--13. 1--
Sobald ich Timothys Laden betreten hatte entwich dem Kater ein Zischen. Mit gesträubtem Fell entwand er sich mir und sprang zu Boden. Seine Augen huschten hin und her, fixierten jeden Winkel und jeden Schatten, ließen nichts unbeobachtet, während sich der Kater schützend vor mich stellte. Ich selbst verstand dieses Verhalten nicht, war es doch bloß ein einfacher Laden und nicht eine gefährliche Drogenhöhle, in dem wir uns befanden.
Im hinteren Teil des DREAMS raschelte es, ein Vorhang wurde zur Seite geschoben und hinaus trat ein junger, förmlich gekleideter Mann Anfang zwanzig, mit Brille und Schreibbrett.
„Du musst Miranda sein. Der hohe Herr hat dich schon angekündigt. Komm, du kannst deinen Begleiter auch gerne mitnehmen.", erwähnte er beifällig und wandte sich wieder um.
Wir, der Kater und Ich, folgten ihm in den selben Raum, in dem ich mich schon zuvor mit Timothy getroffen hatte.
„Ich werde den Herrn nun wecken, da er zu dieser Zeit normalerweise ruht. Entschuldigt mich." Verbeugend ging er in einen weiteren Gang, bis er komplett verschwunden war. Na, der ist ja mal übertrieben höflich. Hat fast schon einen Stock im Arsch. Ob er auch mal lacht?
Kurz darauf hörte man ein Scheppern und Poltern, welches mich zusammenzucken ließ. Hoffentlich war dem Mann nichts passiert. Als auch noch eine Staubwolke aus dem Gang, in dem der junge Mann verschwunden war, zu dringen begann, musste ich schwer schlucken. Meine Sorge war jedoch unbegründet, denn aus der Staubwolke traten nun der verklemmt wirkende Mann und ein müder Timothy.
„Ich wusste, du würdest früher oder später wieder vorbeischauen, jedoch bin ich betrübt zu sehen, in welcher Begleitung du dich befindest." Timothy wandte sich dem nervösen Kater zu. Dieser fing an, biestig zu fauchen, währenddessen Timothy ein paar Worte murmelte.
Augenblicklich begann sich der Boden unter dem Kater zu verändern. Durchsichtige Spitzen schossen daraus hervor und stachen in das seidige Fell des kleinen Geschöpfs. Sein gequältes Aufjaulen konnte ich kaum ertragen, es ließ etwas in meiner Herzgegend schmerzen. Ich sah wieder zu Timothy, der den Kater konzentriert fixierte.
„Verwandle dich!", donnerte er mit gebietender Stimme, woraufhin der Kater ein weiteres sträubendes Fauchen hören ließ. Sein Körper knackte, brach auseinander, formte sich zu etwas Neuem, Größeren, etwas ohne Fell und ohne Knochen, etwas Vertrauten und gleichzeitig Fremden. Dies alles geschah binnen weniger Sekunden, sodass ich nur mit offenem Mund staunend zuschauen konnte.
Vor mir stand kein anderer als Seth. Seth, der mir nicht mehr aus dem Kopf ging, Seth, der bei dem Anblick meiner Streifen davongelaufen war. Er stand mir gegenüber, die Augen auf den Gargoyle geheftet.
Doch wie war das möglich? Wenn Seth der Kater war, bedeutete das doch, dass er ein Clanangehöriger ist, ein Gestaltwandler der Katzennation. Er hat sich bei mir einquartiert und wofür? Nur um seine Spielchen mit mir treiben zu können? Die Erkenntnis, dass er mich vielleicht nur benutzt hatte, traf mich tief. Kopfschüttelnd versuchte ich zu verstehen, warum er mich nicht einfach in Ruhe ließ und stattdessen meine Nähe zu suchen schien. Ich blickte zu Seth, in der Hoffnung eine Gefühlsregung in seinem Gesicht erkennen zu können, doch er sah nicht einmal zu mir hinüber. Stattdessen maßen er und Timothy mit Blicken, keiner war gewillt nachzugeben. Dabei gaben sie ein eher lustiges Bild ab: Der kleine, schrumpelige Timothy gegen den riesenhaften, sexy Seth.
„Könnte mir mal bitte einer von euch beiden verklickern, was hier gerade abläuft? Denn sonst droht euch gleich ein hysterischer Anfall höchster Klasse!", knurrte ich sie an. Meine Stimme war dabei mehr als eine Oktave zu tief und tropfte nur so vor Anspannung.
Innerhalb von zwei Wimpernschlägen stand Seth neben mir und hatte mich schützend an sich gezogen.
„Lass sie auf der Stelle los, Kopfgeldjäger!", sprach nun wieder Timothy und brach somit das Schweigen. Ich erschrak darüber, wie abfällig er das Wort >Kopfgeldjäger< ausgesprochen hatte. Ist es das, was Seth ist, ein Kopfgeldjäger? Einer, der für Geld mordet? Kein Wunder, dass mein Onkel mich von ihm fernhalten wollte. Schnell befreite ich mich von Seth und drängte mich hinter Timothy.
