52

Ich hörte schnelle Schritte, zwei Stimmen unterhielten sich und dann wurde meine Zimmertür aufgerissen. Ich grummelte, warf die Decke über den Kopf und stellte mich tot. Tequila war kein Spaß, wirklich. Meinen ersten Absturz hatte ich Tequila zu verdanken und da war ich siebzehn gewesen... Ich fühlte mich wieder wie damals, mein Kopf schien zu explodieren und meine Glieder schmerzten. Ich fühlte mich dreckig.

Der Eindringling riss meine Decke zurück.

"Aufstehen, Schnapsdrossel!"

Ich hatte Jia oder meinen Bruder erwartet. Aber dieser morgendliche Weckdienst war keiner von beiden, nein, es war Jongin.

Ich riss die Augen auf, die Sonne blendete mich und ein unfassbarer Schmerz schoss durch meinen Kopf, weshalb ich mein Gesicht verzog und versuchte mit der Hand meine Augen zu schützen.

"Was tust du hier?", fragte ich genervt.

"Wir gehen joggen, schon vergessen?"

"Ich gehe nicht joggen. Ich habe einen Kater. Und jetzt geh."

Ich packte die Decke, zog sie mir über den Kopf und rollte mich wie einKleinkind in meinem Bett zusammen. Mir war noch immer schlecht von gestern, nüchtern war ich auch noch nicht wirklich.

"Wer hat dich überhaupt reingelassen?!", fragte ich, als mir klar wurde, dass er wirklich in meinem Zimmer stand.

Hatte Jiho ihn etwa reingelassen? Oder schlimmer noch: Yoora?!
"Jia hat mir gestern auf der Party deinen Wohnungsschlüssel gegeben."

"Wieso?"

"Weil du mich nie reingelassen hättest."

Und wie recht er hatte. In diesem Moment bereute ich es, Jia jemals einen Haustürschlüssel gegeben zu haben. Der war für Notfälle gedacht. Nicht Sachen wie das hier.

Er zog mir wieder die Decke weg, schmiss sie auf den Boden und öffnete das Fenster rum frische Luft in den Raum zu lassen. Dann öffnete er meinen Schrank und ich wollte ihn gerade deswegen anmachen, als er mir bereits ein T-Shirt und eine Sporthose ins Gesicht warf.

"Du hast fünf Minuten."

Ich stöhnte abgrundtief und warf ihm ein Kissen hinterher, als er mein Zimmer verließ und die Tür hinter sich schloss. Einen Moment dachte ich darüber nach, mich einfach wieder im Bett zu verschanzen, doch das würde ihn wohl nicht zum Gehen bewirken. Trotz Kopfschmerzen quälte ich mich aus dem Bett und zog die von ihm rausgelegten Sachen zusammen. Er riss die Tür wieder auf und ich machte mir gerade einen Zopf, während er sich ungeduldig gegen den Türrahmen lehnte.

"Hast du es eilig?", fragte ich.

"So etwas in der Art."

Ich hob die Augenbrauen und hielt in meiner Bewegung Inne. Hatte er irgendetwas geplant? Hielt ich ihn von irgendetwas ab?

"Komm jetzt", meinte er schließlich, löste sich aus der wartenden Position und nahm mich am Handgelenk.

"Ich hab noch nicht mal gefrühstückt! Und ich will duschen!", jammerte ich, als er mich durch die Wohnung zog in Richtung Haustür.

Jiho streckte verwundert den Kopf aus der Küche und bekam große Augen, als er Jongin sah. Hoffentlich dachte Jiho nicht, Jongin wäre hier eingebrochen oder so! Aber wieso kam er auch ohne zu Fragen vorbei?!

"Ich leihe mir deine Schwester aus, okay?", rief Jongin noch durch den Flur, machte aber keine Anstalten langsamer zu gehen.

"Okay", antwortete Jiho, als wir bereits die Wohnungstür erreicht hatten.

Ich warf meinem Bruder einen entsetzten Blick zu. Okay?! Was hieß hier okay?! Man könnte hier schon von Entführung reden, aber für meinen Bruder war es okay?!

Als wir den Hausflur betraten, sah ich deutlich das Grinsen auf Jongins Gesicht, das er versuchte zurückzuhalten. Er fand das natürlich lustig, dass mein Bruder so schnell seine Meinung geändert hatte. Neulich noch gehasst und plötzlich vertraute er ihm seine Schwester an? Hatte er ihn bestochen?

