Home Sweet Home
"Ich hätte sie fertig gemacht!" Ich ignoriert das Gejammere von Sophie, die mit überkreuzten Armen an meinen Türrahmen lehnte. "Amara hörst du mir überhaupt zu?"
Ich ließ einen Stapel Jeans in meinen Koffer fallen und warf ihr als Antwort einen Blick zu, der ihr sagen sollte, dass ich es nicht mehr hören wollte. Seit dem Zwischenfall waren jetzt zwei Wochen vergangen, in denen Sophie mir immer wieder anbot Amber höchstpersönlich den Kopf abzureißen, Connor mir anbot sie zu verklagen, Valerie sie online in den Dreck ziehen wollte oder Lilly mir vorschlug Amber in der Nacht die Haare zu rasieren.
"Sophie jetzt lass sie doch endlich", meldete sich Tobi zu Wort. Er kam gerade mit einem Sandwich aus der Küche und stellte sich neben Sophie. Er zupfte eine Tomatenscheibe aus dem zusammengeklappten Sandwich hervor. "Es ist ihre Sache, wie sie das handhaben möchte. Wir sollten sie dabei unterstützen."
Sophie zog die Augen zu schlitzen. "Das sagst du so einfach! Ich kann es nicht ertragen, wenn jemand meiner besten Freundin so etwas antut. Das verlangt nach Rache!"
Während meine Freunde zu diskutieren begannen, widmete ich meinen Kleiderschrank. Ich benötigte noch T-Shirts, Pullover und vor allem irgendetwas, dass ich zur Geburtstagsfeier meiner Oma anziehen konnte. Diese Feiern waren immer so groß aufgezogen und der eigentliche Sinn dahinter war überhaupt nicht der Geburtstag meiner Großmutter, sondern der potenzielle fang von neuen Kunden, den meinen Großvater mit seiner Baufirma nur zu gerne Angebote unterbreitete.
Das Einzige, dass die Streithähne abhielt sich die Köpfe einzuschlagen, war die Klingel. Ich packte meine restlichen Sachen ein, während Tobi die Tür öffnete und sich Sophie netterweise auf meinen Koffer setzte, damit ich ihn zubekam.
"Na, kleine Schwester. Probleme mit dem Koffer?", schmunzelnd kam Valerie auf uns zu, nur um sich neben Sophie auf den Koffer fallen zu lassen.
"Ich hasse es Koffer packen zu müssen. Gerade dann brauche ich immer alles mit", krächzte ich schnaufend bei dem versuch den Reißverschluss zu schließen. Sophie verlagerte ihr Gewicht etwas auf den Rand und drückte die Enden zusammen, so gelang es mir dann stückchenweise, den Verschluss zuzumachen.
Nach getaner Arbeit setzten wir uns mit Getränken auf die Couch im Wohnzimmer. Tobi hatte sich zuvor noch bei mir verabschiedet, da er sich mit Peter irgendwo treffen wollte und nachdem er mich für das restliche Wochenende nicht mehr zu Gesicht bekommen würde, wünschte er mir noch viel Spaß in meiner eigentlichen Heimat.
Während ich an meiner Cola nippte, sah ich immer wieder auf die Uhr. Niall wollte schon längst hier sein. Unser Flieger würde seinetwegen bestimmt nicht auf uns warten.
"Sag mal, Amara, wie sind unsere Großeltern so?"
"Sie sind okay", gab ich schulterzuckend zurück.
"Jetzt übertreibt sie", sagte Sophie, die sich auf der Couch aufrichtete und sich zu Valerie drehte. "John ist ja ganz nett und ausgelassen, aber eure Großmutter hat schon ein paar Macken."
"Sophie!", zischte ich empört.
Sie hob sie Hände. "Was? Ich habe doch recht. Denk doch nur mal daran, wie es war, als sie Niall zum ersten Mal begegnet ist. Sie behandelte ihm wie einen armen Straßenmusiker, der ihre Enkelin verführen wollte." Sie wippte mit dem Kopf und sprach leiser weiter: "Letzteres ist ja irgendwie auch wahr gewesen."
