Kapitel 47
Unwohl ging ich neben Enya her durch den Wald, nachdem ich mir meine Jeans, Top und einen dickeren Pullover von Ceiron angezogen hatte. Ich hoffte, dass er nichts dagegen hatte, denn eigene Klamotten besaß ich hier im Wald leider nicht.
Obwohl es inzwischen stockdunkel im Wald war, schien Enya deutlich besser sehen zu können als ich und rettete mich mehrmals vor einem Sturz über eine Wurzel oder einen Stamm.
Zudem war ich gedanklich auch viel zu weit entfernt. Ich machte mir Sorgen um Ceiron und fragte mich, ob er doch auch aufkreuzen würde und ich vielleicht die Gelegenheit bekam, mit ihm zu reden.
Bereits von Weitem hörte ich ein wirres Stimmengewirr aus dem Wald und nach einigen Metern sah ich ein Feuer durch das Walddickicht flackern. Ich atmete tief durch, denn das war der Moment, in dem ich das gesamte Rudel kennenlernte. Nur zu gerne hätte ich diesen Schritt mit Ceiron bewältigt, aber Enya an meiner Seite beruhigte mich, indem sie meine Hand ergriff.
„Alles gut“, sprach sie mir sanft Mut zu. Ich lächelte nur vorsichtig und nickte, ehe ich meine Zähne zusammenbiss und meine Schultern straffte.
„Ich würde ja sagen, es beißt dich keiner, aber das wäre vermutlich gelogen“, lachte Enya und machte mir meine selbst zugesprochene Kühnheit zunichte.
„Danke“, brummte ich nur genervt, als wir näher kamen und ich bereits all die Wölfe sah. Enya zog mich einfach weiter und dort angekommen, schien es, als läge die gesamte Aufmerksamkeit auf mir.
Es gab ein großes Feuer, um welches herum, viele des Rudels auf Holzstämmen saßen und sich angeregt über etwas unterhielten. Auch Musik war zu hören und viele der jüngeren standen versammelt und schienen diese Ratsversammlung als Party anzusehen.
Zum ersten Mal erkannte ich auch die vielen weiteren Häuser, in denen anscheinend der Rest des Rudels hausten. Es waren wunderschöne Holzhütten, welche alle liebevoll dekoriert waren. Auch die Bäume wurden mit Lichterketten geschmückt, sodass man auch weiter von dem Feuer entfernt noch alles erkennen konnte.
„Du musst Aislinn sein“, ertönte eine alte Stimme, weshalb ich meinen Kopf in die Richtung dieser drehte. Ein älterer Mann mit weißen Haaren stand etwas wackelig auf, um liebevoll meine Hand zu ergreifen. „Ich habe bereits eine Menge von dir gehört. Mein Name ist Cian.“
Ich lächelte den alten Mann schüchtern an, während dieser mich an meiner Hand zu dem Baumstamm führte.
„Ich hoffe nur Gutes“, sagte ich, wobei ich meine Nervosität nicht verstecken konnte.
„Selbstverständlich“, sprach eine weibliche Stimme. „Mein Name ist Caitlin.“ Sie war ebenfalls bereits älter, aber dennoch mit ihren blonden Haaren sehr hübsch. Neben ihr saß jemand, den ich bereits seit meinen Kindheitstagen kannte.
„Larry“, nickte ich dem Schrottplatzbesitzer freundlich zu. Es überraschte mich, dass ich jahrelang so nah an diesen Sagen und Legenden lebte, ohne je zu wissen, dass diese wahr waren.
Die restlichen Mitglieder des Rates stellten sich vor, darunter waren Ajdan und seine Frau Niamh, Archie und Órla, Grace, Arthur und Ian. Alle waren wirklich nett, aber es störte mich, dass alle mich ansahen, als wäre ich ein Diamant. Etwas Wertvolles, obwohl ich keinerlei interessante Eigenschaften zu bieten hatte.
