Dieser Barkeeper

"Sei nicht so sensibel" fuhr Aiden mich an und ich schluckte. Ja, das war es. Ich war wieder zu sensibel. Es war meine Schuld, dass ich mich so aufregte über solch eine Kleinigkeit. Jeder konnte einen Jahrestag mal vergessen. Erst recht den 3. Blumen waren sowieso albern. Wer brauchte sowas schon?

"Tut mir leid" erwiderte ich leise und lehnte mich gegen den Küchentresen. Das Essen stand bereits auf dem Tisch, zwei Teller mit Pasta und einigen Kerzen. Es sollte eine Überraschung für ihn sein. Ein schönes, romantisches Abendessen mit Aiden.

"Na geht doch" brummte er und das erste mal seit dem er vorhin nach Hause gekommen war, sah er mich an, mit seinen blauen, schönen Augen. Sofort war der Rest meiner Wut verflogen und ich rang mir ein Lächeln ab.

Ich richtete mich auf und ging langsam hinüber zur Couch, wo Aiden saß und größtenteils mit seinem Handy beschäftigt war. Es war mittlerweile acht Uhr und auch wenn ich Hunger hatte, blieb in mir der kleine Hoffnungsschimmer, dass er und ich unser romantisches Date haben könnten.

"Wollen wir nicht was essen?"  fragte ich und zupfte nervös an meinem Rock. Er sah nicht mal von seinem Handy auf. Natürlich nicht. Das tat er doch nie. Manchmal fragte ich mich, ob es ihm überhaupt wichtig war, was ich zu sagen hatte.

"Ich hab schon gegessen im Büro" erklärte er monoton, bevor er sich durch das blonde, lange Haar fuhr. Natürlich hatte er schon gegessen. Wie hätte er auch ahnen können, dass ich so etwas vorbereitet hatte? Sicherlich hatte Aiden geglaubt, dass ich bereits gegessen hätte.

Ich nickte und er griff nach der Fernbedienung. Richtig. Gleich kam Fußball. Seine Lieblingsmannschaft spielte, weshalb er natürlich keine Zeit dafür hatte mit mir den Abend zu verbringen. Sowas war sowieso albern.

"Verstehe" meinte ich leise. Ich hatte schon lange aufgehört wütend zu sein, doch das Bedürfnis zu flüchten, brannte immer noch in meinen Fingern, weshalb ich langsam aufstand. Würde er wieder wütend werden? Sagen, dass ich nicht für ihn da war? Oder würde ihn das gar nicht kümmern?

"Ich muss nochmal weg. Kira braucht Hilfe bei einigen Sachen" erklärte ich und nun sah er doch auf. Sein Blick wurde kalt und ich wusste genau was kam. Innerlich wappnete ich mich gegen die Anschuldigungen und Vorwürfe, während ich mich weiter von der Couch entfernte.

"Kira schon wieder" knurrte er und ich zuckte zusammen. Ich wusste, dass er meine beste Freundin nicht mochte. Seiner Meinung nach war sie zu ehrlich und zu draufgängerisch. Zugegeben, sie wollte mich wirklich oft zum feiern bewegen oder sprach schlecht über Aiden, doch sie kannte ihn eben nicht so wie ich.

"Du siehst sie viel zu oft. Bestimmt will sie dich wieder überreden in einen von diesen Clubs zu gehen" warnte Aiden und ich musste ein Seufzen unterdrücken. Er wusste doch, dass ich nicht feiern ging, nicht, wenn er es nicht wollte.

"Das wird sie nicht. Sie braucht bloß Hilfe beim lernen für die Uni und da ich mich mit Bürokram auskenne, soll ich ihr helfen" erklärte ich ihm und packte meine Tasche, in der Hoffnung, er würde mich einfach gehen lassen.

"Na sicher" erwiderte Aiden und ich fühlte mich sofort schuldig. "Dann bin ich eben an unserem Jahrestag allein" meinte er und klang dabei wie ein verletztes Lamm. Natürlich. Ich ließ ihn allein. Ich sollte bleiben und bei ihm sein. Er würde zwar nur Fußball schauen aber das war immerhin besser, als ihn gar nicht zu sehen.

Seufzend ließ ich die Tasche fallen und drehte mich wieder zu ihm um. "Dann sag ich Kira ab. Sie versteht das sicher" meinte ich sanft lächelnd und sofort hellte Aidens Gesicht sich auf. Er stand auf und lächelte mich breit an, was mein Herz erwärmte. Genau deshalb blieb ich. Dieses Lächeln machte mich auch glücklich.

"Du bist die Beste" meinte er liebevoll und strich mir über die Wange, bevor er mich zärtlich küsste. Ich legte ihm meine Arme um den Nacken und vertiefte den Kuss, was in meinem Bauch ein Kribbeln auslöste. Gott ich liebte es, wie er mich küsste.