Das erneute Klingeln an der Tür unterbrach unsere Unterhaltung. Das konnte nur Niall sein und ich hatte recht. Ich öffnete ihm die Tür und zog ihn in einen Kuss. Seine Lippen waren kalt, was kein Wunder war. Das Thermometer stieg nur noch selten über zehn Grad.
"Hey.", echoten wir.
"Bereit meine Grandma wiederzusehen?", grinste ich und pikste ihm in die Wange.
Er verzog das Gesicht. "Wenn sie nicht in dein Leben gehören würde, könnte ich verzichten."
Ich nahm ihn an der Hand, zog ihn in die Wohnung und schloss die Tür hinter uns. "Warte nur was sie zu sagen hat, weil du uns öffentlich geoutet hast."
Er legte den Kopf zur Seite und strich sich durch seine Haare. "Letztes Mal hat sie mir Frieden angeboten, daher hoffe ich, dass die weiße Fahne noch steht."
"Das hoffe ich auch, sonst muss ich die Nacht in der Therme mit meiner Schwester verbringen.", neckend warf ich ihn einen verführerischen Blick zu. Niall grinste verschmitzt und zog scharf die Luft ein.
"Diesen Anblick darf mir keiner nehmen, weder deine Großmutter oder die Queen." Niall zog mich an der Hüfte zu sich, platzierte eine Hand an meinen Hals. Er beugte sich zu mir und streifte mit seinen Lippen meinen Mundwinkel, meine Wange und an die empfindliche Stelle an meinen Hals entlang. Dabei neigte ich meinem Kopf automatisch, um meinen Hals freizulegen. Dieser Einladung ging er natürlich nach. Seine langsam wärmer werdenden Lippen saugten an der Stelle, an dem er meinen Puls fühlen musste.
Ich biss mir auf die Lippe.
Wenn ich mich jetzt nicht beherrschen könnte, könnte es passieren, dass er mir ein Stöhnen entlockte und das wollte ich nicht, schließlich saßen Valerie und Sophie im Nebenraum. Aber was soll ich sagen? Schon alleine die Tatsache, dass er mir von zwei Wochen einen Post auf Instagram gewidmet hat, in dem er öffentlich zugab mich zu lieben. Außerdem hatte er sich darum gekümmert das Video von sämtlichen Seiten sperren zu lassen. Nur bei meiner Telefonnummer konnten wir nichts mehr machen, weshalb ich mir eine neue zulegte.
"Hängt ihr noch immer aneinander oder können wir bald los? Wir verpassen den Flug sonst! Ich mein ja nur..." Valerie klang nicht ernst, sondern eher als würde sie gerade lächeln.
Nach einem kleinen Kuss auf die Lippen ließen wir voneinander ab, verabschiedeten uns von Sophie und fuhren mit Marc am Fahrersitz zum Flughafen.
Der Flug hätte nicht schneller vergehen können. Die gesamte Zeit über kam ich mir beobachtet und verfolgt vor. So war es auch am Campus, nur das ich es mir da nicht einbildete. Nein. Dort war ich das Mädchen, das eine Tortellini Dusche bekam. Von andere wurde ich aber auch Schlampe genannt, weil es ihnen nicht passte, dass ich was mit einem berühmten Sänger hatte. Der Neid zerfraß sie beinahe. Amber bekam nach der Aktion eine Verwahrung. Es war nicht das, was ich mir unter einer geeigneten Strafe vorgestellt hatte, aber es war ein Anfang. Das Essen mit meinen Dad, ähm, Connor fand drei Tage später als geplant statt. Hühnchen ala Art von Amara zauberte ich für ihn. Zuvor hatte ich Valerie extra noch gefragt, was er eigentlich gerne aß. Der Abend verging, wie gewünscht, gut. Wir konnten reden und ich versuchte zumindest zu verstehen, was seine Absichten damals waren, aber ich vergaß die meiner Mutter natürlich nicht. Jeder der Beiden hatte Schuld an allem. Aber schlussendlich machten die Aktionen unsere Eltern Valerie und mich zu den Frauen, zu denen wir geworden sind.
