Eight

Eight:
meine neue Partnerin. Das neue Team. Ein neues Leben

>Sieben Uhr, wo bleiben denn die Leute, die mich abholen wollten?

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Ich seufzte, sah auf meine Armbanduhr als es bereits sieben Uhr vierzehn anzeigte. Mittlerweile stand ich schon unten. Nur hielt niemand irgendwie an, der mal auf der Straße vorbeifuhr oder jemand beachtete mich, weil ich hier mit Sack und Pack auf dem Bürgersteig herumstand wie ein Kaktus.

„Hey!" Ich zuckte zusammen als es hupte und ein dunkelblaues Cabrio einfach mitten auf der Fahrstraße hielt.

Eine junge Frau mit erdbeerblonden kurzen Haaren in einem Tank top und Jeans stieg aus, zog sich ihre Sonnenbrille von der Nase. „Willst du noch lange dort rumstehen oder kommst du endlich mit deinen Sachen?", fragte sie als sie zum Kofferraum lief und diesen öffnete.

>Seit wann duzt man sich auf Anhieb?

„Eh, ja", nickte ich konfus. War sie hier auch richtig?

Ich biss mir auf die Unterlippe als ich mit einer Krücke und einem Koffer haderte. Wie hatte ich das vorhin nochmal getan als ich die Treppen im Treppenhaus hinunter gegangen war?

Sie verdrehte ihre braunen Augen, lief vor und entriss mir plötzlich meinen Koffer.

„Und sie wollen dich sicher rekrutieren?", entgegnete sie seufzend und ich zog meine Brauen zusammen. „Offensichtlich hast du ein Handicap."

„Danke", erwiderte ich einfach sarkastisch.

„Du wärst eher fürs Büro geeignet, Süße", zuckte sie mit ihren Schultern und verstaute meinen ersten Koffer in ihrem Auto, ehe sie sich gleich den zweiten nahm und meine Kiste einfach auf die Rückbank schmiss. Und mit schmeißen meinte ich auch, dass sie meine Habseligkeiten einfach wegschmiss. „Brauchst du beim Einsteigen auch Hilfe?", zog sie eine Augenbraue hoch.

Ich schnaubte, schüttelte den Kopf und humpelte los.

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„Wie heißt du?"

„Sollten Sie dies nicht wissen?"

„Ich habe eine Achtzehnstundenschicht hinter mir, fünf Stunden geschlafen und bin hierhergefahren, um dich abzuholen." Sie sah mich kurz an, ehe sie sich ihre Sonnenbrille wieder auf die Nase schob. „Ich habe keine Zeit gehabt, einen Namen in Erfahrung zu bringen", erklärte sie. „Also nenn mir deinen Namen."

„Ginevra", seufzte ich, verschränkte allerdings meine Arme als sie losprustete.

„Was ist das für ein Name? Wollten dich deine Eltern bestrafen?" Ich sah sie böse an. Wieso urteilte sie über meinen Namen, wenn sie mich noch nicht einmal kannte.

„Sag einfach Ginny", gab ich murrend von mir.

„Aha." Sie ließ eine Hand am Lenkrad, mit der anderen griff sie nach einem Kaffeebecher. „Ich bin Becka", meinte sie. „Ich bin deine Kuratorin." Waren das nicht Leute, die eigentlich in Galerien beschäftigt waren? „Ich sorge für dich, bin deine Ansprechpartnerin und helfe dir dabei, dich einzugewöhnen. Ich arbeite dich ein und sorge dafür, dass du alles so schnell wie möglich lernen wirst." Na... okay. „Wenn du dich bei jemanden ausheulen musst, dann aber bitte nicht bei mir. Ich stehe nicht so auf Rührseliges."

„Hm", erwiderte ich bloß und sah nach rechts. Die Landschaft, Autos und sonstigen Verkehrsmittel zogen nur so vorbei.

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„Also", ich zuckte leicht zusammen, „Du bist unter den drei neuen ein Mädel?", hakte sie nach.

