--14.1--

Sie schlief jetzt schon seit mehreren Stunden, in denen ich unruhig über sie gewacht hatte.
Markus war so freundlich gewesen, mir einen Laptop bereitzustellen, mit dessen Hilfe ich Viper kontaktieren wollte.
Natürlich war der Laptop präpariert, das war offensichtlich. Groß stören tat mich das aber nicht, ich kannte so einige Tricks, die mir schon oft geholfen hatten. Einzig Viper war noch um einiges besser und fähiger im Umgang mit dem Hacken, schließlich war er der Informant unserer Truppe und musste somit über jeden Schritt aufgeklärt sein, was er ja auch war.
Kaum einer schaffte es, Viper zu entkommen und wer es wagte, sich aus dem Staub zu machen, wurde umgehend unschädlich gemacht oder man fand ihn verstümmelt und unter Amnesie leidend auf der Straße. Ein so tragisches Schicksal für einen von Nightlight. Jedem von uns wurde von vornerein klargemacht, was mit Aussteigern geschehen würde, da sollte sowas eigentlich zu vermeiden sein.

Außerdem hatte Markus mir einen Kaffee gebracht, der jetzt kalt auf dem Tisch stand. Solange ich mich in dieser Barriere aufhielt, würde ich nichts zu mir nehmen, was am Ende noch vergiftet oder anderweitig verseucht war.
Schon seit geraumer Zeit hatte ich ein ganz schlechtes Gefühl, so als würde etwas geplant werden, von dem ich keine Kenntnis besaß. Leider Ankous, ließ sich das Gefühl nicht nur auf Timothy und seinen menschlichen Helfer beziehen, da steckte mehr dahinter. Etwas weit Mächtigeres, etwas von größerem Ausmaß musste die Ursache dafür sein und ich bezweifelte, dass Timothy es ebenfalls spürte.
Zwar war er ein sehr altes Geschöpf, jedoch auch ein Gargoyle und somit an seinen Wohnsitz gebunden. Ich hingegen war ein alter Veteran im Umgang mit brenzligen Situationen und ein sehr starker, wenn nicht der stärkste Empath.
Gefühle waren für mich wie Worte, wie eine Sprache, die nur ich verstand. Und gerade diese Gefühle warnten mich, dass etwas Unheilvolles auf uns zukam.
In dem Moment als ich mich ausloggen wollte, erreichte mich eine neue Nachricht von einem anonymen User. Mit einem zucken meiner Mundwinkel las ich den kurzen, aber informative Text. Im Großen und Ganzen berichtete sie von der Reaktion des Kunden, dessen Auftrag ich zurzeit nicht ausführen wollte und davon, dass mir jetzt eine deftige Strafe drohte.
Meinem Boss gefielen meine momentanen Alleingänge gar nicht, er drohte mir mit der Peitsche und dem Wahrheitsserum, was mich nicht davon abhielt, das zu tun, was ich für richtig hielt. Anscheinend hatte ihm Viper nichts von Miranda erzählt, denn sonst hätte ich bereits einen unablehnbaren Befehl erhalten, zurück zur Basis zu kehren. Zu meinem Glück war Viper ein treuer Geselle, auch wenn er mich überhaupt erst an den Boss verpfiffen hatte, was ja leider sein Job war.
Meine Antwort fiel ebenfalls kurz aus. Ich beschrieb meine derzeitige Lage, mit Ausnahme von Miranda und meine weiteren Schritte. Ebenfalls informierte ich meinen Boss über den kommenden Krieg, der bereits als dunkle Wolke über der Stadt schwebte und sich bereits in den Herzen der Bewohner wiederspiegelte.
Hätte ich die Entscheidungsgewalt wäre Miranda schon längst mit dem nächsten Flug in meine Heimatstadt unterwegs. Dort war ich zwar nicht erwünscht, jedoch würde sie dort beschützt werden und wäre vor allen Gefahren in Sicherheit. So aber musste ich mich nicht nur um meine und Mirandas Feinde kümmern, die es offensichtlich auf sie abgesehen hatten, sondern musste sie ebenfalls soweit es geht beschützen.
Doch wie sollte ich das tun? Wie konnte ich ihrem unschuldigen Weltglauben bewahren und gleichzeitig ihren Körper in Sicherheit wissen?
Bevor es Zeit wurde, meinen wunderschönen Engel zu wecken, schickte ich noch einige Nachrichten an andere, verschlüsselte IP-Adressen und bat um Hilfe. Diejenigen, welche sich im Land aufhielten, würden meinem Ruf folgen, so war das nun mal bei Nightlight. Ob man es wollte oder nicht, man stand füreinander ein. In dieser Hinsicht konnte unsere Truppe mit jedem wahren Clan mithalten.