„Siehst du", sagte dieser, „sie hat sogar schon Angst vor dir."
Seth schien das alles gar nicht zu gefallen, ich sah, wie sein Kiefer mahlte. Mit unglaublich kalter Stimme richtete er das Wort an mich:
„Hast du wirklich Angst vor mir? Habe ich etwas getan, um diese Angst hervorzurufen? Miranda, siehst du das wirklich so?"
Irrte ich mich oder klang Seth verletzt? Nein, das konnte nicht sein. Bestimmt hatte ich mich verhört. Auch Timothy schien nichts herausgehört zu haben oder er ließ sich nur nichts anmerken, jedenfalls klang er weiterhin abwertend gegenüber dem Clanangehörigen.
„Oh, sie sollte Angst haben, vor dir und deiner Anwesenheit zittern. Dein Ruf eilt dir voraus, Feuerklinge."
„Das möchte ich aus ihrem eigenen Mund erfahren.", hielt Seth dagegen.
„Feuerklinge, was meint Timothy damit?", fragend sah ich Seth an. Ich hatte sehr leise gesprochen, also wiederholte ich meine Frage nochmal. „Was meint er damit, wenn er Feuerklinge zu dir sagt?"
„Ich habe dich schon verstanden.", antwortete er gequält. „Das ist mein Titel, so werde ich genannt, von meinen Freunden, meinen Feinden, besonders von meinen Feinden, wegen dem, was ich tue und noch tun werde." Er schien mit sich selbst zu ringen, ob er mir wirklich so viel verraten sollte. Doch wie konnte ich versuchen zu verstehen, wenn er mir keine Informationen gab?
Bevor die ganze Situation noch eskalieren konnte, schaltete sich Timothy wieder ein.
„Ich denke, das alles hier," damit deutete er auf jeden von uns, „lässt sich besser bei einer Tasse Tee besprechen. Dann kannst du," er blickte zu Seth, „Miranda auch gleich alles erzählen. Ich werde mich ebenfalls bemühen, all ihre Fragen wahrheitsgemäß zu beantworten. Timothys Stimme ließ Seth wieder kalt werden. Ein letzter Blick in mein Gesicht ließ ihn eine Entscheidung treffen.
„Einverstanden."
Nachdem wir beschlossen hatten, die Karten auf den Tisch zu legen, setzten wir uns an den von Timothy angesprochenen Tisch.
„Markus, hol den Tee.", wies Timothy den einzigen Menschen im Raum an.
Der überaus höfliche Mann neben uns verließ den Raum, um kurz darauf mit drei Tassen dampfenden Tees zurückzukehren. Er hatte sich zuvor so still verhalten, dass ich seine Präsenz vollkommen übersehen hatte, wofür ich mich schämte, hatte er es doch verdient, wenigstens beachtet zu werden. Ihm schien es jedoch nichts auszumachen, denn seine Miene zeugte von Gleichgültigkeit.
Und überhaupt, was machte ein Mensch hier im Laden? Ich konnte jedenfalls nichts Außergewöhnliches an ihm ausmachen, erinnerte mich jetzt aber wieder daran, wie Timothy mir erzählt hatte, dass tagsüber ein Mensch auf seinen Laden achtgab. Das erklärte somit die Anwesenheit dieses Mannes, wenn auch nicht seine Aufmachung. Kann mir aber ehrlich gesagt auch egal sein.
Ich kostete langsam von dem heißen Gebräu - es war köstlich. Wohlig seufzend trank ich ihn halb leer und bemerkte, als ich die Tasse angestellt hatte, dass ich von sechs Augen beobachtet wurde. Unruhig rutschte ich auf meinem Stuhl umher.
„Okay, können wir dann endlich anfangen?", versuchte ich meine Nervosität zu überspielen. „Ihr meintet doch, dass Seth mir etwas zu erzählen habe, oder Timothy?" Dieser nickte nur und wir beide sahen gespannt zu Seth hinüber, der sich noch viel unwohler zu fühlen schien als ich.
„Nun ja", räusperte er sich. „Zu aller erst sollten wir in Erfahrung bringen, wie viel du schon über uns, also die Clanangehörigen, weißt. Danach kann ich dir dann weitere Einzelheiten über uns erzählen, auch über mich."
„Das klingt logisch.", stimmte ich zu. Ich fing also damit an, aufzulisten, was mir über die Clanangehörigen wichtig erschien:
1. Jeder Clanangehörige besaß ein Signum, was ihn einem Clan zuwies oder auch als Ungebundenen kennzeichnete.
2. Die Fähigkeiten der Signa war weitgehendst unbekannt.
3. Die Ungebundenen lebten meist außerhalb von Städten, da sie als extrem gefährlich galten und die Abgeschiedenheit vorzogen.
4. In einem Clan leben nur die gleiche Art von Gestaltwandlern (Tiger mit Tiger, Wolf mit Wolf, Adler mit Adler usw.).
5. Ein Clan kann aus zwei oder bis zu hunderten Angehörigen bestehen.
6. Viele Clans stehen schon seit langem im Konflikt miteinander, ein Krieg könnte zu jeder Zeit ausbrechen.
Tatsächlich hatte ich nur knappe 3 Minuten gebraucht, um alle Fakten kurz aufzulisten und zu erklären. So im Nachhinein erschien es mir selbst etwas wenig, doch das ließ ich mir nicht anmerken.
