Six

Six:
eine wichtige Entscheidung – und hoffentlich nicht die falsche

„Hey, Ginny, tut mir leid, dass du solange warten musstest." Ich seufzte, sah auf. „Die Typen am Parkplatz sind ja sowas von inkompetent", rief Paris mir zu, als sie mich an einem kleinen Kiosk entdeckte – sitzend in einem Rollstuhl.

Sie wollte mich wieder zu unserer WG fahren. Ab nächster Woche konnte ich endlich wieder zur Uni. Nur wie ich es die Treppen im Rollstuhl hochschaffen sollte, war mir noch ein Rätsel.

„Kein Problem, Paris", seufzte ich. „Ich hatte viel Spaß mit meiner Vogue", sagte ich und verstaute diese in meiner Tasche auf meinem Schoß, ehe ich sie ihr reichte und sie sie mir hinten dranhängte.

„Schon 'ne Ahnung, wie wir dich die Treppen hochbekommen?", hakte sie nach.

„Nicht eine einzige Ahnung", erwiderte ich ratlos. „Hüpfend?", schlug ich vor, während sie zu schieben begann, damit wir uns beide endlich fortbewegten.

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Freitag. An diesem Tag hatte ich nur zwei Kurse und fuhr umständlich zu diesen. Ich wusste, ich durfte erst wieder am Montag offiziell zur Uni, doch ich hatte schon so zu viel Stoff verpasst und auf der faulen Haut gesessen.

Ich saß im letzten Kurs noch die letzten fünf Minuten ab, während ich seufzend schon die Sachen langsam zusammenpackte. Seit drei Tagen lief ich jetzt mit der Prothese rum, allerdings auch mit Krücken. Ich traute mich noch nicht vollends, wieder auf eigenen Beinen zu laufen.

„So." Ich sah auf als Professor Bayne seine Stimme erhob. „Als Hausaufgabe möchte ich von Ihnen allen einen Bericht über die Globalisierung und wie Sie dazu denken." Ich hob eine Augenbraue, holte nochmal mein Notizbuch hervor, schnappte mir einen Kuli aus meiner Federmappe und kritzelte es schnell hin. „Aber bitte nicht wieder so schlampig wie beim letzten Mal. Sonst bekomme ich tatsächlich noch graue Haare", meinte er. Ich seufzte und packte meine Schreibsachen nun richtig ein, ehe ich mich auf einem Bein stehend erhob, meinen Rucksack schulterte und mir dann meine Krücken schnappte, mit denen ich als erstes den Saal verließ.

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Letztendlich landete ich immer dort, wo ich Freitag nach meinem letzten Kurs hinging. An meinem Lieblingstisch in meinem Lieblingscafé. Es erinnerte mich gut an die Fünfziger – und verkaufte für mich die besten Milchshakes dieser Stadt.

Nachdem ich der Kellnerin gesagt hatte, was ich gerne haben wollte – zwei Stücke Schokoladentorte und einen Haselnussmilchshake –, starrte ich auf mein Handy, um die neusten Nachrichten in mein Gehirn aufzusaugen.

Allerdings gab es keine neuen Nachrichten, außer der Sache, dass man mich fragte, was es Neues gab und wie es mir ging. Ich seufzte, packte also meine Kopfhörer aus und stöpselte mein Handy ein, ehe ich meine Musik anmachte und aus meinem Rucksack meine Schreibsachen wieder hervorholte. Wenn ich mir hier die Zeit totschlug – was ich eindeutig zu oft tat – dann konnte ich ja wenigstens schon einmal den Aufsatz zur Globalisierung fertigen.

So versank ich tief in meine Hausaufgaben, während mir die Kellnerin die Tortenstücke und meinen Milchshake brachte. Nebenbei aß und trank ich so etwas, lernte in aller Seelenruhe. Bis sich eine Frau an meinen Tisch stellte und mir plötzlich einen Kopfhörer aus dem Ohr zog.

Ich zog leicht die Augenbrauen zusammen, sah auf.

„Ja?", hakte ich fragend nach.

„Hallo", sagte sie, sah mich unentwegt an und legte ihren Kopf schief.

>Meinte sie auch wirklich mich?

Ich war irritiert. Mit ihren braunen Haaren, die zum Dutt zusammengebunden waren, ihrer weißen Bluse und blauen Stoffhose hätte sie locker als Studentin durchgehen können – doch ich zweifelte daran. Für eine Studentin sah sie mir doch schon einen Ticken zu alt aus.

Ich seufzte als ich in ihre braunen Augen blickte, ehe ich meinen anderen Kopfhörer auch noch aus meinem Ohr zog.

„Hi", erwiderte ich also verwirrt und ein wenig überrascht.

„Darf ich mich zu Ihnen setzten?", fragte sie, zog leicht einen Mundwinkel in die Höhe.

