1. Kapitel
„Fear of death is worse than death itself.“ - Shuichi Akai aus Detektiv Conan
John saß in seinem Sessel und starrte mit leerem Blick aus dem Fenster. Seit Tagen hatte er sich nicht gerührt. Er trug noch dieselbe Kleidung wie vor einer Woche. Genauer gesagt: Vor sechs Tagen, drei Stunden, vierunddreißig Minuten und siebzehn Sekunden. Denn vor sechs Tagen, drei Stunden, vierunddreißig Minuten und siebzehn Sekunden hatte das Herz seines besten Freundes aufgehört zu schlagen. Er war vom Dach des St. Barths gesprungen, weil er ein Lügner war. Nun war er in Schande gestorben. Aber John wusste es besser. John wusste, dass Sherlock kein Lügner war. Tief in seinem Herzen wusste er es, dort, wo er seine Gefühle verborgen hatte. Seine Gefühle für Sherlock. Doch jetzt war es zu spät.
Johns Augen füllten sich erneut mit Tränen, liefen seine Wangen hinunter und seinen Hals entlang. John ließ es geschehen. Ihm war nun alles egal. Bis jetzt hatte ihn niemand besucht, außer Mrs Hudson, aber er wusste, dass ihn bald jemand abholen würde. Und dann würde er höchstwahrscheinlich in der Psychiatrie landen. Aber auch das war ihm egal. Sein Freund war tot, und nichts, nichts würde ihn je zurückbringen. Johns Leben war verwirkt. Vielleicht sollte er sich auch umbringen. Aber er wusste, dass er dafür zu feige war. Dafür hasste er sich, aber er konnte es einfach nicht über sich bringen.
Plötzlich hörte er die Türklingel. Es war ein unheimlich lautes, kreischendes Schrillen in der trüben, zähen Stille, in der er die letzten Tage versunken war. Jemand lief die Treppe hinauf. Zwei Personen. John sah nicht auf, als sie reinkamen.
„Da ist er.“, unverkennbar die Stimme von Mrs Hudson. Sie klang brüchig, verständlich, nach dem, was passiert war.
Die fremde Person trat zu ihm. Sie trug Chanel No. 5, und John wusste, wer gekommen war. Er hatte es jede einzelne Stunde schwach wahrgenommen.
„Hallo, John“, begrüßte ihn seine Psychologin mit sanfter Stimme.
John antwortete nicht. Sie seufzte und wandte sich an Mrs Hudson. „Können Sie mich mit ihm allein lassen?“
„Natürlich.“
John nahm alles wie durch einen dicken Schleier wahr. Als wäre das gar nicht real, als würde er alles nur träumen und am nächsten Tag aufwachen, Sherlock am Frühstückstisch treffen und mit ihm weiter Fälle lösen, mit ihm um den Platz im Kühlschrank streiten, einfach wieder mit ihm zusammenleben und diesen grauenhaften Albtraum vergessen.
„John?“, fragte seine Psychologin erneut.
Er antwortete nicht.
„John, wenn ich Ihnen helfen sollen, müssen Sie kooperieren.“
Er antwortete nicht.
„John, Sie wissen, was ich sonst tun muss.“
Er antwortete nicht.
Sie seufzte.
„John, bitte.“
„Ich könnte Ihnen erst einmal einen Platz in einer Tagesklinik besorgen. Dann können wir weitersehen. Ansonsten muss ich Sie in die Psychiatrie bringen.“
Er antwortete nicht.
„In Ordnung, John. Ich werde sehen, was ich tun kann. Aber bitte essen Sie etwas. Ihre Vermieterin macht sich sonst zu große Sorgen.“
Sie machte sich auf den Weg nach draußen, im Türrahmen drehte sie sich noch einmal um.
„Es wird eine schwere Zeit, John, aber wissen Sie: Es kann auch wieder bergauf gehen.“
Dann hörte er, wie sie die Treppe hinunterlief, sich von Mrs Hudson verabschiedete und das Haus verließ.
Sollten sie ihn doch in eine Tagesklinik bringen. Ihm war es egal. Das einzige, was er wollte, war Sherlock. Es gab noch so viele Dinge, die er hatte sagen wollen, und so viele Dinge, die er sich nicht getraut hatte zu sagen, so viele Sachen, die er tun wollte, aber nicht getan hatte.
Es stimmte. Am Ende bereute man nur die Dinge, die man versäumt hat zu tun.
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