Wutausbruch
HalliHallo! ^__^
Immer wenn ich mir in letzter Zeit denke, ich schreibe einen kurzen OS als Ablenkung zu meinen anderen Projekten, bei denen ich gerade eine kleine Schreibblockade habe, kommt am Ende ein echt langer Text bei raus. Echt krass, was so aus einer kleinen Idee werden kann.
Euch wünsche ich viel Spaß beim Lesen!
Lg Tina ^__^
Hauptfiguren: Hizashi Yamada, Shota Aizawa, Toshinori Yagi, Nemuri Kayama
Randfiguren: 1-A, Naomasa Tsukauchi
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Das Glück war diese Nacht nicht auf seiner Seite gewesen. Als er die Playlist während seiner Radioshow verwechselt hatte, dachte er sich nicht viel dabei, schließlich war der Fehler leicht zu beheben gewesen und seine Songauswahl war immer irgendwie passend. Doch als er später zu einer Mission gerufen wurde, und der Kampf leicht aus dem Ruder lief, wurde ihm bewusst, dass er an diesem Tag vom Pech verfolgt wurde. Anders konnte er es kaum benennen.
Sein Blick glitt noch einmal zu der blassen Person, die ihm aus dem Spiegel entgegen sah. Es ließ sich kaum leugnen, dass Yamada heute aussah, als hätte man ihn wieder ausgekotzt. Seine Lederjacke war am linken Arm leicht angekokelt und an der rechten Schulter war die Naht gerissen. Irgendwie tat ihm dieser Anblick mehr weh, als die aufgeplatzte Lippe und die blauen Flecken, die er am ganzen Körper davon getragen hatte. Auch seine Frisur, die über die Jahre hinweg zu seinem Markenzeichen geworden war, war in Mitleidenschaft gezogen worden.
Eigentlich hatte Hizashi den Toilettenraum der Lehrer nur aufgesucht, weil er vor dem Unterricht versuchen wollte, die Makel der Nacht zu beheben. Es war keine Zeit geblieben, um ins Wohnheim zu gehen, zu duschen und sich umzuziehen. Stattdessen war er nach der harten Nacht direkt zum Schulgebäude gelaufen, weil sein dritter Job nach ihm rief. In der ersten Stunde hatte er leider Englisch mit der 1-A Klasse. Wäre sein Smartphone nicht kaputt gegangen, hätte er zweifelsohne Aizawa darum bitten können, einzuspringen. Ihn nun jedoch erst abzupassen, um ihn darum zu bitten, widerstrebte Yamada aus zwei Gründen. Zum einen, weil er es bisher immer irgendwie hinbekommen hatte, alles unter einen Hut zu bringen und zum anderen, weil Shota es hasste, kurz vor knapp einspringen zu müssen. Diese Option war also ohnehin nicht verfügbar.
Seufzend warf er die Bürste und die Tube Haargel zurück in das kleine Täschchen, das er für solche Notfälle immer mit sich führte. Er gab es auf, seine Haare in Ordnung bringen zu wollen. Es klappte ohnehin nicht. Er hatte sogar das Gefühl, dass der Abdeckstift, den er für die Blessuren in seinem Gesicht verwendet hatte, seinen Dienst versagte. Nur zu gerne wäre er direkt in sein Bett gefallen, doch das Klingeln der Glocke erinnerte ihn daran, wieso dies nur Wunschdenken war. Genervt grummelnd, wandte er sich vom Spiegel ab und steckte seine Sachen in seine Jackentasche.
An Tagen wie diesen konnte er die Schüler nur zu gut verstehen. So richtig Bock auf den Unterricht hatte er nicht. Doch er versuchte sich daran zu erinnern, dass er lächeln musste. Present Mic war stets gut gelaunt nach außen hin, auch wenn es in ihm drin nicht danach aussah. Heute war einer dieser Momente. Nach der gestrigen Pleite wollte er am liebsten schreien, seine Macke dazu nutzen, irgendetwas kaputt zu machen. Einfach seinem Ärger freien Lauf lassen. Doch es ging nicht. Er war gefangen hinter seiner eigenen Maske. Wie sehr es doch manchmal hasste, nicht er selbst sein zu können.
~*~
„Wenn er in fünf Minuten nicht auftaucht, werde ich es im Lehrerzimmer melden", verkündete Iida, während sein Blick an der Uhr klebte, als würde sein Leben davon abhalten. Natürlich waren die Schüler der A-Klasse es gewohnt, dass manche Lehrer nicht so pünktlich im Klassenzimmer aufrauchte. Tatsächlich hatte es bisher niemand außer Aizawa geschafft, ständig pünktlich zu sein. Obwohl man es dem Undergroundhero nicht ansah und man eher das Gegenteil von ihm vermuten könnte, war er stets eine Minute vor Unterrichtsbeginn oder genau zum Klang der Glocke bei ihnen.
Denki stöhnte genervt und verdrehte die Augen. „Du weißt doch, dass Mic-Sensei nie pünktlich ist. Sei doch nicht gleich so ne Petze!", warf der Blondschopf seinem Klassenkameraden vor und legte die Beine auf den Tisch hoch, „wir können die Zeit nutzen um noch etwas zu chillen." Der Klassensprecher war so erpicht auf das Einhalten der Regeln, dass er nicht einmal vor Lehrern haltmachte und diese anschwärzen wollte.
„Die lächerliche Frisur der Witzfigur braucht vermutlich ewig ...", schnaubte Bakugo, der mit verschränkten Armen an seinem Platz saß. Zwar war er auch nicht sonderlich begeistert davon, dass sie in ihrer wertvolle Unterrichtszeit nur herumsaßen und warteten, doch gerade Englisch konnte ihm gestohlen bleiben, auch wenn er wusste, wie wichtig es war, diese Sprache zu lernen, falls er außerhalb von Japan fußfassen wollte oder mit ausländischen Helden zusammenarbeiten sollte.
Tenya, dem die Worte seiner Mitschüler nicht gefielen, holte tief Luft, um etwas zu sagen. Im Gegensatz zu seinen Klassenkameraden kannte er sowohl ihren Klassenlehrer als auch Present Mic schon etwas länger, da die beiden mit seinem älteren Bruder befreundet waren, daher wusste er auch, dass es ihm keine Minuspunkte einbringen würde, wenn er sich über die Unpünktlichkeit des Voiceheros beschweren würde. Was er ebenso mit Sicherheit wusste, war die Tatsache, dass Katsukis Worte sehr unhöflich waren. Doch er kam gar nicht dazu, sich zu äußern.
Als sich jemand laut räusperte, wanderten alle Blicke sofort zur Tür. „Good morning, Listeners", grüßte Present Mic die Klasse und klang dabei nur halb so euphorisch wie sonst immer. Ob er Katsuki wohl gehört hatte? Er wirkte zumindest anders als sonst. Sein Lächeln wirkte aufgesetzt, fast wie eine verrutschte Grimasse, während er nach vorne zum Lehrerpult trat.
