Fenster aus bunten Mosaik
September. Das Monat, in dem der Herbst beginnt, das bunte Laub die Straßen färbt und die Nächte länger werden. Jetzt ist er also gekommen - mein erster Tag als richtige Studentin, der Tag auf den ich das letzte Jahr gewartet hatte. Heute entschied sich, wer ich in Zukunft sein sollte. Überhaupt kein Grund zur Sorge, es ist nur der wichtigste Tag für den Rest meines Lebens.
Aufgeregt setzte ich einen Fuß nach den anderen nach vorne und ging im stillen noch einmal den Inhalt meiner Tasche durch. Hoffentlich hatte ich nichts vergessen. Ich biss mir auf die Unterlippe.
"Amara ... bleib cool", versuchte Tobi mich zu beruhigen. Er zog an den Strohalm seines Starbucks Kaffees.
"Cool, ist mein zweiter Vorname", erwiderte ich und sah von meinen Füßen auf. Wir hielten an einer roten Ampel an. Tobi zog eine Augenbraue hoch und verschluckte sich. "Das merkt man sofort. Du bist die Ruhe selbst.", neckte er. Es war nicht nur der erste Unitag der mich nervös machte, mir steckte aus der Streit von Freitag mit Connor noch in den Knochen. Es war nicht meine Absicht mit ihm in einen Streit zu geraten - ehrlich nicht - ich wollte ein gutes vernünftiges Verhältnis zu ihm aufbauen, aber etwas in mit lies die Bombe platzen. Es waren Gefühlte die in mir schlummerten und an die Oberfläche wollten.
Hinter und neben uns versammelten sich immer mehr junge Leute mit Rucksäcken und Taschen. Das waren bestimmte auch alles Studenten. Ich wendete mich von Tobi ab und betrachtet das riesige Gebäude auf der anderen Straßenseite.
"Hat Ähnlichkeit mit Hogwarts, oder?", fragte Tobi neben mir. Ich nickte. Das rechteckige braun - orange Gebäude hatte auch für mich Ähnlichkeit mit Hogwarts. Die Ampel schaltete endlich auf grün. Wir schlenderten in angenehmen Tempo den Wag entlang zum Haupteingang. Links und rechts standen verschiedenste Stände die Schulaktivitäten anboten. Ein junger Mann mit gelockten hellem Haar verteilte fleißig Flyer an die Frischlinge. Als würde er wissen das auch ich zu den Neulingen gehörte, drückte er auch mir die Broschüre in die Hand - die ich in den nächsten Mülleimer verschwinden ließ. Ich hatte keine Lust mich den Freigeistern anzuschließen und im Park zu chillen. Wir wussten doch alle in welchen Kontext wir chillen zu verstehen hatten.
Wie auch beim ersten Mal, als ich mit Sophie hier war, betrachtete ich die Statuen der vermeintlichen Gründer vor dem Haupteingang. Ein Strom aus Studenten ging an uns vorbei und enterte den Hauteingang - ein hoher Bogen mit einer weißen Umrandung. Generell sah ich am Gebäude vieler solcher Bogen und Säulen. Oben an einer der Spitzen saß eine Uhr, die vermutlich so groß war wie zwei geparkte Wagen.
"Wir sollten uns ein bisschen beeilen, sonst kommst du an deinen ersten Tag noch zu spät", erinnerte mich Tobi an die Zeit. Er schlürfte den Rest des Kaffees aus seinem Becher und entsorgte den Becher anschließend in einer schwarzen Tonne neben der zwei Jungs gerade rauchten. Ich riss meinen Blick von der Uhr. "Ja, du hast recht. Ich muss zum ...", ich kramte in meiner Tasche nach der Einschreibungsbestätigung und den dazugehörigen Zettel, wo ich mich einzufinden hätte. Ich zog den etwas zerknüllten Umschlag aus meiner Tasche. "... zum Hörsaal 16."
Tobi zog die Zigarettenpackung aus seiner Hose heraus uns nahm eine davon zwischen die Lippen. Er blies Rauch aus, als er sie anzündete und einen Zug davon nahm. "Du gehst durch den rechten Eingang, den Weg einfach gerade aus bis zu den ersten Treppen, gehst in den ersten Stock und die erste Tür rechts ist dein Ziel."
"Eingang rechts, hoch in den ersten Stock und die erste Tür rechts. Richtig?", wiederholte ich und Tobi nickte. "Soll ich noch auf dich warten ... oder...", begann ich und deutet auf die Zigarette zwischen seinen Fingern. Er schien es nicht eilig zu haben in seinen Hörsaal zu kommen.
Er schüttelte den Kopf. "Nein, brauchst du nicht. Ich muss sowieso in die andere Richtung."
