Die Natur wütet

Claas und Morton hatten mir nicht nur einmal davon erzählt, dass sie da jemanden kannten, den man versuchen konnte, zu kontaktieren.

Ein Versuch war es zumindest Wert und gleich wenn, wir wieder Empfang haben würden, wollten wir das auch versuchen.

Doch in den letzten zwei Stunden hatten wir bisher kein Glück gehabt. Viel zu stark war noch das Unwetter zu spüren und ich sah ehrlich gesagt schwarz, dass sich das in den nächsten Tagen noch einmal ändern würde.

Keiner hatte bisher ein Lebenszeichen von Freunden oder Verwandten, die nicht mit uns hier festsaßen bekommen.

Wir hofften alle, dass ihnen nichts schlimmes passiert war und falteten unsere Hände und begannen zu beten. Das war auch für mich eher untypisch, konnte aber auch nicht wirklich schaden.

In solcher einer Situation konnte man schon gläubig werden, auch wenn man sonst nicht viel davon hielt.
Aber besondere Umstände erfordern auch besondere Wagnisse.

Ich glaube meine Freunde würden die Hände über den Kopf zusammenschlagen, wenn sie mich jetzt so sehen könnten.
Sie fehlten mir, egal ob man sich zerstritten hatte oder nicht.
Wer weiß wann und ob man sich jemals wiedersehen würde.

Langsam wusste man auch nicht mehr, ob Tag oder Nacht war. Es war ständig dunkel und wurde auch nicht mehr besser.
Keine Vögel waren mehr zu hören. Wie vermisste ich doch jetzt ihren Gesang,  der mich ansonsten immer sehr genervt hatte.

Bloß gut, dass wir noch ausreichend zu essen und trinken für alle hatten.
Hauptsache war allerdings, dass nichts schlecht wird.

Die Auswirkungen des Wetter waren ja noch nicht so gewesen, als man die Konserven hergestellt hatte. Sicherlich wurden sie zahlreichen Kontrollen unterzogen. Aber passieren konnte immer was. Doch damit wollten wir uns noch nicht auseinandersetzen, erst wenn es akut werden würde.

Wir würden schon nicht verhungern und ein bisschen Gewicht konnte ich auch verlieren.  
Ich erwischte mich bei dem Gedanken, dass es nicht so schlimm wäre, das eine oder andere Kilo zu verlieren. Schließlich hatte ich hier ja doch ein wenig zugelegt, was bei guter Hausmannskost auch kein Wunder war.

Ich schmunzelte und bemerkte, wie mich jemand dabei beobachtete. „Was ist denn jetzt so lustig?", wollte er wissen.
Und ich: „Schau mich doch an, ein Fass auf zwei Beinen ist wahrlich schlanker!". Er prustete los und klopfte sich ebenfalls auf seinen Bauch. Schließlich wollte ich ja nicht so aussehen wie ein bekannter französischer Schauspieler.

Und wer war dieser jemand, der sich hier kaputt lachte?
Kein geringerer als Matthis, der alte Seebär. „So hast du wenigstens noch was zum zusetzen!", spöttelte er.

Und draußen war es noch immer stockdunkel, kein Unterschied mehr zwischen Tag und Nacht.
Lange konnte es nicht mehr dauern und die Katastrophe würde über uns hereinbrechen.

Doch was sollten wir tun? Was konnten wir tun?
Ausharren,flüchten...keine Ahnung. Total überfragt, gerade.

Ich hatte so eine Ausnahmesituation ja noch nie erlebt, nicht einmal Morton und Claas, die schon viel in der Welt herum gekommen waren.

So ähnlich musste es in der Hölle sein, wenn man sich an den gängigen Hollywoodstreifen orientieren würde. Aber das war der Film und hier, das war die Realität...der Abgrund, in den wir bald gerissen werden sollten.
Schlimmer als in einem Film.

Man konnte hören, wie reihenweise Bäume abgeknickt und entwurzelt wurden. Einmal gehört, bekommst du dieses Geräusch nicht mehr aus deinen Ohren, was mir sogar Doris bestätigte.

Ein Flucht aus dem Ort war schon längst nicht mehr möglich. Wir mussten, ob wir wollten oder nicht, einfach ausharren...harren der Dinge, die da noch kommen wollten. Erstaunlich ruhig und gelassen waren unsere beiden Kleinsten. Sie dachten sicherlich, dass sie in einem Märchen mitspielen würden.

Zumindest hatte ich gehört, wie einer von uns ihnen das so erklärt hatte. Oh, was hatte dieser Mensch wohl für eine Fantasie. Die war einfach durch nichts zu toppen, außer durch die Realität des Seins.

