Der Wunsch ein Niemand zu sein

Beschämt lief ich so schnell mich meine Beine tragen konnte, aus dem Speisesaal. Ich stieß die Tür auf, stieß Leute aus meinem Weg und kollidierte mit jemanden. Diese Brust war so hart und angespannt, dass ich auf meinen Hinter fiel. Mir war danach nur noch mehr zum Weinen, denn als ich aufsah, sah ich in das Gesicht von Dylan. Er und Enrico sahen mich komplex an.

"Amara...", begann Dylan. Er bot mir seine Hand an, aber ich stieß sie weg, drückte mich vom Boden hoch und lief die Treppen hinunter zu den Toiletten. Ausgerechnet in ihm musste ich laufen. Als wäre die ganze Sache hier nicht schon schlimm genug. Mit voller Wucht rammte ich die Tür zu den Toiletten und sperrte mich in der letzten Kabine ein. Zu meinem Glück befand sich zu dieser Zeit eigentlich so gut wie nie wer auf den Toiletten. Ich klappte den Deckel runter und sank darauf zusammen. Wie ein kleines Kind heulte ich in meine Handflächen. Schluchzend fuhr ich mir mit meinen Händen durch mein Haar, um die Tortellini heraus zu zupfen. Ich rieb mir die Schläfen, denn die Kopfschmerzen waren wieder zurückgekehrt.

Ich vernahm das Quietschen der Eingangstür und verstummte sofort. Ohne es zu merken, hielt ich den Atem an. Jemand klopfte sanft gegen meine Kabinentür.

"Lilly ... ich .. ich möchte jetzt nicht ... nicht reden." Durch das Geheule bekam ich Schluckauf.

"Amara, ich bins. Ich nehme an Lilly ist das Mädchen, das sich gerade mit der schwarz Haarigen anlegt."

"Geh weg! Ich bin schon am Boden. Du musst dich jetzt ... jetzt nicht auch noch über mich lustig machen."

Dylan seufzte. "Amara. Komm raus." Sein Tonfall klang sanft und mitfühlend.

Ich tupfte mir das Gesicht ab, stand auf, warf das benutzte Toilettenpapier in die Toilette und betätigte die Spülung.

"Nachbarin komm raus. Wir begleiten dich nach Hause", sagte eine neue Stimme. Ich kannte sie bereits und darum wunderte es ich, das sich auch Enrico nach mir erkundigte. Er kannte mich nicht, nur vom Flur und von dem was ihm Dylan von mir erzählt hatte. Bestimmt hielt er absolut nichts von mir und tat das nur um Dylan einen Gefallen zu erweisen. Warum ist dieser Typ mir überhaupt gefolgt?

"Lacht ihr mich aus, wenn ich raus komme?"

Dylan seufzte wieder. "Nein." Doch ich hörte deutlich wie Enrico ein leises "Vielleicht", flüsterte.

Ich atmete tief durch, um nicht sofort wieder in Tränen auszubrechen, nahm meine Tasche und öffnete die Tür. Dylan lehnte am Waschbecken gegenüber und sah mich mitfühlend an. Enrico hingegen stand mit den Händen in der Hosentasche neben mir und presste die Lippen aufeinander. Vermutlich musste er sich ein Lachen verkneifen.

"Komm, wir sollten dich noch ein wenig waschen bevor wir gehen." Dylan nahm mich am Arm und stellte mich vor das Waschbecken. Ich hörte das laufende Wasser, während ich mich im Spiegel betrachtet. Überall klebte die Sauce. Eine der Teigtaschen saß auf meinen Kopf und mein Pullover war komplett versaut. Enrico nahm mir derweil die Tasche ab und Dylan machte sich mit einem feuchten Tuch an meinen Haaren zu schaffen.

Ich ärgerte mich über mich selbst. Wie konnte ich das nur zulassen? Warum ließ ich so mit mir umgehen? Von wo hatte sie diese Screenshots? Es war der Verlauf von meinen und Nialls Nachrichten. Zugang dazu hatten nur er und ich. Hierzu gab es nicht viele Möglichkeiten. Entweder sein Telefon wurde irgendwie von ihnen gehackt, sie haben es ihm gestohlen oder ... er schickt diese Screenshots an seine Freunde.

Nein.

Das würde er nicht.

Niemals.

Das Schlimmste an all dem war, dass das alles gefilmt wurde. Ich war doch in den Augen so vieler schon eine Lachnummer und mit diesem Video, hatten alle Hater wieder mehr Material um mich zu erniedrigen.

