Das Leuchten des Feuers

Amaras Sicht.

Wortlos lag ich neben Niall, der noch immer die Decke betrachtete und total in Gedanken verloren schien. Ein Klopfen an der Tür mit Tobis: "Schläft ihr schon?" gefolgten Worten zerstörte den ruhigen Moment. Tobi riss die Tür mit Schwung auf und kam auf mein Bett zu. Tadelnd hob er den Finger. "Amara schlaf mir bloß nicht ein! Das Lagerfeuer wird nicht auf dich warten. Du bist jetzt eine Studentin und dieses Lagerfeuer gehört so zur sagen zur Tradition!"

Schwer seufzend drückte ich mich hob und legte den Kopf zur Seite. "Tobias ...", mit seinen nicht abgekürzten Namen hatte ich ihn noch nie angesprochen. "Es ist doch noch ewig Zeit. Es ist gerade mal sechs. Wenn wir um neun gehen, reicht das doch auch."

Tobi sah mich verwundert an. "Neun? Wer geht denn bitte schon um neun auf eine Party? Elf ist eine Zeit, die ich mir einreden lasse, aber doch nicht neun!" Danach sah er Niall an. "Du hättest dir einen anderen Tag zum Zurückkommen aussuchen sollen, denn dein Mädchen wird dir heute Nacht keine Gesellschaft leisten, sondern mir und den Rest der Royal Holloway."

Ohne sich aufzurichten, sprach nun Niall, der die Arme noch immer hinter seinen Kopf verschränkte. "Ich nehme an, ich darf als nicht Student auch nicht mitkommen?"

"Genau", erwiderte mein Mitbewohner. "Das wäre sowieso keine gute Idee. Wir wollen doch nicht noch mehr Öl ins Feuer gießen. Es gib schon genügen Mädchen die ihr in der Uni böse Blicke zuwerfen."

Mir werden böse Blicke zugeworfen? "Dein Ernst?", fragte ich geschockt und Tobi nickte. "Ja, hast du das noch nicht bemerkt? Du bist ein Stück Fleisch für die hungernden Löwen."

"Nein.", kopfschüttelnd senkte ich den Blick. Vermutlich blendete mich der Anblick dieser Universität, um zu registrieren, was da eigentlich ab ging. Vielleicht sollte ich versuchen besser darauf zu achten. Aber eigentlich ging ich auch nicht davon aus dass jeder Niall kannte. Das konnte doch nicht möglich sein.

Ich spürte, wie sich die Matratze unter mir bewegte und Niall sich auf die Seite drehte. "Auch kein Problem. Ich bleibe hier und warte auf euch. Habe eh noch nie hier geschlafen."

Ich hob überrascht die Augenbrauen. "Du ... du willst hier schlafen?" Ich hatte absolut kein Problem damit mit Niall hier die Nacht zu verbringen, aber mein Bett war eben nur für eine Person ausgelegt und nicht für zwei. Es würde verdammt eng werden.

Niall zuckte mit den Schultern. "Ja, warum nicht? Hast du was dagegen?"

Ich deutete auf das Bett. "Meinst du nicht dass es hier ein wenig ... eng werden könnte?"

Seine Lippen formten ein Grinsen. "Die Couch im Wohnzimmer in Mullingar war schmaler und außerdem ...", er biss sich auf die Unterlippe. "...liebe ich die Nähe zu dir."

Ich fühlte wie meine Wagen rot wurden, weil Tobi so blöd zu grinsen begann. "Es war auch nicht geplant gewesen auf der Couch einzuschlafen ... wir wollten hoch gehen." Schmunzelnd pikste Niall mich in die Wange. Das war wohl einer der peinlichsten Tag, die ich bisher erlebt hatte. Grandma und unsere Eltern waren der Schock und die Verwirrtheit ins Gesicht geschrieben, als sie uns kuschelnd auf der Couch vorfanden.

