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Eine weitere endlose Woche vergeht, seit Kei nun abgereist ist, und während ich die Sehnsucht nach Mikey immer intensiver spürte.
Ich sitze regelrecht gefangen auf der Couch, in der Decke eingekuschelt und starre auf den Fernseher, ohne wirklich zu sehen, was dort geschieht. Seit dem schmerzhaften Abschied meines besten Freundes bin ich nicht mehr draußen gewesen, und mein Leben scheint sich auf diese Couch und mein Bett zu beschränken. Glücklicherweise sind noch Schulferien, wodurch ich mir die Qual erspare, die Schule besuchen zu müssen.

Das Knarren der Haustür reißt mich aus meiner Gedankenwelt, und ich werfe einen flüchtigen Blick in den Flur, obwohl ich weiß, dass es nur mein Bruder sein kann. Er betritt das Wohnzimmer, begleitet von Emma, und wirft sich genervt auf die Couch. Erst auf den zweiten Blick bemerke ich, dass er verletzt ist - eine Platzwunde an der Lippe und ein blaues geschwollenes Auge.
Skeptisch ziehe ich die Augenbrauen zusammen und sehe ihn besorgt an. "Was ist denn mit dir passiert?", frage ich leise. Emma verschwindet eilig im Badezimmer, nur um mit einem Verbandskasten zurückzukehren. Mein Bruder seufzt und antwortet wütend: "Mikey dieser Bastard. Seine Laune im Moment geht mir extrem auf die Nerven." Emma sitzt schweigend neben ihm, doch ihr Blick wandert kurz zu mir, bevor sie beginnt, die Verletzungen meines Bruders zu versorgen.
Ich weiß nicht, wie ich reagieren soll, obwohl mir mein Bruder leidtut. Es wäre arrogant von mir zu glauben, dass Mikey dieses aggressive Verhalten aufgrund unserer Trennung zeigt. Er kann nicht so verliebt gewesen sein, dass eine solche Reaktion zustande kommt, also muss es an etwas anderes liegen.

Schließlich stehe ich auf und sage leise: "Ich lass' euch mal allein", und gehe in mein Zimmer. Aber lange bleibe ich nicht allein, denn es klopft an meiner Tür, Emma kommt herein und schließt die Tür hinter sich.
"Bitte rede mit ihm", bricht sie sofort das Schweigen. "Seit eurer Trennung ist er eine einzige Katastrophe. Ich will nicht wissen, wieso ihr euch getrennt habt. Doch eigentlich will ich es schon wissen...", murmelt sie und sieht mich dann bittend an. "Aber seitdem rutscht er ab, ich fürchte, dass er rückfällig wird. Also bitte Meiyo, sprich mit ihm. Ich bin mir sicher, dass er auf dich hören wird", fleht sie mich an.
Und wieder taucht dieser Satz auf: "dass er rückfällig wird". Derselbe Satz, den Kenny mir vor einigen Tagen bereits gesagt hat. Und in meinem Kopf verbindet sich das mit dem, was er mir nicht verraten wollte, mit dem, was mir niemand verraten wollte - nicht einmal mein bester Freund.
"Ich weiß nicht", murmele ich und lege mein Handy beiseite, das ich die ganze Zeit in der Hand gehalten habe. "Was Mikey Draken angetan hat, ist nur der Anfang, und... es darf nicht schlimmer werden. Er hat bereits andere verprügelt, ins Krankenhaus gebracht und zahlreiche Knochen gebrochen, nur um seinen Frust abzulassen", erzählt sie und kommt auf mich zu, kniet sich vor mich. "Auch wenn du Angst hast, ich bin nur absolut sicher, dass er auf dich hören wird", fährt sie ruhig fort und nimmt meine Hände in ihre. "Bitte", fügt sie hinzu.

"Emma!", schallt die Stimme meines Bruders durch die Wohnung. Sofort lässt Emma von meinen Händen ab und steht auf. "Er könnte im BlackOut sein. Ich werde Draken hierbehalten. Bitte geh", fleht sie eindringlich und voller Sorge. Dann verlässt sie mein Zimmer mit einem letzten besorgten Blick.
Ich dachte über Emmas Worte nach. Sollte ich wirklich gehen? Dabei kann es mir doch eigentlich egal sein – sollte er mir egal sein. Ich beiße nachdenklich auf meine Lippe und zögere. Meine Hand greift zum Handy, und der Bildschirm flammt auf. 22:17 Uhr.
Die Minuten, die vergehen, fühlen sich an wie eine Ewigkeit, obwohl nur fünf Minuten verstrichen sind. Jede Sekunde, die verstreicht, ist eine Qual. "Unmöglich", flüstere ich vor mich hin. Ich stehe auf, gehe zum Schrank und suche nach einem Pullover. Meine Jogginghose wechsele ich, da ich sie schon seit fast einer Woche trage und immer wieder nach dem Duschen angezogen habe.

