13. Wenn man mit dem Feuer spielt...

SOPHIE:

Ich stehe immer noch wie versteinert da und kann mich nicht rühren, obwohl der Geist schon seit ein paar Minuten verschwunden ist. Das Licht hat er uns auch nicht wieder eingeschaltet.

Seit der Sherriff meinen Namen genannt hat, scharen sich alle möglichen Leute um mich. In der dunklen Halle ist seit dem zweiten Erscheinen des Geists keine gute Stimmung mehr aufgekommen, auch wenn unser Bürgermeister es mehrmals versucht hat.

Die Fenster und Türen bleiben geschlossen. Auch in den oberen Stockwerken ist alles zu, berichtet ein Security-Mitarbeiter, der für den Bürgermeister nachsehen sollte.

Als ich mich wieder etwas erholt habe, setze ich mich zusammen mit Karla und den Jungs etwas vom Trubel entfernt auf eine Bank und erzähle alles von meinem Vorfahren. Mein Holo-Bildschirm spendet uns Licht.

Als ich fertig bin, sind die anderen geschockt und keiner von uns weiß, was wir jetzt tun sollen. Ich sage ihnen zwar, dass ich mich dem Geist stellen werde, wenn er dafür die anderen Leute frei lässt. Aber meine Freunde wollen davon nichts hören.

„Auf keinem Fall überlassen wir dich diesem psychisch gestörten Geist oder was auch immer der Kerl ist.", meint Karla. Die Jungs nicken. Sogar Dominik, der immer noch käseweiß im Gesicht ist.

„Ich glaube nicht, das-", setze ich an, da bemerke ich aus dem Augenwinkel ein mir recht bekannt vorkommendes, schulterloses grellrotes Kleid. Jaqueline.

Ich stehe auf, weil ich wissen will, wen sie da an der Hand mit sich mit in einen der dunklen Gänge zieht, die vom Ballsaal abzweigen.

Meinen Freunden sage ich, ich brauche nach der Aufregung ein Glas Wasser.

Also zwänge ich mich durch die Menschenmassen, die blöder Weise genau dort stehen, wo ich durch muss.

Als ich die Leute endlich hinter mir lasse, wird meine Vermutung bestätigt. Es ist tatsächlich Titus.

Ich habe ihn während des Geisterauftritts aus den Augen verloren. Wahrscheinlich hat er seine offenbar neue Flamme in den Armen gehalten, damit sie sich nicht allzu sehr fürchtet. Ich kann gerade noch verhindern, dass ich verächtlich schnaube.

Ich weiß, man sollte nicht lauschen, aber das hier ist ein Notfall. Ich muss wissen, was diese aufgeblasene Tante von Titus will. Ich meine, was hat die, was ich nicht habe? Außer jede Menge Geld, schicke Klamotten, viele Freunde und Schönheit.

Ich versuche, das Gespräch der beiden zu verstehen, aber sie sind zu weit weg und ich kann nicht näher ran sonst würden sie mich sehen.

Ihre Gesichter kann ich auch nicht erkennen. Dafür ist es zu dunkel. Und eine Lampe auf sie zu richten wäre wohl nicht sehr klug.

Also bleibe ich stehen wo ich bin, hinter einer großen Topfpflanze vor dem Eingang des Nebenraums, und lausche auf ihre Stimmen. Einzelne Worte kann ich heraushören: Geist, Angst und ausliefern. Das ist eindeutig Jaqueline.

Aha. Sie unterhalten sich also über den Geist. Was für eine Überraschung. Was Titus antwortet, kann ich nicht verstehen. Er spricht zu leise, aber ich hätte schwören können, er habe eben meinen Namen gesagt.

Ein seltsames Gefühl durchströmt mich, bei dem Gedanken, dass er sich vielleicht Sorgen um mich macht.

Dieses Gefühl verschwindet aber sofort, als ich Titus noch etwas sagen höre. Ich verstehe zwar nur den Anfang seines Satzes, kann mir aber schon denken, was er gesagt hat. Und das lässt meine Mundhöhle austrocknen. Mein Herz krampft sich seltsam zusammen und ich bekomme keine Luft mehr.

„Du musst verstehen, ich liebe-"

Was Jaqueline darauf antwortet, höre ich nicht, aber sie ruft um einiges lauter als vorhin. Wahrscheinlich versichert sie ihm gerade hoch und heilig, dass sie ihn auch liebt.

Der Grund, warum ich das nicht höre, ist der, dass ich renne. Ich muss weg hier. Sofort. Meine Augen füllen sich mit Tränen und ich sehe kaum, wo ich hinlaufe. Aber das ist mir auch egal. Hauptsache weg. Weg von der Szene, die ich eben miterleben musste.

Ich merke erst, wo ich gelandet bin, als ich keine Luft mehr bekomme vor Anstrengung. In meiner Panik bin ich wohl in den Keller des Hauses geraten. Ich sollte nicht hier sein, schießt es mir durch den Kopf.

