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Sobald die Tür hinter den beiden Frauen geschlossen ist, fällt die Anspannung von mir ab und ich lasse mich rücklings auf das Bett fallen. „Danke, Cam. Du bist eine Heilige. So schnell hätte ich die beiden nie rausbekommen. Dieses Mal hast du ziemlich dick aufgetragen. Drei Kinder – ernsthaft?"
„Eine Heilige hätte den armen Täubchen nicht so eine hinterhältige Szene vorgespielt." Sie tritt neben das Bett und funkelt mich aus hellgrauen Augen an, nur um im nächsten Moment breit zu lächeln. „Aber dieses Mal habe ich mich selbst übertroffen! Und die Kinder haben geholfen. Ich glaube, das war ein neuer Rekord, keine fünf Minuten. Verflixt, ich hätte die Zeit stoppen sollen."
Cam vibriert förmlich, wippt mit den Fußballen auf und ab, wodurch ihre schwarzen Haare mit einzelnen violetten Strähnen zucken. Heute trägt sie Cam offen, weshalb der linke Sidecut halb verdeckt ist. Zwar muss ich über ihre Begeisterung schmunzeln, dennoch verspüre ich einen kleinen Stich schlechten Gewissens und verziehe das Gesicht. „Du warst wirklich toll, Cam. Danke. Aber das hätten wir vermutlich nicht tun sollen. Verdammt, das war echt nicht nett."
„Das hättest du nicht tun sollen, immerhin hast du Hilfe schreiend nach mir gerufen. Mich wundert es sowieso, wie du in diese Situation geraten konntest. Ich kann mich daran erinnern, dass ich dich gestern nach dem Konzert vollkommen alleine in dein Zimmer gebracht habe. Noch dazu nüchtern."
Bestätigend nicke ich und streiche mir durch die dunklen, feuchten Haare. „Hast du, aber danach bin ich noch mal runter an die Hotelbar. Anscheinend haben mich die beiden von einem Foto aus der Presse erkannt, weil sie ein Autogramm von mir wollten. Und das eine, führte zum anderen."
Es ist schon fast ein Witz. Meine wahre Identität im Musikbiz hinter einer Maske zu verstecken, aber dennoch als millionenschwerer Immobilienerbe bekannt zu sein. Beziehungsweise erkennen einige Frauen oft mein Gesicht, ohne zu wissen, warum. Neben der Musik ist es genauso mein Job, mich auf diversen Wohltätigkeitsveranstaltungen blicken zu lassen. Für den Rest habe ich gute Mitarbeiter, die sich um alles kümmern. Eigentlich könnte ich mir die ganze Geheimnistuerei als Sänger mit Maske sparen. Nur habe ich Angst, dann noch mehr als schon jetzt belagert zu werden. Und alle wissen, dass Musikgroupies um einiges penetranter, wenn nicht sogar gefährlicher sein können.
„Warum zum Teufel tust du so etwas? Ich verstehe nicht, warum du dich selbst zerstören musst. Ist das so ein Rocker-Ding oder armer, reicher Sprössling-Hilferuf, dass man nie zufrieden mit sich selbst und mit seinem Leben im Reinen sein kann und die Dinge zerstören muss? Ich raff es einfach nicht. Das tun nur dumme Leute. Ich weiß, dass du nicht dumm bist, Caiden, also erklär es mir."
Das sitzt. Wie immer, wenn mir Cam den Kopf zurecht stutzt. Dieses Mal ist es anders. Meine Stimme wird tiefer, belegt. „Du weißt warum. Die Feiertage sind immer schwierig, wie jedes Jahr. Besonders Thanksgiving und Weihnachten."
