Kapitel 6
Während der ganzen Zugfahrt sprach der Mann neben mir kein Wort. Weder mit mir, noch mit dem Personal, welches uns ständig etwas zu trinken oder zu essen anbot. Das Gefühl, in Gefahr zu sein, beobachtete zu werden, wurde nicht besser. Es war so präsent wie noch nie und ich hatte immer mehr das Gefühl, dass es dieser Mann neben mir war, der mich seit Tagen verfolgte, denn immer mehr Passagiere stiegen aus, nur das Gefühl blieb. Und es wurde schlimmer und schlimmer. Die Trauer, die ich immer noch empfand, mischte sich mit der Angst und machte jeden Atemnzug unerträglich. Eigentlich wollte ich einfach nur wieder nach Hause, mich in die warme Umarmung meiner Eltern schmiegen und wissen, dass die Welt in Ordnung war. Doch für mich war gar nichts mehr in Ordnung. Mein ganzes Leben hatte sich auf den Kopf gestellt und von einem Tag auf den anderen musste ich völlig allein zurechtkommen. Ein zittriger Seufzer verließ meine Kehle. Noch ein paar Stationen, dann würde ich mein erstes Ziel erreicht haben. In der Schweiz sollte ich fürs erste sicher sein. Es dauerte tatsächlich nur eine halbe Stunde, bis der Zug endlich an meiner Station hielt. Eilig verließ ich den Zug, wollte einfach nur dem Gefühl der Panik entkommen und das so schnell wie möglich. Ich sprintete die Treppen des Bahnhofs hinunter und hielt vor einer Tafel, an denen die anschließenden Züge und Busse aufgelistet war. Ich beschloss, einen Bus zu nehmen, der mich etwas weiter aus der Stadt bringen würde. Erst einmal würde ich mich hier ausruhen, bevor ich meine Reise fortsetzte. Ich musste mir genauer überlegen, was ich als nächstes tun würde. Irgendwie brauchte ich ja einen Plan, es würde nichts bringen, wenn ich einfach drauflosrannte und mir im Endeffekt etwas zustieß.
Leano beruhige dich. Du musst atmen Liebling.
Die Stimme meiner Mutter war so deutlich, wie in den letzten Tagen auch. Und sie hatte Recht. Meine Atmung hatte sich schon wieder stark beschleunigt und ich war mir sicher, dass ich mal wieder kurz vor einer Panikattacke stand. Langsam versuchte ich nun meine Atmung wieder unter Kontrolle zu bekommen, doch grade, als ich dachte, ich hätte es geschafft, wehte mir der vertraute Geruch des Mannes aus dem Zug in die Nase. In meinem Köper zog sich alles zusammen, dieses Gefühl der Angst und die Panik schlüpfte wieder in mein Glieder und machte meine Beine lebst-nein. Ich steuert die nächste Bushaltestelle an und sprang ihnen Bus, als er grade die Türen schließen wollte. Ich kaufte mir beim Fahrer ein Ticket und setzte mich auf einen Platz in der letzten Reihe. Dort sah ich aus dem Fenster, der Bus setzte sich langsam rüttelnd in Bewegung und bracht mich endlich von diesem Gefühl weg. Es schien, als würde ich mit dem Bahnhof auch die Angst hinter mir lassen. Die Augen, die so lange auf mir gelegen hatten, verschwanden endlich, ließen mich endlich in Ruhe. Und dieses Gefühl der Ruhe, für das ich mich doch so schämte, raubte mir jegliche Kraft. Ich spürte wie mein Kopf langsam gegen die Fensterscheibe sank, wie sich meine Augenlieder langsam schlossen und ich endlich ein bisschen schlafen konnte.
„Hey Junge. Aufwachen mein Kleiner.", ich wurde durch ein leichte Rütteln an meinem Arm wach.
Meine Augen richteten sich auf den Busfahrer, der sich lächelnd über mich beugte. Ich setzte mich auf, meine Glieder waren steif und schmerzten.
„Das hier ist die letzte Station, du musst hier aussteigen.", sagte der Busfahrer sanft.
„Oh, okay.", ich nickte und stand auf.
Der Busfahrer sah mir etwas wehmütig hinterher, als ich den Bus verließ und mich umsah. Ich befand mich irgendwo in einer Stadt, die ich nicht kannte. Die Menschen um mich herum sprachen eine Sprache, von der ich nicht ein Wort verstand, es roch alles so anders, alles war neu, nichts passte in mein Weltbild herein.
Ich war in meinem Rudel aufgewachsen, hatte den Wald und sein schützenden Inneres selten verlassen, hatte die Welt da draußen nie richtig kennengelernt, wusste nicht richtig, was zu tu war. Meine Eltern hatten mich im Rudel aufgezogen, um mich zu beschützen vor den anderen Wölfen, die auf uns lauerten. Ich wusste genau, welche Gefahren mir als Omega in dieser Welt drohten, ich wurde mein ganzes Leben drauf vorbereitet. Aber ich wusste auch, dass ich im Ernstfall keine Chance haben würde. Jeder andere Wolf, der auf dieser Welt noch existierte, hatte einen höheren Rang als ich und könnten mich ohne Probleme unterwerfen. Als Omega hatte man in dieser Gesellschaft keine Chance, wenn man nicht versteckt vor allen anderen lebte.
Schatz, ruh dich aus.
Ja, höre auf deinen Vater. Such ihr einen Ort zum Schlafen und setzte deine Reise morgen fort Baby.
Ich blieb steif stehen, als die Stimmen meiner Eltern durch meinen Kopf schossen. Und mal wieder hatten sie Recht. Ich musste mir einen Ort für die Nacht suchen. Morgen würde ich dann weitersehen.
Nachdem ich noch eine Weile gegangen war, fand ich ein Hotel, das mich ansprach, trat ein und besorgte mir ein Zimmer für die Nacht. An Schlaf konnte ich jedoch nicht denken. Viel zu viel schwirrte mir im Kopf herum. Meine Sinne waren überfordert mit dem, was hier vor sich ging, zu viele Gerüche, Geräusche und Gefühle strömten in meinen Körper, machten mich ganz hubbelig und ließen mich nicht still stehen. Ich lief im Zimmer auf und ab, immer und immer wieder. Dann sprang ich unter die Dusche, duschte erst kalt, dann warm, wusch mich mindestens drei Mal, bis ich schließlich meinen Gang durch das Zimmer fortsetzte. So ging es bis spät in die Nacht. Als ich mich endlich ins Bett legte, war bereits der nächste Morgen angebrochen, ein neuer Tag, der doch genauso qualvoll war, wie der zuvor.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top