Kapitel 30. Anastasia
Ich hatte die beiden belauscht. Ich konnte einfach nicht anders. Ich verstand zwar nicht wirklich, was mit ihr los war und wieso, aber sie machte den Eindruck, als wäre sie verrückt. Ich kenne keine Frau namens Mailine James. Zumindest war mir keine Familie bekannt, die mit irgendetwas handelte. Vielleicht war ihre Familie ein Geschäftspartner von Satoru oder sie ein normaler Bürger.
Das wäre heftig.
Ich seufzte und blickte hoch zu Damian. Er trug keine Brille mehr, sein Auge war blau und geschwollen, seine Lippe aufgerissen. Wir standen draußen vor der Tür und ich sah ihn mitleidig an. Denn es tat mir leid. Bevor er etwas sagen konnte, zog ich meinen Leibwächter in eine Umarmung.
»Danke« flüsterte ich in sein Ohr und ich musste mich wirklich zusammenreißen nicht loszuheulen. Er war an meiner Seite, seitdem ich 14 Jahre alt war. Ganze 10 Jahre. Doch ich verstand, dass das nicht mehr möglich war. Er musste gehen. Dennoch war es verletzend.
Er legte nur zögerlich seine Arme um mich, doch als er es tat, drückte er mich an sich. »Pass auf dich auf, Ana. Und wenn irgendetwas sein sollte, du hast meine Nummer. Ruf mich an und ich werde zu dir kommen, egal wo du bist« hörte ich seinen leisen Worten zu.
Ich wusste, dass Atlas und George höchstwahrscheinlich in der Nähe waren. Sie waren im Haus, vielleicht sogar direkt hinter der Tür.
Jetzt kamen mir doch die Tränen. Ich wischte sie schnell weg und entfernte mich von Damian. Ein trauriges Lächeln bekam er nur von mir zu sehen, als wir uns wieder in die Augen sahen.
»Es tut mir leid, dass du mich liebst. Bitte ... pass auch auf dich auf und mach deine Arbeit an der Seite meines Vaters gut, hörst du?«, fragte ich und spielte mal wieder die starke.
Er legte seine Hand auf meine Wange. Zumindest wollte er es, aber als er hoch zu eine der Sicherheitskameras blickte, die hier draußen überall verteilt waren, senkte er die Hand und steckte diese in seine Hosentasche. »Entschuldige dich nicht. Ich bereue nichts.«
Damian beugte sich vor und griff eine Reisetasche. Dann machte er ein Schritt auf mich zu, berührte plötzlich doch mein Gesicht mit seiner Hand und gab mir einen Kuss auf die Stirn. »Ich liebe dich, Ana« hauchte er und bevor ich etwas sagen oder tun konnte, wandte sich mein Ex Leibwächter ab und verließ das Grundstück.
Ich sah ihm nach und hörte nur halb, wie hinter mir sofort die Tür aufgerissen wurde.
Satoru lehnte sich in den Türrahmen und sah Damian nach. »Das wäre dann wohl erledigt.«
Ich drehte mich zu ihm herum. Nickte nur und lief an ihm vorbei ins Haus. Es war trotz allem nicht leicht. Und ich gestattete Damians Rücktritt nur, weil in seiner Arbeit liebe kein Platz hatte. Er musste rational denken und nicht nach seinem Herzen. Ich lief zu Bar und hörte die Angestellten des Anwesens oben im zweiten Stock herumwuseln. Seit über einer Stunde hatten sie begonnen alle meine Sachen aus meinem Zimmer zu Satoru zu bringen und dort einzuräumen. Ich würde ab heute Abend mit meinem Ehemann in einem Zimmer schlafen. Was wenn mir etwas Peinliches passierte? Ich pupsen musste oder groß? Nein! Dafür würde ich in mein altes Zimmer gehen und das bestimmt nicht vor Satoru machen. Ich schüttelte den Kopf über meine Gedanken und wechselte die Richtung. In der Küche schnappte ich mir verschiedene Zutaten und entschied mich, Spaghetti zu kochen. Ich hatte Hunger.