"Holst du mir was zu trinken Süße?" fragte er mich nach dem Kuss und ich nickte lächelnd. Da war er wieder. Dieser Zustand, in dem ich alles tun würde für Aiden, ganz egal, wie er sich benahm. Ich hauchte ihm noch einen Kuss auf die Lippen und lief dann in die Küche, um ihm was zu trinken zu bringen. Es war genau wie immer. Er schlief vor dem Fernseher ein und ich allein in meinem Bett.

Der nächste Tag im Büro war unglaublich anstrengend. Mein Chef schüttete mich mit Arbeit zu, weshalb ich nicht dazu kam Aiden zu antworten, etwas, was er hasste. Kaum hatte ich Feierabend fand ich ein Dutzend Nachrichten auf meinem Handy, in denen er mir drohte, dass ich endlich antworten sollte.

"Ich bin bei der Arbeit sehr beschäftigt gewesen" antwortete ich ihm und prompt kam eine Nachricht von ihm. "Zu beschäftigt? Du weißt doch wie wichtig mir das ist". Natürlich. Sofort fühlte ich mich schlecht. "Ich weiß. Ich hätte antworten sollen, es tut mir leid" antwortete ich ihm, als ich zum Auto lief.

Kaum hatte ich mich hingesetzt, waren da bereits zwei neue Nachrichten auf meinem Handy. Erschöpft seufzte ich und sah in den Spiegel. Ich hatte tiefe Augenringe unter den Augen und mein Gesicht war blass. Die letzten Tage waren so ermüdend, dass ich nicht wusste, ob ich es aushalten würde jetzt nach Hause zu kommen und mit Aiden zu streiten...

"Mein Chef hat mir grade Überstunden aufgebrummt. Ich bin spätestens um 10 Zuhause" schrieb ich und startete mein Auto. Ich wusste genau, dass es Aiden nicht freuen würde, doch ich brauchte einfach ein wenig Zeit. Ich würde bei Kira vorbeischauen und mich etwas ablenken.

Nach 10 Minuten fahrt war ich am etwas ländlicheren Teil der Stadt, nur fünf Minuten entfernt von Kiras Wohnung, als ich plötzlich eine Bar entdeckte. "Devils Lounge" stand in leuchtenden Buchstaben über der Tür und ich sah drinnen einige Menschen, die zu lachen schienen.

Wie lange war ich nicht mehr in einer Bar? Einfach mal etwas trinken und Spaß haben? Aiden sagte immer, dass eine Bar bloß bedeutete, dass ich andere Männer wollte. Vielleicht hatte er recht, doch heute wollte ich nur... entspannen.

Ich parkte vor der Bar und stieg aus, nachdem ich meine Handtasche vom Beifahrersitz genommen hatte. Schon von draußen hörte ich das Lachen und die feierliche Stimmung, die mir im kleinsten Winkel meines Herzens gefehlt hatte.

Vorsichtig öffnete ich die Tür und einige wenige Köpfe drehten sich in meine Richtung, was mir die Hitze in die Wangen trieb. Vielleicht sollte ich einfach umkehren. Ich sollte einfach wieder in mein Auto steigen und zu Aiden fahren, so wie er es wollte.

Plötzlich traf mein Blick auf ein dunkles, wunderschönes Paar Augen. Sie gehörten dem Barkeeper, der mich direkt ansah. Er war groß, sicherlich 1.95 und damit um ein vielfaches größer als Aiden. Sein Haar war dunkel, wie seine Augen und er wirkte so bedrohlich, wie jedes seiner unzähligen Tattoos. Alles an ihm signalisierte Gefahr und dennoch... er war irgendwie faszinierend.

Langsam schritt ich durch die Bar und wich ein paar Betrunkenen aus, bevor ich den Tresen erreichte und mich auf dem Barhocker niederließ. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis der Barkeeper zu mir kam und mich charmant angrinste.

"Guten Abend hübsche Dame, was kann ich dir bringen?" fragte er und seine Stimme klang rau und dunkel. Hatte er mir grade ein Kompliment gemacht? Scheiße. Wenn Aiden davon erfuhr. Nein, ich sollte wirklich gehen. Ich durfte nicht hier sein.

"Ich ummm nur ein Wasser" meinte ich leise und sah einen Funken Neugierde in seinem Blick aufblitzen. "Nur ein Wasser? Ich würde einer Frau nie etwas aufdrängen aber du brauchst mit Sicherheit etwas stärkeres als das kleines" erwiderte er und ich verspürte einen Anflug von Panik. Wenn ich nachhause kam und er den Alkohol roch, dann...

"Nein bitte kein Alkohol. Nur Wasser" meinte ich und klang dabei fast flehend. War ich zu flehend? Hatte ich mich verraten? Ich sah es in seinen Augen. Dieser Ausdruck, wenn die Menschen glaubten, dass sie wüssten, was gut für mich ist und mir sagen wollten Aiden war schlecht. Doch er hatte recht. Alkohol war gleichbedeutend mit Betrügen und das würde ich niemals tun.

