Ein Sternentraum
Y/N POV
Ich folgte ihm also rasch durch die verhasste Stahltür, bevor er es sich womöglich noch anders überlegte. Bei Hongjoong wusste man schließlich nie, woran man ist.
Er schien ein Ziel zu haben, denn er lief zügig vorneweg. Ich folgte ihm mit etwas Abstand und sah mich neugierig um. Bei meinem Fluchtversuch hatte ich mich so sehr auf das Rennen konzentriert, dass ich die Umgebung um mich her fast völligst ausgeblendet hatte.
Wir liefen durch einen langen, schmalen Gang, von dem rechts und links Räume mit Stahl- oder Gittertüren abgingen. Bis auf das Wiederhallen unserer Schritte auf dem glatten Boden, war es beklemmend still.
Der Anblick der vielen Türen- die alle ähnlich aussahen, wie die Tür zu meinem Verließ, ließ es mir seltsam flau im Bauch werden. Ich bin und war hier bestimmt nicht die einzige Gefangene.
Plötzlich fürchtete ich, dass wir Wooyoung über den Weg laufen könnten, oder er mich plötzlich aus einer dieser vielen Türen anspringen könnte.
Ich schloss etwas zu Hongjoong auf, versuchte aber im Laufen noch immer, so viele Informationen, wie möglich aufzunehmen. Auch wenn mein letzter Fluchtversuch missglückt war, so war das Kapitel für mich noch nicht abgeschlossen.
Ein Teil von mir wäre am liebsten gleich schon losgerannt, aber Hongjoong war schnell und wahrscheinlich waren noch mehr von ihnen im Gebäude und bei meinem Pech lief ich womöglich Wooyoung direkt in die Arme.
Außerdem war ich neugierig, was Hongjoong vorhatte und wo er mich hinbrachte.
Er wirkte entspannt. Seine Schulterpartie war gelöst und seine Arme hatte er beim Laufen locker neben dem Körper. Ich konnte kein Zeichen von Anspannung entdecken.
War er sich so sicher, dass ich nicht versuchen würde zu fliehen? Ich zögerte kurz und er drehte sich sofort zu mir um und sah mich wachsam an. Ahja, na hätte ich doch wissen müssen, dass er, trotz seiner lockeren Fassade, ganz genau auf jeden meiner Schritte achtete.
"Kommst du?," fragte er und auch wenn er noch nicht gereizt oder verärgert klang, so wusste ich doch, dass es nur einen Tropfen benötigte, um das Fass zum überlaufen zu bringen und dieser Tropfen, wollte ich jetzt nicht sein.
Ich schloss also ganz zu ihm auf und lief jetzt direkt neben ihm.
Wir erreichten eine Treppe und liefen nach oben, mein Herz schlug schneller, als ich merkte, dass er mit mir aufs Dach wollte.
Ich konnte es kaum erwarten, nach draußen zu kommen und frische Luft zu atmen. War es jetzt Tag oder Nacht? Ich wusste es nicht, aber alles war besser, als dieses kränkliche Licht aus den Leuchtstoffröhren in diesem alten, abgefrackten Gebäude. Obwohl es ein altes Lagerhaus zu sein schien, hatte es die kalte Atmosphäre eines Krankenhauses. Und ich habe Krankenhäuser schon immer gehasst.
"Langsam" lachte er rauh, als er die Tür aufstieß und ich mich an ihm vorbei quetschte um raus zu kommen. Ich ignorierte ihn und trat eilig nach draußen.
Es war Nacht.
Die Luft war kühl und seltsam klar. Sie roch kaum nach Abgasen.
Ich war nicht enttäuscht, dass es bereits Nacht war. Alles war besser, als diese stickige Zelle. Ich zog begierig die kühle Nachtluft durch die Nase ein, und spürte, wie sie zunächst meinen Brustkorb und dann meinen Bauch füllte.
Ich fühlte mich so lebendig wie lange nicht und merkte augenblicklich, dass ich bereits einen Teil von mir verloren hatte in dieser verdammten Zelle. Auch wenn mein Verstand das hätte nicht näher beschreiben können, so wurde mir in diesem Moment bewusst, dass in mir etwas kaputt gegangen war. Unwiederbringlich. Die frische, klare Nachtluft vermochte, diese Wunde nicht zu heilen, aber sie gab mir Kraft und Trost zugleich. Sie durchströmte mich und belebte jede einzelne Zelle meines Körpers. Ich genoss das Gefühl, gab mich ihm hin und lauschte.
Es war seltsam still, der Verkehr den man als monotones Brummen hörte, musste weit weg sein.