„Warum?", fragte ich. Sah sie denn nicht, dass ich gerade lernte? Ohne mir meine Frage zu beantworten zog sie sich einen Stuhl vom Nebentisch heran und setzte sich an meinen Tisch mir gegenüber. Sie überschlug ihre langen Beine, faltete die Hände auf dem Tisch zusammen – direkt auf meinen Papieren, die ich brauchte. Ich zog eine Augenbraue hoch. „Kriege ich auch noch eine Antwort?", hakte ich nochmal nach.

Sie presste ihre Lippen kurz aufeinander, musterte mich offensichtlich, was mich noch mehr verwirrte. „Miss Cullen, ich möchte gleich zur Sache kommen", gab sie dann aber plump ein paar Sekunden später von sich. Ich legte meinen Stift beiseite und machte den Deckel drauf. „Mein Name ist Hill." Hill? „Maria Hill." Der Groschen wollte bei mir erst nicht fallen. „Die Sache ist die", sagte sie und befeuchtete ihre Lippen mit ihrer Zunge. „Mein Boss würde sich freuen, wenn sie als Newcomer bei uns anfangen würden." Sie legte ihren Kopf schief. „Ich hatte Ihnen schon vor einigen Wochen einen Brief zukommen lassen, auf den ich nie eine Antwort erhielt. Und bin nun hier, um mir Ihre Entscheidung, auf Wunsch meines Chefs, persönlich zu empfangen." Und nun fiel der Groschen. Strategisch Irgendwas wollte ja, dass ich für sie arbeitete. Nur was war dies?

„Ehm... ja... das war also kein Scherz?", fragte ich nach, lehnte mich auf meinem Stuhl zurück. Sie nickte bloß. „Gut", meinte ich nur.

>Ich soll mich jetzt entscheiden. Jetzt?!

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich wollte schon immer Journalistin werden, aber auch so schnell wie möglich für mich selbst sorgen können. Nur was war die logischere Entscheidung?

„Bekomme ich auch eine Antwort, Miss Cullen?", fragte mich Hill, da ich zu lange nichts gesagt hatte.

„Ja", neigte ich leicht meinen Kopf. „Sie wissen schon, dass eine Woche Bedenkzeit nicht viel ausmacht, wenn ich nicht weiß, worum es in ihrer Firma geht, oder?"

Ihre Mundwinkel zuckten. „Lassen Sie sich nie auf etwas Abenteuerliches ein?" Ich zog meine Augenbraue hoch und sah kurz auf meine Krücken. „Oh, und mein aufrichtiges Beileid zum Verlust Ihres... Fußes."

„Danke", gab ich verstimmt von mir.

„Also ja, was?", legte sie ihren Kopf nochmal schief.

Ich seufzte. Auf meiner Liste der Sachen, die ich vor Ende fünfundzwanzig erreicht haben wollte, stand zwar nicht „ein Körperteil verlieren" drauf, aber dafür „Für mich selbst sorgen können". Deswegen wählte ich die für mich logischere Wahl.

„Ja." Ich schluckte. „Wenn Sie mir erklären, was dieses Strategisches Irgendwas ist."

„Shield", zuckten ihre Mundwinkel. „Einfach Shield."

„Fein", entgegnete ich.

„Schön", lächelte sie nochmal etwas diskreter. „Wir lassen Ihnen die restlichen Formulare zukommen und werden Ihnen mitteilen, sobald wir Sie abholen werden, damit Sie Ihr Team kennenlernen", sagte sie, während der Stuhl auf dem sie saß knarzte und mich zusammenzucken ließ.

„Team?", fragte ich verwirrt nach, sah hoch als sie aufstand.

„Ja, Team", nickte sie. „Natürlich müssen Sie vorher noch eine ärztliche Untersuchung und ein spezielles Einführungstraining absolvieren, damit Sie endgültig bei uns anfangen können. Wir wollen keine Psychopathen einstellen." Hatte sie mich gerade beleidigt? Beschuldigt? „Am besten würde ich heute schon mal anfangen, zu packen." Sie schob sich eine Sonnenbrille auf die Nase, die sie keine Ahnung woher nahm. Ich war irritiert. „Wir sind ziemlich schnell, wenn's um Antworten geht. Bei so etwas fackeln wir nie lange", erzählte sie.

„Hab ich schon bemerkt", murmelte ich.

„Wie bitte?", fragte sie als sie sich gerade umdrehen wollte.

„Ach, nichts", winkte ich ab. „Sachen packen, okay", sagte ich, legte etwas Geld auf den Tisch und hob meinen Rucksack auf meinen Schoß, um meine Sachen einzupacken.

„Dieses Gespräch bleibt geheim. Verstanden?" Ich sah zu ihr hoch. „Niemand erfährt davon, dass Sie bei uns anfangen, klar?"

Ich nickte lediglich, runzelte aber dann doch noch meine Stirn als sie sich umdrehte und davonlief.

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Datum der Veröffentlichung: 17.06.2019 17:34 Uhr

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