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Mein Wecker klingelte um 6 und keine halbe Stunde später stand ich in Minseoks Zimmer, das Bett abgezogen und meine Tasche gepackt. Ich wollte keine Zeit durch Fönen verlieren, weshalb ich meine Haare flocht und danach mein Handy checkte.
'Komme jetzt nach Hause', schrieb ich Jiho, doch er war wohl noch nicht wach und so blieb ich ohne eine Antwort.
Als ich das Wohnzimmer betrat, erschrak ich mich furchtbar, als jemand auf der Couch saß. Kyungsoo las in der Zeitung, während er an seinem noch dampfenden Kaffee nippte.
"Du gehst schon?", fragte er verwundert.
"Ja, ich will euch nicht länger zur Last fallen. Außerdem habe ich bald mein Gespräch mit meiner Agentur und muss vorher noch nach Hause und mich umziehen."
"Wie kommst du nach Hause?"
"Ich nehme ein Taxi."
Er stellte die Tasse ab und legte die Zeitung beiseite.
"Du musst das Haus nicht fluchtartig verlassen. Du könntest noch einen Moment warten und jemand könnte dich fahren, das wäre schneller als ein Taxi."
"Das ist sehr lieb, aber ihr habt schon genug getan... Ich habe das Taxi bereits herbestellt, es sollte bald da sein. Danke für alles", murmelte ich und hielt den Griff meiner Tasche fester.
"Ist es wegen Jongin? Wegen gestern?"
Auch.
"Nein, ich hab es nur wirklich eilig", sagte ich schnell und er erhob sich noch immer mit einem verwirrten Blick.
"Kairi... Er wollte dich damit nicht verärgern oder irgendwie bloß stellen, das weißt du, oder? Es war nur ein Spiel."
Das wusste ich und trotzdem wollte ich ihm heute nicht begegnen. Er hatte mir einen Schrecken eingejagt und ich war einfach nur verwirrt und wusste nicht wie ich darüber fühlte. Ich wusste nur, dass ich ihm heute nicht ins Gesicht schauen wollte. Es war mir peinlich.
"Damit hat das nichts zu tun."
"Dann ist ja gut."
Er nahm mich noch einmal kurz in den Arm, nahm mir die Tasche ab und begleitete mich bis zur Haustür. Ich schlüpfte in meine Schuhe und nahm mir vor als erstes zu duschen, wenn ich wieder zuhause war. Mit Glück war Yoora noch nicht wach, ich hatte keine Lust mit ihr zu reden.
"Ich wünsche dir Glück bei deinem Gespräch. Das wird schon schief gehen...", meinte er leise und presste die Lippen fest aufeinander, als würde er sich tatsächlich darüber sorgen. Schnell nahm ich ihn noch ein zweites Mal in den Arm.
"Ja, das wird es hoffentlich."
"Du meldest dich, okay?"
Ich nickte und zog mir meine Jacke über, während er mir die Tür öffnete. Ich nahm ihm dankbar die Tasche ab und ging mit zügigen Schritten auf das Tor zu, dass das Grundstück von der Straße trennte.
"Versprichst du es?", rief er mir noch hinterher und ich drehte mich zu ihm um.
"Ja. Versprochen."
Es schenkte mir ein knappes Lächeln und schloss die Tür, während ich das Tor öffnete und auf den Bürgersteig trat.
"Jiho?", rief ich bereits nach dem Öffnen der Tür und sofort erklang ein Rumpeln aus der Küche.
Mein Bruder kam um die Ecke geschossen und drückte mich, bis ich keine Luft mehr bekam und ihm als Zeichen meiner Atemnot auf den Rücken klopfte.
"Du tust so, als wäre jemand gestorben", murmelte ich und er strahlte mich einfach nur an. "Was ist, großer Bruder? Hast du deine Sprache verloren?"
"Ich bin einfach froh, dich zu sehen."
