Ich war am Rand der Verzweiflung. Ich musste mittlerweile so dringend Pipi, dass es mir schon fast zu den Ohren rauskam und ich an nichts anderes mehr denken konnte, außer noch an meinen unsagbar großen Durst, an den mich mein kratzender Hals permanent erinnerte.
Ich wusste nicht, was schlimmer war von Beidem. Ich kniff die Beine und die Zähne zusammen und versuchte an andere Dinge zu denken, als an diese beiden dringensten Bedürfnisse.
Aber ich schaffte es nicht. In meinem Kopf tanzten Toiletten und Wassergläser Ringelreihe. Ich hielt es nicht aus. Ich schrie. Und lauschte. Nix zu hören.
Ich schrie erneut. Selbes Ergebnis. Niemand kam.
Ich will mir auf keinen Fall in die Hosen machen, das wäre mir dann doch zu peinlich.
Ich musste also weiter durchhalten. Aber es tat schon körperlich weh.
Als ich das Piepen der Tür vernahm und das kleine Lämpchen grün statt rot aufleuchtete, war ich super erleichtert.
Aber mein Verstand, der anscheinend im Ringelreihen der Toiletten und Wassergläser nicht untergegangen war, warnte mich eindringlich.
Ich rechnete fest damit, dass die Tür, wenn sie gleich zur Seite glitt, die Sicht auf diesen arroganten Wolfstyp freigeben würde. Ich war bei weitem nicht scharf darauf ihn wiederzusehen. Wenn ich an ihn dachte, spürte ich Bitterkeit, selbst jetzt, in meinem verzweifeltem Zustand. Ich wollte ihn nicht sehen. Ich hatte keine Ahnung, wie ich mich ihm gegenüber verhalten sollte und ich hatte Angst vor ihm. Ich wusste ja auch immer noch nichts. Ich kenne noch nicht mal seinen Namen.
Aber egal. Er hat den verdammten Schlüssel. Er muss mich los machen. Er muss einfach.
Ich hatte hier jetzt schon seit Stunden die Beine überkreuzt und würde es sicher nicht mehr lange halten können.
Als der Typ nun eintrat, stutzte ich.
Es war nicht der Wolf Typ! Es war.... Yunho???
Freude flammte wie ein Feuer in mir auf. Mein Verstand löschte den Brand jedoch sofort wieder, bevor er sich überhaupt ausbreiten und Reaktionen meinerseits auslösen konnte mit einem Schwall eiskalter Erkenntnis.
Es stimmte nicht. Er kommt nicht um mich hier rauszuholen.
Seine Augen: Viel zu schmal. Sein Blick: zu wissend. Sein Gang : zu ruhig. Keine Spur von Hektik a la 'los komm schnell raus hier, wir haben nicht viel Zeit'.
Außerdem: Welcher Retter trägt bitte ein Tablett mit sich herum?
Ich erstarre. Alles erstarrt. Als mir die Bedeutung dieser Dinge bewusst wird. Sogar der Drang Pipi zu müssen und mein Durstgefühl sind im Moment weg. Erstarrt.
Nein. Das kann nicht sein. Yunho kann nicht...
Doch...er kann. Mein Verstand wusste es und nickt zufrieden. Endlich ergibt alles einen Sinn. Sein plötzlicher Wechsel mitten im Semester, sein komisches leicht aufdringliches, anhängliches Verhalten. Mein Verstand hatte ja gleich gewusst, dass da was faul sein musste, so hatten sich Typen in meiner Nähe schließlich vorher noch nie verhalten...
Der Rest von mir tat sich schwerer, das alles zu begreifen.
Welche Scheiße lief denn hier bitte ab?
Ich wollte schreien vor Wut, Traurigkeit und Verzweiflung.
Aber ich blieb still.
Ich starrte ihn mit aufgerissenen Augen und offenem Mund an und meine Tränen bahnten sich von ganz alleine ihren Weg über meine Wangen.
Leider ließ dadurch der Druck auf meiner Blase auch nicht nach.
"Y/N" sagt er.
Ich schlucke seinen Namen, der mir ebenfalls auf der Zunge liegt, runter.
Wusste ich denn, ob es überhaupt wirklich sein Name war?
Er hatte mich schließlich nur verarscht.
Ich zerrte an meiner Fessel und lenkte damit seine Aufmerksamkeit zu meiner Handschelle.
"Kannst du mich losmachen ?" frage ich ihn um Ausdruckslosigkeit bemüht, meine Tränen machen die Bemühungen aber zu nichte. "Ich muss wirklich mal dringend." füge ich noch an.
Das war jetzt mein dringenstes Problem. Um den Rest konnte ich mich später kümmern.
Eins nach dem Anderen. Immer schön pragmatisch denken. So wie Dad es mir beigebracht hatte.