"Heute laufen wie zwölf Kilometer."

"Zwölf?!", entfuhr es mir.

"Ja. Und damit wir rechtzeitig sind, musst du einen Zahn zu legen."

"Rechtzeitig?"

Er setzte sich die Sonnenbrille auf und zog sich die Kapuze über den Kopf. Und dann rannte er einfach los. Ich überlegte, ob ich einfach wieder reingehen sollte, doch er warf bereits Blicke über die Schulter um zu kontrollieren, ob ich ihm folgte. Mir blieb wohl nichts anderes übrig.



Entgegen meiner Erwartungen liefen wir keine zwölf Kilometer am Stück. Wie liefen sechs, was für mich schon eine ziemliche Leistung war, und hielten dann urplötzlich vor einem Café. Ich brach förmlich zusammen, setzte mich einfach auf den Boden und versuchte meine Atmung und den Herzschlag unter Kontrolle zu kriegen. Nüchtern war ich noch immer nicht, meine Kopfschmerzen waren unerträglich.

"Pause?", brachte ich gerade noch so hervor.

"Frühstück."

Ich hob hoffnungsvoll den Kopf und er hielt mir eine Hand hin, damit ich aufstehen konnte. Ich nahm sie dankbar an, er zog mich zurück auf meine Beine und dann zeigte er auf das Café. Er ließ gar nicht erst zu, dass ich widersprach und zog mich hinter sich her, während ich noch immer völlig fertig hinter ihm her stolperte.

Einen Tisch. Davon hatte er gesprochen. Er hatte einen Tisch reserviert. Wir gingen durch, er schien ziemlich zielsicher, und dann fand ich ihm in einem Nebenraum wieder,  in dem nur ein paar Tische zu finden waren. Der Raum war nicht einsehbar für die restlichen Gäste und war vollkommen leer, nur ein Tisch war gedeckt.

Mein Magen knurrte, meine Augen waren groß wie eh und je. Ich ließ mich gegenüber von ihm auf den Stuhl fallen und staunte über das üppige Frühstück. Waren das amerikanische Pfannkuchen? Ich hatte schon immer welche essen wollen...

"Da hatten wir wohl Glück, die Reservierung wäre in drei Minuten aufgehoben worden", murmelte er, als er auf die Uhr blickte.

"Das sieht super aus", flüsterte ich.

"Dann iss. Guten Appetit."

Und schon stürzte er sich auf das Essen, während ich noch immer perplex auf den gedeckten Tisch blickte. Wieso hatte er das organisiert? Sogar mit Reservierung. Wir hätten auch bei mir zuhause essen können, wieso hatte er extra hier her kommen wollen? Er hätte sich nicht so viel Mühe machen müssen...

"Ich dachte du bist hungrig. Komm, iss etwas. Das hilft gegen den Kater", meinte er und trug ein kleines Lächeln auf den Lippen.

Vorsichtig nahm ich die Stäbchen und blickte dann zögern auf das Essen. Er hielt mir auffordernd eine mit Reis gefüllte Schale und ich nahm sie an, aß aber immer noch nicht. Die Verwirrung saß noch tief, auch wenn meinMagen knurrte.
Eine ältere Frau kam herein und fragte, ob sie uns noch etwas bringen könnte.

"Gut, einen Kaffee für Sie, mein junger Herr, und was darf es für ihre hübsche Freundin sein?", fragte die Frau und lächelte mich freundlich an.

Ich gefror zu Eis, Jongin verschluckte sich an seinen Essen. Freundin?!

"Oh, habe ich da etwas falsche gesagt? Das tut mir natürlich sehr leid." Es tat ihr absolut nicht leid, denn sie trug ein belustigtes Lächeln im Gesicht und strahlte uns an. "Sie hatten mir einfach den Anschein gemacht, als seien sie ein Pärchen. Ein sehr hübsches noch dazu! Darf ich Ihnen trotzdem etwas bringen, junge Dame?"

Jongin hustete immer noch leise und ich bestellte leise ein Glas Wasser. Sie verließ den Raum, doch die angespannte Stimmung blieb. Für einige Zeit sagte keiner ein Wort und als Ausrede nichts sagen zu müssen, begann ich doch noch zu essen. Und es war himmlisch!

Sie brachte uns die Getränke und verschwand dann schnell wieder, während noch immer eine Stille zwischen uns herrschte und ich mich durchrang doch noch eine Unterhaltung zu beginnen.