„Du siehst deinem Dad wie aus dem Gesicht geschnitten aus“, sagte Ian zu mir, woraufhin zustimmendes Gemurmel durch die Runde ging. Ian war ein großer, dunkelhaariger Mann mit einem dicken Bart und rot karierten Holzfällerhemd. Er passte perfekt in dieses Bild.
„Mein Dad?“, fragte ich leise und vollkommen ahnungslos.
„Ja, dein Dad war mehrere Jahrzehnte in unserem Rudel, ehe er Christina kennenlernte, seine Mate“, erzählte mir Cian, wobei mir seine alte, weise Stimme auffiel.
„Meine Mom war die Mate eines Wolfes?“
„Ja genau wie du, war sie als Mensch die Mate eines Wolfes. Der einzige Unterschied war nur, dass dein Dad sich nicht dazu entschied seine Mate zu markieren, sondern das Leben eines Menschen zu führen“, erklärte Cian mir, woraufhin ich ihn mit großen Augen ansah.
„So etwas ist möglich?“, fragte ich und bekam von allen in der Runde nur amüsiertes Gelächter. Ich empfand es nicht als unangenehm, da sie mich dennoch so herzlich ansahen und ich mich trotz allem wohlfühlte.
„Wir sind nicht gebunden daran, ein Wolf zu sein“, meinte Larry grinsend. „Und wir haben es akzeptiert, dass dein Dad sich für diesen Weg entschied und ein normales Leben mit seiner Frau führte.“
„Aber behauptet man nicht, Wölfe wären die loyalsten Tiere?“
„Loyalität hat aber nichts damit zu tun. Dein Dad hat uns in dem Sinne nicht verraten oder hängen lassen. Er wollte dieses Leben nur nicht für seine Mate und seinem ungeborenen Kind“, erklärte Cian.
Mir klappte bei seinen Worten die Kinnlade herunter, da es offensichtlich eher unüblich war seine Mate nicht direkt zu markieren. Das bedeutete, dass mein Dad sich ebenso dagegen zu wehren schien, wie es Ceiron tat.
Aber bedeutete es auch, wenn es doch diese Möglichkeit gab, dass Ceiron dies auch in Erwägung ziehen könnte? Wollte ich das denn überhaupt?
„Aislinn, dein Dad hat vieles aufgegeben, aber noch mehr dazu gewonnen. Für ihn war es wahrscheinlich die beste Entscheidung, die er treffen konnte“, sagte Caitlin, welche offensichtlich die Frau von Larry war. Sie schien meinen nachdenklichen Blick bemerkt zu haben, weshalb sie auch das Wort ergriff.
„Aber jetzt ist er tot und das wäre er nicht, wäre er noch ein Wolf gewesen“, sagte ich traurig und wütend zugleich.
„Das weißt du nicht. Deine Mom ...“, fing Ian an zu sprechen, wurde jedoch von Niamh unterbrochen, welche das erste Mal etwas in der Runde sagte.
„Ian, das geht uns nichts an.“
„Wieso? Was ist ...“, wollte ich fragen, jedoch spürte ich plötzlich zwei warme Hände, wie sie sich um meinen Körper schlangen. Der Geruch von Wald und Regen stieg mir in die Nase und ein angenehmer Schauer breitete sich in meinem Körper aus, als ich einen warmen Atem auf meiner Wange spürte.
Mein Kopf war wie leer gefegt und meine vorherige Frage löste sich vollends im Nichts auf.
„Können wir reden?“, hauchte Ceiron an meinem Ohr und es war, als wäre mein Körper nicht mehr Herr meiner Sinne, weshalb ich meine Augen für einige Sekunden schloss und zaghaft nickte.
Als ich diese wieder öffnete, reichte mir Ceiron seine Hand und half mir von dem Baumstamm aufzustehen. Mein Blick fiel auf sein so vollkommenes Gesicht mit seinen harten Zügen, jedoch lag immer etwas Weiches auf ihnen, sobald er mich ansah.
Er lächelte mich an, als ich mein Bein über den Baumstamm schwang und der Ärger und unser Streit war fast vollständig aus meinem Gehirn verbannt.
Wie konnte ich bei so einem Blick böse sein?
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