Eine Hand vor meinem Gesicht riss mich aus meiner Starre. Ohne mich etwas zu fragen oder etwas zu sagen, zog Dylan seine brauen Lederjacke aus und zog sie mir über. Sie war mir an den Schultern und in der Länge viel zu groß. Die Ärmel waren so lange, dass meine Arme darin verschwanden. Der Geruch seines Giorgio Armani Parfums stieg mir in die Nase. Er zog mir die eingenähte Stoff-Kapuze über den Kopf. Mit einer sanften Berührung am Rücken schob er mich an. Enrico öffnete uns die Tür, der noch immer meine Tasche trug. Ich versuchte mein Gesicht so gut wie möglich unter seiner Kapuze zu verbergen, als wir den Flur der Schule entlang gingen. Während des gesamten Weges nach Hause sprach keiner ein Wort. Ich wollte auch nicht reden, deshalb passte mir das gerade in den Kragen. Etwas verwundert über die Nettigkeit war ich aber trotzdem. Keiner der Beiden hätte das für mich tun müssen. Dylan hätte sogar genug Gründe um mich auszulachen und an den Pranger zu stellen.

Noch immer stumm stiegen wir die Stufen hoch in unsere Etage. Mit einer einfachen Geste deutete ich auf das vorderste Fach meiner Tasche, in dem Enrico meinen Schlüsselbund herauszog. Ich nahm ihm mit einem dankenden Blick den Schlüssel und meine Tasche ab und entriegelte da Schloss zu meiner Wohnung. Ich stieß die Tür auf, schlüpfte aus meinen Schuhen und ließ die Tasche an Ort und Stelle zu Boden plumpsen.

"Brauchst du ... etwas?", fragend rieb Dylan sich den Nacken. Ich schüttelte den Kopf und sah zu Enrico, der an mir ins Wohnzimmer vorbeisah. Es war still, immerhin waren weder Tobi noch Sophie zu Hause.

Mit einem seufzend entledigte ich mich Dylans Jacke. "Ich werde sie reinigen lassen", meinte ich trocken und warf sie mir über den Unterarm.

"Musst du nicht." Dylan zuckte mit den Schultern. Er ließ die Hände in die hinteren Hosentaschen wandern.

"Ich werde mich jetzt duschen gehen." Ich wollte sie nicht unhöflich aus der Wohnung schmeißen, aber eine Dusche hatte ich bitter nötig. Außerdem wollte ich endlich alleine sein und in mich hinein fluchen.

Mit einem "Man sieht sich", verließ der Spanier zuerst meine vier Wände. Dylan folgte ihm und hielt aber im letzten Moment im Türrahmen nochmal an. Er nickte mir zu und danach hörte ich, wie die Tür ins Schloss fiel.

Bevor ich überhaupt in Bewegung zog ins Badezimmer zu gehen, fiel ich wie ein Haufen Elend in mich zusammen und sackte auf dem Parkettboden. Mein Gesicht vergrub ich in den Händen. Ich spannte mein Kiefer an und wollte den Tränen freien lauf lassen, aber mehr als ein krächzten, kam mir nicht über die Lippen. Meine Tränen waren verebbt und mein Verstand, begann langsam wieder zu funktionieren. Es dauerte, aber ich begann zu begreifen, was geschehen war. Das heute war eine Drohung. Sie schien es sich zum Ziel zu nehmen, mich fertigzumachen, bis ich nachgab und Holly an Niall ran ließ.

Schniefend rappelte ich mich vom Boden auf. An mir haftete der Geruch der Rahmsauce. Mit einem Tritt gegen meine Tasche schleuderte ich sie ins Wohnzimmer. Ich hatte die Nase gestrichen voll. Warum konnte ich nicht ein Niemand für sie sein? Warum konnte Niall nicht frei von seiner Ex und deren verrückten Freundin sein? Kann ich es nicht einmal in meinen Leben einfach haben?

Ich sammelte die Jacke von Dylan vom Fußboden auf und legte sie auf das Sofa. Als mein Handy zu läuten begann.

Ich ignorierte das Läuten, stattdessen ging ich in mein Zimmer, suchte mir ein Handtuch und neue Kleidung.

Das Klingeln begann erneut.

Frustriert über den Lauf meines Lebens trabte ich hinaus in das Wohnzimmer und suchte in meiner Tasche nach meinem Telefon.

