Matthis und Tim

„So junge Dame schnell umziehen und dann geht's ab!", sagte Matthis zu seiner mürrisch drein schauenden Enkeltochter. „Ich fahre jetzt mit Tim einkaufen und du hilfst jetzt der Oma mit!" und da gab es auch kein Murren mehr. Sie wusste, wenn er so mit ihr sprach, gab es keine Ausreden mehr. Und eigentlich liebte sie auch ihre Oma und wollte ihr sehr gern helfen. Sie war halt ihrer Mama wirklich so ähnlich.

Nachdem wir sie zum Strandhotel gebracht und leere Getränkekästen eingeladen hatten, fuhren wir in die Stadt, die wir nach etwas mehrals einer Stunde Fahrt erreichten. „Wieso fährst du so weit?",wollte ich von Matthis wissen. „Ihr habt doch alles im Ort?" und ich musste mich schon sehr wundern.

„Wir Einheimischen fahren nach außerhalb, weil es da kostengünstiger ist. Im Ort sind die Preise höher wegen der Touristen!". „Okay, das verstehe ich!" und konnte mir das Grinsen nicht verkneifen. „Und da unsere Vorräte langsam zur Neige gehen, muss ich jetzt Großeinkauf machen, zumal wir nicht wissen, wie lange wir hier nicht weg können!".

Ich schaute ihn fragend an: „Wie , nicht weg können?". Er wunderte sich, dass ich nicht mitbekommen hatte, dass eine Jahrhundertflut kommen sollte. „Oh nein, da muss ich ja noch länger da bleiben!"und langsam schien meine Reise unter einem ganz schlechten Omen zustehen.

„Das passiert alle Jahre wieder. Ausgerechnet wo ich mich auf den Trip meines Lebens begebe, muss so etwas auch noch kommen!". „Hör auf zu jammern und hilf mir lieber!" und jetzt wagte ich es nicht mehr Matthis zu widersprechen. „Da musst du jetzt durch und ich rate dir, kaufe dir noch so einige Sachen, die ich dir nachher noch genau benennen werde! Nur so für alle Fälle!" und damit war alles gesagt.

Wir kauften also nicht nur jede Menge Vorräte für das Hotel ein, nein auch für sie privat noch und auch für mich. Der kleine Jeep war bis zum Rand gefüllt mit Nahrungsmitteln, Kleidung, Schuhen, auch Gummistiefel waren darunter, Handschuhe, Mütze, Schal, Pflegeartikel. Es sah aus als sollte das ganze für mindestens sechs Wochen reichen.

„Das war noch nicht alles! Wir müssen nachher auch noch Decken, Kissen usw. holen und ab morgen wird das Hotel dichtgemacht und wir werden dann in unserem kleinen Häuschen etwas weiter weg sein. Auch dort haben wir Gästezimmer. Pack also deine Sachen zusammen!"Ich wagte nicht Matthis zu widersprechen, nicht dass er mir was zu sagen hätte.

Aber irgendwie erinnerte er mich an meinen Onkel James, vor dem ich immer einen gewissen Respekt hatte. Auch mein Onkel James war Jahre lang zur See gefahren und kam dann immer wieder und erzählte uns die tollsten Geschichten, die er erlebt hatte. Meine Tante Theresa sagte dann immer zu ihm:

„Hör endlich auf, den Kindern immer diese Märchen zu erzählen! Die See ist rauh und das kannst du auch nicht wirklich beschönigen!". Und eines Tages kam mein Onkel James zwar wieder, aber er war nicht mehr derselbe. Erst viel später, ich war schon längst aus der Schule heraus, erfuhr ich den wahren Grund, warum er buchstäblich über Nacht ergraut und so tiefliegende Augenhöhlen hatte.

Irgendwie erinnerte mich Matthis daran, dass wohl auch er ähnliches erlebt haben muss. Doch um ihn fragen zu können, dafür kannte ich ihn einfach noch zu wenig. Das würde sich ja bald ändern, wenn wir allein dem kleinen Häuschen ausharren müssen bis diese Jahrhundertflut vorbei ist. Man sagte das Wort „Jahrhundertflut" einfach so achtlos daher, aber eigentlich musste man Riesenrespekt vor den Kräften der Natur haben. Denn hier zeigten sie noch ihr wahres Gesicht: Hart, unbarmherzig, tödlich für Mensch und Tierg gleichermaßen.