Yunho? nickte und kam zu mir.
Als er sich nun über mich beugte um die Fessel zu lösen, war mir das sehr unangenehm.
Er war fremd für mich. Absolut fremd. Ich wollte nicht, dass er mir so nah kam. Aber ich hielt still und vermied seinen Blick.
Kaum war die Handschelle von meinem Handgelenk gerutscht, hechtete ich aus dem Bett.
Ich verschwand im Bad und schloss die Tür hinter mir.
Na toll. Sie ließ sich natürlich nicht abschließen. Was hatte ich auch erwartet?
Mit einem Laut irgendwo zwischen Seufzen und Fluchen ließ ich mich erleichtert aufs Klo sinken.
Als ich wieder raus kam, saß Yunho? auf dem Rand der Liege, allerdings am Fußende und sah mich an.
Ich blieb an der Tür zum Bad stehen und lehnte mich dagegen um ein bisschen zusätzlichen Halt zu finden. Ich atmete tief aus.
"Wieso?" frage ich ihn jetzt.
Er seufzt, schüttelt den Kopf und sieht betreten zu Boden.
Aber nur kurz, dann schien er sich gefasst zu haben, und sah mir direkt in die Augen.
"Das kann ich dir nicht sagen"
"Was du nicht sagst!" fauche ich nun wütend "du hast mich komplett verarscht!"
Er nickt mit unbewegter Mimik. "Ich weiß." und deutlich leiser "Es tut mir leid."
Am liebsten hätte ich ihm gesagt "sag das nochmal" weil es viel zu leise war, aber was hätte es mir genutzt?
Ich schnaube.
"Ich habe dir was mitgebracht." sagt er nun und deutet auf das Tablett neben mir auf dem Tisch.
Ich überkreuze abwehrend die Arme vor der Brust. Am liebsten hätte ich mich jetzt demonstrativ weggedreht, aber mein Blick blieb an dem Glas mit Wasser hängen.
Wie herrlich es im Glas perlte. Ich schluckte. Und in der Schüssel daneben, die noch leicht dampfte, erkannte ich helle Brühe. Das war genau das, was ich jetzt brauchte. Ich schluckte erneut. Mein Hals war immer noch kratzig.
Ich näherte mich nun also doch langsam dem Tisch. Sah aber nochmal unsicher zu Yunho rüber.
Er lachte. "Nun greif schon zu. Das Essen ist in Ordnung. Es ist eine Hühnerbrühe aus der Tüte."
Ich nickte. Obwohl er mir im Grunde ja wer weiß was erzählen konnte. So wie in der Vergangenheit. Bitterkeit breitete sich in meinem Mund aus und das Bedürfnis etwas zu trinken wurde noch stärker.
Ich griff nach dem Wasserglas und trank es in gierigen Schlucken leer. Dann setzte ich mich auf den Bettrand und nahm die Suppenschüssel auf meinen Schoß.
Ich sah nochmal zu Yunho? Dieser nickte mir aufmunternd zu.
Ich seufzte leise. Wenn sie mich umbringen wollen, können sie das eh und eh. Es gibt schlimmere Methoden als vergiftet zu werden, schätze ich..
Ich greife nach dem Löffel und beginne zu essen. Aus den Augenwinkeln sehe ich wie Yunho ? lächelt.
Ich ignoriere es und versuche mich voll und ganz auf das Essen und die damit verbundenen Eindrücke zu konzentrieren.
Das warme Gefühl der Schale in meinen Händen, wenn ich die Fingerspitzen zu lange an der gleichen Stelle liegen ließ, wurde es mir fast schon zu heiß. Daher drehte ich die Schüssel immer mal wieder in den Händen und hob die einzelnen Finger kurz mal an.
Der würzige Geruch nach Kreuzkümmel und Koriander, der mir in die Nase stieg. Der Geschmack, den man als leicht fettig einstufen konnte, obwohl die Brühe keinen nennenswerten Fleischanteil hatte, nur so ganz kleine Faserchen, die darin herum schwammen. Da gab es doch diese eine Bezeichnung für?? Wie war die noch gleich? Achja umami.
Aber es nützte nichts. Jetzt da mein Durst gestillt war, nahm das bittere Gefühl, das von innen an mir nagte stetig zu. Es fraß mich von innen her auf. Ich fühlte mich verraten. Davon konnte ich mich nicht länger ablenken. Ich legte den Löffel weg.
Ich brauche lange, bis ich mich neuen Menschen öffne , mit ihnen warm werde oder ihnen vertraue. Zu Yunho hatte ich außergewöhnlich schnell Vertrauen gefasst. Klar hatte ich mich etwas gewundert, aber ich hatte den Zweifel zurück gedrängt und es genossen, dass er so gegensätzlich von mir war.
