Alle zusammen


Eigentlich hasste ich es warten zu müssen. Doch an der Situation konnte ich nichts ändern. Endlich waren wir dran und hatten gerade alles aufs Band gepackt als sich einer zwei Meter großer Typ vordrängeln wollte. Doch da hatte er nicht damit gerechnet, dass alte Seebären wussten wie sie sich gegen solche Typen wehren konnten.

Ganz kleinlaut verzog der sich dann ganz nach hinten an die Schlange und wagte nicht mehr aufzumucken. „Oh, ich glaube, der hat echt genug!", rief ich und Matthis lachte. „Ja hat er, hoffe ich für ihn. Ansonsten wird er meine Faust in seinem Gesicht spüren!". „Na super, eine Schlägerei brauchten wir jetzt nicht auch noch!", dachte wohl auch sein Freund und rief in zur Ordnung: „Lass gut sein!" und schon war er ruhig.

Er wusste wie er mit seinem Freund zu reden hatte, ohne ihn zu beleidigen. Sie kannten sich ja schon mehr als ein halbes Jahrhundert. Endlich hatten wir alles wieder in den beiden Einkaufswagen verstaut und gezahlt. „Nichts wie weg hier!",dachte wohl auch Thiess und drängte mit dem einen Wagen nach draußen und den zweiten schob ich und Matthis trottete hinter uns her.

Nachdem wir alles in beiden Autos verstaut hatten, ging es wieder nach Hause, unserem Zuhause auf Zeit. Dort wartete bereits Hope um.uns beim Ausräumen zu helfen. Wir fragten nach Tammy und der kleinenMaus, bekamen aber keine Antwort. „Wo bist du nur wieder mit deinen Gedanken?", fragte ich sie. Sie wollte eigentlich noch mal an die See, aber das war jetzt nicht mehr möglich.

Wir zeigten ihr die Bilder, die ich aufgenommen hatte. Und Hope schluchzte. Ihre schöne See würde nie wieder so schön sein, nicht in den nächsten fünfzig Jahren. Darüber hatte sie schon genug gelesen. „Ja, die Natur wehrt sich halt gegen das Eindringen des Menschen!", rief Thiess und Matthis nickte.

„Komm, hilf lieber dein Oma! Sie muss sich noch schonen! Das weißt du doch!" und sie nickte. Phylis hatte sich neben Tammy auf die Couch gelegt, genauer ihr gegenüber. Da stand ja nicht nur eine. Und sie war eingeschlafen. Man sollte nicht merken, dass es ihr eigentlich nicht wirklich gut ging. Doch ich bemerkte als erster, dass hier etwas ganz und gar nicht in Ordnung war. Was sollten wir tun?

Ich bat die anderen mich mit Phylis allein zu lassen und noch konnten sie nach draußen, da ja das Wetter gerade mal seine bessere Seite zeigte. Nur konnte sich das auch leider sehr schnell wieder ändern. Ich setzte mich zu ihr und fragte, was denn los sei. Sie versuchte herumzudruksen, aber sie müsste mich eigentlich inzwischen viel besser kennen.

Mir kann man nichts vormachen. Ich bekomme die kleinsten Anzeichen von Veränderungen mit. „Ich habe einfach Angst, dass wir unsere Tochter nie wiedersehen!" und nun begann auch sie endlich zu erzählen, weshalb sie so unruhig war. So erfuhr ich, dass sie bei dieser Jahrhundertflut, der letzten, ihre Eltern und ihren Bruder verloren hatte. Sie wähnten sich bereits in Sicherheit, aber dann kamen noch einmal derart hohe Wellen, dass eine Flucht nicht mehr möglich war und ihre Eltern und Bruder aufs offeneMeer getrieben worden waren.

Später hatte man sie dann viele tausende Kilometer weit weg gefunden und man konnte ihre Qualen nur erahnen. Diese weit aufgerissenen Augen und gequälte Mimik wird sie nie wieder vergessen können. Und trotzdem kannte sie ja auch die andere Seite der Medaille und deswegen wollte sie ja auch nie fort von hier.