Und ich glaube Matthis hatte so etwas schon einmal miterlebt, als ganz kleiner Bub. „Ich muss ihn noch so einiges fragen!", dachte ich. Aber jetzt wurde alles in die Autos verpackt, was nicht unbedingt in dem kleinen Strandhotel zurückbleiben sollte, denn davon übrigbleiben würde bei so einer Flut nichts.

Wir mussten schon mehrere Male fahren, um alles fortzubekommen. Es hatte den Anschein, dass sie ihr gesamtes Leben hier unten abhielten, was irgendwie ja auch so war. Nachdem wir die letzte Fuhre in Sicherheit gebracht hatten, zeigte mir Matthis die tosende See und erklärte mir, warum er sie trotzdem so liebte, auch wenn er schon einige Freunde an sie verloren hatte. Ich kam mir vor wie ein Schuljunge, dem man gerade das Einmaleins beibrachte, nur eben das Einmaleins des Überlebens.

Gemeinsam mit seiner Enkelin machten wir das kleine Hotel sturmsicher, obgleich es wohl dieses Mal nicht so wirklich viel nutzen würde. Denn der Name „Jahrhundertflut" sagt ja eigentlich schon alles. Dass wir aber gerade noch rechtzeitig davonkommen würden, das hatte mir keiner gesagt.

Ich erinnerte mich daran, wer mir am Strand den Tipp mit dem kleinen Strandhotel gegeben und den Weg dorthin gewiesen hatte: Einschätzungsweise mehr als hundertjähriger Mann mit tiefen Furchen im Gesicht, die das Leben zeigten. Knochige Finger, die irgendwie sehr dünn waren. Ich erinnerte mich an die Hexengeschichten, die ich als kleiner Junge von meinem eigenen Dad nicht nur einmal zu hören bekam.

Gerade fielen mir wieder diese knochigen Finger ein.„Matthis?"..."Ja, min Jung?"..."...wer ist denn dieser Altemit den knochigen Fingern, der immer am Strand sitzt?", wollte ich jetzt nun doch wissen und wartete auf seine Antwort. Doch erst einmal tat er so als hätte er diese Frage nicht gehört. „Hast du was gefracht, min Jung?" und ich schaute mich leicht spöttelnd an.

„Nee, lass ma!", winkte ich ab und machte die dafür typische Handbewegung. Dass die sogenannten „Fischköppe" ein komisches Völkchen waren und noch immer sind, wusste ich ja schon längst. Aber was das hier grade war, bestärkte mich in allem was ich über sie bisher gehört hatte. So das Hotel war wetterfest und wir wollten eigentlich los. Doch die kleine Lady wollte mal wieder aus der Reihe tanzen und sich die tosende See betrachten.

„Jetzt nur keinen Fehler machen!", rief ich mir ins Gedächtnis. „Wer weiß, wohin sie sonst noch läuft!".Tatsächlich stand sie extrem nah am Wasser, hatte ihre Kopfhörer auf und konnte daher das Rufen ihres Großvaters und auch meins nicht wirklich hören. Die See türmte sich inzwischen schon meterhoch auf und noch immer machte sie keinerlei Anstalten zum Jeep zu kommen.

„Na,dann werd' ich die junge Dame jetzt eben holen müssen!", ärgerte sich Matthis und wollte schon loslaufen. Doch so schnell konnte er dann doch nicht rennen. Also sagte ich ihm, dass er beim Jeep bleiben soll und ich rannte so schnell mich meine Füße trugen die Dünen hinab und schnappte sie einfach von hinten, lud sie mir auf den Rücken und rannte im Eiltempo den ganzen Weg zurück. Dann eilends alle angeschnallt und noch kurz einen Blick auf die tobende See erhascht. Scheinwerfer an und ab ging die Fahrt.

In welch großer Gefahr sich seine Enkelin befunden hatte, sahen wir erst in den nächsten Tagen oder sollte ich besser sagen Wochen. Es begann ein riesiger Sturm und wir schafften es gerade noch ins Haus. Den Jeep und auch das andere Auto stellten wir noch schnell in die Garage, verschlossen die Türen und Fenster, auch von außen mit extra Zusatzverriegelungen. Ich kam mir echt vor wie in einem Knast, aber es war ja zu unserer eigenen Sicherheit.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top