"Das hoffe ich doch! Und ich bin auch sehr froh dich zu sehen! Und am Liebsten würde ich gleich unter die Dusche springen, weißt du. Und ich muss auch bald wieder los."
Er schürzte die Lippen und nickte mit dem Kopf in Richtung Wohnzimmer.
"Wir haben Besuch."
"Von wem denn?"
"Sieh am Besten selbst..."
Das klang nicht gut. Ich drückte mich an ihm vorbei, zog nicht einmal die Schuhe aus und auch die Jacke blieb wo sie war. Ich blickte um die Ecke und riss die Augen auf.
"Da bist du ja endlich!", sagte meine Mutter und trug eine tadelnde Miene.
Sie trug Schlafsachen, doch ihre Frisur und das Make-up saßen perfekt wie eh und je. Sie hielt eine dampfende Tasse Tee in der Hand, wahrscheinlich mit ihrem heiß geliebten japanischen Tee. Den hatten wir nur im Haus, da sie uns zu gerne mit plötzlichen Besuchen überraschte und nun einmal nichts anderes trank.
"Mutter", sagte ich tonlos.
"Steh da nicht herum, als hättest du einen Geist gesehen und umarm deine arme Mutter! Ich habe mir schreckliche Sorgen um dich gemacht", murmelte sie und hob auffordernd die Arme.
Schnell ging ich zu ihr und schloss sie in eine kurze Umarmung. Wieso war sie hier? Wieso wusste ich nichts davon? Sie hätten mich wenigstens warnen können, dann hätte mich mental darauf vorbereitet! Nicht dass man das falsch verstand, ich liebte meine Eltern. Doch meine Mutter war sehr dominant und unfassbar stur. Sie hörte sich nie zweit Seiten einer Geschichte an und war nicht von ihrer Meinung abzubringen. Und sie war unfassbar nachtragend und ließ kein gutes Haar an einem.
"Hast du keine Manieren, Mädchen? Zieh deine Schuhe in der Wohnung aus! So habe ich dich nicht erzogen, Choi Kairi", zeterte sie sofort los und ich seufzte, rannte schnell zurück zum Eingang und befreite mich von Jacke und Schuhen.
Als ich zurückkehrte, deckte Jiho gerade den Tisch mit einem wunderbar aussenden Frühstück. Er groß mir ebenfalls den japanischen Tee ein, den ich eigentlich nicht ausstehen konnte, ihm aber zu Liebe trank. Er müsse mir jetzt nicht extra noch einen anderen machen und ich war zu faul um aufzustehen.
"Seit wann bist du hier?", fragte ich und nippte an dem noch heißen Getränk, mein Magen grummelte.
Im Kopf hörte ich die tickende Uhr, schließlich musste ich mich noch fertig machen und dann zu meiner Agentur um die ganze Sachen zu klären. Es lastete auf meinen Schultern, dass ich mir nicht sicher sein konnte, ob ich meinen Job behalten dürfte.
Doch ich kannte auch Choi Kiami, meine Mutter, die es nicht dulden würde, wenn ich mich jetzt in mein Zimmer verziehen würde. Wenn sie aß, müsste man am Tisch sitzen bleiben, sonst gab es Ärger. Ihre ganze Erziehung war immer streng gewesen, während mein Vater eher milder mit uns umging und nicht immer nur ein schlecht gelauntes Gesicht machte.
"Seit gestern Abend, ich habe hier übernachtet, weil ich dich heute noch sehen wollte."
"Oh, wie kommt's?", fragte ich, während ich etwas Reis aß.
"Wie es kommt? Du bist überall! In der Zeitschrift, die die Nachbarn immer rüber bringen, hatte ich dich zuerst gesehen und auch sämtliche Blogger schreiben über dich!"
"Oh."
Ich sah Jiho konzentriert auf sein Essen schauen und wünschte, er könnte mich irgendwie aus der Situation befreien. Ich hatte es wirklich eilig! Und sie würde mich nicht gehen lassen, wenn ich fragen würde. Komm schon, großer Bruder!
