97: Blau
Blau. Ihre Augen waren blau. Das war aber auch das einzige, das ich an diesem Tag noch über sie erfuhr. Und selbst diese Information habe ich nur bekommen, weil Aubrey kurz aufgesehen hatte, als ich mit ihr reden wollte. Davon abgesehen hat sie den ganzen Nachmittag und Abend nur auf ihrem Stuhl gesessen, ihre Hände angestarrt, die sie auf ihren Beinen verschränkt hatte, und geschwiegen. Wenn ich ihren Herzschlag und Atem nicht gehört hätte, hätte ich gedacht, dass sie nur eine leblose Statue ist.
Meine Mutter würde diese Reaktion von ihr vermutlich mit einer extremen Schüchternheit begründen, aber auf mich wirkte ihr Verhalten einfach nur arrogant. Es ist doch nicht normal, dass man jemanden kennenlernt und nicht ein einziges Mal mit ihm redet.
Diese Zeit im Grill war in meinen Augen eigentlich eine verschwendete Zeit gewesen. Christine und Mom haben nur ganz kurz über einen passenden Zauber geredet und sich für morgen in Christines Wohnung verabredet, weil sie ihr Grimoire dort vergessen hatte. Danach hatten sie nur noch über belanglose Geschichten aus der Vergangenheit geredet, während ich immer mal wieder versucht hatte, ein Gespräch mit Aubrey anzufangen.
Als diese jedoch nur mit kleinen Gesten und verschreckten Blicken auf meine Versuche reagierte und beim vierten Mal nicht einmal mehr aufsah, hatte ich das auch aufgegeben und beschlossen, mich wichtigeren Dingen zu widmen. Was dann darauf hinauslief, dass ich genervt mit meinem Handy in der Hand am Tisch saß und mit Hope schrieb. Viel lieber hätte ich irgendetwas mit ihr unternommen. Ich wäre auch viel lieber alleine Zuhause gewesen. Hauptsache nicht im Grill. Aber es wäre auch unhöflich gewesen, einfach zu gehen, und so hatte Mom mich nun einmal nicht erzogen.
Dementsprechend erleichtert war ich, als ich mit ihr endlich wieder das Anwesen betrat.
"Und, wie fandest du sie?", fragte Mom mich leicht lächelnd, während sie gerade die Tür hinter uns abschloss.
"Willst du meine ehrliche Antwort oder die, die du hören willst?"
"Ich will immer deine ehrliche Antwort, Phil.", schmunzelte sie. "Auch wenn ich hoffe, dass sie auch die ist, die ich hören möchte."
"Okay. Ich fand sie... merkwürdig. Sie ist ja ganz hübsch, aber auch ziemlich arrogant."
"Arrogant?", wiederholte meine Mutter überrascht. "Wieso arrogant?"
"Sie hat kein einziges Wort mit mir geredet, Mom!"
Schockiert sah sie mich an und ich legte meinen Kopf leicht schief. Ich verstand ihre Reaktion nicht.
"Hast du Christine etwa nicht zugehört, als sie mit mir geredet hat?", fragte sie leise.
"Nein, natürlich nicht. Am Anfang noch, aber irgendwann habe ich damit aufgehört. Wieso, was hat sie gesagt?"
"Phil... Als Aubrey vier war, hatte sie einen Unfall. Sie ist stumm."
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