~•°Juline°•~

Immer schneller rannte ich durch den Regen die dunklen Straßen entlang und bekam diese Bilder nicht mehr aus meinem Kopf, egal wie sehr ich es versuchte. Sie brannten sich in meinen Verstand ein und erschwerten mir damit das Atmen.

Meine eigene Mutter war ab diesem Augenblick eine dieser Frauen, die ihre Familie hintergangen hatten, aber warum überhaupt?

Ich versuchte mich an irgendetwas zu erinnern, dass mich auf sowas vorbereitet hätte, aber mir kam nicht ein einziger Moment in den Kopf, in dem sie unglücklich gewirkt hätte. Vielleicht hatte sie mir auch immer nur etwas vorgespielt.

"Mia?", riss meine beste Freundin Juline mich aus dem Gedankenkarussell, als ich völlig außer Atem vor ihrer Haustür ankam.  Sie saß auf der Hollywoodschaukel, die unter ihrem Vordach stand und lauschte wie immer dem Regen. Sie liebte es, seid wir klein waren und war bei Regen grundsätzlich immer draußen anzutreffen.

"Was ist passiert?", stand sie auf und musterte mich besorgt, ehe sie mir meinen Rucksack abnahm. Ich schaute sie mit meinen tränenüberfüllten Augen an und wischte mir einzelne Strähnen meiner braunen, nassen Haare aus dem Gesicht.

"Ich... meine Mutter..."

Stotternd versuchte ich die Situation zu erklären, aber ich bekam keinen vollständigen Satz zu Stande. Sie nahm meine Hand, zog mich durch die weiße Haustür nach drinnen und lief sofort mit mir die Treppen hoch in ihr Zimmer.

Sie legte den Rucksack auf dem schwarzen Schreibtischstuhl ab und führte mich dann zu ihrer kleinen roten Couch, wo ich immer noch verwirrt über alles Platz nahm.

"Ich hol dir ein Handtuch und besorg uns etwas zum Trinken aus dem Schrank meines Vaters", meinte sie und wartete kurz, bis ich ihr zunickte, um dann wieder ins Erdgeschoss zu verschwinden.

Eine innere Leere breitete sich in mir aus, während ich aus dem Fenster mir gegenüber in die Dunkelheit starrte. Wie sollte es bei mir zu Hause weitergehen? Würden wir eine Familie bleiben?

Ich stand auf und lief nervös zwischen ihrer Couch und ihrem Bett auf und ab. Das alles war einfach nur niederschmetternd und langsam wünschte ich mir, dass ich meinen Rucksack nicht vergessen hätte, dann wäre nämlich alles noch gut und ich hätte sicher schönere Gedanken in meinem Kopf, als diese schrecklichen Bilder.

Mein Blick fiel auf Julines weiße Kommode, auf der verschiedene Bilderrahmen standen. Eines dieser Fotos zeigte uns beide, wie wir letzten Sommer einen schönen Tag am Strand hatten. Ich liebte dieses Foto und hatte es auch selbst bei mir im Zimmer auf dem Nachttisch stehen.

"So", kam Juline wieder ins Zimmer und hatte ein Handtuch und eine Flasche Tequila in der Hand. "Jetzt erzählst du mir alles in Ruhe."

Sie warf mir das Handtuch entgegen,  setzte sich im Schneidersitz aufs Bett und drehte ihre blonden welligen Haare zu einem Dutt.

"Meine Mutter hatte was mit einem anderen Mann", sprach ich die Wahrheit einfach aus und lief dann zum Sofa, um mich erschöpft niederzulassen.

"Was?", fragte sie als hätte ich gerade einen Scherz gemacht und holte dann tief Luft. "Wer war es? Hast du ihn erkannt? Wie hast du sie denn erwischt?"

Juline drehte fast noch mehr durch als ich, aber das war bei ihr ganz normal, denn sie war mit Abstand der neugierigste Mensch, den ich kannte. Wenn es ein Gerücht in der Schule gab, dann war sie immer die Erste, die alle Einzelheiten wusste. Es war eigentlich kein Wunder, dass die bei der Schülerzeitung arbeitete. Der Job war wie geschaffen für sie.

Bei dem Gedanken an unsere Schule war ich wirklich dankbar, das gestern der letzte Schultag war und wir erstmal drei Monate Ruhe hatten.