„Offensichtlich", verschränkte ich meine Arme vor der Brust, sah kurz zu meinen Sachen auf der Rückbank. „Bei euch werden selten welche aufgenommen?"

„Könnte man drüber streiten.", antwortete sie schulterzuckend, ließ eine Hand wieder sinken und griff nach ihrem Becher.

„Du bist also kein Neuzugang", sagte ich nickend.

„Um Gotteswillen, nein!" Sie hustete als sie sich lachend verschluckte. „Ich bin schon seit vier Jahren dabei!"

„Wie ist es so dort?", meinte ich.

„Kommt drauf an, für welche Abteilung man arbeitet", gab sie von sich. „Am Anfang wollten die mich tatsächlich nur Büroarbeit machen lassen. Aber dafür bin ich nicht geschaffen." Sie schüttelte ihren Kopf. „Also bekam ich beim nächsten Neuzugang 'n Partner und fing an, auf Einsätze zu gehen", erzählte sie mir.

„Einsätze?", fragte ich verwirrt, zog wieder die Augenbrauen zusammen.

„Haben sie dir nicht erzählt, als was du demnächst anfängst?", spottete sie.

Ich schüttelte meinen Kopf. „Nein."

„Dann ziehen sie die Nummer tatsächlich heute noch immer ab!", lachte Becka einfach erneut los.

Ich sah sie schräg von der Seite an. „Welche Nummer?"

Sie wischte sich imaginäre Tränen aus den Augenwinkeln, ehe sie mit beiden Händen das Lenkrad umklammerte, von der Autobahn auf eine andere wechselte.

„Also, ich klär dich mal auf." Ihre Mundwinkel zuckten. „Du fängst in kurzer Zeit an als Agent zu arbeiten." Ich zog meine Augenbrauen schon wieder zusammen. „Geheimagent, um es genauerer zu beschreiben." Ich öffnete meinen Mund – eigentlich um ihr zu widersprechen. „Warte, warte!", wedelte sie hektisch mit einer Hand. „Es kommt noch besser", sagte sie als sie meinen – wahrscheinlich dummen – Gesichtsausdruck sah. „Also", sie atmete tief ein, „Dir wird ein Partner zu Beginn deiner Ausbildung zugeteilt. Und du wohnst erst immer bei deinem Kurator, damit dir dieser alles auch im Alltag zeigt, damit man nicht auffällt."

>Ich mag aber gar nicht bei dir wohnen.

„Mit deinem Partner fängst du nach deinen ersten zwei Ausbildungsjahren an, auf Missionen zu gehen. Sofern du dich für den Außendienst qualifizierst." Was sollte hier „sofern" heißen? Ich wollte gar nicht erst Geheimagent werden. Was war das für eine verschissene Firma?! „Glaub mir, du wirst nicht wenig Menschen umbringen müssen, wenn die Stress machen", erklärte sie weiter.

„Ich muss Menschen töten?", fragte ich schockiert. „Zum Teufel!", rief ich sauer. „Ich töte nicht."

„Naja, erstmal musst du durch das Training kommen", meinte sie und musterte mich kurz. „Aber das sagte ich anfangs auch", zeigte sie auf mich und meine Schmolllippe. „Seither habe ich leider schon ein paar vom Leben befreien müssen." Sie rollte mit ihren Augen, wandte sich wieder ihrer Straße zu. „Aber das ist nicht deine Baustelle, Kleine."

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„Wie ist dein Partner so?", fragte ich mit Seitenblick auf sie. Doch ich glaubte im nächsten Moment einen Nerv getroffen zu haben.

„Er verschwand vor fünfzehn Wochen spurlos und man fand vor acht Wochen seine Leiche", erzählte sie ruhig, jetzt ohne jede Emotion in ihrer Stimme wie vorhin, als sie mir erzählte, was alles auf mich zukommen würde. Sie spannte ihre Kiefermuskeln enorm an.

„Das tut mir leid", sagte ich aufrichtig.