Aber ich habe keine Ahnung, wo es nach oben geht. Außerdem ist es mir im Moment herzlich egal, ob ich Regeln breche.

Ich lasse mich auf den Boden fallen und weine. Ich heule bestimmt zehn Minuten ununterbrochen. Es sieht mich sowieso keiner.

Das sollte der schönste Abend meines Lebens werden. Und was ist jetzt daraus geworden? Ein verrückter Geist jagt mich, mein Date ist ein Feigling und Titus scheint Gefallen an der größten Zicke der Stadt gefunden zu haben. Ich meine, wieso schmeißt sich diese verzogene Tussi ausgerechnet an den Typen ran, in den ich...seit mehr als einem halben Jahr verliebt bin?

Es hat keinen Sinn mehr, es zu leugnen. Also gebe ich auf. Ich lasse all die Gefühle zu, die ich die ganze Zeit, seit wir uns kennen, versucht habe zu unterdrücken. Was hat es für einen Sinn, noch zu leugnen?

Als beinahe eine halbe Stunde vergangen ist, habe ich mich etwas beruhigt. Zum ersten Mal komme ich dazu, mir den Raum genauer anzusehen, in dem ich hier gelandet bin.

Es ist auf den ersten Blick ein normales Kellergewölbe mit ein paar Kisten an der hinteren Wand.

Seufzend stehe ich auf. Ich kann nicht den ganzen Abend hier unten sitzen und heulen. Meine Freunde werden mich suchen. Also mache ich mich auf, um den Ausgang aus diesem Kellerlabyrinth zu finden.

Ich irre schon mehrere Minuten durch die verwinkelten Gänge des Kellers, als ich plötzlich ein weißes Licht aus einem der Räume strömen sehe.

Ich ducke mich instinktiv und schleiche heran. In dem Raum, der dem ähnelt, in dem ich zuvor war, steht eine seltsame Apparatur, die aber nicht die Quelle des weißen Lichts ist. Das Gerät erzeugt ein Hologramm, das unbeweglich da steht und von dem das Licht ausgeht.

Ich kenne diese Silhouette! Ist das nicht...der Geist der mich in einer knappen halben Stunde holen wollte?

Plötzlich sehe ich eine Gestalt, die aus dem hinteren Teil des Raums tritt und irgendetwas an der Maschine einzustellen scheint. Der Hologrammgeist beginnt sich zu bewegen.

Erst jetzt erkenne ich, wer die ganze Zeit so getan hat, als würde es in der Villa des Bürgermeisters spucken.

Ich kann nicht verhindern, dass mir ein überraschtes „Was?" entfährt.

Titus wirbelt herum und sieht mich. Er ist mindestens genauso überrascht mich hier zu sehen.

„W-was machst DU denn hier?", fragt er und versucht eilig, den Projektor abzuschalten – vergebens.

„Das könnte ich dich genauso fragen!" Plötzlich bin ich wütend. Unglaublich wütend auf ihn. Er hat den Ball ruiniert mit seiner billigen Spuk-Nummer. Er ist der einzige Grund, warum ich mich heute Abend nicht amüsieren konnte.

„W-was fällt dir eigentlich ein? Ich meine, du hast jedem da oben Todesangst bereitet, du hast die Party zerstört – warum? Und was machst du eigentlich hier? Solltest du nicht oben in dem Nebengang hocken und mit deiner Tuss- äh, mit Jaqueline knutschen?"

Kaum habe ich das letzte ausgesprochen, bereue ich es sofort.

Er sieht mich erstaunt und ein bisschen verlegen, wie mir scheint, an. „Woher weißt du das? Hast du uns etwa belauscht? Aber wie kommst du dann darauf, dass ich sie küssen will?"

Er ist verwirrt. Und ich auch.

„Ähm, ich habe euch belauscht – oder zumindest hab ich es versucht. Aber ich hab nicht alles verstanden. Nur, dass du gesagt hast, dass du jemanden liebst, und ich bin eben davon ausgegangen, dass du Jaqueline damit meinst."

Er sieht einen Moment noch verwirrt aus, dann lächelt er. Er lächelt dieses Lächeln, in das ich mich gegen jede Vernunft so verliebt habe.

„Du hast wirklich geglaubt, ich mache DIESER verwöhnten Zicke eine Liebeserklärung? Man, für wie dämlich hältst du mich eigentlich? Ich hab nur den ganzen Abend mit ihr verbringen müssen, weil sie mich nicht in Ruhe lassen konnte. Man die kann quatschen. Und auch noch das uninteressanteste Zeug der Welt."

Ich brauche einen Moment, um zu begreifen, was er da gerade gesagt hat. Dann muss ich dämlich grinsen. Weil er gerade in einem Satz all das gesagt hat, woran ich nicht mehr glauben konnte. Dass Jaqueline eine Zicke ist, dass sei es war, die ihm hinterher geschlichen ist und nicht umgekehrt und dass er sie nicht liebt.