»Möchtest du auch etwas essen?«, fragte ich an Satoru gerichtet und suchte einen Topf für die Nudeln.
»Kannst du denn kochen?«, harkte er nach und sah meinen Rücken an, während er die Haustür schloss, und flüsterte: »Auf Nimmerwiedersehen.«
»Klar, kann ich kochen. Zumindest so leichtes Zeug« meinte ich beleidigt, fand den Topf und füllte diesen mit Wasser. Dann stellte ich das Wasser auf die Herdplatte und schaltete sie an. Etwas Salz und fertig. Ich stellte mir eine Fertigpackung passierte Tomaten, eine Zwiebel, Knoblauch, getrocknete Oregano und Basilikum bereit und begann die Soße vorzubereiten.
»Hm«, schnurrte er nun dicht hinter mir. Satoru legte seine Hand auf meinen Bauch und zog mich an sich. »Ehefrau Material.«
»Ja, ich kann nicht nur Leuten in den Kopf schießen« schmunzelte ich und schnitt die Zwiebel. Doch das Schmunzeln verschwand allmählich. »War Mailine auch Ehefrau Material?«
Satoru war gerade im Begriff, sich runter zu beugen und meinen Hals zu küssen, stoppte aber seufzend. »War Aron es? Ehemann Material?«
Ich hielt in der Bewegung inne.
»Nein« sagte ich nach kurzer Stille und setzte mich wieder in Bewegung. »Eigentlich wollte ich nur darauf hinaus, wieso deine Ex anscheinend verrückt ist. Ich-« Ich bremste mich und schob mich an Satoru vorbei, um eine Pfanne zu holen. Auch diese landete auf dem Herd und dann sah ich ihn an. »Ich habe euch belauscht. Also, erkläre mir, wieso du so nett zu ihr bist und wieso sie wie eine verrückte rüberkommt.«
Er hob eine Braue. »Lese ich da ein ›Bitte‹ zwischen den Zeilen?«
Ich schmollte und sah absichtlich nicht ihn an, als ich ein »Bitte« nuschelte.
Mein Mann schmunzelte, aber es verschwand. »Milly und ich waren vor drei Jahren knapp drei Jahre zusammen. Sie-«, er überlegte kurz. »Sie ist depressiv und hat manische Phasen. Zudem ist sie ... schwierig gewesen. Eifersüchtig. Klammernd und noch vieles mehr. Aber ich kannte ihre Diagnose nicht und sie hat mir Dinge verheimlicht«, erklärte er tonlos. »Ich fand es erst raus, als wir uns getrennt hatten. Als ihr Verhalten und ihre Gefühle für mich so schlimm würden, dass es an Besessenheit grenzte. Aber ich bin ebenfalls schuld daran, dass es schlimmer wurde. Also bin ich nett zu ihr. Selbst wenn sie aus der Physiatrie ausbricht und herkommt. Oder mich anruft, mir schreibt oder sonst, was tut. Sie ist instabil.«
»Ich bin gerade echt überrascht, dass du überhaupt so lange eine Beziehung hattest« erklärte ich meinen überraschten Blick. Ich sah auf die Zwiebeln und kippte diese in die Pfanne. Sie war also wirklich krank.
Aber...
»Wieso bist du dran schuld? Was ist passiert?«
Er kreuzte die Arme. »Bevor ich dir das beantworte, Ana, sag mir, warum du überrascht bist, dass ich eine Beziehung führen kann?«
Ich zuckte kaum merklich zusammen. Nun, dachte ich. Vielleicht weil du ein Arschloch bist.
Aber statt ihm die Wahrheit zu sagen, stellte ich mich wieder neben ihn hin und begann den Knoblauch zu schneiden. »Ich kenne noch nicht alle Seiten von dir. Aber ich hatte nun einmal nicht das Glück eine deiner guten Seiten zuerst kennenzulernen. Ihr anscheinend hast du ja nur deine guten Seiten gezeigt.« Ein Hauch von Eifersucht schwang mit. Ich wollte, dass diese Seiten nur noch mir gehörten ...