'Unbekannte Nummer'

Ich überlege. Ich hasste es nicht zu wissen, wer an der anderen Leitung war. Bei mir unbekannten Nummern ging ich schon als Prinzip nicht ran. Ich besaß von jedem, mit dem ich sprechen wollte, die Telefonnummer. Was bedeutete, dass ich diese Person sicher nicht sprechen wollte. Andererseits, wenn Niall wirklich sein Telefon verloren hat, und mich gerade anrief, wüsste ich es nicht. Es könnte etwas mit meiner Mum sein ... oder Sophie, Tobi, ...

Ich biss die Zähne zusammen und nahm ab. "Hallo?"

Ein Rauschen war zu hören. "Fass ihn ja nicht an du Schlampe!", zischte eine Frauenstimme. Perplex nahm ich den Hörer vom Ohr und legte ihn danach wieder zurück. "Wer ... wer ist da?"

"Dein Alptraum!" Erneut wurde ich von der Stimme angefaucht. Was sollte das?

Ich öffnete meinen Mund, konnte aber nichts mehr antworten, da die Frau derweil aufgelegt hatte. Zugegebener Maßen war ich in diesen Moment etwas überrollt. Von wo hatte diese ignorante Person meine Nummer? Es konnte heute wirklich nicht mehr schlimmer werden.

Dachte ich zumindest.

Wieder begann mein Handy zu klingeln. Dieses Mal strich ich über das rote Feld. Auf weitere Beleidigungen konnte ich dankend verzichten.

In dem Bruchteil einer Sekunde leuchtete meine Benachrichtigungslampe wie ein Baum zu Weihnachten. Etliche neue Nachrichten, Twitter Benachrichtigungen und neue Anrufe tummelten sich in der Liste. Mein Telefon hörte überhaupt nicht mehr auf zu piepsen und zu klingeln. Es bot mir auch nicht einmal die Chance zu schauen, was auf Twitter gerade abging.

Ich konnte mir nur zu deutlich ausmalen, wie sich alle über das Video lustig machten und meinen Namen in den Dreck zogen.

Kopfschüttelnd entschied ich mich gegen den Drang meinen Laptop einzuschalten und nach dem Hass zu suchen. Eine Dusche war das, das ich jetzt benötigte. Außerdem musste ich mich noch wegen meiner Fehlstunde bei der Uni melden. Eine kurze E-Mail reichte dazu vollkommen aus.

Ich stieg unter die Dusche und wusch mir in aller Ruhe die Lebensmittelreste aus den Haaren. Der Duft von Vanille lag im Raum. Von diesen Haarshampoo und der Spülung bekam ich immer Lust auf Pudding - so wie Mum ihn immer gemachte, mit einem Spritzer Rum. Beim Gedanken morgen wieder zu Uni und somit den Spot ausgesetzt zu sein, erschauderte ich. Zumal es aber bestimmt ein starkes Statement wäre morgen dort zu erscheinen. Amber sollte nicht glauben, dass sie mich mit so einer Aktion klein bekommen hatte - zutiefst verletzt war ich aber trotz allem.

Naher schlüpfte ich in meinen Pyjama. Dass es erst früher Nachmittag war, spielte dabei keine Rolle für mich. Nichts und niemand würde mich heute aus diesen vier Wänden bekommen. Mein feuchtes Haar drehte ich mir in ein Handtuch ein, anstelle es gleich zu föhnen. Um meinen Koffein Haushalt wieder nach oben zu bekommen, drückte ich mir an der Kaffeemaschine einen Espresso herunter und schmiss mich danach mit einer Kuscheldecke auf die Couch. Ich verzog den Mund und schüttelte den Kopf nach dem ersten Schluck. Der Espresso war stärker als gedacht. Ich zappte durch die Kanäle und blieb bei den Nerds von The Big Bang Theory hängen, aber auch diese Sendung konnte mich nicht ablenken. Mein Blick wanderte immer wieder zu meinem Telefon. Ich hätte es nicht auf den Tisch vor mich legen sollen. Das Einzige gute war, dass ich es auf lautlos gestellt hatte. Noch immer trudelten ständig Anrufe und Nachrichten herein.

Als ich es nicht mehr aushielt, sprintete ich in mein Zimmer und holte mir meinen Laptop. Niemand hätte mir sagen müssen, dass das eine schlechte Idee war, denn davon war ich sowieso überzeugt. Ich tippte mein Passwort ein und wartete, bis ich am Desktop ankam. Chrome brauchte wieder eine Weile auf meinen Laptop, bis es endlich die Seite öffnete und ich Twitter eingeben konnte. Ich sollte mir mal ein neues Gerät besorgen. Den hier hatte ich schon so lange ich denken konnte. Mein Blick glitt zu den Trends. Mein Name und der von Niall befanden sich darin auf vierten und sechsten Platz. Mein Magen drehte sich und mir wurde schwummrig.