Für einen Augenblick weicht die Härte aus Cams Gesichtszügen. Das hält nicht lange an. „Es tut mir leid, was dir und deiner Familie passiert ist. Wirklich. Das war tragisch. Aber du kannst nicht ständig in dieses zerstörerische Muster zurückfallen. Das hätten sie nicht gewollt, niemand will das für einen. Also genug Selbstmitleid für den heutigen Tag. Rappel dich hoch, zieh dich an. Du musst zum Flughafen Richtung L.A.! Ich will dich nicht auch noch die ganzen Feiertage an der Backe haben, wenn du deinen Flug verpasst und dann mit in meinen reinkommen willst. Ich fliege single Richtung Edinburgh, wie immer."
Ich erzähle ihr nichts von meinen Plänen den Flug Richtung Edinburgh zu ändern. Dann würde sie mich erst doch wieder fragen, ob wir über die Feiertage gemeinsam etwas machen. Aus schlechtem Gewissen, aus Mitgefühl zu mir. Doch ich habe keine Lust, ihr eine Last zu sein. Es wird schon helfen in meiner alten Wohnung und bei Princess zu sein. Mein kleines Stück Normalität in den Wirren des turbulenten Lebens.
Nach ihrer Ansprache, wirft Cam mir Klamotten an den Kopf und stellt ein Glas mit Schmerztablette neben mich. Sofort bin ich hellwach. Nicht nur, weil sie mich daran erinnert, sondern auch aus Dankbarkeit. Weil es jemanden gibt, dem es zu kümmern scheint, was aus mir wird. Der es wirklich ernst meint und sich nicht wegen meines Status und meines Geldes mit mir abgibt. Obwohl viele gar nicht wissen, wer ich in Wirklichkeit bin. Dazu verhilft mir meine Maske. Sprichwörtlich. Cam hingegen kennt mich. Zumindest einen gewissen Teil. Und sie ist sich nicht zu fein, mir die Meinung zu geigen. Rasch schlucke ich die Pille hinunter und ziehe mir das Shirt über den Kopf. Sobald sie im Raum herumläuft, schlüpfe ich in die Boxershorts und Jeans.
„Danke, Cam. Von wem hast du dieses Kümmer-dich-Gen? An Tagen wie heute gebührt dir ein Pokal. Warum ist aus uns beiden nie etwas geworden?", frage ich mehr mich selbst, obwohl ich die Antwort kenne. Cam ist eine hübsche Frau. Zu allererst ist sie aber eine Angestellte und damit absolutes Tabu. Später wurde sie zu einer guten Freundin – ein noch viel größeres Tabu. In der Zwischenzeit fühlt es sich an, als sei sie meine kleine Schwester. Der Gedanke versetzt mir einen Stich direkt ins Herz. Ich muss heftig einatmen und die Augen schließen, um nicht hier in diesem beschissenen Zimmer den Halt zu verlieren. Meine Reaktion schiebt Cam auf meinen Kater. Gut so. Das letzte was ich will, ist darüber reden.
Daher schnaubt sie, während ich mich sammle. „Keine Sorge, Großer. Die Schmerztablette wirkt bald. Um deine Frage zu beantworten: weil ich dich nicht rangelassen habe, selbstverständlich. Und dir die anderen aus der Band ansonsten die Finger gebrochen hätten. Außerdem habe ich ganz sicherlich kein Kümmer-dich-Gen. Da müsstest du mal meine älteren Schwestern kennenlernen. Die ticken so, ich ganz sicherlich nicht. Ich bin das sogenannte schwarze Schaf der Familie."