Langsam wandte er sich um, den Schülern zu. Natürlich hatte er die Worte vernommen, die Denki und vor allem Bakugo von sich gegeben hatten. Er war eine Witzfigur, die ständig zu spät kam. Das hielten sie von ihm. Normalerweise schaffte er es, solche Aussagen zu überhören und die Gefühle, die sie in ihm weckten zu überspielen. Aber heute? Nach so einer beschissenen Nacht? Da fiel es ihm nicht gerade leicht, so zu tun, als wäre die Welt in Ordnung. „Die Witzfigur ist endlich hier", rutschte es über seine Lippen, ohne weiter darüber nachzudenken. Sein Lächeln glich noch mehr einer Grimasse. Er hatte es satt, dass er für alle nur ein lächerlicher Clown war, dabei hatte er die Fassade des stets fröhlichen und energetischen Helden ganz nach dem Vorbild von All Might geformt. Scheinbar war er jedoch nicht gut genug, um dasselbe Gefühl in seinen Mitmenschen zu wecken, wie es das ehemalige Friedenssymbol geschafft hatte. Dieser Umstand stimmte ihn oft traurig und ließ ihn an seiner Karriere zweifeln, doch heute erfüllte es ihn vor allem mit Wut. Auf sich selbst und auf die Schüler, die ihn im Moment erschrocken und geschockt ansahen. Ein Anblick, der ihm sonst nur offenbart wurde, wenn er sie vor Aufgaben stellte, die sie nicht bewältigen konnten.
„Kacchan hat das nicht so gemeint, und es tut ihm bestimmt furchtbar leid, dass er das gesagt hat", versuchte sich Midoriya sofort für seinen Klassenkameraden zu entschuldigen.
„Ja, er hats echt nicht so gemeint", stimmte Kirishima sofort zu und hieb Bakugo sachte seinen Ellenbogen in die Seite, um ihn dazu aufzufordern, sich selbst zu entschuldigen. Doch der Aschblonde grummelte nur.
Yamada war das allerdings herzlich egal. Er hatte bereits einen Entschluss gefasst. Selbst wenn Katsuki den Schneid besessen hätte, sich selbst zu entschuldigen, hätte es ihn nicht davon abgebracht, seinen Plan umzusetzen, der sich eben geformt hatte. „Da ihr euch in allem so überlegen fühlt, und meint, dass ein paar halbherzig ausgesprochene Worte Wirkung zeigen könnten, werde ich euch ein paar lächerliche Fragen über Grammatik stellen", während er sprach, wandte er sich der Tafel zu und begann zunächst nur Nummern von 1 bis 10 von oben nach unten aufzuschreiben, ehe er daneben Sätze oder Aufgabenstellungen aufschrieb, „die Antworten, die ihr auf ein Blatt Papier schreiben werdet, haben am Ende sehr viel Gewicht bei eurer Jahresnote. Ihr habt bis zum Ende der Stunde Zeit!" Es lag kaum Emotion in seiner Stimme. Fast hätte man annehmen können, dass Aizawa vor ihnen stand. Doch es war der sonst so gut gelaunte Present Mic, der sie gerade zum Verzweifeln brachte.
Denki stöhnte laut und raufte sich die Haare. „Was? Ein Test?", platzte es aus Mina fassungslos heraus, „aber das können Sie doch nicht machen!" Nur weil Bakugo ein vorlautes Mundwerk hatte, mussten sie nun alle büßen. Das war doch unfair!
„Gut geraten, Hohlkopf, es ist ein Test!", bestätigte Hizashi und klatschte zweimal langsam in seine Hände. Wie konnten diese dummen Schüler nur die Aufnahmeprüfung schaffen? Der praktische Teil war nur durch Muskelkraft zu bestehen und machte scheinbar viel zu viel aus, wenn der theoretische Teil so wenig gewichtet wurde. Yamada wandte sich jedoch nicht zu den Gesichtern der Jugendlichen um. Sonst hätte er bemerkt, dass ihn alle vollkommen entgeistert ansahen, weil er Mina gerade beleidigt hatte. „Aber für diese richtige Antwort gibt es keine Punkte. Strengt euch also an. Dieser Test müsste doch ein Klacks sein für euch, immerhin stellt euch eine lächerliche Witzfigur diese Fragen."
Auch wenn Bakugo etwas auf der Zunge lag, genügte ein Blick von Eijiro, um ihn davon abzuhalten es laut auszusprechen. Er sollte ihre Lage nicht noch schlimmer machen. Schließlich waren es wohl seine Worte, die den Englischlehrer so ausflippen ließen. Reihum schwiegen alle und wagten es nicht, weitere Laute von sich zu geben. Noch immer waren alle zu geschockt über die Reaktion des Profihelden. Alle waren wie erstarrt, was selbst Yamada bemerkte, weil er kein Papier rascheln hörte. „Die Uhr tickt", ließ er verlauten, was endlich Bewegung in die Schüler brachte, die sofort panisch nach Papieren und Stiften kramten. Vermutlich hatten sie bisher gehofft, er würde scherzen. Doch Hizashi war im Moment einfach nicht nach einem Scherz.
~*~
Der dritte Rotstift fand seine letzte Ruhestätte in einem Mülleimer unter Yamadas Tisch. Dabei war er noch nicht einmal mit der Hälfte der zu kontrollierenden Arbeiten fertig. Sein Handgelenk schmerzte bereits, aber das hatte wohl ebenso mit dem Kampf gestern zu tun, und nicht nur mit den Korrekturen der Tests, die allesamt katastrophal ausgefallen waren. Selbst die klügsten Schüler der Klasse hatten keine gute Note erhalten. Entweder waren sie zu geschockt von den Testfragen gewesen, oder es lag eher an der Tatsache, dass er den Unterrichtsstoff der zweiten und dritten Klasse benutzt hatte. Natürlich hatten sie keine Chance gehabt, gut abzuschneiden. Er sollte nicht so enttäuscht sein, immerhin hatten sie versucht ihr Bestes zu geben. Die Witzfigur hatte sie für ihre Worte büßen lassen. Allein der Gedanke zauberte ein Lächeln auf seine Lippen, während er ein fettes F auf Midoriyas Blatt schrieb. Er hätte nie gedacht, dass es ihm so viel Genugtuung bescherte, wenn er seine Schüler etwas leiden ließ. Langsam verstand er wieso Shota seine Schüler immer so hart rannahm.
Als ob der Dunkelhaarige gespürt hätte, dass Hizashi gerade an ihn dachte, stürmte der Undergroundhero plötzlich ins Lehrerzimmer, war mit wenigen Schritten auf den Tisch des gleichaltrigen Kollegen zugegangen und griff nach der Lehne seines Stuhls. Ruckartig riss er daran, sodass der Voicehero ihm ins Gesicht sehen musste und er in seiner Korrekturarbeit unterbrochen wurde. „Was ist nur in dich gefahren?", begann er Yamada wütend anzufahren, „die Kinder sind total verstört. Und du hast Ashido als Hohlkopf bezeichnet! Gerade du, von allen Menschen, solltest wissen, dass man Kindern solche Dinge nicht sagen sollte. Es ist ..."