„Jeder muss irgendwann mal sterben", zuckte sie mit ihren Schultern. „Ich wette, er hatte genug Spaß in seinem Leben gehabt", zuckten diesmal ihre Mundwinkel leicht nach oben. „Genug Sex hatte er auf jeden Fall." Ich spürte, dass meine Wangen warm wurden. Alles in meinem Leben war geplant gewesen. Schule, Wohnung, Minijob, Sport und Hobbys, Ausbildung, Selbstversorgung. Aber in all diesen Spalten meines Lebens hatte ich die Liebe oder Sex nie miteinbezogen. „Das letzte Mal hatte er sogar Sex auf meinem Balkon." Sie sah in ihren Rückspiegel, bog ab und verließ die Autobahn, während ich endgültig knallrot wurde. Als ob ich das wissen wollte.

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Ich schaute aus dem Fenster und sah schon von weitem das weiße Haus. Aber so beeindruckend wie ich dachte war es das nicht.

Doch abgesehen davon war ich auch noch nie in Washington gewesen. Ich konnte weder urteilen, ob's hier nett war – wonach es jedenfalls ausschaute – oder ob hier nachts Partys ohne Ende gefeiert wurden.

Wir fuhren auf ein großes Gebäude zu – und endeten mit unserer Fahrt in einer ebenfalls großen Garage. Mehrere Wägen waren alle der gleichen Marke entsprungen – und hatten Shields Wappen drauf.

„Wo sind wir?", fragte ich, versuchte die Neugierde in mir zu tarnen, die in mir hochkroch. Mit einer eisernen Maske im Gesicht wie Becka vorhin stieg ich aus, lief auf den Kofferraum zu.

„Bei Shield, wo sonst?", gab sie zurück und stieg aus. „Deine Sachen können drin bleiben", wies sie mich an als ich meine eine Krücke richtete. „Folge mir", fügte sie noch hinzu, drehte sich um und band sich die Haare mit irgendwas hoch. Es sah nach allem möglichen aus, nur nicht nach einem Zopfgummi.

„Was ist das?", humpelte ich neben ihr wie ein Welpe und Trottel zugleich her.

„Ich glaube ein Stück meiner elastischen Strapse."

Ich sah sie an, als wäre sie durchgeknallt.

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Ich folgte ihr durch mehrere Fahrstühle und Gänge. Man hätte mich nach nur fünf Minuten allein lassen können und ich wäre in diesem Gebäude verendet. Was war das hier für ein Labyrinth?!

Sie hielt erst als wir in einer großen Trainingshalle ankamen. Wo anscheinend schon alle anwesend waren. Auch Miss Hill, die dort vor anderen Leuten stand. Und ein dunkelhäutiger Mann saß auf einem Stuhl und tippte auf seinem Tablett herum. Nur das einzige, was mich interessierte, war, wie er zu seinem Handicap kam. Er besaß nur noch ein Auge, das andere war verdeckt durch eine Augenklappe.

„Sie sind zu spät, Mrs. Wesfield", sagte er, bevor Miss Hill auch nur den Mund öffnen konnte.

Er trug einen Ledermantel und dazu passende schwarze Klamotten.

„Hallo, Miss Cullen." Woher wusste er, dass ich hier stand? Er hatte bisher nicht einmal aufgesehen.

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„So... dann können wir ja beginnen." Ich sah neben mich. „Mich kennen Sie ja alle", deutete Hill auf sich. „Und Agent Wesfield nun auch." Becka winkte kurz angebunden. „Dies dort drüben", wir alle sahen auf den dunkelhäutigen Mann, „Ist unser Director. Nick-"

„Fury", unterbrach er sie, wieder ohne aufzusehen. „Ich bin der Boss Ihres Bosses", stellte er klar, seufzte, ließ das Tablett sinken und stand auf. „Und ich habe Sie persönlich für das neue Team ausgewählt." Ich biss mir auf die Innenseite meiner Wange. „Also enttäuschen Sie mich nicht." Ich versuchte, Blickkontakt zu halten als er auf uns zulief und mich am Ende anguckte. Aber ich ließ den Blick letztendlich doch nach unten schwenken. „Das Weitere betrifft Sie, Miss Cullen." Ich hob den Kopf. „Ich möchte, dass Sie nach Ende Ihrer Ausbildung die neue Partnerin von Agent Wesfield werden." Becka hob ruckartig ihren Kopf.