Mit gerunzelter Stirn betrachte ich ihre Haare, den Nasenpiercing, die Tattoos und die schwarzen Lederklamotten. Damit passt sie in unsere Band und die ganze Gruppe wie das Tüpfelchen auf dem I. Gleichzeitig kann ich mir vorstellen, dass sie draußen, in der normalen Welt, manchmal damit aneckt. Wütend balle ich die Fäuste, als mich der Gedanke beschleicht, dass sie deswegen mit ihrer Familie Probleme hat. Nicht jeder muss in adretten Mokassins, hellen Leinenhosen oder schickimicki Schmuck herumlaufen oder in einem schönen Vorstadthäuschen mit weißem Lattenzaun und zweieinhalb Kindern wohnen, um ein guter Mensch zu sein. So oberflächlich kann ihre Familie, ihre Eltern nicht sein. Obwohl, wem mache ich etwas vor? Habe ich nicht dieselben Probleme mit meinen Großeltern aus den komplett gleichen Gründen. Statt mich auf meine Situation zu konzentrieren, widme ich mich Cams. „Wieso sagst du sowas? Du bist einer der zielstrebigsten und nettesten Menschen, die ich kenne. Außerdem klug, witzig und verdammt sexy in diesem Lederoutfit. Du kannst stolz auf dich sein. Wenn deine Eltern etwas anderes behaupten – sorry – dann sind sie Idioten."
Vielleicht klingt das zu hart, gepaart mit meiner von gestern Nacht heiseren Stimme, aber genauso empfinde ich das. Meine Mutter hat immer zu mir gestanden, hat mich in meinen Wünschen und meiner Karriere bestärkt. Diesen Rückhalt wünsche ich mir auch für Cam, sowie für jeden anderen in unserer Truppe.
Beruhigend legt sie mir eine Hand auf den Arm. „Mach dir keine Sorgen, Großer. So war das nicht gemeint. Wir lieben uns alle. Nur ziehen sie mich hin und wieder mit meiner Arbeit auf, weil sie es nicht verstehen. Aber liebevoll. Sie haben eben eher konservative Berufe. Katelyn ist Pilotin und Ilvie Kinderkrankenschwester. Jeder weiß, was sie dabei machen. Bei Tontechnikerin einer Rockband sieht das etwas anders aus, aber es ist alles gut. Du kannst also dein ganzes Testosteron wieder einpacken und durchatmen. Ich freue mich auf die Feiertage mit meiner Familie. Wir sind eine richtig langweilige Bilderbuchfamilie. Sie sind toll, versprochen."
Langweilig klingt verdammt gut. Was gäbe ich für eine langweilige Familie, die einander haben? Erleichtert entspanne ich mich und schlucke den Rest des Wassers hinunter. „Okay, wenn du es sagst. Sollte sich das ändern, weißt du ja, wo du mich findest."
„In der nächsten Bar zwischen drei heißen Bräuten. Schon klar", lache Cam heiser und wendet sich ab, um mir Raum zu geben, meine Sachen zu packen. Diese Aufgabe erledige in wenigen Minuten, da ich alle Klamotten und das restliche Zeug einfach in den Koffer stopfe, ohne lange darüber nachzudenken. Bevor wir das Zimmer verlassen, halte ich sie einen Moment zurück. „Ehrlich, Cam. Ich schulde dir etwas. Nicht nur für heute. Sondern für alle die Male zuvor. Dafür, dass du eine so gute Freundin bist. Wenn du etwas brauchst, egal was, dann frag mich einfach. In Ordnung?"
Ihr breites Lächeln blitzt auf, während sie mir zunickt. „Wow, was für Worte vom dem großen Crown. Also gut, ich nehme dich beim Wort. Sobald mir ein riesiger, großer Gefallen einfällt, bin ich die Erste, die an deiner Tür klopft. Danke, Boss."
Damit verschwindet sie winkend. Obwohl ich froh bin, da sie nun weiß, jederzeit zu mir kommen zu können, fühle ich mich gleichzeitig wie gefangen in meinem Versprechen. Normalerweise gehe ich privat keine Verpflichtungen ein. Schon gar nicht bei Frauen, die mich an den Eiern packen können. Verdammt. Jetzt ist es zu spät. So wenig ich von Verpflichtungen halte, so felsenfest stehe ich zu meinem Wort. Ich werde alles tun, egal, um was sie mich bitten sollte.
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