Doch wer war es, der den beiden Kleinsten auf diese Weise die Angst nahm?
War es doch stockfinstere Nacht und ich konnte mich wirklich nur auf mein Gehör verlassen. War es eine Frauenstimme oder gar die Stimme eines Mannes?

Ich versuchte mich zu konzentrieren, blendete alles um mich herum aus.
Oh, diese Stimme gehörte zu jemanden, den wir schon schmerzlich vermisst hatten. Under war auch tagelang nicht auffindbar gewesen: der Alte, über einhundert Jahre alte Mann, mit dem zerfurchten Gesicht, den knochigen Fingern und seinen tiefliegenden Augen.

Doch woher war er so plötzlich gekommen? Oder war er nur für uns anderen unsichtbar gewesen, wie auch immer er das angestellt hatte?

Aber noch immer gab er sein eigenes Geheimnis nicht preis, warum sollte er auch. War er doch so sagenumwoben und mystisch zugleich. Eigentlich der perfekte Märchenerzähler, was er ja erfolgreich bei den beiden Kleinsten getan hatte.

Sie hatten keine Angst mehr, im Gegenteil lauschten auf jedes einzelne Geräusch, was sie wahrnehmen konnten.

Ihre Fantasie war in vollem Gange, das würden sie wohl so nie wieder erleben können.

Und wenn sie nur halb so gut waren wie der Alte, würden sie doch später eine tolle Geschichte erzählen können.
Wer konnte so etwas schon von sich behaupten?

Nicht mal die besten Autoren der Welt hatten jemals so ein Vergnügen, mit diesem Alten unter einem Dach ausharren zu müssen, besser zu dürfen.

Und draußen rauschte das Wasser beträchtlich nahe, doch das war nur einer dieser starken Regengüsse, wie sie nun schon seit Tagen gab. Diese wurden nur unterbrochen von starken Winden, so wie bei Windhosen. Das Wetter spielte einfach vollends verrückt.

Die Natur war aus ihrem Gleichgewicht geraten, was man an den vielen umherirrenden Tieren sehen konnte. Die zahlreich herabstürzenden Vögel waren erst der Anfang allen Übels, wie er uns nun endlich mitzuteilen gedachte.

Ich erkannte ihn sofort an seiner Aura umgab.

„Komisch, vorher hab ich weder gewusst, was eine Aura ist noch konnte ich sie spüren!Warum also jetzt?".

Dunkel erinnerte ich mich, dass er mir versucht hatte, etwas über mich zu erzählen, aus einem anderen Leben.
Dann war er einfach verschwunden und keiner wusste wohin.

Ich konnte mir auch jetzt nicht vorstellen, dass er mir oder jemand von uns sein gesamtes Wissen preisgeben würde.

Nur ich schien inzwischen mit ihm eine eigenartige Verbindung zu haben. Anders konnte ich es noch nicht benennen.
Ich spürte, wie sich seine ruhige Ausstrahlung auf mich übertrug. Was hatte das nun schon wieder zu bedeuten?

Kannte er mich wirklich aus einem früheren Leben oder war nur ein Scharlatan, auf den ich gerade in Begriff war hereinzufallen?
So viele Fragen und noch immer keine Antworten.

Die anderen waren schon ein wenig verunsichert, drängten sich aber nicht in unser beginnendes Gespräch.
Wenn einer mit ihm kommunizieren konnte, dann ja wohl ich.

Selbst Matthis hatte so etwas noch nicht erlebt; und er war schließlich ein Überlebender einer solchen Höllenkatastrophe, die sich hier noch weiter emporseilte.

Der Alte blinzelte mit seinen Augen, kam mir so vor, als versuchte er krampfhaft seine Lider offenzuhalten.
Hatte er etwa die ganze Zeit nicht schlafen können?

...Und draußen war es noch immer stockfinstere Nacht. Man wusste nicht mehr, ob es Tag oder Nacht war, Uhren funktionierten nicht mehr.

Jegliches Zeitgefühl war verloren gegangen. Eine schreckliche Situation. Und wer sollte da den Überblick behalten. Am besten durchzählen, ob alle da sind: eins, zwei... alle vollzählig im Haus. Wenigstens etwas.

Wer weiß schon,wann wir wieder Sonnenlicht sehen würden...

Und wann würde es jemals wieder normale Flora und Fauna geben? Würde sich jemals wieder der Ozean erholen oder waren zahlreiche Arten für immer von dieser Erde verschwunden?



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