"Verstehe" brummte er und griff ein Glas und eine Flasche. Er schenkte mir ein wenig Wasser ein, dazu Eis und nahm dann eine Flasche mit... Lila Flüssigkeit. Sofort wurde ich wieder panisch und zog das Glas weg. "Kein Alkohol" wiederholte ich und versuchte stark zu klingen.

Sein Blick wurde sanfter und er schüttelte den Kopf. "Das ist Traubensaft. Du siehst aus wie eine Frau, die es fruchtig mag" meinte er und zwinkerte mir zu, als er mir erneut die Flasche anbot. "Also?" fragte er und ich zögerte. Nur Saft?

Vorsichtig nickte ich und schob ihm das Glas wieder zu. Ich musterte ihn während er mir etwas von dem Traubensaft einschüttete, woraufhin sich das Wasser Lila färbte. Er war attraktiv und irgendwie düster. Das komplette Gegenteil von Aiden und seinen Freunden.

"Wie heißt du?" fragte er und sah mich wieder mit seinen dunklen Augen an. Faszinierend. Sie waren fast vollkommen schwarz und ich hatte keine Ahnung, was in ihnen vorging.

"Adira" antwortete ich unsicher. Was wenn Aiden davon erfuhr? Er würde glauben, dass ich... ihm fremdging. Sicherlich glaubte er ich wäre bloß hier für andere Männer. Ich wollte doch nur einmal etwas Spaß haben. Einmal einen Abend ohne streiten und Schuldgefühle.

Der Barkeeper musterte mich und weiterhin war ein breites Grinsen auf seinem markanten, perfekten Gesicht. Irgendwas an ihm faszinierte mich und das war schlecht. Je mehr ich mich mit ihm unterhielt, desto wütender würde Aiden werden, wenn er es herausfand.

Plötzlich vibrierte mein Handy und ich beeilte mich ranzugehen. Es war Aiden. Natürlich. Ich hatte auf seine letzte Nachricht nicht geantwortet, weil ich zu beschäftigt gewesen war, mit Autofahren. Shit.

"Was soll das? Seit 20 Minuten antwortest du mir nicht. Ist es dein Chef? Für ihn hast du immer Zeit aber wenn ich dich brauche, dann bist du nicht da" hörte ich Aidens vertraute Stimme und ich zuckte unübersehbar zusammen. Er brauchte mich? Bestimmt war sein Arbeitstag mal wieder schwer gewesen.

"Es tut mir leid, ich muss Überstunden machen... Ich werde mit Arbeit zu gehäuft da kann ich nicht-" wollte ich grade erklären, doch er schnitt mir eiskalt das Wort ab. So wie immer.

"War ja klar, dass dir die Arbeit wichtiger ist als ich" schnauzte er und legte einfach auf. Ich war wie erstarrt und bemerkt zuerst nicht, dass auch der Barkeeper mich beobachtete. Viel zu beschäftigt war ich mit den Schuldgefühlen und das mir bewusst wurde, dass sobald ich zuhause war, wieder Streit warten würde.

"Meine Bar hatte schon oft den Namen "Überstunden"" kommentierte er, es klang jedoch kein bisschen abwertend oder spöttisch. Er polierte gerade ein Glas und sah mich mit Adlerähnlichen Augen an, als würde er darauf warten, was ich tun würde. Ja, was würde ich tun? Sollte ich gehen? Es wäre wohl das beste.

"Ich bin nicht hier um..." versuchte ich mich zu rechtfertigen, doch er schüttelte den Kopf. "Du bist hier um eine kleine Auszeit von deinem Bello zu bekommen" brummte er. Der letzte Teil des Satzes klang fast aufgebracht. Hätte er gehört, wie Aiden mit mir gesprochen hatte?

"Selbst wenn, er hatte einen harten Tag, also sollte ich gehen. Es wäre nicht richtig ihn jetzt allein zu lassen" erklärte ich dem Mann, dessen Namen ich nicht einmal kannte. Mir war selbst nicht klar, wieso ich ihm gegenüber so offen war. Das war wohl der Barkeeper Charme.

Einen Moment lang sah er mich bloß an. "Es ist eine Schande, dass es immer die schönsten Frauen sind, die nicht wissen, dass auch sie es verdienen verwöhnt zu werden nach einem harten Tag" brummte er, klang dabei jedoch erstaunlich kühl. Wahrscheinlich hatte er recht. Doch Aiden war eben nicht der Typ dafür.

Mit einem Seufzen stand ich auf und nickte, bevor ich rasch meine Tasche griff und nach einem letzten Blick auf den Barkeeper zur Tür lief.

Wer hätte gedacht, dass meine kleine "Auszeit" so verläuft?

Und wieso faszinierte er mich so?

Dieser Barkeeper.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top