„Was denn?", unterbrach der Blondschopf den anderen. Seine grünen Augen funkelten angriffslustig. „Verletzend?", versuchte er Aizawas Satz zu beenden, „wie nennst du es denn dann, wenn man mich als Witzfigur bezeichnet? Darf ich nicht auch verletzt sein?" Natürlich durfte er es nicht. Nie durfte er zeigen, wie schwer es ihn traf, wenn man ihn beleidigte, wenn man ihm sagte er wäre zu laut und sollte die Klappe halten. Wenn man ihm sagte, dass er lächerlich war, oder eine Witzfigur. Erneut stieg Wut in ihm auf, der er Luft machen wollte, weswegen er sich aus dem Stuhl stemmte, was Shota dazu brachte, zurück zu treten.
Überrascht über die Reaktion des Blonden wich Shota ein wenig zurück und brauchte einen Augenblick, um sich zu sammeln. Es war neu für ihn, Yamada so aus der Haut fahren zu sehen. Normalerweise war er die Ruhe selbst, überspielte solche Bemerkungen stets. Nur ab und an beim Job hatte der Dunkelhaarige es erlebt, dass Present Mic Momente hatte, in denen ihn die Wut übermannte, aber das hier war neu. Sein Verhalten war seltsam. Deswegen runzelte Aizawa die Stirn, während er den anderen Musterte, der ihn böse ansah. „Was ist los mit dir? Ist etwas bei der Mission vorgefallen?", fragte er etwas weniger aufgebracht als zuvor. Irgendetwas stimmte nicht mit Yamada. Diese Reaktion war unnatürlich für ihn. Etwas musste passiert sein. Aizawa hatte von dem Kampf gestern gehört, kannte allerdings keine Einzelheiten.
Vor allem als Hizashi kurz, aber kalt auflachte, lief es Shota kalt den Rücken runter. „Was? Seit wann interessiert es gerade dich, was mit mir los ist?" Eiskalt spuckte er seine Worte vor die Füße des anderen. Yamada wusste genau, dass sich der Dunkelhaarige im Augenblick nur für ihn interessierte, weil er seine Kinder beschützen wollte, die sich unfair behandelt fühlten. Nur deswegen stand er hier und fragte ihn, was mit ihm los sei. Bisher hatte sich der andere einen Dreck um ihn und seine Gefühle gekümmert, während Hizashi ihm ständig danach fragte, wie es ihm ging oder wie sein Tag war. Diese Fragen hatte er nie zurückgestellt bekommen. „Du willst doch nur wissen, wieso ich deine gesamte Klasse durchfallen lassen. Haben sie Daddy vollgeheult und losgeschickt, um den Tag zu retten? Buhu ...", meinte der Blonde, „es ist echt widerlich, wie sehr du dich um sie kümmerst, wenn man bedenkt, dass du deine Freunde alle weggeworfen hast, als wären sie kaputtes Spielzeug. Dabei bist du das kaputte Ding." Wie lange er diese Worte schon an Aizawa richten wollte, wusste er ganz genau. Bisher hatte er sich immer zurück genommen, aber er konnte es nicht mehr hinunter schlucken. Es wollte endlich raus, sprudelte über seine Lippen.
„Könntest du dich beruhigen, damit wir ein normales Gespräch führen können?", bat der Undergroundhero ruhig, ohne auf die Worte einzugehen, die ihm gerade an den Kopf geworfen wurden. Vermutlich zielte der Blonde nur darauf an, ihn aus der Reserve zu locken, doch er blieb ruhig, stieg nicht auf die Provokation ein.
Der Umstand, wieder auf taube Ohren bei Shota zu stoßen, steigerte Hizashis Wut nur noch mehr. „Normales Gespräch. Ernsthaft? Seit Oboro gestorben ist, kann man mit dir keine normalen Gespräche führen. Du blockst ständig ab, sobald dir irgendetwas zu persönlich wird. Leck mich doch, Arschloch!" Immer mehr redete er sich in Rage, was sich auch auf seine Macke auswirkte. Mit jedem Wort wurde er lauter, was dazu führte, dass Aizawa seine Macke benutzen musste, damit nichts zu Bruch ging.
Mittlerweile lag die Aufmerksamkeit aller Kollegen auf den beiden. „Shota hat Recht, Hizashi, du solltest dich beruhigen", mischte sich Nemuri nun ein und trat an die beiden heran, „du weißt, dass du immer mit mir reden kannst. Ich bin für dich da, wenn dich irgendwas bedrückt und ..."
„Ach halt du doch deine Klappe", fuhr Yamada dazwischen und brachte die junge Frau damit zum Schweigen, „du versucht ständig den Graben zwischen uns zu glätten, aber ich habe es satt darauf zu warten, dass er mal einen Schritt auf mich zu macht. Ich hab deine leeren Versprechungen satt. Ihr seid beschissene Freunde." Er war es leid zu warten. Aizawa würde ja doch nie wieder der Freund sein, der er früher einmal war, egal wie sehr Kayama sich darum bemühte ihm das einzureden. Die beiden hatten bereits 15 Jahre damit vergeudet, dem Dunkelhaarigen nachzulaufen. Es nervte nur noch. „Lasst mich doch in Ruhe. Wieso darf ich nicht einmal einen schlechten Tag haben? Shota hat die permanent, ist das nur sein Privileg? Wieso darf sonst niemand ..." Ein leises Grollen entfuhr seiner Kehle.
Eigentlich hatte Nemuri vor, noch mehr zu sagen. Sie ließ sich nur ungerne unterbrechen. Doch etwas blitzte in Hizashis Augen auf, was sie zurückzucken ließ. Das Grün seiner Augen wirkte plötzlich dunkel, fast rötlich. Bildete sie sich das nur ein? Ihr Blick glitt zu Shota, der noch immer seine Macke aktiviert hatte. Vielleicht spiegelten sich seine roten Augen ja in Hizashis. Eine optische Täuschung. Es musste so sein.
Auch Shota hatte es bemerkt, dass etwas nicht stimmte. Ehe er sich jedoch an Nemuri wenden konnte, um sie schnell darum zu bitten, Hizashi mit ihrem schlafbringenden Duft außer Gefecht zu setzen, schnappte der Blondschopf seine kaputte Lederjacke, die er vorhin ausgezogen hatte, als er sich gesetzt hatte, und drängelte sich zwischen den beiden hindurch. Dabei schubste er die beiden unsanft zur Seite. Yamada hatte keinen Bock mehr, sich für dumm verkaufen zu lassen. Er musste raus hier. Weit weg, von den Menschen, die sich zwar Freunde nannten, aber soweit davon entfernt waren, dass es keinen Sinn mehr machte, sich weiter von ihnen ärgern zu lassen.
Laut krachend fiel die Tür ins Schloss, nachdem Yamada den Raum verlassen hatte. „Was verdammt nochmal war das?", wollte Yagi wissen, der es bisher nicht gewagt hatte, etwas zu sagen. Schließlich wollte er nicht auch noch etwas von dem Wutausbruch abbekommen.
