--15.1--

Bei meiner Frage zogen sich die steinigen Augenbrauen Timothys zusammen. Für einen kurzen Moment bröckelte seine Fassade und bekam Risse, welche einen dunklen Kern freilegten. Es war Hass, welcher nun in Timothys Augen zu sehen war, Hass auf mich und die Welt.

„Warum willst du das wissen, reicht es nicht, dass du es bist?", fragte er mich aufgebracht, bevor er sich wieder im Stuhl zurücklegte und die faltige Lieder sich über seine stahlgrauen Augen schlossen.

„Ich bin nicht verpflichtet, dir darauf zu antworten, vielmehr bist du derjenige, der mir noch eine Antwort schuldig ist. Oder hast du deinen Schwur schon wieder vergessen?" Timothys Krallen hinterließen tiefe Striemen auf der Lehne seines Stuhles, er war es anscheinend nicht gewohnt, in die Ecke gedrängt zu werden. Trotzdem hatte er keine Wahl - obwohl er fieberhaft nach einer Antwort suchte – er musste die Wahrheit sprechen.

„Wenn du meine Herrin bist, dann bin ich dir zu Diensten.", brachte er zähneknirschend hervor. „Ich kümmere mich um dein Wohl und sorge für deine Sicherheit, soweit es in meiner Macht steht."

„Ach, mach uns hier doch nichts vor!" Seth hatte sich eingemischt und stand in weniger als einer Sekunde an meiner Seite. Seine Hand hatte er auf meine Hüfte gelegt, da, wo meine Taille anfing. Seine Körperwärme drang durch seine große Handfläche durch die dünne Schicht meiner Klamotten und ließ mein Blut schneller fließen, denn ich spürte, wie ich rot wurde.

„Die Wahrheit ist doch, du bist nur ein einfacher Diener, der alles zu tun hat, was seine Herrin von ihm wünscht. Das ist bei euch Gargoyles ohne Bezugsgebäude doch normal, oder? Ihr könnt einfach nicht ohne einen Anker sein, etwas oder jemanden, der euch halt in dieser Welt gibt. Und da Miranda, als Ungelernte, ein leicht zu manipulierendes Ziel bot, dachtest du kurzerhand, du machst sie zu deiner Herrin.", beendete Seth. Der Gargoyle war währenddessen immer wütemder geworden. Bedrohlich näherte er sich Seth und beförderte diesen mit einer Handbewegung an die nächste Wand. Der Aufprall ließ alle Luft aus Seths Lungen entweichen und sah obendrein verdammt schmerzhaft aus.

„Was weißt du schon, Kater? Du hast keine Ahnung wie es ist, Tag ein Tag aus herumgeschupst und versklavt zu werden, nur wegen dem, was du bist. Und der Schlimmste von allen", damit wandte er sich zu mir, „war dein Vater." Das gibt's doch nicht! Er kannte ihn wirklich?

„Woher kanntest du meinen Vater?", hackte ich nach und da sein Schwur noch galt und ich seine Herrin war, musste er mir erneut antworten.

„Er war mein Herr vor dir. Viele Jahre lang diente ich unter ihm und wollte doch nichts anderes, als meine Freiheit. Als sich mir dann die Chance bot, ergriff ich sie ohne zu zögern."

„Was hast du getan?" Ein Lachen erklang.

„Kleines, ich habe überhaupt nichts getan, ich habe ihn nicht gewarnt, nicht versucht sie aufzuhalten oder sonst etwas von mir gegeben. Ich stand nur da und wusste, dass er starb, doch leider stand es damals nicht in meiner Macht, ihn zu retten." Seths knurrte tief und erschreckend leise an meiner Seite und riss mich dadurch aus meiner Starre. Er packte mich fester und ich merkte erst jetzt, dass sich meine Hände zu Fäusten geballt hatten und ich kurz davorstand, mit ihnen auf diesen Verräter loszugehen. Einzig Seths Anwesenheit und seine beruhigenden Bilder hielten mich davon ab, meinen Verstand vollkommen abzuschalten.

„Du... ich kann es nicht in Worte fassen, aber ich möchte, dass du die Barriere auflöst. Dazu wirst du mir noch alles Wichtige über meinen Vater aufschreiben und an mich weiterleiten, mit welchen Hilfsmitteln ist mir egal, nur lass dir nicht zu lange Zeit damit. Außerdem befehle ich dir, uns weder zu folgen noch beschatten zu lassen und mir ansonsten Rede und Antwort zu stehen, sollte ich deine Dienste ein weiteres Mal in Anspruch nehmen müssen."

Ich war fertig mit ihm. Fertig mit seinen Lügen und seiner Art. Alles was ich wollte, war hier herauszukommen, also nahm ich kurzerhand Seths Arm und zog ihn hinter mir her zum Ausgang, der nun unverschlossen vor uns Lag. Timothy hatte meinem Befehl Folge geleistet, sodass wir ungehindert passieren konnten und uns schon bald auf der Straße befanden, mit nichts als unseren Kleidern am Leib. Nunmehr schüchtern wandte ich mich an Seth.

„Es tut mir leid, dass ...", weiter kam ich nicht, da hatte Seth mich schon an einen Laternenmast gedrückt und meine Lippen mit einem Kuss versiegelt.


Der Kuss vertiefte sich rasend schnell. Die Leidenschaft beherrschte meinen Körper, unter dem sich ein Abgrund an Gefühlen auftat, der nur darauf wartet, mir die Kontrolle zu entreißen. Ich war wie ein Verhungernder, dessen Rettung aus der Nähe zu dieser wunderschönen Frau bestand. Ich hungerte nach Miranda, ihrem Kuss, ihrem Wesen, einfach allem von ihr.