Es war also beschlossene Sache. Niall würde diese Nacht bei uns verbringen, auch wenn mein Bett eindeutig zu klein war. Es blieb immer noch die Couch, die er sonst noch benützen könnte. Während ich mit Sophie telefonierte und sie mir von der Modenschau, die sie mit Valerie und Davina als Gäste besuchten, kochten meine zwei Herren das Abendessen. Anschließend wurde gegessen und ein Film geschaut. Auf meine Bitte hin sahen wir uns: To All The Boys I've Loved Before an. An ihren verzogenen Mundwinkeln konnte ich erahnen dass es wohl eine Folter für beide war, aber ich setzte mich durch. Tobis: "Warum habe ich noch nie einen Liebesbrief von jemanden erhalten?", war der Gegenteil zu Nialls: "Die bekomme ich Tonnenweise."

"Ich habe auch noch nie einen erhalten, also ist alles gut Tobi", sagte ich und stopfte mir Popcorn in den Mund. Nialls Arm lag um meine Schulter geschlungen. Er sah auf mich hinab und flüsterte: "Die brauchst du auch nicht, denn Liebeslieder sind doch viel romantischer."

****

Ich hatte mich für schlichte Kleidung entschieden. Einen dunkelblauen Pullover und eine Jeans mir Rissen, kombiniert mit Sneakers. Ich trat die Stufen hoch im Wohnheim in dem Lilly wohnte. Im ersten Stock an der Tür Nummer vierundzwanzig hielt ich an und klopfte. Es dauerte nicht lange bis sie mir die Tür öffnete und mich hereinbat. Das Zimmer war überhaupt nicht so, wie ich mir eben so ein Zimmer im vorgestellt hatte. Man stand nach dem Eintreten in einer kleinen Küche mit Tisch und zwei Stühlen. Benutzte Gläser standen am Tisch, eines davon war noch halb voll. Am Herde gab es nur zwei Kochplatten und nicht vier wie bei uns zu Hause. Ich sah noch zwei weitere Türen. Eine davon war verschlossen, während die andere weit geöffnet war.

"Das Chaos tut mir leid. Ich weiß wirklich nicht, wie oft ich es ihr noch sagen soll ...", seufzte Lilly, nahm die Gläser vom Tisch uns stellte sie in die kleine Spüle. Ich nickte nur lächelnd und war im Stillen froh darüber Tobi und Sophie als Mitbewohner zu haben. In puncto Sauberkeit waren wir uns einig. "Ich bete nur dass sie uns unten nicht über den Weg läuft", fuhr sie fort, während sie sich den Riemen ihrer kleinen schwarzen Ledertasche um die Schulter legte. Sie trug ein rotes Kleid, das perfekt zu der Farbe ihres Haars passte und dazu noch eine gelbe Strickweste.

"Du magst sie nicht?", stellte ich schließlich fest. Lilly schien nicht sonderlich begeistert von dieser Person zu sein.

Ihr starrer Blick und das Kopf schüttelnd bestärkten meine Frage. "Nein, sie ist einfach ... ich kann es überhaupt nicht beschreiben. Sie ist einfach viel zu nett! Ich fühlte mich immer, als würde sie mir jeden Moment ein Messer in den Küchen rammen, sobald ich ihr den Rücken zudrehe." Lilly rieb sich das Kinn. "Das ist so wie mit den Gläsern. Ich habe ihr in den letzten zwei Wochen bestimmt schon hundertmal gesagt, dass sie das schmutzige Geschirr abräumen soll, eventuell auch mal von selbst den Besen in die Hand nimmt, oder sonst etwas macht. Immer entschuldigt sie sich, macht es aber am nächsten Tag wieder genauso. Als würde es ihr Spaß machen, mich auf die Palme zu bringen. Man merkt eben, dass sie zu Hause nie etwas machen musste."

