Meinen Stalker
In den nächsten Tagen bekam ich keinen weiteren Anruf. Vielleicht hatte ich ihn verärgert, in dem ich aufgelegt hatte? Naja, eigentlich war das ja gut so. Vielleicht verlor er ja das Interesse, wenn ich ihn ignorierte. Dummerweise war es hart in zu ignorieren, wenn ich jede Tag eine neue Blume auf meinem Schreibtisch fand. Auch an ihnen befanden sich Notizen und ich konnte allmählich mein Lächeln nicht mehr unterdrücken. Wer war nur dieser Typ? Wieso verfolgte er ausgerechnet MICH?
Kaum war ich an meinem Schreibtisch angekommen, suchte ich nach der Blume, doch ich fand keine. Mein Herz setzte einen Moment aus. Normalerweise war die Blume immer hier, wenn ich ankam. Vielleicht verspätete sie sich heute einfach.
Ein Seufzen entfuhr mir. Wieso war ich darüber so enttäuscht? Eigentlich sollte es mir egal sein, doch der Fakt, dass es das nicht war, machte mir zu schaffen. Vielleicht war ich auch so froh über diese Blumen, weil Aiden mir nie welche schenkte. Er tat nie irgendwas. Ja, anfangs hatte er sich Mühe gegeben für mich, doch jetzt... Jetzt war er nur noch kalt und distanziert.
"Miss Delaney" knurrte mein Chef und ich riss den Kopf hoch. Ich war vollkommen versunken gewesen in meinen dunklen Gedanken. Mist.
"Ja Mr. Clayton?" fragte ich so liebreizend, wie nur irgendwie möglich und betete, dass er heute fröhlich gestimmt war. Wenn mein Chef gut gelaunt wat, dann wirkte er fast wie ein Mensch und lächelte sogar manchmal, doch gerade schien er mehr als schlecht gelaunt zu sein.
"Ich habe heute Nachmittag eine Besprechung und ich will, dass sie Protokoll führen. Bis dahin brauche ich sämtliche Unterlagen über jeden der Beteiligten und ihre Firmen" erklärte er mir monoton und ich musste ein keuchen unterdrücken. Es war bereits 12 Uhr, was bedeutete, dass ich nur noch 4 Stunden bis zur Besprechung hatte. Wenn es ganz schlecht lief, dann ging die Besprechung bis heute Abend und ich kam mal wieder spät nach Hause.
"Ja Sir" erwiderte ich bloß. Mr. Clayton nickte zufrieden und verzog sich in sein Büro. So schnell wie möglich versuchte ich mich an die Arbeit zu machen. Für jeden einzelnen der 10 Teilnehmer alle Hintergrundinformationen rauszusuchen war alles andere als leicht und unglaublich zeitaufwendig.
3 Stunden später war ich noch immer nicht fertig und meine Blume war auch nicht angekommen. Wieso war ich darüber so seltsam enttäuscht? Das machte keinen Sinn. Wer wollte schon Blumen von seinem Stalker? Dennoch hatte ich das Gefühl, dass mein Arbeitsalltag ein ganzes Stück trister wurde ohne diese tägliche Überraschung.
Nachdem ich eine breite Übersicht erstellt, ausgedruckt und zusätzlich noch an Mr. Clayton geschickt hatte, wollte ich mir eine Pause gönnen. Es waren nur noch 20 Minuten bis zum Meeting, also entschied ich mich dafür mir einen Kaffee zu holen, als plötzlich ein ganzer Haufen Männer im Anzug an mir vorbeirauschten. Sie alle sahen aus wie die typischen Schlipsträger und nervten mich jetzt schon.
Ich atmete tief ein und folgte der Gruppe dann, die zum Meeting raum liefen. "Kann ich Ihnen helfen? Sie sind doch bestimmt hier wegen des Meetings mit Mr. Clayton" sagte ich in meiner freundlichsten Sekretärinnenstimme und die Männer nickten. Einige musterten mich abschätzig, andere interessiert. Innerlich verdrehte ich die Augen.