***

Nach einer weiteren Stunde spürte ich das erste Flackern von Mirandas Gefühlen. Ich konnte den genauen Moment bestimmen, in dem sie wieder zu Bewusstsein kommen würde.

Bevor sie die Augen aufschlagen konnte, war ich zu ihr ans Bett getreten und hatte ihre Hand in die meine genommen. Ich kniete nun vor ihr, die schlaffe Hand weiterhin umklammert.

Hoffentlich dachte Timothy, ich wäre um ihr Wohlergehen besorgt und würde ihr beistehen wollen. Er konnte nicht ahnen, was ich wirklich plante, da mein Geist weiterhin nur mir Untertan war, sodass er keinen Einfluss auf meine Handlungen nehmen konnte.
Unauffällig hatte ich mir mit meinen Klauen die Handfläche aufgeritzt, sodass einige wenige Bluttropfen zutage kamen, welche ich auf eine ebensolche Wunde in Mirandas Handfläche drückte. Unser Blut verband sich und schaffte eine Verbindung, die kein Clanangehöriger leichtfertig einging.
Mit dem Blut hatte ich auch unser Schicksal verbunden. Vom heutigen Tage an gehörten wir zusammen. Jedoch handelte es sich noch nicht um eine andauernde Verbindung, dazu musste die Frau selbst zustimmen und mich somit völlig akzeptieren. Keinerlei Zweifel durften ihre Gefühle trüben, sie mussten klar erstrahlen, sodass Ankou selbst ihre Reinheit sah.

Doch machte ich mir nichts vor, niemals würde eine Frau für mich so etwas wie Zuneigung empfinden, geschweige denn Liebe, egal wie sehr mein Herz sich danach verzehrte. Meine Vergangenheit würde schlussendlich jeden abschrecken.
Als Mirandas Gefühle immer kräftiger wurden, sandte ich ganz vorsichtig meine Gedanken in ihre Richtung. Da sie noch keinerlei Erfahrung mit einem solchen Prozess gemacht hatte, sollte sie nichts als wage Gefühle und Bilder wahrnehmen, welche ich ihr zusandte.
Wie erwartet verstand sie schnell und blieb ruhig, die Augen noch immer geschlossen. Einzig ein fragendes Gefühl, gefolgt von dem Bild eines Fragezeichens erreichte mich.
Sie lernt schnell!
Im Moment konnte ich ihr leider nicht zeigen, wie stolz ich auf sie war, da die Zeit drängte. Ich flüsterte so leise, dass sie mich gerade so verstehen konnte und unterstrich meine Worte noch mit vereinzelten Bildern. Die Aussage war klar:
„Bleib ruhig, beweg dich nicht. Ich habe einen Plan aber dafür musst du genau befolgen, was ich dir jetzt erkläre.", wisperte ich.
Innerhalb weniger Augenblicke hatte ich meinen Plan erläutert und fand nichts als Zustimmung, die von Mirandas Gedanken ausging.
Erleichtert atmete ich auf, rügte mich aber im selben Moment einen Schwachkopf, war die Situation doch noch genau die gleiche, wie eine halbe Stunde zuvor.
Dennoch hatten wir eine Chance, jetzt, da mein Engel mit von der Partie war.