„Fury-", dieser hob die Hand und sie verstummte schlagartig.

„Ich hoffe, sie war freundlich", sah er kurz mit dem einen Auge zu ihr. Ich nickte leicht.

„Deswegen haben Sie mich heute den Chauffeur spielen lassen, Fury?", sagte Becka. „Ich hatte Ihnen gesagt, niemand-"

„Ersetzt Ihren Partner, genau", unterbrach er auch hier wieder. „Aber es ist Wochen her, Agent. The Show must go on."

Sie grummelte. „Ich freu mich auf weitere Zusammenarbeit", verdrehte sie ihre Augen in meine Richtung.

Ich wollte mir nicht vorstellen, wie das heute Abend in ihrer Wohnung zu sich gehen würde. Ehrlich gesagt überlegte ich nun tatsächlich das erste Mal, meine Eltern um Geld anzuhauen und ins Hotel zu ziehen.

„Mr. Westley und Miss Chantington." Die beiden neben mir hoben ihren Kopf und ich sah zu ihnen, sah einer Brünette und einer Schwarzhaarigen in die Gesichter. Er hatte blaue Augen und einen leichten Bartschatten, während sie auch blaue Augen hatte, aber wie eine Puppe wirkte. Ich selbst war wohl mit meinen zweiundzwanzig Jahren jung für diesen Job, doch wie alt war sie, bitte? Achtzehn?

„Sie sind ab sofort auch Partner." Er wies auf Hill, die ihr Smartphone hervorzog.

„Sie werden gemeinsam alle trainieren und somit Teamgeist und gegenseitiges Vertrauen entwickeln", sagte sie. „Wenn Sie Fragen haben, wenden Sie sich doch bitte an Agent Wesfield." Sie hob den Blick und sah mich an. „Miss Cullen, Ihre Prothese muss noch genauer angepasst werden. So können Sie sich im Notfall nicht verteidigen."

Und dann passierte mir der Patzer. „Und mit der Krücke darf ich nicht zuschlagen?", rutschte es mir nämlich heraus.

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„Du hast gar nicht erzählt, dass du verheiratet bist, Becka", meinte ich als ich aus meinem Gästezimmer gehumpelt kam.

Sie ächzte, ließ sich auf ihre Couch fallen und sah an die Decke, während ich zum Balkon blickte. Wieso hatte ihr Partner Sex auf dem Balkon gehabt, wenn's doch ihre Wohnung gewesen war?

„Mein Mann war gleichzeitig auch mein Partner gewesen", gestand sie und ich sah ruckartig zu ihr. „Wir lernten uns auf der Arbeit kennen."

„Oh", machte ich.

„Ja." Sie gähnte. „Noch Lust, was trinken zu gehen?" Ich zog meine Augenbraue hoch.

Doch dann empfand ich angesichts ihrer Geschichte Mitleid. „Aber nicht lange. Ich muss morgen um fünf raus und zu diesem Arzt da."

Sie seufzte, kämpfte sich wieder hoch. „Ja, der ist scheiße." Sie verdrehte ihre Augen. „Wir werden zu jemand anderen gehen."

„Aber-"

„Bin ich deine Kuratorin oder Hill?" Ich presste meine Lippen aufeinander, deutete dann aber mit zusammengefalteten Händen auf sie. Und ich runzelte meine Stirn als sie mich musterte. „Lege dir bitte einen anderen Kleidungsstil zu. Dieser Pyjamalook lässt dich wie eine Zehnjährige wirken."

Hatte sie denn überhaupt mal nichts zu bemäkeln?

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Datum der Veröffentlichung: 17.06.2019 17:38 Uhr

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