154: Suche

Aubreys P.o.V.

Entschlossen wischte ich mir meine Tränen von den Wangen und nahm mir mein Handy. Jetzt hatte ich immerhin einen Plan. Zumindest mehr oder weniger. Ich wusste, dass er eigentlich nicht gut genug war, um einfach so blind und ohne weiteres Nachdenken loszustürmen. Aber ich musste es trotzdem tun? Was sollte ich auch sonst machen? Jedenfalls würde ich meine Mutter nicht einfach so aufgeben, egal, was sie getan hatte. Ich konnte sie nicht einfach bei ihrer verrückten Familie lassen. Bei unserer verrückten Familie. Sie war dort in unglaublicher Gefahr. Schließlich war es noch nicht so lange her, dass sie sich selbst vor ihrer Familie versteckt hatte, damit sie keine Fragen stellen konnten, auf die sie keine Antwort gehabt hätte.

Auch wenn ich noch vor kurzer Zeit Angst vor Mom gehabt hatte, und auch wenn sie fest glaubte, dass ich sie hintergangen hatte, war sie immer noch meine Mutter. Niemand könnte an diesem Umstand etwas ändern. Sie hatte mich mein Leben lang vor unserem Zirkel beschützt, auf jede mögliche Art, die ihr eingefallen war. Ich hatte zwar nie wirklich das Gefühl gehabt, dass sie mich liebte, aber sie hatte trotzdem immer auf mich aufgepasst und dafür gesorgt, dass ich in Sicherheit war. Sie hatte mich immer vor unserer Familie versteckt und ich würde jetzt nicht zulassen, dass sie von genau dieser Familie gefangen gehalten, getötet oder noch Schlimmeres wurde. Ich stand gewissermaßen in Moms Schuld und ich könnte mich nicht eher ausruhen, bis ich wusste, dass sie in Sicherheit war.

Es war wahnsinnig, einfach zu ihnen zu gehen, ohne einen wirklichen Plan zu haben, das wusste ich selbst, aber ich hatte keine Wahl. Ich konnte nicht einfach zulassen, dass sie von den Menschen gefangen wird, vor denen sie mich jahrelang beschützt hatte. Was wäre ich für eine Tochter, wenn ich ihr jetzt nicht helfen würde? Ich könnte nie wieder guten Gewissens in den Spiegel sehen. Ich würde mich selbst verabscheuen. Ich musste ihr einfach helfen, das lag in meiner Natur.

Aber um das zu schaffen, brauchte ich nicht nur einen Plan, ich brauchte auch erst einmal genauere Informationen zu unserem Zirkel. Mom hatte mir schließlich nie verraten, wo wir eigentlich herkamen und wo genau unsere Familie wohnte. Dazu gab es ja auch nie einen Grund. Es hatte generell nie einen Grund für Mom gegeben, mit mir mehr zu reden als nötig. Schließlich hätte ich ihr ja auch nie antworten können. Also tat ich das einzige, was ich in dieser Situation tun konnte: Ich suchte im Internet nach unserem Familiennamen. Etwas Besseres fiel mir auch einfach nicht ein. Nach mehreren erfolglosen Ergebnissen stieß ich irgendwann endlich auf etwas, was zumindest ein wenig hilfreich war. Eine Seite von einem kleinen Kräuterladen, der einer alten Frau gehörte, bei der ich mir sicher war, dass sie auf die seltenen Beschreibungen meiner Mutter über ihre Mutter passt. Außerdem waren Hexen dafür bekannt, alle möglichen Kräuter zu brauchen und es gab nicht wenige, die aus diesem Grund auch ein eigenes Geschäft gründeten. Es war also durchaus wahrscheinlich, dass diese Frau meine Großmutter sein könnte. Zumindest war diese Möglichkeit wahrscheinlich genug, um das Risiko einzugehen und zu diesem Kräuterladen zu gehen. Er war nicht sehr weit von hier entfernt. Mit meiner neuen Vampirgeschwindigkeit würde das nicht mal eine Stunde dauern. Es wäre zwar anstrengend, aber ich könnte es schaffen, den Kräuterladen zu erreichen, meine Mutter zu finden und zu befreien und noch vor Sonnenaufgang zurück zu sein. Niemand müsste etwas davon mitbekommen.

Und das war schließlich entscheidend. Wenn Mary oder sogar Phil etwas von meinem Plan mitbekommen würden, würden sie das vermutlich niemals zulassen. Sie würden mich für wahnsinnig halten und alles unternehmen, um mich von meinem Vorhaben abzubringen. Aber das konnte ich nicht zulassen. Ich musste meine Mutter retten und das musste ich wohl alleine tun.

Also verdrängte ich alle Angst, die ich noch vor unserer Familie hatte, und stand leise auf. Ich versicherte mich, dass Phil und seine Mutter immer noch im Wohnzimmer saßen und öffnete dann beinahe lautlos das Fenster in meinem Zimmer. Zögernd sah ich nach unten. Ich war im ersten Stockwerk, bis nach unten waren es etwa fünf Meter. Das klang nicht nach sehr viel, aber dafür sah es umso höher aus. Trotzdem musste ich diesen Weg nach draußen nehmen, ich hatte keine Wahl. Wenn ich normal durch die Tür unten gehen würde, würde das sofort irgendjemand mitbekommen. Also riss ich mich zusammen und kletterte vorsichtig aus dem Fenster. Unsicher blieb ich eine Weile an der Kante sitzen, sagte mir dann aber, dass ich mich einfach nur überwinden musste. Ich war ein Vampir, mit Hexen- und Werwolfgenen. Ich war unsterblich. Und ich würde mich ganz sicher nicht bei einem Sprung aus dem Fenster verletzen. Das wäre doch absurd.

Mit diesem Gedanken stieß ich mich vom Fensterbrett ab und ließ mich nach unten fallen. Ich erwartete das Schlimmste, aber glücklicherweise landete ich weich auf dem Rasen vor dem Haus, ohne mich zu verletzen. Erleichtert atmete ich aus und auf meinen Gesicht breitete sich ein leichtes Lächeln aus, während ich mich wieder aufrichtete. So leise wie möglich lief ich los, nachdem ich mir den Dreck von meinen Klamotten geklopft hatte. Es hatte tatsächlich funktioniert. Ich wusste, dass das bei Weitem nicht das Gefährlichste an meinem Plan sein würde, aber dennoch war ich erleichtert, dass ich es zumindest geschafft hatte, ohne Verletzungen aus dem Haus zu schleichen. Mein ganzer Plan war bei genauerer Betrachtung wahnsinnig, das war mir klar. Dafür wusste ich jetzt immerhin, dass ich wirklich aus einem Fenster springen konnte, ohne mich zu verletzen. Und das war doch auch schon mal etwas Positives. Ich musste einfach nur optimistisch bleiben, dann würde ich den Rest auch noch schaffen.

Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen rannte ich also los und in Richtung des Waldes. Bevor ich jedoch die ersten Bäume erreichen konnte, packte mich plötzlich jemand an den Schultern und zwang mich so, stehen zu bleiben. Panisch fing ich an, mich zu wehren, aber ich konnte kaum klar denken und der Mann vor mir war stärker als ich. Ich hatte ein ganz schön großes Problem.

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