"Nun, dann nehmen Sie doch bitte schon einmal Platz, ich werde Mr. Clayton Bescheid sagen, dass Sie eingetroffen sind" erklärte ich lächelnd und die Männer nickten. Ich lief schnurstracks zu Mr. Claytons Büro, wobei ich einer Kollegin bedeutete, dass sie die Gäste bedienen sollte. Geschäftsmänner wurden oft grantig, wenn sie nichts zu trinken bekamen.
"Mr. Clayton ihre Geschäftspartner sind eingetroffen. Soll ich alles vorbereiten oder wollen Sie erst pünktlich beginnen?" fragte ich, nachdem ich vorsichtig geklopft hatte. Mr. Clayton und vermutlich auch jeder andere Geschäftsmensch seiner Klasse waren daran gewöhnt, dass ihre Partner zu früh oder zu spät kamen. Ich würde es ihm nie persönlich sagen, doch er war eben einfach nicht wichtig genug, damit die Leute pünktlich kamen.
"Nein wir fangen pünktlich an, bereiten Sie schon mal alles vor, ich bin in 10 Minuten da" meinte er und ich nickte bloß. Mit meinem Chef zu diskutieren stand definitiv nicht auf meiner To-do-Liste, also verschwand ich schnell. Ich würde maximal 5 Minuten brauchen, um alles vorzubereiten, also holte ich mir noch schnell einen Kaffee.
10 Minuten später war alles vorbereitet und jeder saß auf seinem Platz, als Mr. Clayton das Meeting eröffnete. Ich hörte zwar aufmerksam zu und schrieb alles mit, dennoch waren meine Gedanken immer wieder bei dem Mann. Dieser Anruf vor einigen Tagen und jetzt die Blumen, die nicht mehr auf meinem Tisch lagen...
"Hören Sie mir zu Miss Delaney?" fragte einer der Männer und ich sah zu ihm. Einer der älteren Männer, die mich vorhin so charmlos gemustert hatten, grinste mich jetzt an. Er dachte er könnte mir eine Peinlichkeit aufzwingen.
"Ja Sir, Sie sprachen gerade davon, dass Mr. Clayton für Sie eine Firmenübernahme regeln soll, was in Ihren Augen unmöglich zu sein scheint, doch mein Herr, ich versichere Ihnen, dass Mr. Clayton ganz gewiss dazu in der Lage ist" erwiderte ich ruhig. Ein Glück, dass ich nicht das Temperament von Kira hatte. Ja, ich war zurückhaltend, doch ich war cleverer, als die meisten glaubten.
Verwunderung blitzte in seinen Augen auf, bevor er überraschend nickte. Mr. Clayton warf mir einen Blick zu, den man fast als Respekt hätte deuten können, wenn er nicht mein eiskalter Chef wäre. Es war mir zu wider diesem Mann auch noch Honig um den Mund zu schmieren, doch in meinem Job blieb mir nunmal nichts anderes übrig.
Na immerhin begann dieses Meeting ganz gut. Der Rest des Meetings verlief ganz ähnlich. Die Männer stritten sich, diskutierten und schleimten dann wieder rum. Typisch Anwalt. Zugegeben, ich interessierte mich durchaus für so etwas, ein Grund, wieso ich Suits so liebte, doch dieses Meeting war wirklich langweilig. Es ging durchgehend um das gleiche Thema und die Sachen, die bemängelt wurden, waren wirklich peinlich unwichtig.
"Nun gut Gentleman, ich freue mich, dass Sie hier waren und freue mich auf unsere weitere Zusammenarbeit" beendete Mr. Clayton uns alle aus dem Meeting. Endlich. Das ganze hatte immerhin 3 Stunden gebraucht, so dass es mittlerweile 7 Uhr war. Aiden hatte mir geschrieben, dass er heute mit seinen Freunden feiern war. Mal wieder. In letzter Zeit tat er das erstaunlich oft.
Ich hatte heute alles getan, was zu erledigen war, also hatte ich nun Feierabend. Ich könnte nach Hause fahren und entspannen. Plötzlich holten mich die Erinnerungen an diese eine Nacht wieder ein. Würde er heute wieder... war es sicher alleine zuhause? Was wenn er diesmal weiter ginge?