Ansonsten hörte man nichts. Kein Hundgebell, keine Stimmen, kein Lachen, keine Musik, - waren wir etwa nicht mehr in Seoul? Wie konnte es so still sein? Ich reckte den Kopf, in der Hoffnung etwas zu entdecken, das mir verraten würde, wo wir uns befanden. Aber ich sah nichts.
Es war so dunkel?
Durch die geöffnete Tür fiel gelbes Licht und zeichnete ein Viereck auf das Flachdach, dann begann eine Dunkelheit, die sich am Rand des Daches zu einem fast undurchdringlichen nachtschwarz verdichtet hatte.
Wie konnte es so dunkel sein? Ich sah mich neugierig um. Da rechts von mir, sah ich Lichter am Horizont, auch Hochhäuser, dort war der Himmel deutlich heller. Waren wir also am Rand von Seoul?
Ich lief ein paar Schritte. Doch Hongjoong war sofort neben mir und griff nach meinem Arm.
"Vorsicht" warnte er, "das Dach ist nicht gesichert". Würde es ihm denn etwas ausmachen, wenn ich vom Dach fallen würde? Ich blieb stehen und starrte ins Dunkel vor mir und konnte tatsächlich weder eine Brüstung noch ein Geländer entdecken.
"Schau mal nach oben" flüsterte mir Hongjoong jetzt ins Ohr und obwohl mich seine Nähe irritierte, hob ich meinen Kopf und es verschlug mir die Sprache. So einen schönen Sternenhimmel hatte ich noch nie gesehen.
Durch die Dunkelheit ringsumher funkelten abermillionen kleine Lichtpunkte über uns.
Zu Hause war ich immer schon froh, wenn ich von meiner kleinen Dachterasse aus den Mond entdecken konnte und mit ganz viel Glück sah man auch mal ein, zwei sehr helle Sterne, bei denen es sich sicher um Planeten handelte.
Für mehr war es in Seoul sonst einfach zu hell. Die Lichter der vielen Geschäfte, Bars, Restaurants, Wohnungen, Werbeanzeigen, Straßenlaternern, Autos, selbst der Industrieanlagen waren einfach so viele an der Zahl, dass immer eine Lichtglocke um die Stadt lag und den natürlichen Sternenzauber vor den Blicken der Einwohner verbarg.
Es hatte die ganze Zeit so ein Himmel über mir existiert und ich habe ihn nie gesehen!
Es war atemberaubend schön!
Ich zuckte leicht zusammen als es hinter mir polterte. Hongjoong und eine weitere Person stellten gerade zwei Stühle und einen kleinen Tisch auf. Ich sah beide vor dem gelben Licht der Tür nur als schwarze schemenhafte Gestalten. Von der Statur her, tippte ich bei der zweiten Person auf Seonghwa.
Ich hatte gar nicht bemerkt, dass Hongjoong mich losgelassen und sich entfernt hatte.
Ich trat ein paar Schritte näher heran. Die zwei geflochtenen Bistrostühle und der kleine runde Tisch, hätten auch in dem Straßencafé bei mir um die Ecke stehen können. Seonghwa legte eben noch eine dicke Decke auf jeden der Stühle, dann verschwand er wieder durch die offene Tür im Haus. Auf dem kleinen Tisch stand schon eine dampfende, bauchige Tasse.
"Setz dich!" wies mich Hongjoong nun an.
Ich war von allem noch ganz perplex, von der Tatsache, dass er mich hier raus gebracht hatte und von der Existenz, der Schönheit und der Anzahl dieser vielen Sterne über mir. Ich nahm also schweigend Platz und huschelte mich in die Decke, die auf meinem Stuhl lag, ein. Zu meiner Freude roch sie überhaupt nicht muffelig, sondern ein bisschen nach Kiefernadeln.
"Für dich von Seonghwa" Hongjoong zeigte auf die Tasse und lehnte sich selbst in seinem Stuhl zurück.
Ich nahm sie neugierig und nippte daran. Es war warme Milch mit Honig, viel Honig und einen Hauch von Zimt, der mir in die Nase stieg. Die Milch floss warm in meinem Mund und hinterließ nach dem Schlucken einen samtigen Film, und die Süße des Honigs einen zuckersüßen Nachgeschmack. Ich nippte an diesem süßen Getränk und hielt die Tasse mit beiden Händen umfasst.
Ich verstand es nicht. War das neben mir wirklich Hongjoong? Aus den Augenwinkel schielte ich verstohlen zu ihm rüber, aber er saß zurück gelehnt in seinem Stuhl und sah nach oben in den Sternenhimmel.