Ich sah ihr zu wie sie die Tür abschloss und den Schlüssel in ihrer Tasche verstaute. Viele Stundeten liefen uns am Weg nach unten entweder fast um oder entgegen. Die Musik war so laut dass man sie bereits hörte. "Warum wohnst du nicht hier im Wohnheim? Hast du kein Zimmer mehr bekommen?"

Ich schüttelte den Kopf. "Das war es eigentlich nicht. Ich habe einfach schon immer gesagt, dass ich in einen WG ziehen will. Um das Wohnheim habe ich mir noch Gedanken gemacht. So konnte ich mir wenigstens meine Mitbewohner aussuchen." Zudem wäre Sophie sicher auch nicht hierher gezogen und ich wäre von meiner besten Freundin getrennt.

"Und wo sind deine Mitbewohner? Treffe ich sie am Feuer?"

"Ähm ja. Tobi läuft unten schon mit Freunden herum. Aber Sophie geht nicht auf Uni, sie modelt. Sophie ist nur meinetwegen nach London gezogen, weil ich sie dazu gebeten habe. Sie ist schon seit klein auf immer meine beste Freundin gewesen.", ich schmunzelte und schüttelte leicht den Kopf. "Ich kann es ja eigentlich noch immer nicht fassen, aber sie ist wirklich ein Model mit einem Vertrag."

Wir kamen unten an der Tür an. Ein betrunkener Junge öffnete die Tür und torkelte an uns vorbei. Ich fing die Tür auf bevor sie ins Schloss fiel und trat mit Lilly nach draußen. Von weiten sah man das rot-orange Leuchten des Feuers. Wir gingen den Kiesweg vorm Wohnheim entlang und bogen an der großen Eiche ab. Die Universität sah im dunklen noch viel mehr wie die Schule von Harry Potter und Co aus. Die große Wiese hinter der Uni, auf der wir uns befanden, bot genügend Platz, um tausende Studenten zum Feuer zu bitten. Hier und da standen Stände mit Nahrung und Getränken. Ein Mädchen biss von einem Langos ab, während ein anderer Junge einen Hotdog in das Gras fallen ließ. Plastik und Pappbecher beschmutzen den Boden unter unseren Füßen, während die übergroße Feuerstelle den Platz erhellte. Viele Studenten liefen ihren Uni-Pullover herum, was mich darauf erinnerte, dass ich mir auch unbedingt im Uni-Shop etwas besorgen musste. Ich erspähte Tobi, der wie abgemacht beim Feuer stand und auf mich wartete. Der Junge, der ihm Gesellschaft leistete, war mir erst einmal begegnet. Es war nur eine flüchtige Begrüßung in unserem Flur zu Hause, als er Tobi einmal abgeholt hatte, an einem Tag, an dem ich beschloss zu Hause zu bleiben. Himmel, ich konnte mich noch nicht mal an seinen Namen erinnern.

Mit Lilly in meinen Arm eingehackt steuerten wir auf die Beiden zu, ich stellte Lilly und Tobi einander vor und erfuhr, dass der Name des Freundes von Tobi Stephan war. Wie auch mein Mitbewohner studierte er Moderne Sprachen, Literatur und Kulturen. Stephan war sportlich gebaut, trug kurzes, blondes, leicht gekräuseltes Haar und auf seiner Nase saß eine Brille mit schwarzem Gehäuse. Er überragte uns alle bei weitem.

Ich konnte regelrecht fühlen wie sich Lilly neben mir versteifte, als sie ihn sah. Ihre Augen wurden bei jedem Wort, das er sprach, größer und ihr kichern immer lauter und höher. Das Feuer spiegelte sich wie in einem Spiegel in den Gläsern ihrer runden Brille wider.

"Was studiert ihr?", fragte Stephan uns, sah aber nur in Lillys Augen. Verlegen drehte sie eine ihrer roten Haarlocken ein. "Englisch und Sozialarbeit", war die viel zu hoch gepuschte Antwort von Lilly. Da die beiden die Unterhaltung ohne mich und Tobi weiterführend, gingen wir um Getränke zu holen.