Und es war keinesfalls so, dass Miranda unbeteiligt blieb. Ihre anfängliche Überraschung hatte sie schon längst überwunden und klammerte sich nun genauso sehr an mich, wie ich mich an sie klammerte. Ihre Hände hatte sie in meinem Haar vergraben und zog im Rhythmus unsere Körper an den zentimeterlangen Strähnen, dessen Schwarz das Licht der Straßenlaterne selbst zu schlucken schien, während meine Hände sich um ihren Körper geschlungen hatten und nicht mehr gewillt waren, meinen Engel auch nur einen Zentimeter abrücken zu lassen.

Ich wusste nicht, wie lange wir so dastanden, inmitten dem fahlen Licht unter einem sternenklaren Himmel. Mir war es egal, dass wir gesehen werden könnten oder dass wir uns nur meterweit von Timothys Laden entfernt hatten. Ich wollte einzig und alleine Mirandas volle Lippen küssen und mich in der Nähe zu ihr verlieren. Sie küsste so, als hätte sie es noch nie getan, was das Tier in mir dazu anregte, die Führung zu übernehmen. Es schnurrte wohlig und verlangte nach mehr, genau wie der Mensch, der nun in den Hintergrund gerückt war. Langsam ließ ich meine Hände über ihren Körper gleiten, bis sie sich schließlich unter das weite Oberteil schoben und eine Haut wie reinste Seide enthüllten. Noch nie hatte ich mich so gefangen gefühlt. Miranda war wie eine Droge, von der ich drohte, abhängig zu werden.

Als ihre Beine zu zittern anfingen, hob ich sie kurzerhand an und platzierte mich dazwischen. So lag ihr komplettes Körpergewicht auf meinem Schoß und ich konnte ihr noch näher sein. Mein Signum fing an, unter dem dünnen, grauen Stoff meines Hemdes zu glühen und brannte sich mit einem kleinen Zischen und einer winzigen Rauchfahne hindurch. Ich wollte Miranda zu der Meinen machen, sie für mich beanspruchen und ihr mein Zeichen aufdrücken, doch noch beherrschte ich mich. Kein anderer Mann sollte es auch nur wagen, sie zu verletzen, und wenn doch, dann Gnade ihm die Todesgöttin, denn er würde den nächsten Tag nicht mehr miterleben.

Mittlerweile hatten sich meine Hände bis auf die Mitte des seidigen Rückens hochgearbeitet und genossen das Gefühl von nackter Haut. Mirandas Streiften störten mich nicht im Geringsten, machten sie sie in meinen Augen nur zu etwas noch schönerem, noch besonderem. Unser lautes Keuchen zwischen den Küssen erfüllten die Nacht.

Nach gefühlten Stunden meldete sich das Tier in mir erneut und verlangte danach, sie nun endlich zu markieren. Ich besaß nicht mehr die Kraft, um zu wiederstehen und als mein Engel dann auch noch zu schnurren anfing, war es um mich geschehen. Meine abnormal langen Eckzähne bohrten sich in die empfindliche Stelle zwischen ihrem Hals und ihrem Schulterblatt. Sofort empfing mich der Geschmack ihres Blutes, und benebelte meine Sinne zur Gänze. Miranda stöhnte bei dem Biss wohlig auf und drängte sich meinem Mund entgegen, wodurch sich meine Zähne noch tiefer in ihr vergraben konnten.

Mit dem Blut aus der Wunde kamen auch die Erinnerungen. Erinnerungen an Mirandas Leben als Kind, die ich sorgfältig in den hintersten Winkel meines Geistes verdrängte, da ich diesen Moment noch eine Weile auskosten wollte. Ich würde mich später mit den neu hinzugewonnenen Informationen beschäftigen, obwohl es mir lieber wäre, wenn sie von sich aus von ihrem Leben erzählen würde.

Vorsichtig zog ich meine Zähne aus ihrem zarten Fleisch und leckte ein paar Mal über die Wunde, welche daraufhin kaum noch zu sehen war. Einzig ein großer, schwarzer Fleck war auf ihrer Haut zurückgeblieben und genau über diese Stelle fuhr ich nun mit meinem Daumen. Im selben Moment wurde ich von etwas Starkem zurückgeschleudert und flog in hohem Bogen gegen das gegenüberliegende Tor, welches sich unter meinem Körper stark verbog. Ich ächzte und versuchte auf die Beine zu kommen, doch eine Spitze des Tores – wahrscheinlich abgebrochen - hatte sich durch meinen Oberschenkel gebohrt. Aus der Wunde sickerte ein schmales Rinnsal Blut, dessen Fluss ich nicht stoppen konnte, ohne eine weit schlimmere Verletzung zu riskieren.

Ohne mich zu bewegen, blickte ich mich um und suchte nach der Ursache für meinen Flug, konnte aber nichts finden, das auf einen Feind hindeuten würde. Einzig Miranda stand breitbeinig ein paar Meter vor mir, mit einem fiebrigen Glanz in den großen Augen und einer leichten Röte im Gesicht. Die Arme hielt sie in der Luft, so als würde sie etwas Unsichtbares greifen oder wegstoßen wollen. Das muss dann wohl ich gewesen sein.

Den Schrecken in ihren Augen bemerkte ich erst, als es schon zu spät war. Unbewusst hatte sich Miranda von mir entfernt und war noch weiter zurückgetreten. Ein Déjà-vu erfasste mich: Genau so hatte sie reagiert, als ich noch als Fremder vor ihr stand, dessen Gefahrenpotential sie nicht kannte. Scheiße!



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