Beim Anblick der rot-weiß-roten Fahne konnte ich deutlich fühlen, wie sich Tränen den Weg nach außen bahnten. Meine Kehle schnürte sich zu und meine Knie wurden weich. Seit fast fünfzehn Monaten hatte ich den Boden meiner Heimat nicht mehr betreten. Das Gefühl von Heimweh hatte ich eigentlich nie, aber jetzt, wo ich hier stand und den typische wienerische Dialekt hörte, traf es mich mit voller Wucht. Ich vermisst es hier zu sein. Jetzt war es einmal anders, denn diesmal lief ich zielstrebig durch die Halle zur Gepäckausgabe und nicht Niall oder einer der anderen. Ich war am Zug.
Vorm Flughafen in Schwechat nahmen wir uns ein Taxi. Am späten Nachmittag war es wie immer voll auf der Autobahn und die Baustelle machte das Stau-Problem nur noch unerträglicher. Nicht nur einmal musste der Taxifahrer seine Hupe betätigen. Ich drehte mich zu Niall und Valerie um, die mit großen Augen den Verkehr rund um unser Auto beobachtete. Den Fahrstil des Mannes neben mir würde ich in etwas mit denen von Harry vergleichen - nur das er diesen Stil hier auch wirklich anwenden musste, was bei Harry nicht der Fall war. Er konnte es einfach nicht besser.
Da ich die Einzige war, die daran gedachte hatte Euros mitzunehmen, bezahlte ich den Fahrer, während meine Mitreisenden die Koffer aus dem Kofferraum hievten. Das Anwesen meiner Großeltern hatte sich überhaupt nicht verändert. In der Einfahrt befand sich ein großer Springbrunnen, um den man mit dem Auto fahren musste um wieder hinauszufahren. Der Boden war mit feinen Steinen bestreut und die Wiese leuchtete noch immer saftig grün. Der Gärtner leistete großartige Arbeit.
Gerade als ich meinen Koffer, gefolgt von Valerie und Niall, die sechs Steinstufen hoch tragen wollte, ging die Doppeltür auf. Eine Reihe von Angstellen in schwarzer Kleidung lief auf uns zu und nahm uns die Koffer ab.
"Mein Baby ist zurück!", euphorisch legte meine Oma die Handflächen zusammen, schon beinahe als wollte sie zu Gott beten. Auf ihren Absatz klapperte sie die Stufen hinunter und umarmte mich. Sie sah aus wie immer. Die luftigen Locken hingen ihr bis zu den Schultern und an ihrer Kleidungswahl nahm sie sich augenscheinlich noch immer die Königin von England als Vorbild. Ob ich sie wohl dazu überreden könnte, während der Anwesenheit von Niall und Valerie in Englisch zu sprechen? Valerie konnte genauso wenige Deutsch wie mein Freund.
"Hallo Grandma."
Sie lehnte sich zurück und legte ihre Arme auf meine Schultern. Ich empfand es schon fast als unangenehm, so genau musterte sie mich, jedoch presste sie die Lippen so aufeinander, dass ich annahm, dass sie sich gerade zusammenriss, um nicht zu weinen.
Es dauerte, aber ihre Augen fanden nach kurzer Zeit Valerie die hinter mir stand. Grandmas Hände glitten von meinen Schultern und ich trat zu Seite. Sie atmete laut ein und legte sich eine Hand auf den Mund. Valerie ging es ebenfalls nicht anders. Beide schienen sprachlos. Und Niall war einfach nur froh, dass sie ihn nicht gleich zur Kenntnis nah. Vorsichtig näherten sie sich einander an. Grandma nahm eine der grauen Strähnen von Valerie Schopf zwischen die Finger. Ich ahnte, was jetzt kommen würde. Sie hieß es auch nicht gut als ich mir meine Spitzen blondieren ließ.
"Kindchen, was hast du mit deinen Haaren angestellt?"
Valerie runzelte die Stirn und legte den Kopf zur Seite. Sie verstand natürlich kein Wort.
"Grandma du musst schon englisch mit ihr und Niall sprechen. Keiner der Beiden kann Deutsch."