Als sich unser Blut verband spürte ich etwas an mir ziehen. Man konnte es sich so vorstellen, als würde etwas versuchen, die Seele vom Körper zu trennen und diese Stelle mit etwas anderem, größerem zu füllen.

Dabei war es keineswegs unangenehm. Eher ungewohnt und gewöhnungsbedürftig aber nicht unangenehm.
Meine erste Empfindung, nachdem ich aus dem Schlaf geglitten war, galt der Wärme von Seth, dessen Körper den meinen abschirmte und dessen Hand, die meine hielt.
Erst im Nachhinein begriff ich, dass sich etwas Grundlegendes geändert hatte. Ich fühlte mich Seth jetzt viel näher, als würden wir uns schon eine Ewigkeit kennen. Gleichzeitig wollte ich ihn noch enger an mir spüren, wobei ich mich doch eigentlich auf unsere Lage konzentrieren sollte und darauf, was ich zu tun hatte.

Langsam öffnete ich die Augen und schaute direkt in das Gesicht von Seth, welches mich teils gespielt, teils ernsthaft besorgt musterte.

„Schön zu sehen, dass du noch unter uns weilst.", neckte er mich mäßig verspielt. „Ich hatte mir doch beinahe Sorgen um dich gemacht."
Nur leicht lächelte ich zurück, denn ich war noch zu schwach, um mehr zustande zu bringen. Meine Rolle verlangte von mir, die Jungfer in Nöten zu spielen und dazu gehörte auch, meine Gefühle offen zu zeigen. In Wirklichkeit fühlte ich mich so ausgeruht, als hätte ich tagelang durchgeschlafen, wohingegen Seth alles andere als fit aussah. Dunkle Ringe hatten sich unter seinen schwarzen Augen gebildet und ein leichter Dreitagebart bedeckte sein Kinn, was ihn nur umso verwegener aussehen ließ.

Mir hingegen hing das verstaubte Haar im Mund und musste sicherlich bereits einem Vogelnest gleichen. Von meiner Wimperntusche einmal abgesehen, bot ich bestimmt einen überaus verschreckten Anblick. Perfekt!

Mit dem Gedankenbild einer Pistole signalisierte ich Seth, dass wir beginnen konnten. Hoffentlich verlief alles glatt, denn ich war vom Plan nicht gerade überzeugt.

Jedenfalls fing ich an, mich leicht zu bewegen und zu stöhnen, was sofort Seth an meine Seite beförderte und ihn nach Timothy rufen ließ. Dieser betrat das Zimmer, dicht gefolgt von Markus, der mit Sicherheit einen Stock im Arsch stecken hatte. Als ich meine Gedanken mit Seth teilte, musste dieser leicht lachen, was uns fast hätte auffliegen lassen. Unauffällig zuckten seine Mundwinkel nach oben, was mir zeigte, dass er mir durchaus zustimmte. Kann er also doch Lachen!

Bei dieser Geste tanzten Schmetterlinge in meinem Bauch und ich musste ein weiteres Mal stöhnen, doch diesmal war es nicht gespielt. Während meiner Show hielt ich die Augen leicht zusammengekniffen, immerhin sollte ich ja nicht viel von meiner Umgebung mitbekommen.

„Was hat sie? Ist sie krank?", fragte Timothy an Seth gerichtet.

„Nein, ich denke, es ist ihr im Moment alles ein bisschen viel." Wie wahr. „Wenn wir sie jetzt aufwecken, was wir sicherlich tun sollten, ist es wichtig, dass wir ihr Umfeld so angenehm wie möglich gestalten."

„Und wie machen wir das?", fragte der Gargoyle. Ich ließ mehrere Bilder in Seths Kopf erscheinen, welche er sofort richtig interpretierte.