Nachdem sie mir nun ihre eigene Tragödie erzählt hatte, wurde ihre Atmung ruhiger und auch ihr Puls raste nicht mehr so. Gut der Blutdruck war noch nicht ganz okay, aber es ging ihr merklich besser. „Bloß gut, dass du meine Angst gespürt hast!", rief sie freudig und dann durften die anderen wieder hinein. Ich konnteEntwarnung geben und sagte nur: „Auch Angst kann einen von innen her auffressen!".

Somit war alles gesagt und jeder hatte diesen Wink mit dem Zaunspfahl verstanden. Matthis setzte sich neben seine Frau und nahm sie in den Arm. Er kannte ihre Ängste nur zu gut und wusste ganz genau was passiert war. Irgendwie hatte jeder der Älteren hier jemanden an die See verloren. Dabei ist es egal, ob jung oder alt.

Verlust ist Verlust. Es schmerzt gleichermaßen. Nachdem sich alle wieder ein wenig beruhigt hatten, konnten wir dann auch zur Tagesordnung übergehen. Dieses Mal hatte es Claas und Morton übernommen zu kochen, mit ein bisschen Hilfe von Hope, die sich hier ja schon bestens auskannte. Ich hätte nicht gedacht, dass es wirklich etwas essbares wird. Man merke gleich, dass die beiden jungen Männer schon lange auf sich allein gestellt sind.

Die Abschnitte mit relativ ruhigem Wetter wurden aber inzwischen immer kürzer und so konnten wir leider auch nicht mehr direkt ans Wasser. Einen begehbaren Strand gab es ja schon lange nicht mehr. Dort lagen nur noch die bereits verendeten oder noch mit dem Tode ringenden Kreaturen des Meeres. Inzwischen waren die Strände auch abgesperrt worden.

Denn auch die Dünen waren zum Teil schon eingestürzt, was man niemals für möglich gehalten hatte. Aber die Natur hat ihre eigenen Gesetze und wenn sie tobt, dann aber richtig! Jeder der halbwegs vernünftig denken konnte, würde nicht mehr direkt zum Wasser gehen. Es war wirklich einfach zu gefährlich. Auch hier konnte sich ein Tsunami bilden.

Das hatte man zwar lange Zeit für unmöglich gehalten und daher hatte die letzte Jahrhundertflut auch so viele Opfer gefordert. „Man wollte einfach nur mal gucken..."und dann kam man nicht mehr rechtzeitig weg oder wurde ins offene Meer geschleudert. Es stimmten also alle Aufzeichnungen der Matrosen und waren kein Märchen oder gar Seemannsgarn.

Einen gewissen Vorgeschmack hatten wir ja bereits bekommen. Doch es sollte noch richtig heftig werden. Das wussten wir alle. Umso mehr genossen wir es, gemütlich zusammen sitzen zu können und gemeinsam die Mahlzeiten einzunehmen. Die beiden Mädchen hatten liebevoll den Tisch für uns gedeckt und Claas und Morton hatten gezeigt, dass auch junge Männer durchaus kochen konnten.

Es gab sogar was richtig leckeres: gedünsteter Fisch mit Petersilienkartoffeln, Rotkraut und einer Zitronensoße. Und wer keinen Fisch wollte, für den gab es leckeren Bratklops. Aber es wurde nicht gemurrt, sondern gegessen. Die restlichen Bratklopse konnten wir ja dann zum Abendessen verspeisen. Auch frisches Brot hatten die beiden gebacken.

Es duftete im ganzen Haus danach. „Schon der Wahnsinn! So schnell würde ich den Geruch nicht mehr aus der Nase bekommen!", rief ich ihnen zu und half dann aber das Chaos in der Küche zu beseitigen. Tammy ging es inzwischen nach ihrem Unfall auch wesentlich besser und ich schaute mir auch ihre Werte genau an und endlich war sie über den Berg. Bloß gut, dass ich meinen ganzen Medizinkram einstecken hatte. Wer weiß für was der uns hier noch von Nutzen sein würde.

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