Kapitel 40. Anastasia
›lass mich helfen. Lass mich dich lieben, Anastasia.‹
Lieben?
Meine Augen waren geweitete und auf irgendeinen Punkt fixiert.
Lieben.
Satoru liebte mich.
Er ... wollte mir helfen.
Ohne es zu kontrollieren, begannen meine Schultern zu beben und die Griffe um meine Oberarme wurden fester. Ich stand immer noch mit dem Rücken zu ihm gedreht. Konnte ihn nicht ansehen.
Mein Vater....
Er war tot. Ich konnte ihn nicht mehr ein letztes Mal sehen. Nicht ein letztes Mal hören. Das war mein Fehler. Meine Last, mit der ich ab heute leben musste.
Ich biss mir hart auf die Lippe. Alles in mir krümmte sich, bis.....
Plötzlich nasse Tränen meine Wange hinab liefen und zu Boden tropften.
Ich weinte....
Schwäche.
Ich musste aufhören.
Ich durfte keine Schwäche zeigen.
Überforderte mit mir selbst, drehte ich mich zu Satoru herum.
Meine Augen immer noch geweitete und auf ihn gerichtet. Die salzigen Tränen, die weiterliefen und ich, die aussah, als würde ich nicht begreifen, was hier passiert.
Ich muss doch ... stark sein.
Satoru neigte den Kopf. »Ich liebe dich. Also sei verdammt noch mal nicht so beschissen stur, und lass mich dir helfen, okay?«
Ich sah ihn einfach nur an. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Klar, ich könnte ihm auch sagen, dass ich ihn auch liebte. Aber es war unpassend. Zumindest fühlte es sich nicht passend an. Nicht jetzt. Also lief ich stumm auf ihn zu und umarmte meinen Mann, der mich liebte. Satoru liebte mich. Das ließ mein Herz höherschlagen, aber gleichzeitig war da die ganze Trauer, die ich versucht hatte zu unterdrücken und die mein Herz schwer machte.
Ich legte meine Arme um seinen Körper und drückte mein Gesicht an seine Brust, als ich endlich die Tränen freien Lauf ließ und diesem Mann meine Schwäche zeigte.
Er griff mich fest und legte seine Stirn auf meine Scheitel. »So ist es gut, Sugar. Ich bin da.«
Ja. Vielleicht war es in Ordnung ihm diese Seite zu zeigen? Vielleicht war diese Schwäche vor ihm in Ordnung?
Meine Finger krallten sich in seinem Hemd fest. Mein Schluchzen war das einzige, was von mir kam. Ich konnte nichts sagen. Ich ... musste erst einmal so viel begreifen. Was hätte mein Vater mir noch gesagt, wenn ich da gewesen wäre? Wäre er stolz auf mich gewesen, dass die Verbindung mit Satoru so gut verlief? Hätte er sich gefreut, dass wir uns jetzt doch mochten? Hätte er mir noch etwas auf den Weg gegeben?
So viele Fragen und keine Antworten.
Ich atmete zittrig ein und weinte. Ich weinte gefühlt Stunden. Zumindest hatte ich das Zeitgefühl total verloren. Irgendwann hob ich den Blick und sah zu Satoru hoch.
»Meine Augen brennen« flüsterte ich erschöpft.
Ohne ein Wort zu sagen, nahm er mich in den Arm und trug mich ins Bett. Er legte mich hin, zog mich aus, brachte mir meine Schlafsachen und deckte mich zu. »Ruh dich aus. Ich werde mich für heute um die ›Gäste‹ kümmern. Ich ...« Satoru sah auf mich herab. »Was ist mit Damian?«
Ich sah Satoru an.
Dann nickte ich nur und schloss meine Augen. »Er ist der Leibwächter meiner Mutter. Frag sie« sagte ich nur.
Mit zusammengebissenen Zähnen beugte er sich zu mir und küsste meine Stirn. »Dann werde ich ihm wohl sein altes Zimmer herrichten lassen. Er kann ja nicht die Nacht über vor der Tür stehen.« Mein Mann wandte sich ab, ließ die Rollläden runter und lief dann zur Tür. »Ich-«, schluckend seufzte er und ging aus dem Zimmer.
Ich presste meine Lippen zusammen. Rollte mich zusammen und weinte für mich alleine weiter. Ich war enttäuscht. Ja, ich konnte mich bei Satoru fallen lassen. Aber das er jetzt gegangen war und mich allein ließ, dies enttäuschte mich. Damian hätte sich mit mir ins Bett gelegt und hätte mich die ganze Zeit gehalten. Zumindest bis ich eingeschlafen wäre. Ich war wütend und enttäuscht von ihm.