"Was heißt, sie kann nicht deutsch? Sie ist eine Julien!" Das ist nicht ihr ernst!?
Ich ließ die Schulter seufzend fallen. "Sie ist eine Davis. Hier geboren, aber in London bei Briten aufgewachsen." Das müsste doch eigentlich selbstverständlich sein!
Beim nächsten versuch ihre Haarfarbe zu kritisieren nahm sie meinen Vorschlag in Englisch zu sprechen an. Anhand Valeries Gesichtsausdruck konnte ich sofort erkennen, wie ihr die Nörglerin gefiel. Sie tat es aber mit einem höflichen: "Ich musste sie für ein Shooting so färben." ab. Die Lüge wurde ihr abgekauft.
Danach war Niall an der Reihe. Behaglich legte er eine Hand in den Nacken. Er setzte das beste Lächeln auf, aber bei dem finsteren Blick von Grandma hielt er nicht lange stand.
"Mrs Julien, es ist schon eine Weile her...", er räusperte sich. Ich sah, wie er schluckte und mich Hilfe suchend ansah. Ich biss die Zähen zusammen, trat zu Niall heran und nahm seine Hand demonstrativ. Die gesamte Welt wusste es schon, deshalb hatten wir nichts zu verlieren. Schließlich ist es meine Entscheidung, wenn ich an meiner Seite haben will und nicht ihre. Sie sollte sich als an diesen Anblick gewöhnen.
Ein missbilligender Blick lag auf unseren Händen, dass meine Grandma aber mit Kopfschütteln abtat und stattdessen das falscheste Lächeln überhaupt aufsetzte, bevor sie sagte: "Amara, wir haben dir dein Zimmer aufputzen lassen. Für Valerie und Niall ebenfalls. Einzelbetten in getrennten Zimmern stören euch doch nicht, oder?"
Valerie und Niall nickten den Kopf.
"Niall schläft bei mir." Ich drückte Niall in die Hand. Hatte er so viel schieß vor meiner Großmutter oder war er nur aus Respekt mit allem einverstanden, was sie von ihm wollte?
Grandmas Mundwinkel zuckte. "Nein. Jeder bekommt sein eigenes Zimmer. Wenn ihr irgendwann...", sie machte eine pause und atmete laut aus, "... verheiratet seid, dann ist es für mich und deinen Großvater natürlich kein Problem. Wir wollen doch nicht noch einmal dasselbe mit dir, wie bei deiner Mutter, durchmachen. Man sieht ja nach all diesen Jahren wozu, das geführt hat. Ich habe eine zweite Enkelin, die ich erst nach zwanzig Jahren kennenlerne. Falls mir euer Vater jemals wieder unter die Augen treten sollte dann..."
"Elisabeth beruhige dich. Lass unsere Gäste doch mal hereinkommen. Wilma bereitet gerade Kaffee, Tee und Kuchen vor." Mein Großvater mischte sich ins Getümmel ein. Er stand mit offenen Armen bei der geöffneten Haustür und grinste von einem Ohr bis zum anderen.
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Hey.
Möchte mich hier nochmals bei euch bedanken. Danke, das ihr nach all dieser Zeit noch immer diese Geschichte verfolgt, Votes und Kommentare hinterlässt. Für mich ist das nicht selbstverständlich.
Auf dieses Kapitel bin ich besonders stolz, da es Kapitel Nummer 100 ist! (Ohne Teaser, Gewinnspiele,...). Von mir aus könnten es wieder so viele werden. Teil drei hat noch eine Menge an Stoff zu erzählen und von Teil vier, dem Ende der Reihe, beginne ich erst noch nicht mal. An dieser Stelle an ganz großes Danke an meine beste Freundin SandraZeller4, die mir immer zur Seite steht. Danke das du dir immer meine Ideen stundenlang anhörst und mir deine Meinung sagst. Sie weiß bereits wie es ausgeht und war mehrere mal über meine Ideen empört. (Ja, ich liebe es zu teasern.)
Fühlt euch gedrückt. Liebe Grüße, Sabrina.
PS: Kapitel 101 und 102 werden heiß ;)
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