Ich schnitt mir fast in den Finger, so geschockt war ich von meinen Gedanken. Was dachte ich denn da bitte?! Das hier war immer noch eine Zwangsehe. Und nur weil er jetzt mal nett zu mir war und wir uns gut verstanden, hieß das nicht, dass ich glücklich war. Ich ... was war ich? Unglücklich war ich jetzt gerade auch nicht. Aber irgendwie kam mir das alles immer noch so komisch vor. Satoru, der mächtigste und gefürchtetste Mann in der Unterwelt und der Inhaber der größten Organisation für Drogenhandel und ich, die den größten Waffenhandel geerbt hatte. Wir standen hier wie normale Menschen und ich kochte für uns. Das war eindeutig verrückt.
»Was ich ihr gezeigt habe, und was nicht, und vor allem warum, weißt du nicht und kannst du nicht beurteilen«, sagte er plötzlich ernst. Dann biss Satoru die Zähne zusammen und sagte: »Bei dem Zwischenfall mit meinem Vater, sagte ich dir, dass wegen meines Fehlers viele Leute gestorben sind. Einer davon war der beste Freund meines Vaters. Tom. Tom James«, fügte er hinzu. »Er war Milly Dad. Und nachdem sie erfahren hatte, was passiert war, war sie so durcheinander, zwischen der Liebe zu mir und der Schuld, die sie mir gab, dass es sie im wahrsten Sinne der Worte noch verrückter und noch besessener gleichzeitig machte. Sie liebte mich und hasste sich dafür, weil sie mich doch eigentlich verachten müsste. Das hat sie gebrochen, nehme ich an.«
Also war sie doch kein normaler Bürger.
Ich starrte auf den Knoblauch und bewegte mich nicht mehr. »Vor drei Jahren, ging eure Beziehung zu Ende, sagtest du? Und wann ist ihr Vater gestorben?«
»Vor vier Jahren.«
»Du warst also noch ein ganzes Jahr mit ihr zusammen« stellte ich fest und plötzlich spürte ich Mitleid. Und das nicht nur für sie, sondern für beide. Ob sie noch zusammen wären, wenn das alles nicht passiert wäre? Ob er sie noch lieben würde?
Ich drehte den Kopf und sah Satoru an. Musterte ihn mehrere Sekunden. »Darf ich dich fragen, welchen Fehler du gemacht hast, dass es so weit gekommen ist?«
Ich wusste nicht, ob es zu weit ging, daher war ich froh, als das Wasser kochte und ich mich abwenden musste. Die Nudeln landeten im Topf und ich schnitt neben dem Knoblauch, noch den Oregano und das Basilikum. Neben dem Öl und den Zwiebeln landete auch der Knoblauch in der Pfanne und ich rührte alles ordentlich um.
»Ich denke, ich hab' dir genug über mich erzählt, Sugar. Zudem ist es keine spannende Sache. Ich habe die Situation und mich überschätzt. Punkt.«
Ich sah Satoru wieder an, nickte aber Schluss endlich und wandte mich wieder dem Essen zu. Was sollte ich dazu sagen? Er wollte es nicht näher erläutern, also würde ich es akzeptieren. Ich kochte noch zu Ende und servierte zwei Teller auf dem Tisch. Danach aßen wir und auch das war eher still. Wir hingen wohl beide unseren Gedanken nach. Als wir fertig mit dem Essen waren, räumte ich ab und fragte Satoru nach einer unendlichen langen Stille zwischen uns. »Hat das Essen geschmeckt?«
Er lief zu mir, stellte sich vor mich und nickte. »Es war sehr gut, Sugar.« Seine Hand landete auf meine Wange und er strich darüber. »Wirklich köstlich.«
Ich erwiderte seinen Blick und mein Herz geriet aus dem Takt. Es fühlte sich genauso an wie damals, als ich mich in Aron verliebte. Aron, der immer noch im Krankenhaus lag, weil er sich überschätzt hatte.
Mich in meinen eigenen Ehemann zu verlieben war doch echt absurd. Und das, wo er erst letztens mir noch so eine Ansage gemacht hatte. Da fiel mir ein....