Ich bekam nur noch halb mit, dass mehrere Stimmen aus dem Wohnzimmer zu hören waren. Irgendwann schlief ich mit feuchten Augen ein.
***
Ich hatte den halben Tag und die gesamte Nacht geschlafen. Erst am nächsten Morgen wachte ich auf. Und weil Satoru nicht mehr im Bett lag, wusste ich nicht, ob Satoru überhaupt die Nacht ins Bett kam. Meine Augen waren geschwollen und ich fühlte mich schrecklich. Langsam stand ich auf und schleifte mich ins Badezimmer. In den Spiegel sehend, bemerkte ich erst einmal, dass mein Mascara komplett verschmiert war. Ich sah aus wie ein Panda. Ich stützte mich auf dem Waschbecken ab und mein Blick wanderte über die Platte. Zahnbürsten, Zahnpasta, Make-up, Feuchttücher, Tampons, Seife, Gesichtswasser, Rasierer......
Meine Augen stoppten und ich fragte mich gar nicht erst, wieso ich das hier jetzt aufsagte, stattdessen huschten sie zurück zu den Tampons.
Meine Periode.
Wann hatte ich das letzte Mal meine Periode?
Den Blick hebend, starrte ich in mein Panda Gesicht und überlegte. Ich begann zu zählen und nahm beim zweiten Mal sogar die Finger. Und dann ... bemerkte ich, dass ich schon zwei Wochen überfällig war.
»Ich habe meine Periode nicht bekommen« stellte ich leise für mich fest.
War das der Stress?
Möglich oder.....
Ich schluckte schwer und der Klos im Hals drückte plötzlich so stark gegen meine Atmung, dass ich dachte, ich würde Schnappatmung bekommen.
Ich nahm doch die Pille. Ja, ich trank mehr Alkohol als sonst. Aber ich nahm die Pille.
Nein.
Das konnte also nicht sein.
Aber zwei Wochen? Das war schon nicht ohne.
Ich fahr einfach ins Krankenhaus und lass das abchecken, dachte ich und versteifte mich zeitgleich.
Krankenhaus.
Schwer schluckend, begann ich mich fertigzumachen.
***
Nur mit Jessie hatte ich das Haus verlassen. Nur trug ich heute Turnschuhe und einfach nur eine Jeans und einen Gucci-Hoodie. Ich sah total Basic aus, aber das war mir egal. Selbst meine Haare hatte ich nur zu einem Dutt gebunden. Ich fuhr ins Krankenhaus, aber zu einem anderen Krankenhaus. Ich konnte unmöglich und in das Krankenhaus fahren, in dem gestern mein Vater noch verstorben war.
In der Tiefgarage parkte ich das Auto und stieg aus. Ich sah auf mein Handy und schrieb dann eine Nachricht an Satoru. Ich wusste nicht weshalb, aber ich hatte gerade das Gefühl, dass jetzt, wo ich mich doch geöffnet hatte, er sich von mir zurückzog. Er hatte mir doch erst die Liebe gestanden und dennoch war er gestern nicht mit mir im Bett geblieben. Ich fand es richtig schlimm und auch, dass er sich bis jetzt nicht mal per Nachricht bei mir gemeldet hatte.
ICH: ›wo bist du?‹
Ich ging an die Rezeption und fragte wegen eines Termins beim Frauennotarzt und durfte mich daraufhin im Wartezimmer hinsetzen.
Satoru: ›Ich gehe die Liste der Leute durch, die zur Beerdigung kommen.‹
›Wo bist du, Sugar? George meinte, du seist ohne ihn los.‹
Ich wusste nicht, woher dieses Gefühl plötzlich kam. Aber mich ließ es nicht los, dass er das alles übernehmen wollte, um mir zu zeigen, dass ich schwach war. Ich wollte nicht so Scheiße von Satoru denken, aber er hatte mich allein gelassen.
Ich: ›Okay. Ich kann das auch machen. Du musst dich nicht dazu zwingen, Dinge zu übernehmen, die nicht dein Problem sind.‹
›ich bin mir ein Milchshake kaufen gegangen.‹
Ich log bewusst. Wieso sollte ich Satoru sagen, wo ich bin, wenn er am Ende nur unnötig Stress machte? Wir hatten ja schon einmal ein Gespräch bezüglich Kinder und er schien nicht wirklich abgeneigt zu sein. Daher war ich wohl doch ziemlich ruhig. Wenn es so wäre, wäre es eben so. Wir waren beide erwachsen und zu dem verheiratet. Aber das hieß nicht, dass der Zeitpunkt passte.
