haben uns." Jetzt fiel es mir auch auf. Das Kichern war verschwunden, stattdessen sah ich dutzende Augenpaare, glühende Iren in der Dunkelheit. Ich lachte trocken. „Seit wann hat der Köter seine Freunde mitgebracht?"
„Willst du das wirklich wissen?"
„Ganz und gar nicht.", entgegnete ich. „Mich würde eher interessieren, warum ich sie nicht spüren konnte.
„Miranda das sind Hyänen ...", begann er, wurde jedoch von einem Heulen unterbrochen.
Die Hyänen wichen zur Seite, bildeten eine Schleuse, durch die locker ein Kleinwagen gepasst hätte. Ehrfürchtig neigten die zu groß geratenen Köter den unförmigen Kopf, ihre Aufmerksamkeit galt nunmehr dem Neuankömmling. Wer hätte es gedacht, der König der Köter.
Das Wesen vor uns glich weitgehendst einer Hyäne, war jedoch größer – Pferdemaßstab – grobschlächtiger, und gefährlicher als seine kleineren Kumpane. Mit wenigen Schritten seiner riesigen Pranken hatte er sich uns genähert, als er plötzlich zu schrumpfen begann. Ich konnte meinen Blick nicht abwenden, ganz egal wie sehr mich dieses Wesen anwiderte. Somit sah ich jedes noch so kleine Detail seiner Verwandlung in ... in einen Jungen.
Er lächelte mich an. „Wo steckt denn Seth?"
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