„Hatte wohl nen schlechten Tag", seufzte Kayama und wischte ein paar Haarsträhnen hinter ihre Ohren. Noch immer war sie sich nicht sicher, was sie gerade in Hizashis Augen gesehen hatte. Irgendetwas stimmte nicht, aber sie konnte es nicht erklären. Vielleicht hatte er wirklich nur einen miesen Tag und brauchte ein wenig Zeit für sich. Morgen würde die Welt schon wieder anders aussehen.
Obwohl Shota nicht gerade begeistert mit dieser einfachen Antwort schien, nickte er nur, ehe er nach seinen Augentropfen griff, um sie zu benutzen. Vermutlich brauchte Yamada nur Zeit, und war bald wieder bei Verstand, damit er vernünftig mit ihm reden konnte. Wegen des Tests, aber vor allem auch wegen dem, was er gesagt hatte.
~*~
Der Schultag war vorbei, doch die Ereignisse des Morgens ließ die Jugendlichen nicht wirklich los. Ein paar unbedacht ausgesprochene Worte hatten dafür gesorgt, dass sie alle ihre Schullaufbahn in Gefahr gebracht hatten. Wenn der Test wirklich sehr viel ihrer Gesamtnote ausmachen sollte, waren sie alle in Englisch durchgefallen. Nicht einmal Momo hatte das Gefühl, auch nur eine Frage richtig beantwortet zu haben. Sie war verzweifelt, und dabei war sie nicht die einzige.
Schweigsam saßen sie im Gemeinschaftsraum zusammen. Ihr Klassenlehrer hatte sie darum gebeten, weil er noch einmal mit ihnen reden wollte. Im Laufe des Tages hatten ihn die anderen Kollegen darauf angesprochen, dass die Junghelden allesamt abwesend wirkten und sich nicht konzentrieren konnten. Dieser Test hatte sie wohl alle aus der Bahn geworfen.
Gemeinsam mit Kayama und Yagi, der ebenso anbot zu helfen, betrat der Dunkelhaarige das Wohnheim seiner Klasse. Er wartete einen Augenblick ab, sah jeden kurz an, um herauszufinden, wie schwer sie alle bedrückt waren, ehe er sich räusperte, um seinen belegten Hals etwas frei zu machen. „Ihr solltet euch keine allzu großen Gedanken machen, ob ihr wegen Englisch die Klasse wiederholen müsst. Wir werden mit Mic darüber reden", versicherte er den Jugendlichen.
Die erhoffte Reaktion der Erleichterung, blieb jedoch aus, was Shota verwunderte. Stattdessen schüttelte Kaminari den Kopf. „Eigentlich wäre es ja nur verdient ...", seufzte er schließlich, „ich fühle mich ganz mies, weil ich gesagt habe, dass er nie pünktlich ist."
„Und Katsukis ... ähm ... Kommentar hat er ebenso nicht gut aufgenommen", fügte Kirishima an, „wir sind alle schon selbst schuld daran, dass er ... naja, dass er sauer auf uns ist. Irgendwie sind wir bisher immer davon ausgegangen, dass er ne dicke Haut hat und ihm nichts was anhaben kann, aber ... naja, jeder Mensch hat so seinen Punkt, an dem es wohl zu viel wird." Und den hatten sie bei Mic wohl getroffen. Immerhin war es nicht das erste Mal, dass jemand über den Englischlehrer gelästert oder sich beschwert hatte. Sie hätten früher daran denken müssen, dass er auch nur ein Mensch war, der Gefühle hatte.
Während Shota ihren Worten lauschte, sah er kurz zu Boden. Er konnte ihre Schuldgefühle durchaus nachvollziehen. Nach Hizashis Wutausbruch hatte er ebenso nachgedacht. Wie oft er ihm wohl bereits gesagt hatte, dass er zu laut war oder die Klappe halten sollte, wusste der Dunkelhaarige gar nicht. Allerdings merkte er erst jetzt, wie verletzend diese Worte wohl sein mochten. Dabei hatte er es nie wirklich böse gemeint. Aber sein Tonfall war nie der netteste gewesen. Seufzend rieb sich der blasse Mann über den Nasenrücken.
„Dieser Punkt war bei Mic heute erreicht, wie auch wir feststellen mussten", fügte Toshinori an und trat ein wenig nach vor, während er kurz Aizawa musterte, der wohl ebenso wie seine Schüler seinen Fehler bemerkt hatte, „aber das ist keine Entschuldigung dafür, dass er euch fertig gemacht hat. Als Profiheld, aber vor allem als Lehrer hätte er es überspielen müssen." Schließlich hatte man eine gewisse Verantwortung, und sollte seine eigenen Gefühle hinten anstellen. Dass es nicht immer einfach war, wusste Yagi, aber es war nun einmal eine wichtige Regel.
Gerade, als auch Midnight etwas sagen wollte, hörten die drei Erwachsenen Schritte hinter sich, die sie herumfahren ließen. Insgeheim hofften sie, dass es Yamada war, der sich entschuldigen wollte, oder zumindest eine Erklärung parat hatte, was heute mit ihm los war. Doch es war nicht der Blondschopf, der das Wohnheim betreten hatte. Naomasa Tsukauchi kam auf sie alle zu, sah sich suchend unter den Schülern um. Er schien nicht zu entdecken, wonach er Ausschau hielt. „Hier ist Present Mic wohl auch nicht, oder?", stellte er fest, ehe er seufzte, „ich versuche ihn bereits seit Stunden zu erreichen. Es hat mit dem Fall heute Nacht zu tun. Wisst ihr, wo er ist?" Den ratlosen Gesichtern der Anwesenden nach zu urteilen, war dem wohl nicht so. Allerdings schien sie auch etwas anderes zu bedrücken. „Ist etwas vorgefallen?"
Yagi nickte, als sich sein und Tsukauchis Blick trafen. „Yamada hatte heute nen schlechten Tag und der Klasse einen unmöglich lösbaren Test aufgebrummt, der sie alle runterzieht. Danach gabs noch einen Zwischenfall im Lehrerzimmer und seither ist er weg", erklärte der große Blondschopf, während er seinen Polizisten Freund musterte, der seine Miene verzog.
„Schlechter Tag ist eine nette Untertreibung dafür, was in wohl gerade Mic vor sich geht", begann der Detectiv zu erklären, ehe er den Kopf schief legte. Ratlose Mienen sahen zu ihm hoch, was ihm ein Seufzen entlockte. Eigentlich hatte er nicht vor, es vor einem Haufen Jugendlicher zu erklären, aber nun kam er wohl nicht drumherum. „Bei der gestrigen Mission, bei der wir ihn dazu angefordert hatten, war jemand mit einer gefühlsmanipulierenden Macke dabei. Die Wirkung äußert sich dadurch, dass jemand schnell wütend wird, wenn man ihn verbal angreift, und vor allem bei Menschen, die ihre Gefühle gerne unterdrücken, wirkt sie sehr heftig. Ich sollte ihn anrufen, sobald ich weiß, was ihn gestern erwischt hat, aber er ist nicht zu erreichen", fügte Naomasa erneut an. Gerade bei jemanden mit einer so starken Macke wie Yamada war es wichtig, ihn so lange unter Kontrolle zu haben, solange die Wirkung dieser Gefühlsmanipulation anhielt.