„Ich denke, zuallererst sollte sie die Möglichkeit bekommen, sich zu duschen und umzuziehen und dann vielleicht ein paar kurze Minuten erhalten, in denen sie sich sammeln kann. Jeder wäre erst mal skeptisch, wenn ihm gesagt würde, der eigene Vater wäre eine Art von Berühmtheit in einer Welt, in der Drachen und Fabelwesen an der Tagesordnung stehen. Außerdem scheint sie zwar ein paar Fakten über uns und unser Leben zu kennen, jedoch hat sie keine Ahnung, was es wirklich heißt, zur orbis alius zu gehören. Und wenn es wirklich stimmt, was du uns erzählt hast, wird sie noch einiges lernen müssen."

Lange sah Timothy einfach nur durch uns durch. Seths Worte hatten ihn nachdenklich gestimmt und ich hoffte inständig darauf, dass er ihm das abkaufen würde. Gelogen hatte Seth jedenfalls nicht. Ich konnte momentan wirklich eine Dusche gebrauchen und war auch heillos verwirrt, nicht zuletzt auch wegen Seth. Warum half er mir? Erst zuhause und jetzt hier. Seine Schuld hatte er in Zwischenzeit längst zurückgezahlt. Was ließ ihn also noch bleiben?

Ein kleiner Teil meines Herzens, derjenige der mit Seth verbunden wurde, war der Ansicht, dass er meinetwegen noch hier verweilte. Das wäre zwar ein Ding der Unmöglichkeit, lebte er doch in einer ganz anderen Welt, jedoch konnte ich den Gedanken daran nicht abschütteln.

Mit einem Mal kehrte Timothy wieder zu uns zurück. „Vielleicht... hast du recht. Miranda soll ihre Zugeständnisse erhalten."

Jetzt kam auch Timothy zu mir ans Bett und berührte mich an der nackten Schulter. Seine Hand war weder warm noch kalt, eher beides im ständigen Wechsel. Die Temperaturschwankungen gingen auf mich über und ließen mein Herz schneller schlagen. Wie von der Tarantel gestochen riss ich meine Augen auf und keuchte auf. Was war das denn?

Timothy trat wieder zurück und überließ es nun Markus, mich auf die Arme zu nehmen und aus dem Zimmer zu tragen. Währenddessen konnte ich die Blicke von Seth auf mir fühlen, der unseren Abgang mit Adleraugen verfolgte.

Kurz entnahm ich ihnen einen eifersüchtigen Ausdruck, wofür ich mich gleich selber rügte. Jemand wie Seth, mit einem aufregenden Leben würde sich nicht für jemanden wie mich interessieren, die überhaupt nichts vorzuweisen hatte. Mach dir doch nichts vor! Der Typ steht auf dich!, schrie mir meine innere Stimme zu, die ich daraufhin tief in mir vergrub. Ich hatte jetzt keine Zeit, ihr zuzuhören. Es wartete Arbeit auf mich.


Als ich sah, wie Markus Miranda hochhob, musste ich das Tier in mir stark an die Leine nehmen, ansonsten wäre von dem Menschen nichts als ein Häufchen Asche übriggeblieben. Dass er es auch noch wagte, ihren Körper in meiner Gegenwart zu berühren, ließ mich in Gedanken aufknurren und meine Fäuste ballen.

Das Einzige, was mich davon abhielt, hinter den beiden hinterherzustürmen, war der kurze Blick, den mir mein Engel zugeworfen hatte. In ihm lag ein solch unerschütterliches Vertrauen in mich - einen räudigen Kopfgeldjäger - dass ich mir selbst dumm vorkam.

Ich hatte Miranda gefälligst zu vertrauen, schließlich tat sie das auch, wobei sie eindeutig das am leichtere zu kriegende Opfer wäre. Sie steckte also in weit größerer Gefahr, als ich es tat und ich hatte mich gefälligst zusammenzureißen! Wenn schon nicht um meinetwillen, dann doch für sie! Mit einem kalten Lächeln drehte ich mich zu Timothy um.

„Für uns heißt es dann wohl warten."


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