Ich gehe ins Wohnzimmer und sehe die beiden auf der Couch an. "Ich...", beginne ich leise, meine Worte brüchig, und schlucke schwer. Es ist schwer, es auszusprechen, und ich habe Angst vor der Reaktion meines Bruders. Die letzte Reaktion war ja nicht besonders gut gewesen. "Ich gehe aus. Beende ich meinen Satz schließlich. Bevor aber jemand etwas sagen kann, flüchte ich fast aus der Wohnung.
Ich weiß zwar nicht, wo der Ort ist, den Emma meint, aber ich vermute einfach, dass es der Club ist, in dem Mikey mich das eine Mal mit hinnahm. Es dauert eine Weile, bis ich dort ankomme, und ich erinnere mich erschreckend gut an den Weg. Nach mehr als einer halben Stunde stehe ich schließlich vor dem Club mit der leuchtenden Aufschrift "BlackOut". Ich schlucke schwer, als ich schon die Musik höre, die von drinnen dröhnt.

Es kommt mir vor, als hätte ich eine Ewigkeit in der Schlange gestanden, bevor ich endlich den Club betrete. Die Musik scheint lauter und die Menschenmenge dichter als beim letzten Mal. Ich dränge mich durch die Leute hindurch, versuche mich umzuschauen, aber das Gedränge der anderen gegen mich erschwert es ungemein. Trotzdem versuche ich nach Mikey Ausschau zu halten, suche die Gegend nach den blonden Haaren ab, die ich so sehr liebe.

Als ich den Club geschätzt dreimal durchsuche, sogar das Männerklo stürmte, gebe ich allmählich auf, ihn tatsächlich hier zu finden. Der Club pulsiert vor Menschen, die Musik ist ohrenbetäubend, und der Raum flirrt vor grellem Licht. Schweißperlen rinnen meine Stirn hinunter, und lange würde ich es hier nüchtern sicherlich nicht aushalten. Es war viel zu heiß hier drinnen und durch die laute Musik bekam ich auch schon Kopfschmerzen.
Gerade als ich mich in die Menschenmenge verliere, spüre ich eine leichte Berührung auf meiner Schulter, gefolgt von einer Stimme, die gegen den Lärm ankämpft: "Du bist doch Mikeys kleine Freundin, oder?" Ich drehe mich zu dem Sprecher um, und da ist er - der Kerl, den ich beim letzten Besuch hier gesehen habe. Ich kann mich zwar nicht an seinen Namen erinnern, aber sein Gesicht kommt mir bekannt vor. Daher nicke ich leicht. "Du erinnerst dich nicht an mich, oder? Ich bin Sanzu", hilft er mir auf die Sprünge.
"Weißt du, wo Mikey ist?", frage ich direkt, und meine Worte gehen in dem Lärm fast unter. Dieser nickt und winkt mich mit sich. "Er ist oben, komm mit."
In diesem Moment erinnere ich mich wieder an die zweite Etage, die ich komplett vergessen hatte. Ich folge Sanzu die Treppe hinauf, und plötzlich beginnt mein Herz wild zu pochen, an den Gedanken, ihn gleich wiederzusehen. Es fühlt sich an, als wäre es zwei Jahre her, obwohl es in Wirklichkeit nur zwei Wochen gewesen sind.

Wir erreichen die obere Etage, und Sanzu führt mich in denselben Raum wie beim letzten Mal, und ich erinnere mich, dass es diesen Bereich gab. Hier ist die Atmosphäre ruhiger, die Musik gedämpfter und angenehmer für die Ohren.
"Jo Mikey, hier ist Besuch für dich", ruft Sanzu laut und geht auf Mikey zu, der auf einer kreisförmigen Couch sitzt. Mikey wendet sich zuerst Sanzu zu, dann, aber mir. Als unsere Blicke sich treffen, scheint mein Herz einen Moment lang stillzustehen. Sein Blick ist anders - kälter. Sein Gesicht ist von Kratzern und Wunden übersät, und dunkle Augenringe ziehen sich unter seinen Augen entlang. Als er mich ansieht, verengt er kurz die Augen, weitet sie dann aber plötzlich und springt fast von der Couch auf, um auf mich zuzugehen.

Es scheint, als ob er gerade erst bemerkt hat, was er tut. Er bleibt ein paar Schritte vor mir stehen und sieht dann beiseite.
Ich schlucke schwer und wende ebenfalls meinen Blick ab, denn mir ist es genauso unangenehm. Was habe ich mir nur dabei gedacht, hier aufzutauchen, ohne zu wissen, was ich sagen sollte? Doch mein Körper scheint wie von selbst zu reagieren, denn ich nehme seine Hand und ziehe ihn hinter mir her, bis nach draußen. Selbst dort lasse ich seine Hand nicht los und ziehe ihn einfach immer weiter weg von diesem Club, und er lässt sich kommentarlos mitziehen. 

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