Eine leise Hoffnung keimte in mir auf, die ich nicht unterdrücken konnte. Was wenn ich ihn zu Gesicht bekam? Ich musste endlich wissen, wer dieser Mann war? Ich musste wissen, ob er so charmant auch in echt war. War er wirklich ein Gentleman? Was, wenn er in Wahrheit ein Vergewaltiger war, der mich bloß rumkriegen wollte?
Nachdenklich lief ich hinunter zur Rezension. Die junge blonde Frau, die mir immer die Blumen brachte und Emilia hieß, wie ich inzwischen herausgefunden hatte, lächelte mich an. Moment mal. Sie müsste doch wissen, wie er aussah oder?
Vorsichtig kam ich auf sie zu und begrüßte sie. "Hallo Emilia, wie gehts dir?" fragte ich sanft und sofort erschien ein Lächeln auf ihren hübschen Gesicht. Sie war vielleicht Ende 20 und arbeitete hier schon eine ganze Weile. Dennoch hätte ich sie wohl nie wirklich kennengelernt, wenn die Sache mit den Blumen nicht wäre.
"Naja, meine Füße bringen mich vermutlich bald um aber ansonsten alles gut und bei dir? Du siehst müde aus" erwiderte sie in ihrer gewohnt freundlichen Art. Auch wenn sie anfangs so zurückhaltend gewirkt hatte, stellte sich heraus, dass Emilia eigentlich eine sehr offene Person war, wenn man sie besser kannte.
"Ja ein wenig" meinte ich und überlegte, wie ich das Thema am besten anschneiden sollte. "Du sag mal, diese Blumen, die ich bekomme, wer bringt die her? Es steht nie ein Absender drunter und ich hoffe wirklich, dass es nicht mein nerviger Ex ist" erklärte ich, in der Hoffnung, dass sie nicht weiter nachfragen würde.
"Ach wirklich?" fragte sie und Neugier blitzte in ihren blauen Augen auf. "Nun ja, normalerweise ist das immer so ein blonder Botenjunge namens Alex. Ich glaube allerdings nicht, dass sie von ihm sind, er ist grade mal 17 und scheint keine Ahnung zu haben, wofür die Rosen sind" erklärte sie mir und ein Hauch Enttäuschung machte sich in meiner Brust breit. Natürlich war das eine Sackgasse. Wer war auch so dumm eine Blume selber zu liefern?
Gerade wollte ich mich umdrehen und gehen, als ihr plötzlich etwas einfiel. "Aber einmal war es jemand anders. Ein großer Mann. Gott sah der gut aus" meinte sie grinsend und ich blieb abrupt stehen. Mein Blick musste Aufforderung genug sein, denn sie sprach gleich weiter.
"Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, doch er hatte ziemlich sicher dunkles Haar und eine Menge Tattoos. Oh und seine Arme! Er war definitiv sehr trainiert" erklärte Emilia mir und einige Sekunden stand ich nur da. In meinen Gedanken setzte sich ein Bild zusammen.
Moment. Ein trainierter, tätowierter Mann, mit dunklem Haar, der mir Blumen schenkte, weil er glaubte, dass mein Freund mir nicht genug Aufmerksamkeit und Liebe schenkte? Plötzlich traf es mich, wie der Schlag. Ich wusste, wer mich beobachtete.
"Verstehe. Hat er zufällig seinen Namen gesagt?" meinte ich neugierig. Es war der Barkeeper. Dieser Mann, den ich vor wenigen Tagen in der Bar getroffen hatte. Natürlich. Doch wieso sollte er mich stalken? Was sollte das?
"Nein, tut mir leid" erwiderte Emilia sanft, bevor sich ein Grinsen auf ihr Gesicht schlich. "Ziemlich aufregend nicht wahr? Ein gutaussehender Mann, der dir täglich Blumen schickt aber nicht dein Freund ist..." meinte sie. Da war es wieder. Das Wort aufregend.
"Mag sein" meinte ich abwesend. Meine Gedanken waren längst bei dem Barkeeper. Sollte ich ihn konfrontieren? Aiden war weg und ich wäre zuhause sowieso allein, also... kurz schaute ich auf die Uhr. Es war halb acht, also konnte ich der Bar ja zumindest einen Besuch abstatten.
Entschlossen lief ich zu meinem Auto.
Ich würde ihn treffen.
Meinen Stalker.
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