"Und wo ist er?", fragte sie und blickte sich suchend um.
"Wer?"
"Mein Schwiegersohn."
Jiho und ich verschluckten uns gleichzeitig am Reis, griffen gleichzeitig nach unseren Tassen und schütteten gleichzeitig den allbekannten Tee herunter. Meine Mutter schüttelte nur mit dem Kopf.
"Ich hatte dir doch bereits erklärt, dass das alles ein Missverständnis ist, Mutter", murmelte Jiho in seine Tasse herein.
Er hatte immer schon einen riesigen Respekt vor ihr, er ließ sich wirklich von ihr einschüchtern. Das Problem war, dass sie immer auf ihm rumhackte und das selber gar nicht merkte. Ob es seine Arbeitslosigkeit war oder die Tatsache, dass er mit 27 noch keine Frau fürs Leben gefunden hatte, sie hatte ständig etwas zu bemängeln.
"Ich will es von ihr hören", meinte sie zur Antwort und deutete mit der Tasse in meine Richtung.
"Bist du ganz von Zuhause hergekommen, nur um mit mir darüber zu reden?"
"Natürlich, du bist schließlich meine Tochter."
"Mama, es gibt Telefone."
"Freust du dich etwa nicht, deine Mutter zu sehen? Ich hatte so eine lange Anfahrt", meckerte sie in einem lauten Tonfall und ich ließ die Schultern hängen.
"Deswegen ja, du hättest nicht kommen müssen. Du hättest anrufen können und ich hätte dir erklärt, dass das alles ein Missverständnis ist und ich nicht mit ihm zusammen bin!"
Sie seufzte und rieb sich die Stirn, als wäre ich diejenige, die anstrengend und uneinsichtig war.
"Und wieso nicht?"
Ich hob verwirrt den Kopf.
"Wie bitte?"
"Ich habe mir diesen Chanyeol mal im Internet angeschaut, der ist doch ganz süß! Ist bekannt auf der ganzen Welt, ist gutaussehend und verdient viel Geld", meinte sie überzeugt und ich konnte nur große Augen machen.
"Ich folge ihm auf Instagram", verriet sie mir hinter vorgehaltener Hand.
"Mama!"
"Was denn?!"
Das reichte mir, das wollte ich mir gerade nicht anhören. Ich war sowieso schon spät und musste immer noch duschen, stattdessen hörte ich mir diesen Schwachsinn an! Deswegen war sie hier: Sie hatte gehofft ich würde tatsächlich mit Chanyeol zusammen sein und sie wollte ihn genauer unter die Lupe nehme.
"Ich muss mich fertig machen und gehen."
"Ich esse noch!", meinte sie empört, als wäre diese Tatsache ausschlaggebend für unsere Diskussion.
"Ich bin dabei meinen Job zu verlieren, während du versuchst mich zu verkuppeln. Und selbst wenn ich mit ihm zusammen wäre, dann bestimmt nicht wegen seiner Berühmtheit oder seinem Geld!"
"Du bist schon wieder so aufbrausend", grummelte sie, denn sie wusste, sie hatte etwas falsches gesagt. Yoora hatte viel von ihr. "Und was heißt hier, du verlierst deinen Job?!"
Wenn man vom Teufel sprach, meine Schwester trat aus ihrem Zimmer und blickte uns verschlafen entgegen. Erst flog ihr Blick zu unserer Mutter, dann zu dem hastig essenden Jiho und dann zu mir.
"Du bist wieder da", bemerkte sie.
"Ich muss aber gleich wieder los. Nur duschen und umziehen, dann bin ich weg."
"Gehst du zu deinem Freund?", fragt sie und betonte das letzte Wort fast spöttisch.
"Hör auf so zickig zu sein, ich habe schon genug Stress. Und nein, ich gehe nicht zu ihm. Und wieso zum Teufel glauben alle, ich wäre mit ihm zusammen?!"