„Das erklärt seine Wutausbrüche und sein seltsames Verhalten", stellte Midnight fest und verschränkte die Arme, „was aber ebenso bedeutet, dass wir ihn schnell finden sollten. In diesem Zustand sollte er nicht allein herumlaufen. Zivilisten sind in Gefahr."
„Nicht nur die", gab Naomasa von sich, während er sich im Nacken kratzte, „sobald die Wirkung der Macke nachlässt, fallen die Opfer in ein tiefes emotionales Loch. In diesem Zustand ist nicht ausgeschlossen, dass sich jemand selbst verletzen könnte." Die letzten Stunden hatte er damit zugebracht, etwas über die Schurken herauszufinden und hatte in den Mackenakten gegraben. Was er dabei zu Tage befördert hatte, wollte er lieber nicht weiter vor den Schülern ausbreiten. „Gibt es einen Ort, an dem er sein könnte? Irgendeine Stelle, zu der es ihn hinziehen könnte, wenn er emotional unstabil ist?" Auch wenn er nicht daran glaubte, vor so vielen Ohren eine Antwort von den beiden Freunden des Voiceheros zu erhalten, musste er sie dazu bringen, darüber nachzudenken.
Tatsächlich gab es ein paar Orte, die den beiden Helden in den Sinn kamen.
~*~
Um schneller voran zu kommen, teilten sie sich auf um zu suchen. Kayama und Naomasa waren zum Friedhof aufgebrochen, auf dem Oboros Grabstein stand und Aizawa war mit Yagi zu einer Bar gefahren. Laut Tsukauchi würde die Wirkung der Macke bald enden, was bedeutete, dass sie nicht mehr viel Zeit hatten. Erst nachdem sie aus dem Wohnheim der Schüler getreten waren, hatte der Polizist ihnen erklärt, dass er sich große Sorgen machte. Ein Mensch wie Present Mic, der sich ständig gut gelaunt gab, musste all seine Gefühle hinter einer dicken Mauer verbergen.
Den Berichten nachzufolgen würde die Wirkung eine katastrophale Nachwirkung bei Hizashi hervorrufen. Vor allem nachdem er Menschen, die ihm etwas bedeuteten, so die Meinung gegeigt hatte. Wenn er während eines Wutausbruchs auch noch jemanden verletzen würde, wäre es nur noch schlimmer. Aizawa hoffte, dass sich der Blonde dennoch soweit beherrschen konnte, und es nicht zum Schlimmsten kam. Doch er konnte nicht leugnen, dass er im Lehrerzimmer etwas in Yamadas Augen hatte aufblitzen sehen, dass ihm einen kalten Schauer über den Rücken jagte. Wenn er seine Stimmenmacken nicht gelöscht hätte, dann wäre es gewiss zu Verletzungen und kaputten Gegenständen gekommen.
Als Yagi ein leises Seufzen vernahm, wandte er sich an Shota. „Wir finden ihn schon ...", versicherte der Blonde seinem jüngeren Kollegen, und folgte ihm zum Eingang der Bar. Es war schwierig, dem schnellen Schritt des Dunkelhaarigen zu folgen. Eigentlich hatte der Undergroundhero vorgehabt, allein hierher zu kommen, doch keiner der anderen drei war sonderlich begeistert von einem Alleingang gewesen. Vor allem da Aizawa kein Fahrzeug oder Führerschein besaß. Wie sollte er, würde er Hizashi finden, nach Hause bringen können, wenn er zu Fuß unterwegs war? Immerhin wussten sie nicht, in welchem Zustand sich der Voicehero befand.
Shota erwiderte nichts auf Toshinoris Aufmunterungsversuch, sondern öffnete die Tür zur Bar, und trat ein. Um diese Uhrzeit waren noch nicht viele Besucher an den Tischen zu finden. Die Anzahl war überschaubar, weswegen sie bereits nach einem kurzen Blick merkten, dass Yamada nicht unter den Anwesenden war. Yagi wollte bereits wieder umkehren, doch der Dunkelhaarige ging direkt auf den Tresen zu und lehnte sich dagegen.
„Ich wollte gerade einen von euch anrufen", erklang plötzlich eine Stimme. Der Barkeeper hatte Shota entdeckt und trat auf ihn zu. „Er ist hinten im Karaokeraum", erklärte er und deutete mit einem kurzen Kopfnicken zur Tür neben der Bar, „hat sich dort eingeschlossen mit ein paar Flaschen. Ne Zeit lang hats ziemlich gerumpelt, aber jetzt ist es still." Zu still für seinen Geschmack. Der Besitzer der Karaokebar kannte Kayama, Aizawa und Yamada bereits. Sie waren Stammkunden in der Bar, kamen fast jedes Wochenende her, daher hatten sie bereits das Anrecht auf einen der Karaokeräume erhalten. Die Stimmung war meist ausgelassen. Nemuri und Hizashi waren dabei stets gut gelaunt und schleiften den Dunkelhaarigen, der nun vor ihm stand, immer mit sich mit. Heute jedoch war etwas an dem Blondschopf gewesen, dass der Barbesitzer nicht erklären konnte. Er hatte keine Fragen gestellt, sondern dem Kunden nur den Schlüssel und ein paar Whiskeyflaschen überlassen.
„Setz den Schaden und die Flaschen auf meine Rechnung", bot Aizawa an, ehe er sich vom Tresen abstieß und sich der Tür zuwandte. Zumindest hatten sie Hizashi gefunden. Die Freude darüber hielt sich bei dem Undergroundhero jedoch in Grenzen. Er hatte ein mulmiges Gefühl im Magen, was nie etwas Gutes zu bedeuten hatte. Stillschweigend ging er den Gang entlang, versuchte zu lauschen, ob er ein Geräusch vernehmen konnte, doch es war ruhig. Viel zu ruhig für eine Karaokebar in der Yamada sich aufhalten sollte.
Die letzte Tür am Ende des Korridors war ihre Stammkaraokekammer. Man hatte sie extra für Yamada schalldicht ausstatten lassen. Aber wenn der Barkeeper daraus Krach vernommen hatte, musste der Blondschopf darin ziemlich gewütet haben. Kaum war er an der Tür angelangt, drückte Shota die Türschnalle nach unten. Abgeschlossen, genau wie der Barbesitzer es erzählt hatte. Noch ehe Yagi zu ihm aufschließen konnte, trat Aizawa einen Schritt zurück und trat die Tür ein. Es hätte ohnehin keinen Sinn gehabt, nach vorne zurückzugehen, um nach einen zweiten Schlüssel zu bitten. Vermutlich hatte Hizashi den anderen innen stecken gelassen.
Krachend schlug das Holz aus den Angeln und offenbarte einen traurigen Anblick. Das Inventar lag zerstört auf dem Boden, als ob darin ein Tornado gewütet hätte. Die dunklen Augen des Mannes glitten schnell durch den Raum, verengten sich, als er ein paar rote Tropfen auf dem Boden fand. Blut? Sofort suchte er den Raum weiter ab, bis er endlich Yamada fand, der in einer Ecke zusammengekauert saß. Vor ihm lagen zwei leere Flaschen, eine dritte zwar zerbrochen und eine vierte hatte er in seiner Hand. Seine Haare waren nicht mehr nach oben gestyled, sondern hingen zerzaust nach unten. Seine Brille lag irgendwo in den Überresten der Möbel. Shota entdeckte sie, als er vorsichtig näher kam. Er hob sie auf und ging vor Yamada in die Hocke.