Aber die wichtigste aller Fragen habe ich ihm noch gar nicht gestellt.

„Aber warum hast du die Nummer mit dem Geist überhaupt abgezogen?"

Er macht ein entschlossenes Gesicht. „Naja, ich wollte die Party ruinieren."

„Aber warum?" Ich bin verwirrt. Er muss einen Grund haben, ich glaube nämlich nicht daran, dass Titus sowas aus Spaß macht.

TITUS:

Ich kann es immer noch nicht glauben, dass Sophie mir gerade unterstellt hat, ich würde was von dieser Tussi wollen! Na gut, es mag zwischendurch Momente gegeben haben, in denen es eventuell so ausgesehen hat, aber das ist trotzdem eine Frechheit.

Die Frage, die sie mir aber eben gestellt hat, ist aber trotzdem das größere Übel. Denn die Wahrheit ist, ich wollte nicht, dass sie einen schönen Abend mit diesem Angsthasen von Junior-Agent hat.

Aber das kann ich doch wohl kaum sagen, oder?

„Egal, ich hatte eben meine Gründe."

Sie schweigt. „Und was willst du jetzt machen? Mich hier einsperren, damit ich nichts verrate?"

SOPHIE:

Er sieht mich seltsam an, dann sagt er: „Nein. Ich breche die Nummer ab. Ist sowieso irgendwie albern."

Verwundert sehe ich ihn an. Wie er jetzt da steht, mit hängenden Schultern, neben dem Projektor, kommt in mir plötzlich das Verlangen hoch, ihn in die Arme zu nehmen.

Und obwohl ich wissen sollte, dass ich das nicht sollte, obwohl er den Abend von dem ich mir so viel erhofft habe ruiniert hat kann ich nicht anders, ich mache die paar Schritte auf ihn zu und umarme ihn. Zuerst weicht er ein Stück zurück, doch dann legt er ebenfalls die Arme um mich.

So stehen wir eine ganze Weile. Mein Kopf liegt auf seiner Brust und ich spüre, wie sie sich langsam hebt und senkt. Ich hätte mein ganzes Leben lang so stehen können.

Aber dann steigt mir plötzlich ein Geruch in die Nase, der hier gar nichts zu suchen hat. Ich reiße die Augen auf und lasse ihn los.

Ich rieche ganz eindeutig Rauch.

Ich wechsle einen alarmierten Blick mit Titus, der offenbar ebenfalls das Feuer gerochen hat. Entweder jemand verstößt gerade gegen die „Rauchen verboten" Regel oder irgendwo in diesem Haus brennt es.

Ohne ein Wort zu sagen, zieht mich Titus zu einem kleinen Kontrollpult. Von hier aus hat er wohl den Projektor ferngesteuert und dort steht ein spezielles Mikrofon, das wohl für die Geisterstimme verantwortlich ist.

Wie ich feststelle, kann er von hier aus das gesamte Haus sehen. Er hat sich wohl in die Alarmanlage geheckt.

Jetzt sucht er jede der Kameras nach Spuren von Feuer ab. Und tatsächlich, in der Eingangshalle, die direkt über uns liegt, hat ein Vorhang Feuer gefangen.

Inzwischen hat sich das ganze so verbreitet, dass wir es bis hier runter riechen können. Den Auslöser für das Feuer kann ich nicht entdecken, aber mir wird klar, dass es uns alle töten wird, wenn Titus nicht sofort das Haus entriegelt.

Als ich ihm sage, er soll das tun, sieht er mich verzweifelt an.

„Du glaubst nicht wie gern ich das tun würde, aber der Mechanismus funktioniert irgendwie nicht. Ich glaube es liegt daran, dass das Kabel, das durch die Diele gespannt ist, bereits verbrannt ist. Jetzt könnte ich das Haus nur noch händisch entriegeln, aber dafür muss ich hinauf in das zweite Stockwerk!"

Wir laufen, Titus kennt offenbar den Weg. Ich folge ihm. Der Geruch wird immer beißender. Als wir im Ballsaal ankommen, ist bereits Panik ausgebrochen.

Die Leute rütteln verzweifelt an den Türen und Fenstern, schreien durcheinander.

„Wir werden alle sterben!", ruft ein Mann mit Schnauzbart und Zylinder.

„Lasst uns hier raus!", verlangt eine Frau mit Turmfrisur und lila Schlauchkleid.

Titus nimmt meine Hände und sieht mir in die Augen. „Sophie, ich werde jetzt hochlaufen und das Haus entriegeln. Du führst die Leute nach draußen. Wenn alle in Sicherheit sind, ruf die Feuerwehr. Aber das wichtigste – warte nicht auf mich. Bring dich in Sicherheit, das ist das Wichtigste."

Er wartet nicht auf meine Antwort, sondern läuft, immer zwei Treppenstufen auf einmal nehmend die Stiegen hinauf.

Ich blicke ihm nach und frage mich plötzlich, ob ich ihn je wieder sehen werde.

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