"Nicht in diesem Ton, Fräulein!", keifte meine Mutter sofort los.
Ich hielt den Mund und blickte nur finster vor mich hin, ging auf direktem Wege in mein Zimmer, klaubte mir mein Business Outfit zusammen, verschwand im Badezimmer und nach einer kurzen Dusche konnte ich mich endlich anziehen und fertig machen. Ich schminkte mich nicht, band mir die Haare nur in einem Zopf hoch und stürmte dann wieder ins Wohnzimmer, wo die drei noch immer frühstückten und sich leise unterhielten. Als ich reinkam, setzte meine Mutter sofort wieder ihre strenge Miene aus.
"Wenn du so rausgehst, wirst du dich mit Sicherheit erkälten! Und du bist so ein hübsches Mädchen, wieso machst du nicht einmal ein bisschen was mit deinem Gesicht? Deine Haut ist ganz gerötet und diese Frisur..."
"Kein Wunder, dass Chanyeol dich nicht haben will", sagte meine Schwester leise, den Blick auf den Reis gerichtet
"Okay, ich bin weg", sagte ich und dreht mich mit einem Ruck um.
Es reichte mir langsam.
Ich musste jetzt hier sofort raus oder mir würde der Kragen platzen. Ich stürmte aus der Wohnung, vergaß beinahe meinen Haustürschlüssel und packte mir die nur flüchtig gepackte Handtasche. Erst als die Tür in die Angeln schlug, konnte ich wieder richtig aufatmen.
Ich liebte meine Familie, aber sie trieb mich noch in den Wahnsinn. Jeder in seiner eigenen Art und Weise: Meine herrische, strenge, kritisierende Mutter, meine kindische, egoistische, verlogene Schwester, und dann waren da mein Vater Jiho, der nie den Mund aufbekamen.
Ich bekam gerade noch so den Zug, hatte aber keine Zeit um mir eine Fahrkarte zu kaufen und so fuhr ich das erste Mal in meinem Leben schwarz, die Wut saß noch tief in meinem Bauch.
Wie erwartet kam ich zu spät zum Treffen mit meinem Chef und so musste ich im Vorraum zu seinem Büro warten, bis er den derzeitigen Termin beendet hatte.
Nach fünfzehn Minuten schaute ich das erste Mal aufs Handy, doch ich hatte keine Nachrichten. Ich wollte nicht wissen, was in den Netzwerken vor sich ging, wo nun noch mehr Menschen wussten. Nach fünfzig Minuten würde ich langsam ungeduldig und nach eineinhalb Stunden öffnete sich endlich die verspiegelte Tür und ich würde herein gebeten. Ich zupfte mir nervös den Rock zurecht, mein Haar war mittlerweile getrocknet und das Hemd war ungebügelt.
Kurz bevor ich das Zimmer betrat, klingelte das Handy, dass ich noch in meiner Hand hielt. Schnell warf ich einen Blick in den Raum, doch mein Chef nahm gerade das Telefon ab und so warf ich schnell noch einen Blick auf meinen Bildschirm.
Ich hatte eine neue Nachricht erhalten.
'FIGHTING*!', hatte mir Jia geschrieben und ich konnte ein kleines Lächeln nicht verhindern.
Ich steckte es gerade weg, als es erneut klingelte. Ich beeilte mich und erwartete weitere Anspornversuche von meiner lieben besten Freundin, doch es war nicht Jia.
'Ruf mich später an, ich will wissen wie es gelaufen ist. Auch wenn es schlechte Neuigkeiten gibt, melde dich bitte. Ich zähle auf dich, bis später. Viel Glück.'
Jongdae.
*Fighting ist ein typischer asiatischer moderner Schlachtruf um sich selbst oder andere anzufeuern.
[Das Bild zeigt Chanyeol mit geilen Kontaktlinsen._.]
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