"Oh.", ich leckte mir über die Lippen. Insgeheim hatte ich gehofft dass ich Tobi sehen würde, aber wenn er in die andere Richtung musste, würde das wohl bedeuten, dass wir uns nicht sonderlich oft über den Weg laufen werden. Es wäre auch zu schön gewesen.
"Na gut, dann werde ich mich mal auf den Weg machen", seufzte ich und drehte mich um. Tobi rief mir noch ein "Viel Spaß!" hinterher.
Mit verschwitzen Händen schritt ich den Flur entlang. Die Architektur hatte auch im Inneren nicht seinen Glanz verloren. Der schwarz weiße Boden unter mir zeigte keinen einzigen Makel auf und auch an den Wänden war alles tipptopp. Gemälde mit Goldrahmen zierten stattdessen die Wände, Fenster aus bunten Mosaik verfärbten den Boden unter meinen Füßen. Durch die dicken Wände war es kühl am Flur und ich fror leicht. Wie Tobi es gesagt hatte, ging ich an den Treppen hoch und kam schlussendlich am Hörsaal an - der mir im wahrsten Sinne des Wortes die Spucke raubte. Es sah aus wie in einem Kino. Reihenweise nach oben gestufte rote Polstersessel so weit das Auge reichte. Die Decke bestand aus weißen Platten mit mehreren Scheinwerfern und dutzenden runden Lichtkegel die den Rest des Raumes ausleuchteten. Die Wände waren nicht wie am Flur aus Stein, nein, sie bestanden aus Holz, sowie auch der Boden unten am Lehrerpult. Staunend ging ich die Stufen nach unten und ließ mich in der Mitte der dritten Reihe nieder. Ein Mädchen saß einen freien Sitz entfernt von mir. In ihrer Hand hielt sie ein Buch. Sie schien so vertieft zu sein dass sie mich nicht mal zu bemerkten schien. Ihr Kinn langes orange-rotes Haar strich sie sich immer wieder hinter ihr Ohr, während auch ständig ihre runde Brille auf ihre Nasenspitze rutschte. Vor uns telefonierte eine Blondine aufbrausend, während weiter oben tiefe Lacher von Kerlen den Raum erfüllten, einer brüllte regelrecht los. Die kannten sich anscheinend schon. Ich konnte nur hoffen dass sich dieser Lärm bald legen würde. Ich hatte keine Lust vor der ersten Stunde Kopfschmerzen zu bekommen.
Meine Tasche hatte ich zwischen meine Beine am Boden abgestellt, während ich mir einen Block und einen Kugelschreiber auf den Schoss legte. Ich grinste, als ich sah, dass Niall mir eine Nachricht geschrieben hatte.
"Sei artig und hau sie um, Streber.", er hatte diese Worte auf ein Foto geschrieben, in dem er einen Kussmund machte. Wie gerne hätte ich ihn heute bei mir gehabt. Aber auch wenn er nicht in Amerika gewesen wäre, sondern hier in London, hätte er mich auch nicht begleiten können. Wir durften es und im Moment nicht leisten Aufmerksamkeit zu erregen. Das Foto machte noch immer seine Kreise im Internet, Spekulationen rund um unsere Liebe wurden gemacht und wirklich jeder musste seine Meinung dazu abgeben. Es schmerzte mich den Hass seiner Fans mit aller Kraft ab zubekommen. Er prallte auf mich ohne das ich mich mit einen Schild wehren hätte können. Ich las alles kommentarlos, ich wollte nicht noch Holz in das lodernde Feuer werfen.
Um ihn zu erinnern, was er heute verpasste, schoss ich ein Selfie von mir, in dem ich den Kugelschreiber zwischen die Zähne nahm und ihm einen Blick auf mein hellblaues Kleid gab. Eigentlich war das überhaupt nicht die Art von Foto das ich von mir machen würde und an einen Jungen schicken würde, aber ich fühlte mich in diesen Moment einfach danach. Das verlangen nach meinen Freund war in den letzte Wochen einfach unerträglich geworden. Niall ist wie eine Droge für mich - ich brauche ihn. Es war Sophies Idee mich in dieses Kleid zu quetschen. Sie war der Überzeugung, dass ich mich heute schön machen musste, denn er erste Eindruck zählte ja bekanntlich am meisten.
Die Plätze füllten sich und leider musste sich auch ausgerechnet ein Kerl mit fettigen Haar und Schuppen neben mich setzten. Er hatte so viel Schuppen das sie überall auf seinen schwarzen Oberteil lagen. Schweißflecken bedeckten sein Hemd und er roch auch dementsprechend. Er drehte sich zu mir und zwinkerte mich an. Räuspernd drehte ich meinen Kopf zur Seite und tat als ob ich nichts gesehen hätte. Ich trug mir ein paar Spritzer meines Parfums auf, um den unangenehmen Geruch zu übertönen.