„Mic?" Langsam streckte er einen Arm nach der Schulter des anderen aus, der sein Gesicht verbarg. „Mi...", wollte Shota ihn erneut ansprechen, ehe er es sich anders überlegte, „Hizashi?" Es war persönlicher, ihn beim Vornamen zu nennen. Im Augenblick war es wohl angemessener, auf einem persönlicheren Level als sonst mit ihm zu sprechen. Aizawa erhoffte sich dadurch, zu ihm durchzudringen. Tatsächlich bewirkte der Klang seines Namens, dass Yamada aufsah. Seine Augen wirkten glasig. Nach drei Flaschen Whiskey war das wohl kein Wunder. Der rote Glanz war zum Glück gewichen, aber stattdessen waren seine Augen nun rot unterlaufen. „Ist alles in Ordnung?", fragte der Dunkelhaarige vorsichtig.
Halbherzig versuchte der Betrunkene die Hand des anderen Mannes abzuschütteln. „Lass mich in Ruhe", lallte er mit schwerer Zunge, „verpi .... Geh weg." Obwohl er bei weitem nicht mehr so wütend war wie Stunden zuvor, war da noch immer ein wenig Groll in ihm, den er gegenüber Shota hegte. Doch kaum hatte er die Worte ausgesprochen, fühlte er sich noch beschissener als zuvor. Das Gefühl, alles zerstört zu haben, was ihm im Leben jemals wichtig war, begann erneut ihn zu erdrücken. Bereits seit er in die Bar gegangen war, hatte ihn diese Emotion übermannt und dazu geführt, dass er ausgerastet war. Wie konnte er nur zulassen, so gemein zu seinen Schülern zu sein und am Ende auch noch Shota und Nemuri von sich weg zu stoßen? So war er doch sonst nicht. Doch ein mieser Tag reichte aus, um alles kaputt zu machen.
Glücklicherweise dachte Aizawa nicht einmal darüber nach, seinem Wunsch nachzukommen. Stattdessen kickte er eine der leeren Flaschen beiseite, ehe er sich neben dem Blondschopf niederließ. Shota selbst hasste es, wenn weder Hizashi, noch Nemuri ihn in Frieden ließen, wenn er sie wüst darum bat, doch im Augenblick merkte er, warum sie ihm seinen Wunsch oft verweigerten. Sie taten es, damit er nicht allein sein musste, weil er in Wirklichkeit gar nicht allein sein wollte und konnte. Sie machten sich Sorgen. Und genau das tat er nun ebenso, wenn er Yamada betrachtete. „Du wurdest von einer Macke getroffen, die deine Wut anstachelt und es schwierig macht, deine Gefühle zu unterdrücken", begann der Dunkelhaarige zu erklären, ohne darum gebeten worden zu sein, „es ist nicht deine Schuld, dass du dich so benommen hast. Ich hätte dich nicht so anfahren sollen, aber du hattest recht. Du hast ebenso ein Recht darauf, verletzt zu sein, wenn man dir solche Dinge an den Kopf wirft ... und dass ich ein beschissener Freund bin."
In den letzten Stunden hatte Shota genügend Zeit, um über die Worte des Blonden nachzudenken. Er hatte ziemlich ins Schwarze getroffen. Seit Oboros Tod hatte der Undergroundhero alle, die ihm nahestanden, von sich weggestoßen und wie Dreck behandelt. Während sie stets darum bemüht waren, ihm zu helfen, hatte er sich nicht um sie gekümmert und kaum beachtet. „Ich sollte dich wirklich öfter danach fragen, wie es dir geht, anstatt dir zu sagen, dass du die Klappe halten sollst. Es ... es tut mir leid", versuchte Aizawa sich zu entschuldigen. Wieso musste sein bester und einzig über gebliebener Freund aus Jugendtagen erst in Gefahr geraten, bevor er erkannte, dass er einen Fehler begangen hatte?
Als er plötzlich ein Schluchzen neben sich vernahm, wanderten Shotas Augen von seinen Schuhspitzen zu Hizashis Gesicht. Dicke Tränen rollten über seine Wangen, und er konnte erkennen, dass sie wohl nicht die ersten waren. „Ihr hasst mich doch alle ...", flüsterte er leise, „weil ich es nicht mehr schaffe so zu tun als wäre alles okay." So war er doch, der Beginn, der Anfang, der Weg bergab zum Schurkendasein. Ein schlechter Tag genügte, um gehasst und verstoßen zu werden. Er hatte Schüler beleidigt und Kollegen fast mit seiner Macke verletzt. Vermutlich war Shota nur hier, um ihn festzunehmen. Dass eine Macke an seinen Taten schuld sein sollte, war unvorstellbar. Bestimmt war es nur ein Trick, um ihn hier raus zu locken.
Obwohl es nicht seine Art war und er körperlichen Kontakt gerne vermied, legte Shota seinen Arm um die schmalen Schultern des Blonden, und zog ihn etwas an sich. „Niemand hasst dich. Wir machen uns Sorgen. Tsukauchi hat herausgefunden, dass die Nachwirkungen der Macke heftig sind. Du solltest nicht allein sein", erklärte der Dunkelhaarige weiter und hoffte, dass er durch den Nebel durchdringen konnte, der in Hizashis Kopf festhing. „Bist du verletzt?" Immerhin hatte er vorhin Blut auf dem Boden entdeckt.
Natürlich verstand Yamada nicht so ganz, wie eine Macke an seinem Verhalten schuld sein sollte. Dafür stand er noch viel zu sehr unter ihrem Einfluss, als zu realisieren, wie sehr sie sein Tun beeinflusst hatte. Dabei befand er sich im Augenblick in der Phase, in der die Wirkung langsam abklang. Was natürlich dazu führte, dass noch immer ab und zu Wut in ihm hochkochte. „Was interessiert dich das?", platzte es daher aus ihm heraus, während er versuchte sich von dem anderen loszureißen, ehe er scharf die Luft einsog.
Für Shota war das Beweis genug, dass der andere sich verletzt hatte. Vorsicht nahm er den Arm von seiner Schulter und griff nach seinen Händen. Da Yamada seine Jacke nicht trug, sondern nur sein weißes T-Shirt, war es ein einfaches sofort zu erkennen, dass der Stoff rot gefärbt war. Seine Hände waren verletzt, vermutlich hatte er die Möbel nicht nur mit seiner Stimme zerstört, und auch die Innenseite seiner Arme waren zerkratzt. An einer Stelle auf seinem Shirt, waren die Flecken besonders dunkel, weswegen er es wagte, den Stoff nach oben zu ziehen. „Zashi ...", hauchte er entsetzt. Den Spitznamen hatte er seit ihrer Schulzeit nicht mehr benutzt. „Hast du dir das ... das alles ... selbst ..." Shota konnte den Satz nicht zu Ende sprechen. Über dem Hüftknochen hatte Yamada ebenso Kratzer und Schnitte wie auf den Armen. Tsukauchi hatte wirklich nicht gelogen, als er meinte er würde sich furchtbare Sorgen machen wegen der Nachwirkungen. „Fuck ...", fluchte Shota leise.