Satoru: ›ich sage das jetzt ein letztes Mal: Ich zwinge mich zu nichts. Du bist meine Frau!‹
›Verdammt, Ana. Lass es doch einfach gut sein.‹
›Lass mich helfen, wo ich es kann.‹
Ich: ›und wieso bist du dann gestern gegangen? Ich hab dich gebraucht und du hast mich alleine gelassen.‹, schrieb ich wütend zurück und blickte auf, als ich aufgerufen wurde.
Jessie sah mich mitfühlend an, aber ich bat sie darum, hier zu warten.
Im Besprechungsraum erklärte ich kurz, was los war, und sollte mein Bauch frei machen und mich auf Untersuchungsliege legen. In Gedanken versunken bekam ich nur halb mit, wie die Ärztin kühles Gel auf meinem Bauch verteilte und dann mit der Untersuchung begann.
Satoru.
Mein Vater.
Meine Mutter.
Die Beerdigung.
Und jetzt....
»Herzlichen Glückwunsch, Mrs. Gojo, sie sind schwanger.«
Ich starrte die Ärztin an.
Schwanger.
Okay.
Irgendwie spürte ich keine Freude. Aber auch keine Abneigung. Ich fühlte rein gar nichts.
Aber eine kleine Stimme fragte sich in meinem Kopf, ob Satoru sich überhaupt freuen würde?
Um ehrlich zu sein, wäre mir selbst das gerade egal.
Schwanger.
Ich hatte nur genickt, weshalb sie mich verwundert angesehen hatte. Als sie daraufhin fragte, ob alles in Ordnung sei und ich das Kind behalten möchte, erklärte ich nur, dass ich gerade meinen Vater verloren hatte und es nichts mit dem Kind zu tun hatte. Nach mehrmaligen Beileidsbekundungen erhielt ich einen Mutterpass und die Bitte, mir einen Termin bei meiner Frauenärztin zu machen. Ich war am Ende des ersten Monats. Also noch ganz am Anfang.
Satoru: ›ich bin die ganze Nacht auf den Beinen gewesen, Ana.‹
›Und als ich nach dir gesehen habe - 3 mal - hast du geschlafen.‹
Ich verließ mit Jessie das Krankenhaus und setzte mich in mein Auto. Ich starrte auf die Nachricht von Satoru und verließ dann den Chat. Statt ihm zu antworten, schaute ich durch meine E-Mails. Immerhin hatte ich immer noch Verantwortung.
Als mir jedoch dabei eine E-Mail im Junk-Ordner auffiel, öffnete ich diesen und schaute mir diese an. Meine Augen weiteten sich, als ich die elektronische Post meines Vaters erblickte. Ich drückte den Anhang und hielt mir das Handy ans Ohr, als eine Stimme ertönte.
»Meine kleine Anastasia. Hier ist dein Vater. Ich weiß, dass ich bald sterben werde und nicht mehr lange genug unter den Lebenden weilen werde, um mit eigenen Augen zu sehen, wie du unsere Organisation positiv veränderst und deinen Mann doch noch lieben lernst. Ich bin mir jedoch sicher, du wirst Satoru Gojo noch um deinen kleinen Finger wickeln. Er wird dich lieben. Eines Tages wird er dich lieben. Vertrau mir, mein Schatz.« Er hustete und atmete schwer. »Du bist mein ganzer Stolz und ich wünsche mir nichts Sehnlicheres, als das du glücklich wirst. Und auch, wenn ich nicht mehr da sein werde, bleibe ich in deinem Herzen. Die Erinnerungen an mich bleiben in deinem Herzen. Und dort werde ich überdauern.« Wieder hustete er schlimm. »Ich liebe dich, meine kleine Ana und das Einzige, dass mich wirklich traurig stimmt, ist, dass ich deine Mutter alleine lasse und nicht mehr miterlebe, wenn meine Enkelkinder geboren werden. Ich hoffe sie werden nach dir kommen. Meiner starken, selbstbewussten Tochter.« Ein leises Lachen ertönte. »Pass auf dich auf, mein Schatz. Dein Vater liebt dich.«
Und damit endete die Audio und ich bemerkte, dass ich noch kein einziges Mal geblinzelt hatte. Meine Hand presste ich auf meinen Mund und ich fing schrecklich an zu weinen.
Ich liebe dich auch Vater.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top