"Wie geht es deinen Schwestern? Hat sich etwas Neues ergeben?", fragte ich leise und er blickte das erste Mal auf. Und er schien dankbar, dass ich ein Gespräch startete.

"Die Lage hat sich wohl etwas verbessert. Sie hatten doch noch die Polizei gerufen und die Häuser sind so weit gesichert, dass keiner mehr eindringen kann. Die Fans scheinen wohl die Interesse verloren zu haben, weil sie nun sicher wissen, dass ich nicht dort bin. Danke."

"Wofür?"

"Dass du nach fragst."

Ich senkte den Blick und nahm schnell noch einen Schluck von meinem Wasser. Diesmal war er es, der die Unterhaltung begann.

"Hat es dir geschmeckt?"

"Ja, es war sehr lecker. Hättest du mir das gesagt, hätte ich Geld mitgenommen..."

"Ich bezahle."

"Du hast schon die Ramen und das Eis bezahlt, denkst du nicht, ich wäre langsam dran?"

"Nein."

Er wehrte jede Diskussion ab und blieb stur, bis die Kellnerin zurück kam und er tatsächlich bezahlte. Ich fühlte sofort ein schlechtes Gewissen aufkommen, denn ich wollte nicht, dass er ständig für mich zahlte. Ich wollte gar nicht wissen, wie viel so ein Frühstück kostet...

"Wollen wir gehen?", fragte er lächelnd.

"Ich würde lieber bei den amerikanischen Pfannkuchen bleiben, aber ich befürchte, ich habe keine Wahl?"

"Nein, ehrlich gesagt hast du keine."

Ich lachte und er machte mit, die seltsame Stimmung von vorhin war verschwunden. Wir erhoben uns, bedankten uns bei der Kellnerin und ich folgte ihm in den vorderen Bereich des Ladens. Und dort erwartete mich etwas vollkommen Überraschendes.

Fans, jede Menge Fans.

Das Geschäft war voll mit Leuten und sie standen sogar noch vor den Fensterscheiben und klopften an die Scheiben um Aufmerksamkeit zu bekommen. Als wir heraustraten brach ein riesiger Tumult los: Mädchen schrieen und rannten auf uns zu, die Angestellten versuchten sie zurückzuhalten und uns nicht zu überrennen und Jongins fröhlicher Gesichtsausdruck fiel in sich zusammen.

Sie wollten Fotos und Autogramme, versuchte ihn zu berühren und anzufassen. Sie schrieen seinen Namen, ihre Handykameras waren auf ihn gerichtet und sie strecken ihm diverse Geschenktüten hin. Mein Herz blieb stehen, als sie uns umkreisten und eine leichte Panik überfiel mich. Was sollten wir tun? Da würden wir niemals durchkommen! Sie würden uns einfach überrennen.

"Hier lang, junger Herr!", rief die Kellnerin von eben und zupfte an seinem Ärmel.

Er reagierte sofort, schwang herum und folgte ihr, während ich noch immer paralysiert stehen blieb. Er nahm meine Hand und zog mich hinter sich her, während er "Es tut mir Leid" immer und immer wieder zu den Fans sagte, weil er ihnen keine Autogramme gab. Was erwarteten sie denn? Sie hatten uns völlig überfallen, und eingekreist. Glaubten sie da wirklich, dass er etwas anderes tun würde als versuchen zu fliehen und lebend rauszukommen?!

Die Kellnerin führte uns in die Küche und zum Hinterausgang, seine Finger umklammerten meine Hand und er trug einen unfassbar ernsten und gestressten Gesichtsausdruck.

"Das kann doch nicht wahr sein...", hörte ich ihn murmeln.

Die Kellnerin öffnete die Tür zum Hinterausgang und sofort brach Gejubel aus. Hatten sie sich um das ganze Gebäude versammelt? Sie hatten sich sogar hier aufgestellt um auf sein Rauskommen zu warten und jetzt jubelten sie und schrieen sein Namen. Seinen Bühnennamen und seinen echten Namen.

Sofort schloss die Angestellte die Tür wieder und seufzte abgrundtief.

"Hier kommt ihr auch nicht raus, es tut mir sehr Leid!", murmelte sie und fasste sich an die Stirn. Ich sah, wie sie versuchte zu erkennen, wer er war, doch wahrscheinlich kannte sie EXO einfach nicht.