Als Hizashi bewusst wurde, was Aizawa gerade tat, versuchte er sich loszureißen. „Lass das", forderte er von dem anderen. Doch anstatt endlich frei zu kommen, fand sich Yamada im nächsten Augenblick in einer festen, aber sanften Umarmung wieder. Er hätte mit so vielem gerechnet, aber nicht damit. Immerhin hätte Shota jedes Recht dazu, ihm eine reinzuhauen, und ihn zu hassen. Zumindest hatte er sich das die letzten Stunden eingeredet, dass alle ihn von nun an verachteten. Noch mehr, als sie es jemals zuvor getan hatten. Dass er nun allerdings umarmt wurde, gerade von dem Dunkelhaarigen, den er heute Morgen angeschrien hatte, ließ einen Damm in ihm brechen.
Hizashi begann zuerst zu zittern, ehe er seine Arme ebenso um Aizawa schlang und leise schluchzte. „Es tut mir so leid", murmelte der Blonde immer wieder, „ich ... ich wollte das nicht."
„Ich weiß", antwortete der Undergroundhero leise und versuchte sich daran zu erinnern, wie man jemanden richtig tröstete. Sanft über den Rücken zu streichen würde bestimmt helfen. Also versuchte er es.
Währenddessen stand Yagi wie angewurzelt in der Tür und begutachtete den Raum. Yamada musste seine gesamte Wut an den Einrichtungsgegenständen ausgelassen haben. Ein Glück, dass es nur Möbel getroffen hatte, und keine Zivilisten. Egal wie stark der Einfluss dieser Macke war, Hizashi hatte es dennoch geschafft, sich zu isolieren. Doch Toshinori war sich im Moment nicht sicher, ob es wirklich eine so gute Idee von dem Blondschopf gewesen war. Auch er entdeckte das Blut auf dem Boden, konnte sogar blutige Glasscherben ausmachen. Sie waren wohl gerade rechtzeitig gekommen, bevor sich der Voicehero mehr zufügen konnte, als nur Schnitte. Die Wirkung musste wirklich heftig sein. So etwas wünschte man nicht einmal seinen Feinden. Doch der ehemalige Profiheld konnte durchaus nachvollziehen, wie schwer es sein musste, nach so einem Tag plötzlich mit Schuldgefühlen wegen des eigenen Verhaltens konfrontiert zu werden.
Der ältere Mann ließ die beiden jüngeren Kollegen in Ruhe, und sorgte mit einer kurzen Nachricht an den anderen Suchtrupp dafür, dass sie Bescheid wussten, dass Yamada in Sicherheit war. Da er sich im Augenblick überflüssig fühlte, schritt er den Korridor entlang zurück zu dem Barbesitzer, um die Rechnung zu begleichen, die durch Hizashis Wüten entstanden war.
~*~
Obwohl Nemuri sich sofort auf dem Weg zur Bar machte, um mit ihrem Schlafduft dafür zu Sorgen, dass sie Hizashi leicht nach Hause transportieren konnten, falls es Probleme gab, brauchten sie die Macke der jungen Frau gar nicht. Der Blondschopf war bereits so erschöpft, dass Aizawa irgendwann spürte, dass das Schluchzen nachließ und er gleichmäßig und ruhig zu atmen begann. Dadurch war es einfach, ihn zu Yagis Auto zu tragen, damit sie zurück zur UA fahren konnten.
Nachdem sie zurück auf dem Gelände waren, brachten sie den Schlafenden direkt zu Recovery Girl, die sich so gut um ihn kümmerte, wie es im Moment möglich war. Er war zu erschöpft, um seine Verletzungen zu heilen, daher säuberte sie nur seine Schnitte und verband sie. Die gesamte Zeit über schlief Hizashi, und rührte sich nicht, während Shota mit Argus Augen die Behandlung überwachte und danach neben dem Bett platznahm, um über den Schlafenden zu wachen. Der Dunkelhaarige hatte das Gefühl, dass er Yamada das schuldig war. Er wollte ihn nicht alleine lassen.
~*~
Der Morgen dämmerte, die ersten Strahlen der Sonne streckten ihr Licht durch das Fenster und kitzelten Shota an der Nase. Niesend fuhr er aus dem Schlaf, der ihn irgendwann übermannt haben musste. Dabei hatte er sich doch vorgenommen, wach zu bleiben, um für Hizashi da zu sein, sollte er aufwachen. Der Blondschopf hatte zum Glück durchgeschlafen. Zumindest bis eben. Das Geräusch, dass Aizawa verursacht hatte, weckte auch ihn. Ein leises Stöhnen entfuhr ihm, eine Hand fuhr zu seinem Gesicht, um darüber zu fahren. „Fuck", fluchte er leise. Yamadas Kopf dröhnte, als ob jemand darin Schlagzeug spielen würde.
„Wie geht's dir?", fragte Shota vorsichtig, während er sich aufrichtete. Er lag halb auf Hizashis Bett. Zum Glück war der andere noch nicht wach genug, um das zu bemerken. Ansonsten würde er ihn das wohl nie vergessen lassen, sobald er wieder ganz der Alte war. Apropos. „Was weißt du noch von gestern?" Ob er sich an alles erinnern konnte?
Da der Blonde erst jetzt bemerkte, dass er nicht alleine war, sah er überrascht zu Aizawa hinab. Er bewegte sich zu schnell, grummelte und ließ seinen Kopf wieder zurück ins Kissen sinken. „Mein Kopf fühlt sich an, als wäre ein Auto drüber gerollt ...", stöhnte er schmerzerfüllt und hob erneut einen Arm, um sich die Schläfen zu massieren. Erst jetzt fielen ihm die Bandagen auf. Mit einem Mal schien er sich an den gestrigen Tag zu erinnern. Sofort setzte er sich Kerzengerade im Bett auf, obwohl sein gesamter Körper dagegen protestierte. Hatte er gestern ernsthaft Shota angeschrien und ihm erklärt, dass er ein beschissener Freund war? Und was hatte er den Schülern angetan? Panik stieg in ihm auf, und er begann zu hyperventilieren.
Von der einen Sekunde auf die nächste veränderte sich Yamadas Stimmung so rasant, dass Shota im ersten Augenblick wie erstarrt sitzen blieb. Erst als er merkte, dass der Blondschopf kaum mehr richtig Luft bekam, kletterte er zu ihm ins Bett und legte einen Arm um ihn, griff nach seiner Hand, um sie an seine Brust zu legen. „Beruhig dich Zashi", versuchte er ihn zu besänftigen, „konzentrier dich auf meinen Atem und versuche deinen daran anzupassen." Vielleicht hätte er den anderen nicht gleich auf die gestrigen Ereignisse ansprechen sollen, sondern erst einmal abwarten, wie es ihm ging. Diese Panikattacke hatte er ausgelöst und das tat ihm leid.