"Sieht so aus, als seien wir schon vergessen", schmunzelte Tobi, der einen Schritt vor mir ging und die Leute zur Seite schob. Ich versuchte mit großen Schritten seinen Gang zu folgen. "Scheint so", erwiderte ich knapp. Ich warf einen Blick über meine Schulter, jedoch versperrten mir die Menschen hinter uns die Sicht. An einem Getränkestand angekommen bestellten wir vier Becher Bier und Tobi bezahlte.

"Wer ist eigentlich die Mitbewohnerin von deiner Freundin? Oder wohnt sie alleine?", fragte Tobi, als wir jeweils zwei Becher in die Hände nahmen und uns auf den Rückweg machten.

Ich wusste nicht, wo ich hinsehen sollte, auf meine Füße, meine Hände oder auf mein Umfeld. Überall lauerten potenzielle Gefahren um mich zum Fall oder die Becher zum Fall zu befördern. "Doch, da gibt es ein Mädchen. Habe sie aber noch nicht getroffen."

Wie auch zuvor befanden sich Lilly und Stephan noch immer im Gespräch, als wir bei ihnen ankamen. Ich drückte Lilly ihren Becher in die Hand und nahm danach einen gierigen Schluck aus meinen. Was wohl Niall wohl gerade alleine bei uns zu Hause macht? Irgendwie fühlte ich mich nicht gut dabei hier zu sein, Bier zu trinken und das an dem Tag, an dem er nach drei Wochen endlich wieder bei mir war.

"Ew, ist das Bier?", mit verzogenem Mund sah Lilly auf den Becher in ihrer Hand. Sie schluckte angewidert.

"Ja, schmeckt es dir nicht?", fragte ich und nahm erneut einen Schluck aus meinem Becher. Lilly schüttelte den Kopf. "Nein, das tut mir leid Amara. Ich wusste nicht dass du mir ein Bier mitnehmen würdest, sonst hätte ich etwas gesagt."

Entschuldigend nahm ich ihr den Becher ab. "Mein Fehler. Ich hätte dich vielleicht Fragen sollen." Ihre Art erinnerte an mich von früher. Ich trank auch keinen Tropfen Alkohol und fand schon alleine den Geruch von Bier scheußlich. Und nun kippte ich mir, ohne mit der Wimpern zu zucken einen Becher nach den anderen hinein. Nennt man das erwachsen werden oder ist das der Anfang zum Alkoholiker?

"Was möchtest du? Ich hole dir etwas." Stephan nahm seine Chance wahr. Mit den Wimpern klimpernd drehte sich meine Mitstudentin zu ihrem vermeintlichen Schwarm. "Irgendetwas ohne Alkohol. Das wäre sehr nett." Stephan verschwand schon kurz darauf in der Meute.

Ich leerte meinen Becher und ließ ihn - so wie es die anderen um uns auch taten - in Feuer schmelzen. Es dauerte nur Sekunden bis der Plastikbecher im Feuer verschwand. Ich sah einer Gruppe von jungen Männern zu, wie sie mehr Holz in das Feuer warfen und kleine Funken zum Himmel stiegen. Sie sahen aus wie kleine Glühwürmchen die in der Finsternis verglühten. Der Halbmond am Himmel und der sternenlose Himmel wirkten mit den zu Himmel steigenden Funken nicht mehr so trostlos. Ich nahm den Geruch von Tobis Menthol-Zigarette neben mir wahr und den blumigen Duft von Lillys Parfum. Und als wäre das alles nicht genug, bildete ich mir ein Hollys Gesicht genau am gegenüberliegenden Ende des Feuers zu sehen. Eine Einbildung, die immer eher auf mich wirkte, als sich unsere Blicke über den Flammen kreuzten. 

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