126: Time
"Du bist seit etwas mehr als einem Monat hier.", antwortete Elijah leise. "Und das letzte Mal, dass Niklaus in der Zelle war... war vor zwei Wochen."
Ich schluckte kurz und versuchte dann, meinen Bruder leicht anzulächeln, damit er sich keine Schuldgefühle machte. Ich wusste schließlich, wie schnell er sich selbst Vorwürfe machte, dass er seine Familie nicht beschützt hatte. Aber das kam offensichtlich zu spät, wenn ich mir seinen Gesichtsausdruck ansah.
"Es tut mir leid, Marianne. Ich hatte das Messer damals nur ein paar Stunden in mir und bin schon innerlich tausend Tode gestorben... Wenn ich mir vorstelle, das ganze zwei Wochen durchleben zu müssen... Dass du dich jetzt noch so vernünftigen mit mir unterhalten kannst, macht dich zu einer der stärksten Personen, die ich kenne."
"Du trägst keine Schuld daran und musst dich auch nicht bei mir entschuldigen. Wie oft soll ich dir das denn noch sagen? Außerdem bin ich nicht stark. Du hast doch selbst gesehen, wie stark ich gerade war. Ich bin zusammengebrochen, Elijah. Und wo wir schon dabei sind, tut mir leid, dass ich dein Hemd versaut habe.", meinte ich und sah auf den großen Tränenfleck auf seinem sonst makellosen Hemd.
"Ich denke, mein Anzug ist hier wohl das kleinste Problem. Außerdem ist es völlig verständlich, dass man nach so einem... Erlebnis zusammenbricht. Selbst Niklaus könnte danach nicht einfach so aufstehen und ganz normal weitermachen. Aber es geht darum, dass du jetzt, nur so kurze Zeit später, schon wieder aufrecht stehst und dir Gedanken über die Gefühle anderer machen kannst."
"Danke, Elijah. Weißt du, wie es... Phil geht?", fragte ich vorsichtig. Seit sieben Jahren war ich fast jeden Tag an seiner Seite und jetzt hatte ich ihn seit einem Monat nicht mehr gesehen. Aber die Gefahr, dass ich ihn verletzen könnte, war einfach zu groß. Ich war zu gefährlich für ihn und ich hasste es.
"Er liebt dich, Anni. Ihm geht es gut, aber er vermisst dich. Er fragt jeden Tag mindestens drei Mal nach dir, obwohl er immer nur die gleiche Antwort kriegt. Und er ist es auch, der am meisten versucht, zu dir zu kommen. Du solltest dich nicht von ihm abschotten, das verletzt euch nur beide."
"Ich weiß.", meinte ich und sah wieder nachdenklich auf den Boden. "Aber es ist einfach zu gefährlich. Das Risiko, dass ich wieder die Kontrolle verliere, ist einfach viel zu groß. Damals hätte ich... ich hätte... ihn umgebracht. Es ist ja schön, dass er mich anscheinend trotzdem noch vermisst, aber ich kann mir das einfach nicht verzeihen. Jedenfalls noch nicht jetzt. Nicht wenn es jederzeit wieder passieren könnte."
Elijah schwieg daraufhin nur, bis ich irgendwann das Thema wechselte, indem ich fragte: "Hast du schon... Irgendetwas herausbekommen, was Hexen angeht, die gerne die Handlungen von Urhybriden beeinflussen?"
"Nein. Wobei... vielleicht. Niemand konnte mir irgendetwas Hilfreiches zu diesem Thema sagen, aber ich war bei einer alten Hexe. Eine sehr alte Hexe, stumm und taub, und vermutlich auch ziemlich vergesslich. Sie hat mich nicht reingelassen, aber bevor ich etwas sagen konnte, hat sie mir das hier in die Hand gedrückt."
Er holte einen alten, vergilbten Zettel aus seiner Anzugtasche und reichte ihn mir.
"Was ist das?", fragte ich.
"Ich weiß es nicht. Bevor ich sie das fragen konnte, hat sie die Tür geschlossen und das ganze Haus ist wortwörtlich verschwunden. Vielleicht hat das etwas zu bedeuten, vielleicht ist das irgendeine alte Prophezeiung. Aber sie ergibt keinen Sinn und ist unvollständig. Aber möglicherweise kannst du als Superhexe ja herausfinden, was diese sinnlosen Wörter bedeuten."
Wortlos sah ich mir den Zettel an, auch wenn einige Wörter durch Löcher im Papier oder Tintenflecke nicht zu entziffern waren. Es war auf englisch, wenigstens etwas, aber Elijah hatte Recht. Das hier ergab wirklich überhaupt keinen Sinn...
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