Glücklicherweise dauerte es nur ein paar Minuten, ehe Yamadas Atem wieder ruhiger wurde. Shota blieb bei ihm und ließ zu, dass der andere seinen Kopf auf seine Schulter sinken ließ. Hizashi hatte in den letzten 24 Stunden mehr als genug durchgemacht. Er wollte ihm den nötigen Halt geben, nach all den Tragödien des letzten Tages.
Schweigend saßen sie eine Weile nebeneinander, ehe der Voicehero seufzte. „Ich erinnere mich an fürchterliche Dinge, die ich gesagt habe ...", murmelte er schließlich, „ich war ... ich wollte nicht ... es tut mir leid ... ich weiß nicht, was in mich gefahren ist." Hizashi biss sich auf die Unterlippe und schloss die Augen. Er wollte sich entschuldigen, doch er wusste, dass es nur Worte waren, die wenig ausrichteten, nachdem was er gestern getan hatte.
„Das war die Macke, die dich erwischt hat. Sie hat dafür gesorgt, dass dich Dinge, die du normalerweise einfach überhörst ..." Shota verstummte und legte den Kopf kurz schief. Er musste aufpassen, wie er die Worte wählte. Immerhin hatte Hizashi Recht gehabt. Wieso durfte er nicht verletzt sein über das, was andere über ihn sagten? Durch die Macke hatte er nur nicht mehr die Möglichkeit, so zu tun, als würde es ihn nicht kümmern. Vermutlich grämte es ihn schon lange, dass man ihn als Witzfigur bezeichnete. „Sie hat es dir unmöglich gemacht, Dinge einfach runter zu schlucken, wie du es sonst machst. Deswegen wäre es sinnvoller, wenn ich mich entschuldige ... ich wollte nie so ein mieser Freund sein. Du warst all die Jahre für mich da, und ich habe dich immer nur wie Dreck behandelt. Es war dein volles Recht, mir deine Meinung zu sagen, und das solltest du öfter tun", schloss er seine Entschuldigung ab und sah vorsichtig zu Hizashi auf, der aufmerksam zugehört hatte.
Der Blondschopf wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Zu seinem Glück klopfte es plötzlich an der Tür der Krankenstation und ein roter und ein gelber Haarschopf tauchten im Türspalt auf. „Ist er wach? Wir würden gerne mit ihm reden", meinte Eijiro.
„Natürlich nur, falls es Mic-Sensei Recht ist und er uns sehen will", erklang Iidas Stimme, ehe die Tür aufschwang. Hinter den drei Schülern, die in der Tür standen, befand sich die gesamte A-Klasse.
„Wir wollen uns entschuldigen", erklärte Denki ihr Erscheinen. Langsam sprudelten die Jugendlichen in den Raum und sammelten sich um Yamadas Bett. Die Proteste, die Recovery Girl der Besuchszeiten und Anzahl betreffend vorbrachte, wurden ignoriert.
„Es tut uns wirklich leid", brachte Izuku vor.
Neben ihm stand Bakugo, der von Eijiro mit dem Ellbogen angestoßen wurde. „Ja, mir auch. Ich wollte Sie nicht beleidigen", entschuldigte sich Katsuki und versuchte nicht allzu verärgert darüber zu klingen, weil man ihn hierzu zwang.
Nach und nach brachte jeder eine Entschuldigung vor. Manche hatten sogar Pralinen, Blumen oder andere Kleinigkeiten als Geschenke dabei. Yamada war überwältigt von der Freundlichkeit des Besuchs. Es war unerwartet für ihn, da seiner Meinung nach er es war, der sich entschuldigen sollte. Doch der Voicehero schaffte es nicht, ein Wort über seine Lippen zu bringen, so überrascht war er. Er war sprachlos, wegen der Fülle an Nettigkeiten, die ihm entgegen gebracht wurden. Immerhin hatte er sie gestern erst beleidigt und sie vor einen unmöglichen Test gestellt, und damit gedroht, sie alle durchfallen zu lassen.
„Wir hoffen, dass es ihnen wieder besser geht, quack", meinte Tsuyu und legte ihren Kopf schief, „Sie sahen gestern ziemlich mitgenommen aus, und auch jetzt wirken Sie noch ziemlich k.o. Sie sollten sich ausruhen!" Dem stimmte auch Recovery Girl zu und scheuchte die zwanzig Schüler aus dem Raum.
Es dauert ein bisschen, bis die Schüler weg, und die beiden wieder allein waren. Die gesamte Zeit über hatte sich Hizashi an Shota gelehnt, der ihm damit Halt gegeben hatte. Vermutlich wäre der Blondschopf ohne den anderen sofort in Tränen ausgebrochen oder hätte sich versteckt. So ganz klappte es noch nicht, dass er seine normale Maske wieder aufsetzte. Schließlich hätte Present Mic niemals stillschweigend so viele Entschuldigungen entgegen genommen. Auch jetzt noch wusste er nicht, was er sagen sollte. „Siehst du, niemand ist dir böse", durchbrach Aizawa die Stille, „sie verstehen alle, dass es zum einen an der Macke lag und zum anderen ihre Worte verletzend waren." Insgeheim war er stolz auf seine Schüler, dass sie so reif und weise waren. Schließlich hatte er selbst mehr als fünfzehn Jahre und einen Wutausbruch seines besten Freundes dazu gebraucht um zu erkennen, dass sein Verhalten falsch war. Er musste dringend daran arbeiten, ebenso für Hizashi da zu sein, wie der andere es für ihn war. „Versprich mir bitte, dass du mich in Zukunft wissen lässt, wenn ich mich beschissen dir gegenüber verhalte. Ich ... ich möchte mich ändern, ein besserer Freund sein. Jemanden, den du verdient hast, damit so etwas wie gestern nicht mehr vorkommt." Wieso musste man immer erst mit Schmerzen konfrontiert werden, bevor man erkannte, dass man einen Fehler machte. „Du kannst mit mir immer darüber reden, wenn jemand scheiße zu dir war, oder dich etwas verletzt hat. Du musst es nicht in dich hineinfressen ... dazu sind Freunde doch da, oder?"
Wenn Yamada gedacht hatte, dass die Schüler ihn sprachlos gemacht hatten, dann war das vorhin nichts im Gegensatz zu den Worten, die Shota aussprach. Kaum hatte Aizawa zu Ende gesprochen, flossen Tränen aus den Augen des Blonden. Da er nicht wusste, was er sagen sollte, kuschelte er sich mehr an den Dunkelhaarigen. Worte waren im Augenblick auch gar nicht notwendig. Manchmal genügten auch Taten um zu zeigen, wie dankbar er dafür war, dass er endlich etwas für seine Mühen, die er all die Jahre aufgebracht hatte, zurückbekam. Er war erleichtert, dass sein Verhalten und seine Worte nicht dafür gesorgt hatten, dass man ihn verstieß. Schließlich hatte er bereits oft genug von Geschichten gehört, bei denen ein mieser Tag gereicht hatte, um alles zu zerstören. Seufzend schloss er die Augen und genoss die Nähe des Dunkelhaarigen, die er seit Jahren vermisst hatte.
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