"Das riecht gut. Was für ein Parfum ist das?"
Überrascht dass sie doch den Blick aus ihren Seiten gehoben hatte, sah ich sie an. "Es heißt ...", ich drehte die Vorderseite der Flasche in meine Richtung. "The Scent von Hugo Boss." Es war eine Flasche die ich mir aus Nialls Badezimmer gemopst hatte. So hatte ich zumindest seinen Duft in der Nase.
Meine Sitznachbarin klappte ihr Buch zusammen und legte es neben sich auf den freien Sitz zwischen uns. "Den Namen muss ich mir merken", sagte sie.
"Soll ich ihn aufschreiben?", bot ich netterweise an.
Sie nickte. "Das wäre nett. Danke." Ich öffnete mein Notizbuch, riss ein Stück der oberen Ecke ab und schrieb in meiner schönsten Schrift den Namen auf. "Ich bin übrigens Lilly."
Ich überreichte ihr das Stück Papier. "Amara."
Lilly lächelte höflich und nahm den Zettel an sich. "Du bist nicht von hier oder Amara?"
Ich kniff die Augen zusammen und legte den Kopf zur Seite. "Ist mein Akzent so schlimm? Ich dachte wirklich, ich hätte es unter Kontrolle."
Lachend schüttelte Lilly den Kopf. "Ach, nein. Das ist es nicht. Dein Englisch klingt schöner als das der Briten. Die reden immer so geschwollen."
"Und woher bist du?", fragte ich. Auch sie hatte einen anderen Akzent. Sie konnte keine Britin sein.
Lilly strich sich eine Strähne zurück. "Von Downunder. Ein Aussie, wie sie uns alle so gern nennen."
Ich zeigte mit dem Finger auf sie. "Du bist eine Surferin."
"Garantiert nicht. Ich habe keine Lust als Haifisch futter zu enden - außerdem bin ich nicht gerade sportlich veranlagt. Mein Bruder ist das komplette Gegenteil von mir, er ist der sportlich Freigeist, der durch die Welt reist und täglich neue Abenteuer erlebt, während ich lieber zu Hause am Sofa sitze und meine Bücher lese. Ich liebe die Sicherheit."
Das Klingeln der Glocke unterbrach unser Gespräch. Es wurde schlagartig still im Saal als eine Frau im Hosenanzug hereintrat. Der Absatz ihrer Schuhe klapperte auf den Holzboden. Das musste wohl die Professorin sein. Mit einem lauten Knall warf sie die Mappe in ihren Arm auf ihren Tisch ab und zog den Stuhl hervor, ehe sie aufsah und einen Blick in die Runde warf.
"Guten Morgen Frischlinge. Mein Name ist Professorin Amanda Jones. Ich unterrichte Literatur und Didaktik. In gewissen Fällen übernehme ich auch Kunstgeschichte. Manche von euch werden mich daher öfter sehen, als andere."
Lilly und ich gingen die Treppen hoch und sprach über die vergangene Stunde. Professorin Jones hatte uns versucht zu erklären, wie das Studium ablaufen wird, was alles zu beachten ist, welche Regel im Haus gelten und so weiter. Es schien eine ewig lange Liste zu sein, die sie auswendig aufzählte, als würde sie eines ihrer Lieblingsrezepte aufsagen.
"Mein Kopf platzt! Das waren viel zu viele Informationen auf einmal", schnaufte Lilly neben mir. Zustimmend nickte ich. "Ich habe schon geglaubt, die hört nie auf zu reden."
Beim Verlassen des Saals standen schon die Flyer-Verteiler vor der Tür und drückten wieder jeden von uns einen Flyer in die Hand.
'Rettet die Erde!', stand in Großbuchstaben ganz oben. Ich lächelte den Jungen nett an und wendete ich mich rasch ab. Meine Augen landete auf meinen Mitbewohner, der sich an einer Wand anlehnte und scheinbar auf mich wartete.
"Schon was gelernt?", fragte er und blies eine Kaugummiblase.
Bevor ich antworten konnte viel mir Lilly ins Wort. "Es hat mich echt gefreut dich kennenzulernen, aber ich werde jetzt ins Wohnheim gehen. Wohnst du auch dort, denn dann könnten wir uns später treffen?"
"Ähm... nein. Ich wohne in einen Apartment die Straße runter. Aber wir werden uns bestimmt wiedersehen.", erwiderte ich. Sie nickte und verabschiedete sich kurz darauf von mir.
Also ich auf Tobi zuging, sah er mich gespielt geschockt an. "Am ersten Tag schon Freunde gefunden?"
Grinsend klapste ich ihm auf den Oberarm. Tobi lachte leise, legte seinen Arm um meine Schulter und verließ die Gemäuer mit mir und gab mir anschließend einen Kaffee aus.
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