»Bekomme ich jetzt meine Entschuldigung für deine große Klappe letztens?«, fragte ich schmunzelnd und versuchte, dieser liebevollen Atmosphäre zu entkommen. Obwohl ich sie ja schon irgendwie genoss. Zumindest ein bisschen.
Er lachte leise. »Das ist eigentlich eher so eine Beschäftigung, der wir nachts nachgehen sollten, Sugar.« Er schnippte mir gegen die Nase. »Außerdem bist du viel zu neugierig und ungeduldig.«
»Aua« murmelte ich und rieb mir die Nase. Dabei wanderte mein Blick über sein Gesicht. »Ich möchte mehr über deine Geschäfte wissen« sagte ich plötzlich und sah zurück in seine Augen. Ich wollte das gar nicht laut aussprechen. Doch... »Ich bin bereit zu lernen und denke, als deine Ehefrau ist es meine Pflicht einen gewissen Grad an Wissen zu besitzen.«
Satoru sah mir entgegen, seine Augen funkelten und er nickte. »Oh, sieh an. Wer hat sich meine Worte denn da zu Herzen genommen?«, scherzte er, auch wenn sein Ausdruck einen Hauch Stolz und Zufriedenheit ausstrahlte.
Ich schmunzelte und schlug ihm verspielt gegen die harte Brust. »Halt die Klappe und zeig mir einfach deine Geschäfte.« Dabei fiel mir sein Blick auf.... Dieser Ausdruck.
Meine Hände fanden sein Hemdkragen und ich zog Satoru langsam zu mir runter. »Hör auf, mich so anzusehen« flüsterte ich gegen seine weichen Lippen und berührte sie nur leicht. »Das nervt.«
»Ach?«, gurrte er leise. »Und ich dachte, es turnt dich an und ich zeig' dir doch schon, was ich vorhabe, Sugar.«
»Dann hast du falsch gedacht« erwiderte ich dem weißhaarigen Teufel. Und bevor er noch etwas erwidern konnte, küsste ich meinen Ehemann. Ich tat es nicht unbedingt, weil er mich geil machte, wie es sonst der Fall war. Ich küsste ihn, weil ich es wollte. Unsere Lippen bewegten sich im Einklang und unsere Zungen ebenso. Der Kuss war leidenschaftlich, heiß und doch schmeckte dieser nach so vielen Emotionen, die wir nicht aussprechen konnten.
»Ana«, raunte er und knabberte an meiner Lippen. »Sag mir, was passiert ist. Damals.« Er lehnte seine Stirn an meine. »Als Hairo Kamako dich mitgenommen hat. Was ist dort passiert.«
Ich erstarrte sofort. Mein Atem stockte, mein Herz setzte aus.
Woher.....
Woher kannte er diesen Namen.
Diese Sekunden, in denen ich mich nicht rührte, verfielen meine Gedanken in Chaos.
Er kannte seinen Namen.
Er kannte seinen Namen.
Hairo Kamako.....
Mir wurde schlecht und ich drückte Satoru etwas brutal von mir weg. Abstand nehmend, starrte ich ihn mit großen Augen an. Satoru hatte zwar diesmal ruhig danach gefragt und schien zu versuchen Damians Platz einzunehmen, aber so schnell ging das nicht. Er war doch gerade erst aus der Tür raus.
»Wieso kannst du es nicht einfach lassen?!«
Satoru richte sich auf und senkte die Lieder. »Weil du meine Frau bist, Anastasia GOJO. Deshalb.« Sein Blick verfinsterte sich. »Außerdem, what the fuck? Du bekommst Antworten, und ich nicht? Keine unbedingte ausgewogene Beziehung, hm? Aber wie mir scheint, ist, dein dich küssender Loverbodyguard, eher der Typ, dem du dich anvertraust.«
Ein Schauer durchfuhr mich und ich legte meine Arme um meinen Körper. »Ich war da gerade 16 Jahre alt geworden, als ich das letzte Mal drüber geredet habe. Verstehst du das? Seitdem habe ich nie wieder ein Wort darüber verloren.« Ich erzitterte und musste meine Atmung kontrollieren, bevor ich Satoru anschrie: »Und sprich nie wieder diesen Namen in meiner Nähe aus!«
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