120: Mutterliebe
Fassungslos starrte ich auf die kleinen Zettel in meiner Hand und sah dann zu Aubrey, die noch immer am Fenster stand. Das konnte doch nicht wahr sein. Welche Mutter tut ihrem Kind so etwas an? Aber es war die Wahrheit, das spürte ich genau. Dieses Mal log sie mich nicht an.
"Das tut mir so unglaublich leid für dich.", flüsterte ich irgendwann leise. Eine Reaktion darauf erhielt ich nicht, ich konnte nicht einmal ihren Gesichtsausdruck sehen. Aber ich wusste nicht, was ich sonst sagen könnte. Was soll man denn auf so etwas antworten?
Glücklicherweise ersparte Aubrey es mir, noch mehr zu sagen, indem sie etwas Neues aufschrieb und sich dann zu mir umdrehte.
Ich möchte kein Mitleid. Ich war ja noch so jung, vermutlich hat es nicht einmal weh getan. Ich bin damit aufgewachsen, es ist normal für mich.
Ich sah auf den Zettel und dann hoch in ihre blauen Augen, in denen ich nur den Hauch von Traurigkeit erkennen konnte. Aber das reichte mir schon. "Ich werde einen Weg finden, um deine Stimme wiederzubekommen.", versprach ich ihr leise. Ihre Reaktion darauf kam für mich sehr überraschend. Sie schüttelte hektisch den Kopf.
"Aber warum nicht? Das hier ist nicht richtig, das weißt du. Ich möchte dir doch nur helfen!", erklärte ich, während sie bereits wieder schrieb.
Mom. Wenn herauskommt, dass sie meine fehlende Magie jahrelang vor dem Zirkel versteckt hat, wird sie mich umbringen müssen, um ihre Ehre wiederherzustellen.
"Aber ich werde das nicht zulassen. Sie wird dich nicht noch einmal so verletzen, du brauchst keine Angst vor ihr zu haben."
Ich habe auch keine Angst vor ihr, lautete Aubreys Antwort. Aber ich will nicht, dass sie vor diese Entscheidung gestellt wird. Das würde sie nicht ertragen.
"Du liebst sie.", stellte ich überrascht fest. "Trotz allem, was sie dir angetan hat? Du liebst sie mehr als das Leben, das du verdient hast?"
Natürlich liebe ich sie. Sie ist meine Mutter. Ich bin eine Schande für sie und genau deswegen bin ich ihr unglaublich dankbar, dass sie mich in ihrer Nähe duldet.
"Aber eine Mutter sollte doch viel mehr tun als das. Sie sollte ihr Kind lieben, beschützen und da sein, wenn es sie braucht."
Und das tut sie. Nur eben auf ihre ganz eigene Art.
"Also soll ich einfach mit ansehen, wie sie dir weiterhin alle Chancen auf ein normales, gesundes Leben nimmt, nur damit ihr eigenes Leben leichter wird? Das kann ich doch nicht einfach zulassen."
Wenn du mir wirklich helfen willst, dann solltest du das aber.
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