110: Neugier
Nur einige Augenblicke später war ich alleine mit Aubrey in unserem Wohnzimmer. Mom, Hope und Christine waren bereits nach oben gegangen und versuchten sich an dem Zauber für Hopes Doppelgänger.
"Wie... fühlt es sich an?", fragte ich Aubrey neugierig. Sie hatte bislang noch nichts gesagt und ich fragte mich momentan noch, ob sie das nur nicht tat, weil sie nicht wollte oder weil sie es immer noch nicht konnte.
Sie öffnete ihren Mund, brachte jedoch keinen Ton heraus, sodass sie mir nur ein schwaches Lächeln schenkte. Nachdenklich musterte ich sie. Sie sah überhaupt nicht überrascht aus, beinahe so, als hätte sie dieses Ergebnis von Anfang an erwartet. Ich hingegen war eigentlich davon ausgegangen, dass sie ihre Stimme wiederbekommen würde. Sie war jetzt schließlich Vampir, Werwolf und Hexe gleichzeitig, und dennoch heilten ihre Stimmbänder nicht? Was für eine furchtbare Verletzung musste das sein? Oder hatte das alles einen ganz anderen Grund?
Statt sie das jetzt allerdings zu fragen, lächelte ich Aubrey einfach nur leicht an und reichte ihr einen Block und Stift.
'Es fühlt sich anders an. Ich fühle mich stärker, alles ist so viel intensiver. Ich muss mich wohl erst daran gewöhnen.', lautete ihre Antwort auf meine ursprüngliche Frage.
"Ja, du musst erst lernen, mit den verstärkten Gefühlen und Sinnen umzugehen, das ist bestimmt nicht leicht."
Sie fing wieder an zu schreiben und geduldig wartete ich, bis sie fertig war. 'Wie hast du es damals geschafft, dich daran zu gewöhnen?'
"Oh, ich musste mich gar nicht daran gewöhnen.", erwiderte ich und erklärte auf ihren fragenden Blick hin sofort weiter. "Ich bin zwar ein Hybrid, Hexer und Vampir, aber ich wurde ja nie wirklich geschaffen. Die Umstände meiner Geburt haben mich zu dem Wesen gemacht, das ich heute bin. Ich bin also schon mit meiner Vampirseite aufgewachsen, für mich ist sie normal."
'Das heißt, du weißt gar nicht, wie ein normaler Mensch fühlt?', zeigte sie mir ihre nächste Frage und ich schüttelte daraufhin leicht den Kopf.
"Nein, dazu hatte ich nie die Chance. Aber ich sehe das auch nicht als so einen großen Verlust. Jeder in meinem Umfeld ist zumindest zum Teil Vampir, ich musste nie etwas anderes kennen. Als ich früher in der Schule war, war es erst merkwürdig, plötzlich unter normalen Menschen zu sein, schließlich habe ich ihr Verhalten nie wirklich verstanden. Aber auch daran gewöhnt man sich mit der Zeit."
Sofort schrieb Aubrey wieder etwas auf, strich das dann aber plötzlich wieder durch, was mich dazu brachte, ihr über die Schulter zu sehen.
'Wieso hattest du nicht schon eher Kontakt zu Menschen?', stand da in ihrer geschwungenen Handschrift. Bevor ich zu einer Antwort ansetzen konnte, schrieb sie allerdings sofort etwas Neues darunter. 'Ich wollte nicht fragen, das geht mich nichts an. Tut mir leid, ich stelle zu viele Fragen.'
"Nein, nein, es ist vollkommen in Ordnung, Fragen zu stellen. Ich freue mich, wenn ich dir helfen kann.", beruhigte ich sie sofort. "Ich werde dir gerne jede Frage beantworten. Ich hatte nicht viel Kontakt zu Menschen, weil Mom damals befürchtet hatte, dass uns irgendetwas oder irgendjemand verraten könnte. Wir wären nicht mehr sicher gewesen. Siehst du, es ist egal, welche Frage du mir stellst. Ich werde dir jede einzelne beantworten. Das einzige, worum ich dich bitte, ist..."
Für einen kurzen Moment zögerte ich und sah in ihre blauen Augen, bevor ich mich doch dazu entschloss, meinen Satz zu beenden: "Ich möchte, dass du mir auch eine Frage beantwortest. Wieso redest du trotz deiner Verwandlung nicht?"
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