Da mein Verstand die Situation nicht recht begreifen konnte, konzentrierte ich mich auf mein Gefühl. Mit der warmen Tasse in meiner Hand, der weichen, huscheligen Decke um mich drumrum, der klaren Nachtluft und dem wunderschönen Nachthimmel über mir ging es mir so gut wie lange nicht. Für den Moment fühlte ich mich fast glücklich.
Aber nur fast. Mein Entführer saß direkt neben mir. Und ich wusste immer noch nicht, weshalb er mich hier überhaupt festhielt. Da ich merkte, wie ich langsam kalte Füße bekam, huschelte ich mich noch tiefer in die Decke ein.
Offene Fragen drängten sich in mein Bewusstsein. Aber ich zögerte, sie auszusprechen. Ich wusste, dass er mir keine klaren Antworten geben würde und ich hatte Angst den Moment zu zerstören, wusste ich doch, wie leicht reizbar er war.
Dennoch. Heute hat er sich komplett anders verhalten als sonst.
Erneut warf ich ihm einen heimlichen Blick zu.
Und wenn er heute nicht da gewesen wäre...
"Danke" murmelte ich in die dicke bauchige Tasse vor meinem Mund.
Ich hatte es so leise gesagt, dass ich nicht sicher war, ob er es überhaupt gehört hatte. Wieder sah ich unsicher zu ihm rüber.
"Schon gut" antworte er und dann murmelte er noch etwas, dass ich aber nicht verstand, da es zu leise war.
Es war so gemütlich in meiner Decke und ich merkte, wie es mir im Kopf immer dösiger wurde. Ich huschelte mich noch mehr in die Decke ein und kam zu dem Schluss, dass ich mich bei der Rangelei mit Wooyoung wohl irgendwie am Kopf verletzt haben musste und mir das jetzt sicher alles nur einbildete oder ich lag gerade vollkommen geschafft von dem Erlebten in meinem kratzigen, muffeligen Bett und träumte diesen wunderschönen Traum.
Wäre es mir nicht zu doof gewesen, hätte ich Hongjoong am liebsten gebeten, mich mal zu kneifen, aber so wartete ich einfach ab und wünschte mir, dass dieser Traum, nicht so schnell enden würde.
Hongjoong POV
Ich habe sie mitgenommen. Mit raus. Einfach so.
Ich weiß selbst nicht, wieso ich auf einmal so weich war.
Wooyoungs Aktion hatte mich echt aufgeregt und ich war mehr als heilfroh, dass ich noch rechtzeitig gekommen war. Wahrscheinlich war ich nun deshalb so nachsichtig. Ich seufzte und sah zu ihr rüber. Sie saß eingehuschelt in eine Decke im Stuhl neben mir, ihr Kopf war nach rechts auf ihre Schulter gesunken, sie atmete flach aber gleichmäßig. Sie war eingeschlafen.
Ich rückte näher zu ihr ran. Um ihren Mund erkannte ich ein kleines weißes Milchbärtchen und ein zarter Duft nach Milch und Honig wehte mir entgegen. Seonghwa konnte es auch nicht lassen, sie zu verwöhnen.
Ich konnte selbst in dieser Dunkelheit noch erkennen, wie blass sie war und wie eingefallen ihre Wangen. Ihre Wangenknochen zeichneten sich deutlich ab, bei besserem Licht hätte ich bestimmt auch noch bläuliche Verfärbungen sehen können, Hämatome, von mir oder von Wooyoung.
Ich fuhr mir mit der Hand durch die Haare und hätte am liebsten laut geschrien, aber dann hätte ich sie womöglich geweckt.
Ich schluckte meinen Frust hinunter und streckte meine Hand nach ihr aus. Ich strich ihr sacht eine Haarsträhne aus der Stirn, sehr darauf bedacht, sie nicht zu wecken.
Die Situation war auch für mich neu. Wir hatten hier schon viele festgehalten, aber bisher keine Frauen, und noch nie jemanden, der mit den Angelegenheiten der Mafia nichts zu tun hatte.
Bin ich womöglich zu weit gegangen?
Oder war das jetzt ein Fehler?
Hier mit ihr zu sitzen?
Ich habe sie extra hierher gebracht, damit sie nicht gefunden wird und dann schleppe ich sie in einem Anflug von schon fast peinlicher Sentimentalität mit raus aufs Dach.
Glückwunsch Hongjoong! Ganz toll gemacht!
In einem erneuten Anflug von Frust sprang ich auf und kickte den kleinen Tisch um, die bauchige Tasse zerbrach und zersprang in viele, kleine Scherben. Ich ließ sie liegen und beugte mich über Y/N. Ich nahm sie samt Decke hoch und trug sie nach drinnen.
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