"Ich rufe meinen Manager an, der schickt Leute um uns abzuholen", sagte er und zog sofort sein Handy aus der Hosentasche.

Nun standen wir hier, verschanzten uns in der Küche, während draußen die Fans ausrasteten. Ich hörte sie gegen die Tür der Küche Hämmern, alle schrieen seinen Namen, doch das Personal schaffte es, dass keiner hereinkommen konnte.

"Das tut mir furchtbar leid", murmelte ich zu Jongin, der sich gegen die Wand lehnte und eine Nummer ins Handy eintippte, noch immer den ernsten Ausdruck auf dem Gesicht.

"Wieso tut dir das Leid? Du kannst nichts dafür."

"Du bist wegen mir hier. Wir waren joggen."

"Das hat nichts mit dir zu tun, Kairi. Das kann immer passieren und tut es auch ständig."

Ständig?

Sein Gesprächspartner nahm das Gespräch an und Jongin erklärte seinem Manager die Situation, nannte ihm die Adresse und gab eine Schätzung ab, wie viele Fans sich wohl gesammelt hatten.

"Um die fünfhundert, denke ich mal. Wir sind jetzt seit etwa zehn Minuten in der Küche, keine Ahnung, wie viele hier sind. Sie stehen auch vor dem Gebäude und blockieren den Hinterausgang. Ja. Danke. Ja. Ja."

Das war's. Er legte auf und legte den Kopf in den Nacken. Er blickte zu der Kellnerin, die ihn bedauernd anschaute.

"Verzeihung, dass wir solche Probleme machen", murmelte er und verbeugte sich vor ihr, während sie ganz entzückt von seiner Freundlichkeit wirkte.

"Ach das macht doch nichts. So viel Kundschaft hatten wir wohl noch nie", meinte sie belustigt. "Ich lasse Sie und Ihre Freundin dann noch mal alleine. Soll ich Ihnen ein Glas Wasser bringen? Geht selbstverständlich aufs Haus."

"Ja, bitte."

Und damit verschwand sie. Und das einzige, was bei mir hängen blieb, war, dass sie mich schon wieder als seine Freundin bezeichnet hatte. Nun registrierte ich auch warum: Er hielt noch immer meine Hand. Vorsichtig entzog ich sie seinem Griff und er warf mir einen Blick zu, den ich nicht deuten konnte.

"Ist alles okay? Wie geht es deinem Kater?"

"Der ist immer noch dabei mich umzubringen."

"Gut."

"Gut?", fragte ich verwundert.

"Du hast es verdient. Wieso hast du dich auch so abgeschossen?"

"Ich war frustriert und deprimiert. Mein Job, die Hassattacken. Und dann war da Jongdae und eine Flasche Tequila und dann kam eins zum anderen und ich konnte nicht nein sagen", antwortete ich leise, während ich auf den Boden schaute.

"Zu was nicht nein sagen? Tequila oder Jongdae?"

Ich blickte zu ihm auf und unsere Blicke trafen sich. Ich wusste nichts zu antworten, denn ich wusste nicht, wie die Frage gemeint war. Er wandte den Blick ab und lehnte seinen Kopf gegen die Wand und schloss die Augen. Ich seufzte und rieb mir über die schmerzende Stirn.

Nach ein paar Minuten erschien die Kellnerin und ich nahm dankbar das kalte Wasser an. Keine fünf Minuten später öffnete sich die Tür des Hintereingangs und Security erschien. Es waren fünf Männer in schwarzen Uniformen, die uns daraufhin hinausgeleiteten und die Fans davon abhielten sich auf Jongin zu stürzen. Es war irgendwie beängstigend zwischen den kreischenden Fans gehen zu müssen, die sich gegen die Sicherheitsmänner drängten und ihre Hände nach Jongin ausstreckten. Dieser blickte starr nach vorne und es schien, als würde alles an ihm abprallen, doch ich sah seine angespannten Muskeln.

Die Sicherheitsmänner merkten ziemlich schnell, dass die Fans sich nicht für mich interessierten, weshalb sie sich um Jongin scharrten und ich versuchte dicht hinter ihnen zu bleiben und sie nicht zu verlieren, denn die Fans drohten sich immer wieder dazwischen zu quetschen.

Wir stiegen in einen schwarzen Van und sie fuhren mich nach Hause, wir redeten kein Wort auf der Rückfahrt.

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