"Ich hab ihn nicht erkannt. Es war dunkel und es ging auch alles wirklich schnell", gab ich ihr dann die Antworten auf ihre Fragen und nahm ihren enttäuschten Blick wahr. Zu gerne hätte sie alle Einzelheiten gewusst, aber ich konnte ihr sie nicht geben.

"Mach dir nichts draus. Viele Eltern gehen fremd. Dein Vater ist ja im Grunde nur selten zu Hause, vielleicht hat er auch was mit anderen Frauen", plapperte sie und öffnete dabei den Tequila.

"Das glaube ich nicht", gab ich ihr stirnrunzelnd zurück und lehnte mich dabei nach vorne.

"Wenn ich so ein Papakind wäre wie du, würde ich das auch nicht glauben, aber du weißt doch auch nicht, was er auf seinen Geschäftsreisen so treibt."

Ich schaute sie angewidert an, stand auf und nahm ihr den Tequila ab, um einem kräftigen Schluck zu nehmen. Voller Hoffnung meine ganzen Probleme runterspülen zu können, nahm ich noch einen Schluck und reichte ihr dann wieder die Flasche.

"Ich will es auch gar nicht wissen."

Es verging eine Weile, in der ich wieder nervös hin und herlief und Juline auf ihrem Handy herumtippte, bis sie aufsprang und mir etwas auf ihrem Display zeigte.

"Heute ist eine Party bei Micah. Wir sollten dahin", meinte sie und ich spürte förmlich, wie sie versuchte, mir damit gute Laune zu machen.

"Meinst du er will uns überhaupt da haben? Und denk mal an Leyla", gab ich meiner besten Freundin zurück, die daraufhin die Augen verdrehte.

"Meine Güte. Micah ist so lange unser bester Freund.  Nur weil ihr euch einmal geküsst habt, muss das nicht vorbei sein und Leyla ist kein Problem. Sie ist mit ihren Eltern zu ihren Verwandten gefahren über die Ferien", grinste sie und zog dabei triumphierend eine Augenbraue hoch.

Ich überlegte kurz und schaute dann nochmal auf das Foto von uns am Strand, dass Micah gemacht hatte. Sie hatte Recht. Es war nur ein Kuss und ihm weiter aus dem Weg zugehen, machte ihn auch nicht wieder rückgängig.

"Aber ich brauch unbedingt was von dir zum Anziehen", erklärte ich ihr und schaute dabei in ihre blauen Augen.

Sie strahle über das ganze Gesicht und fing sofort an, alles mögliche an Kleidung aus ihrem Schrank zu reißen. Ich schaute dabei zu, wie das Bett immer weiter von Klamotten überfüllt wurde und zog mir dann eine helle Jeans und ein schwarzes Tshirt aus dem ganzen Kleiderhaufen heraus.

"Sicher das du das Tshirt willst?", fragte sie mich und ich schaute mir das Teil nochmal an. Es war schlicht, ja, aber nach dem heutigen Abend hatte ich auch wirklich keine Lust irgendwie aufzufallen.

"Ja, ich bin mir sicher", gab ich ihr zurück und zog mich dann bis auf die Unterwäsche aus, um die trockenen Klamotten überzuziehen. Juline machte sich mit mehreren Auswahlmöglichkeiten auf den Weg in ihr Badezimmer, während ich zu dem Spiegel ihres Kleiderschranks lief und meine nassen Haare mit dem Handtuch trocknete.

Ich schaute meinen grünen Augen im Spiegel entgegen und musste sofort wieder an meine Mutter denken, deren Augen meinen eins zu eins ähnelten. Wieder biss sich die Erinnerung fest und wieder bekam ich kaum Luft, von den Problemen, die schwer auf meinen Schultern lasteten. Am liebsten hätte ich mir sofort mein Handy gegriffen und meinen Vater angerufen, aber das konnte ich meiner Mutter nicht antun. Sie sollte es ihm selbst erklären sobald er zurück war und dafür würde ich auch sorgen.

"Wir können", teilte Juline mir mit, die im Türrahmen stand und sich noch hohe Schuhe anzog. Ich schnappte meine weißen Sneaker und folgte ihr dann nach unten, um gemeinsam das Haus zu verlassen.

____
1175 Wörter

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top