Ich zögerte.

Wollte ich das wirklich lesen?

Es klopfte an der Tür. Stirnrunzelnd stellte ich den Laptop am Tisch vor mir ab, wickelte mich in meine Kuscheldecke und stampfte zur Tür. Ich musste mich auf meine Zehenspitzen stellen um durch den Spion sehen zu können. Es war Niall.

Ich drehte den Schlüssel und öffnete die Tür. Er sah fertig aus. Sein Haar glänzte nicht, seine Wangen waren leicht gerötet und seine Augen waren dunkel. Ohne etwas zu sagen, überbrückte er den Abstand zu mir, legte seine Hand um meinen Hals und schob mich an sich um mich zu küssen. Ich schloss die Augen und versank in seinen Griff, in seinen Geruch und in seinen Lippen. Irgendetwas war das konnte ich spüren. Niall machte kleine Schritte nach vorne und schloss die Tür mit einem seiner Beine, während wir am Knutschen waren. Er zerrte an der Kuscheldecke, die mich bedeckte und warf sie zu Boden. An meinen Waden spürte ich bereits das Ende der Couch, auf die er mich in diesen Moment drücken wollte, während seine Lippen den Weg von meinen Lippen hinab an meinen Hals fanden. Jedoch legte ich meine Hand auf seine Brust. Augenblicklich hob er den Kopf, um mich anzusehen.

"Niall ich ..."

Niall lehnte sich wieder an mich, aber ich hielt ihn erneut auf, machte einen Schritt weg von ihm und setzte mich an das andere Ende der Couch. Ich klopfte auf den Platz neben mich.

Er seufzte laut, setzte sich aber doch. Im Moment konnte ich nicht nachvollziehen, was schon wieder mit ihm war. Das Video musste er doch sicher schon gesehen haben. Da musste ihm doch bewusst sein, dass ich jetzt nicht in der Stimmung war für solche Aktivitäten.

"Niall hast du gesehen was Amber ..."

Er nickte. Seine Lippen formten einen schmalen Strich. "Ja, habe ich."

Ich schluckte. War das alles was er dazu zu sagen hatte? Niall sah gerade aus und starrte auf den Bildschirm meines Laptops und dann auf mein leuchtendes Telefon. Eine unbekannte Nummer rief an.

"Das geht jetzt schon die ganze Zeit so. Ich habe keinen blassen Schimmer woher die alle meine Telefonnummer haben." Seufzend legte ich den Kopf zur Seite.

Unbehaglich rutschte Niall hin und her. Er legte seinen Arm auf die hintere Lehne der Couch. "Das ist, glaube ich, meine Schuld."

Ich zog die Braunen zusammen.

"Mein Handy ist weg ... ich glaube, dass ich es bei Holly liegen gelassen habe und bevor du ausflippst, es läuft nichts zwischen uns. Ich habe ihr gesagt, dass ich nichts von ihr will und sie dich in Ruhe lassen sollen."

"Das hat ja ganz toll funktioniert!" Schnaufend lehnte ich mich nach vorne um meinen Laptop auf die Couch zuziehen. Ich fackelte nicht mehr lange und drückte auf meinen Namen. Das Video aus der Uni kreiste herum, aber auch ein Foto von mir, und zwar dass das ich am ersten Tag der Uni an Niall geschickt hatte, mit meiner Telefonnummer und der Überschrift "Ruf mich an!" leuchtete mir entgegen.

Meine Augen begann zu brennen und ein kratziges Gefühl kroch meinen Hals hoch. Ich konnte spüren, dass ich jeden Moment zu heulen beginnen würde. In meinen Handflächen vergrub ich mein Gesicht.

"Amara ..." Der sanfte Ton von Nialls Stimme lag mir in den Ohren. Er streichelte meinen Arm auf und ab. "Amara, ich habe etwas getan und ich weiß nicht, wie du darauf reagieren wirst. Ich hätte es erst mit dir besprechen sollen, aber ich war so wütend als ich das Video gesehen habe und ... Ich liebe dich und mir ist egal was die anderen denken, weil du die Eine für mich bist."

Ich nahm die Hände von meinem Gesicht und wischte mir mit den Handrücken über die feuchten Wangen. "Was ... was hast du getan?"

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