„Könnt ihr mir jetzt sagen, was es mit alle dem hier auf sich hat?", frage ich auf gut Glück.
„Das ist dann wohl unser Stichwort.", Timothy und Markus erhoben sich. „Dein Beschützer will sicherlich mit dir alleine Reden, da würde unsere Anwesenheit nur stören. Wenn ihr mich braucht, ich bin nebenan." Seth schien erleichtert, seine Geschichte nicht auch noch dem alten Timothy mitteile zu müssen. Seine verkrampften Schultern senkten sich erheblich. Doch dann verfinsterte sich sein Gesicht. „Dieser durchtriebene kleine Gargoyle!" Was hat er denn jetzt schon wieder?
„Seth, was ist los?"
„Hast du es denn nicht bemerkt?", fragte er mich erzürnt. Ich konnte ihn nur verständnislos anschauen. „Was soll ich denn bitte bemerkt haben? Dass du dich völlig ohne Grund aufregst? Oder dass du dich unmöglich gegenüber Timothy benimmst?" Das nahm ihm erst mal den Wind aus den Segeln.
„Du denkst... ich würde..., dass er...?"
„Seth!", fuhr ich ihn an.
Er schüttelte sich kurz. Vor Ekel?
„Miranda, um eines klarzustellen, dieser Gargoyle belauscht uns! Wir sind hier in seinem Territorium. Das bedeutet, er bestimmt wie der Hase läuft.", sagte er auf und ablaufend.
„Und was heißt das für uns?", verlangte ich zu wissen.
Müde lässt sich Seth auf seinen Stuhl fallen und fährt sich durch sein dunkles Haar. Oh oh oh, verwuschelte Haare auf 12 Uhr.
Er trägt sie vorne etwas länger und an den Seiten gekürzt. Verwuschelt standen sie in alle Richtungen ab, was ihn um einiges jünger wirken ließ. Sie schimmerten rot-schwarz im Licht der alten Stehlampe und ich wollte mit meinen Fingern hindurchfahren, ihre Seidigkeit fühlen. Ich wusste selbst, wie absurd das klang. Doch war ich Seth nicht sowieso schon viel zu nah gekommen, obwohl wir uns kaum kannten?
„Seth?", flüsterte ich. Ich erschrak, als ich sein gequältes Gesicht sah.
„Das heißt, wir sind Gefangene. Dieser Laden ist von einer Barriere geschützt, eine, die nur ein sehr altes und sehr mächtiges Wesen errichten konnte. Nicht einmal ich kann sie durchdringen. Timothy, dein Freund, kann hier drinnen allerdings alles manipulieren. Wir müssen also tun was er sagt. Und im Moment möchte er, dass ich dir die Situation erkläre, also tue ich genau das." Die Verachtung in seiner Stimme war nicht zu überhören.
„Da irrst du dich, Timothy würde mich nicht einsperren." Denke ich jedenfalls.
„Wenn du meinst.", Seth schien nicht sehr überzeugt. Um mich ein bisschen abzulenken ging ich durch den Laden und blieb vor dem Schmuckregal stehen.
„Weißt du, mein Armband, das habe ich genau hier gefunden.", sagte ich verträumt.
„Moment, was?" Seth steht auf einmal hinter mir und packt mich an den Schultern. „Du sagtest, das Ding da ist von hier?" Damit packte er meine Hand und besah sich das silberne Gebilde rund um mein Handgelenk.
„Hast du überhaupt eine Ahnung, was du da trägst? Das ist ein Kanalisator, dafür gedacht, Energien zu bündeln und abzugeben."
„Also meinst du, das Ding hat die Explosion in meinem Haus ausgelöst?", fragte ich nach.
„Ja und nicht nur das. Ein Kanalisator kann nur dann funktionieren, wenn bereits Energien vorhanden sind."
„Hä?", machte ich wenig einfallsreich.
„Verstehst du denn nicht? Du musst ebenfalls über eine Art Energie verfügen und ein Teil der orbis alius sein, oder so etwas, wie es geschehen ist, wäre gar nicht möglich gewesen." Aufgeregt ging er auf und ab, so sehr in Gedanken versunken, dass er Timothy erst bemerkte, als dieser sich deutlich räusperte.
„Du liegst vollkommen richtig. Miranda ist etwas ganz Besonderes, schließlich stammt sie von einem Gregory ab und noch dazu vom obersten aller Gregory." Jetzt sah er mich an und lächelte. „Du siehst deinem Vater wirklich ähnlich. Ich erkannte sofort, dass du nur seine Tochter sein konntest." Timothy nahm eine meiner Hände in seine und ging in die Knie.
„Und das, liebe Miranda, macht dich zu meiner Herrin, Tochter des hohen Darius." Mein erstarrter Körper konnte sich nicht rühren, nicht weglaufen, ja nicht einmal blinzeln. Mein Vater? Herrin? Jetzt verstehe ich gar nichts mehr.
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