Kapitel 4

Als ich a nächsten Morgen erwachte, war ich alles andere als ausgeschlafen. Im Gegenteil, ich hatte das Gefühl, als wäre ich die ganze Nacht hindurch wach gewesen. Mit einem Gähnen streckte ich mich und verließ meinen Schlafplatz. Erst mit den Gerüchen und dem Aussehen der Umgebung wurde mir wieder vor Augen gerufen, dass ich nicht zu Hause in meinem Bett lag. Ich schluckte. Es war also kein böser Traum gewesen, sie waren wirklich tot. Sie hatten sie alle getötet. Mit größter Mühe schaffte ich es, ein Heulen zu unterdrücken. Ich konnte keinen Laut von mir geben, das war momentan nicht möglich. Sobald ich in Sicherheit war, aus dem Wald heraus war, konnte ich so viel weinen wie ich wollte. Meine Eltern wollten, dass ich überlebte und genau das würde ich tun. Ich würde ihnen ihren letzten Wunsch erfüllen. Mit den lächelnden Gesichtern meiner Eltern vor meinem inneren Auge aß ich die Reste vom Reh und suchte mir einen Fluss, an dem ich etwas trank. Es war noch früher Morgen, die Sonne stand noch nicht hoch am Himmel. Für einen Moment zögerte ich. Sollte ich wirklich weitergehen? Sollte ich meine Heimat wirklich verlassen? Ich war doch erst 15. Ich sah noch ein letztes Mal sehnsüchtig in die Richtung, in der ganz versteckt unser Rudel lag. So versteckt, dass man es nicht fand, wenn man nicht wusste, wo es lag. Was wohl mit den Häusern passieren würde? Was mit all meinen Sachen passieren würde, all den Fotos, die dort waren? Erinnerungen, die ich nicht mit mir nehmen konnte. Trotz all meiner Emotionen, die in diesem Moment in mir brodelten, sei es Trauer oder Wut, Schmerz oder Angst, zwang ich meinen Körper sich vorwärts und in Richtung der Stadt zu bewegen. Fast den ganzen Vormittag verbrachte ich damit, aus dem Wald herauszukommen. Dabei hing ich meinen Gedanken nach. Würde es meinen Eltern gut gehen, dort wo sie jetzt waren? Waren sie wieder zusammen? Würden sie über mich wachen?

"Leano, gib Acht.", ich fuhr herum, sah mich panisch um. Doch dort war niemand. Und trotzdem erschien es mir so, als hätte Papa mit mir gesprochen, als hätte er mich davor gewarnt zu sehr in meine Gedanken abzudriften, damit ich mich auf meine Umgebung konzentrierte. Und in diesem Moment war ich mir sicher. Meine Eltern wachten über mich und würden mich zum Black Luna Rudel leiten. Vor mir zeichneten sich nun die Umrisse der Stadt ab. Mit einem Knacken verwandelte ich mich wieder in einen Menschen. Meine Hand glitt zu meiner Hosentasche. Dort steckten die Kreditkarten meiner Eltern. Sie hatten sie mir gegeben, bevor sie mich in dem Bunker allein gelassen hatten. ,,Pass gut darauf auf Leano.", hatte Mama gesagt und Papa hatte hinzugefügt, ,,Wenn du klug damit umgehst, wirst du keine Geldprobleme bekommen."

Ich umklammerte die Karten in meiner Tasche fester und ging mit wackligen Beinen auf das Gebäude zu, in dem sich die Bibliothek befand. Es war ein altes Gebäude, welches von innen unglaublich modern war. ,,Willkommen. Wenn du Hilfe brauchst, dann sag Bescheid.", wurde ich von einer Dame am Empfang begrüßt. ,,Danke.", ich nickte ihr zu und ging auf direktem Weg zu den Computern. Das Black Luna Rudel lag im Norden von Großbrittanien und dort musste ich erst einmal hinkommen. Schnell hatte ich eine gute Route gefunden, die mich durch die Schweiz und Frankreich führte. Anschließend würde ich durch den Eurotunnel mein Ziel erreichen. Entschlossen verließ ich die Bibliothek also wieder, nachdem ich mir einen Platz in einem Hotel gebucht hatte, ebenso wie eine Zugfahrt in die Schweiz. Wenn alles nach Plan lief, würde ich in weniger als einer Woche dort sein. ,,Tschüss, schönen Tag noch.", verabschiedete ich mich von der Dame, als ich das Gebäude verließ. ,,Dir auch!", sie winkte zum Abschied und ich winkte zurück. Meine Hand klammerte sich erneut um die Karten meiner Eltern. Sie waren mein Ticket zu diesem Rudel, ich durfte sie unter keinen Umständen verlieren. Meine Finger berührten die Packung mit den Tabletten, die meine Hitze unterdrückten. Sie hatte ich auch mitgenommen, sie warn wichtig. Mehr hatte ich nicht bei mir. Langsam ging ich zu dem Hotel. Immer wieder drehte ich mich dabei um, hatte das ungute Gefühl, dass mich jemand beobachtete. Doch egal, wie oft ich mich umdrehte, egal wie oft ich mich umsah und hinter Ecken spähte, ich konnte niemanden entdecken. Und doch wusste ich, dass da irgendwo irgendwer war. Meine Nase täuschte mich nie, genauso wenig wie meine Ohren. Und dann waren da noch die Stimmen meiner Eltern, die immer wieder flüsterten: ,,Leano, gib Acht."

Schon irgendwie gruselig. Je weiter ich durch die Stadt ging, desto schlimmer wurde das Gefühl, verfolgt zu werden. In meiner Brust bildete sich ein ungutes Gefühl, meine Kehle schnürte sich zu. Ich befahl mir, ruhig zu atmen und zu versuchen die aufkommende Panik zu unterdrücken. Doch das war alles andere als einfach. In diesem Moment wünschte ich mir Papa herbei. Er würde jetzt seine starken Arme um meine Schultern legen, mich an sich ziehen und mir folgendes sagen: ,,Hab keine Angst Liebling. Solange ich bei dir bin, musst du vor nichts auf dieser Welt Angst haben. Mama und ich, wir beschützen dich."

Jetzt waren weder Mama noch Papa da um mir dies zu sagen und die Angst ließ sich nicht mehr unterdrücken. Mein Herz schlug tausendmal schneller, als es gesund war und mein Atem ging unregelmäßig. Die Stimmen in meinem Kopf hatten Recht. Ich musste Acht geben. Irgendjemand verfolgte mich. Mit dem Gefühl der Tränen, die meine Haut nässten, beschleunigte ich meine Schritte und begann schließlich zu rennen. Es war nicht schwer das Hotel zu finden, es lag direkt an der Hauptstraße der Stadt aber leider auf der anderen Seite. Als der Name des Hotels mir in großen leuchtenden Buchstaben entgegenstach, nahm ich noch einmal all meine Kräfte zusammen und rannte durch die Tür hinein in die Eingangshalle. Dort sackte ich zitternd und viel zu schnell atmend in mich zusammen. Während ich versuchte meinen Atmen zu beruhigen, kniete sich ein junger Mann neben mich. ,,Hier.", er hielt mir eine Tüte hin, in die ich nun atmen konnte. Langsam beruhigte sich mein Körper wieder. Wer auch immer da draußen gewesen war, ich hatte ihn oder sie abgehängt. Die Frage war nur für wie lange. 

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