Ich seufzte. Die Suppe war leer.
"Möchtest du noch mehr?" fragte Yunho jetzt.
Ich schüttel den Kopf.
Wir beide sehen uns an und sehen wieder weg.
"Warum?" frage ich leise.
"Ich wollte nicht, dass es so kommt" sagt er. Und irgendwie komme ich nicht umhin ihm zu glauben aber das war nicht die Antwort auf meine Frage.
Wir schweigen uns eine Weile an.
Anscheinend ist es ihm unangnehm denn er fragt "Soll ich gehen?"
Ja! nein? Ich weiß es nicht!
Ich zucke die Schultern und merke, wei mir wieder Tränen in die Augen steigen. Ich versuche sie zurück zu halten.
"Ich weiß es nicht." gebe ich zu. Er nickt und bleibt.
Nach einer Weile, schaffe ich es wieder etwas gefasster zu sein.
"Ist Yunho dein richtiger Name?" frage ich.
"Ja" er nickt und lächelt mich an. Ich wische mir die Tränen aus den Augen und betrachte ihn genauer. Von Kopf bis Fuß.
Erst jetzt bemerke ich den Verband an seinem Fuß. Bisher war ich wohl zu sehr mit mir beschäftigt gewesen.
"War das Jungkook?" frage ich.
Sein Gesichtsausdruck schlägt sofort um, wird grimmig, Sein Mund ist fest zusammengekniffen.
Ich weiche ein kleines Stück zurück. "Was ist passiert im Treppenhaus?" frage ich.
"Na was wohl? Er hat mir in den Fuß geschossen" sagte er frustriert. An seiner Stimme ist deutlich zu hören, wie ätzend er es findet, daran erinnert zu werden.
Er zeigt auf meinen Verband. "Wie geht es deiner Verletzung?"
Ich lasse meine Schultern fallen, "Es geht. Es tut nicht mehr weh als der Rest." Damit meine ich mein Herz, meine Psyche. Um ehrlich zu sein, bin ich mir nicht sicher, ob ich stark genug bin, dass alles hier zu verarbeiten.
Er scheint zu verstehen, was ich sagen will. Ich sehe Verständnis in seinen Augen.
Ich betrachte ihn. Wie er da steht und mich mitfühlend ansieht. Obwohl sein Blick gerade warm ist, fühlt es sich seltsam fremd an. Er fühlt sich fremd an.
"An der Uni warst du immer so locker und lustig" sage ich jetzt. Er lacht und es funkelt kurz in seinen Augen "das bin ich hier auch" Er macht einen Schritt auf mich zu "weißt du, es war nicht alles Fake."
Ich weiche zurück und hebe abwehrend die Hände.
Er bleibt gott sei dank sofort stehen.
Dafür bin ich nicht nur Gott dankbar sondern vorallem Yunho.
"Ich muss damit erst klar kommen" sage ich entschuldigend und sehe auf den dreckigen Boden.
Im Stillen meckere ich mit mir selbst. Ich muss mich doch bei dem nicht entschuldigen. Er ist schließlich mit verantwortlich für meine Lage.
"Ich weiß" sagt er schlicht.
Es ist mir super unangenehm, dass er hier ist nach alldem. Es fühlt sich an wie Hochverrat. Meine Wangen glühen leicht, ich muss keinen Spiegel haben, um zu wissen, dass sie rot leuchten.
Gleichzeitg bin ich froh, etwas Bekanntes hier zu haben, in diesem Drecksloch, dass mir sonst den Verstand rauben würde. Zumal er bisher ja auch auf Abstand bleibt und mich besser behandelt als der Wolftyp.
Diese Wiedersprüchlichkeit zerreist mich. Ich merke, wie ich leicht anfange zu zittern.
Es beginnt mit meiner Unterlippe.
Sofort ist er bei mir. Ich will ihn wegschieben.
Doch er lässt mich nicht.
Er lässt sich nicht beirren und greift mich sanft am Arm.
"Komm. Ruh dich aus. " Er drückt mich sanft auf dem Bett nach hinten. Mit großen Augen starre ich ihn an "Das war viel für dich. Ich gehe jetzt erstmal und komme einander Mal wieder. "
Ich seh ihn an und nicke.
Ein Lächeln huscht über sein Gesicht und er nickt ebenfalls. Dann erhebt er sich und geht zur Tür.
Ich sehe ihm nach. Als die rote Lampe wieder blinkt bin ich seltsam erleichtert.
Das war jetzt wirklich aller höchste Eisenbahn. Zum einen, dass ich rechtzeitig auf klo gehen konnte und zum anderen, dass ich etwas habe an dem ich mich festhalten kann, um hier in diesem Drecksloch nicht verrückt zu werden. Und wenn es sein vertrautes Gesicht ist, war das schon besser als nichts.
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