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In den fünf Minuten, in denen ich weinte, lernte ich eine Sache über Jongin: Er konnte nicht mit weinenden Mädchen umgehen. Er zog den vorher um mich gelegten Arm zurück, tätschelte mir lediglich die Schulter und wirkte überforderter mit der Situation als ein Kleinkind beim Lösen von kompliziertem Bruchrechnungen.
"Hier", meinte Kyungsoo und hielt mir eine dampfende Tasse hin, sanfter Teegeruch strömte mir entgegen.
"Danke", murmelte ich und nippte vorsichtig an dem noch heißen Getränk.
Ich versuchte die Tränen weg zu wischen, als Jongin sich von seinem Platz erhob, irgendetwas murmelte und den Raum verließ. Ich starrte ihm hinterher und irgendwie verletzte es mich, dass er das Feld räumte. Stattdessen setzte Yixing sich neben mich, ein Taschentuch in der Hand.
Ich hatte mich nie viel mit ihm unterhalten, aber ich wusste, dass er wohl der gutmütigste Mensch auf diesem Planeten war und so wirkten sein sorgsamer Blick und das aufmunternde Lächeln beruhigend auf mich.
"Danke", sagte ich und gleich wurde ich von links und rechts in Arm genommen, während ich Jia im Hintergrund fast ausflippen sah.
Klar, sie war das erste Mal in ihrem Haus und hätte sich wohl nie erträumt die Jungs mal in Jogginghose anzutreffen. Doch als sie merkte, dass ich in ihre Richtung blickte, riss sie sich zusammen und warf nur zögernde Blicke auf das Haus selber. Sie war so süß.
"Am Besten beruhigen wir uns alle wieder. Das ist schon einmal passiert und wird auch immer wieder passieren. Die Leute lieben es nun mal in alles mögliche hineinzuinterpretieren, so sind sie nun mal. Das wichtigste ist Klatsch", meinte Joonmyun mit ruhiger Stimme von der Seite und ich hörte auf zu weinen und schnaubte in das Taschentuch.
"Das Einzige, was wir machen können, ist mit unserem Manager zu reden und der wird das klären. Chanyeol, was hatte er am Telefon gesagt?"
"Er kommt heute Abend vorbei, früher schafft er es nicht. Und Kairi soll so lange hier bleiben und nicht die Nachrichten in Social Media beantworten, am besten die Accounts löschen."
"Sie soll alles löschen?!", fragte Jia etwas zu laut und hielt sich sofort eine Hand vor den Mund.
Jias halbes Leben war auf Twitter und Instagram zu finden. Wenn ihr jemand mitteilen würde, sie habe ihre Accounts zu löschen, wäre das so als würde man sie fragen ihren linken Lungenflügel zu spenden.
"Schon okay, mir ist das nicht so wichtig", meinte ich und kramte das Handy heraus.
Jongdae rutschte von rechts näher an mich heran und stützte seinen Kopf auf meine Schulter um einen guten Blick auf den Bildschirm zu machen. Ich entsperrte mein Telefon und zuckte kaum merklich zusammen, denn die Anzahl der Nachrichten hatte sich fast verdoppelt. Schien fast so, als würde nun auch der letzte EXO L von meiner Existenz wissen.
"Chanyeol ist nun mal beliebt bei den Mädchen", murmelte Yixing und trug ein leichtes Grinsen auf den Lippen, was seine Grübchen sichtbar machte.
Sehun schlug Chanyeol fast anerkennend auf die Schulter, doch dieser warf dem anderen nur einen grimmigen Blick zu. Das war das erste Mal, dass Chanyeol nicht zum Spaßen aufgelegt war und das bedeutete mit unheimlich viel.
"Das sind viele Nachrichten. Da bekommen wir ja richtig Konkurrenz."
Ich drehte meinen Kopf leicht zu Jongdae und merkte erst wie nah er mir war. Ich konnte den Geruch seines Shampoos riechen, seine abstehenden Locken kitzelten meine Wange.
"Ich will gar nicht wissen, was ihr durch machen müsst...", antwortete ich. "Was meintet ihr eigentlich damit, dass das schon mal passiert ist?"
"Minji", kam es prompt von Sehun und ich hörte Baekhyun leise über seinen Freund lachen. "Sie hatte Jongin in der Öffentlichkeit umarmt und daraufhin kamen Fragen auf, aber die Sache hatte sich schnell wieder beruhigt, weil sie halt unsere Stylisten ist."
Die Sache mit Sehun und Minji war einfach zu offensichtlich! Ich versuchte ein Lächeln zu verbergen und öffnete stattdessen Twitter um noch einmal über die Nachrichten zu schauen. Ich hörte Jongdae neben mir die Luft einziehen.
"Solche Nachrichten bekommen wir aber nicht."
"Ihr bekommt wahrscheinlich eher Liebesbriefe und Heiratsanträge", murmelte Jia aus der Ecke und brachte mich zum Lachen.
Gut, dass ich her gekommen war. Es war hier soviel einfacher wieder gute Stimmung aufzubringen, das geschah ganz wie von selbst.
"Ja, also Morddrohungen hab ich zumindest noch keine bekommen", flüsterte Jongdae und sofort sprang Chanyeol von seinem Platz auf um auf mein Handy zu schauen.
Ich hielt es ihm schweigend hin und er scrollte durch die vielen Nachrichten.
"Das gibt's doch nicht!", murmelte er und machte ein entsetztes Gesicht, was meine Laune wieder fallen ließ.
"Morddrohungen?", fragte nun auch Baekhyun etwas ernster als zuvor. "Echt jetzt?!"
"Ja. Und mehr als eine. Kairi, du bleibst heute definitiv hier."
"Okay", meinte ich kleinlaut.
"Sie kann auch hier übernachten. Oder bis Montag bleiben!", schlug Jongdae vor und schlang einen Arm um mich. "Wir beschützen dich."
Es war spielerisch gemeint, doch irgendwie war ich ihm trotzdem dankbar. Ich hatte mich vorher nicht mit den Drohungen beschäftigt und hatte sie einfach nicht gelesen, doch weil Chanyeol so ernst blickte, hatte ich nun doch Respekt vor der ganzen Sache. Wer wusste schon, zu was Sasaengs* fähig waren?
"Ja, du schläfst hier."
Ich nickte einfach nur und blickte zu Jia herum, die über irgendetwas zu grübeln schien. Sie krauste die Stirn und kaute auf ihrem Daumennagel, wie immer wenn sie angestrengt über etwas nach dachte. Am liebsten wäre es mir, wenn sie auch bleiben könnte, aber das wäre wahrscheinlich zu viel verlangt. Sie hatte schließlich auch noch ein Leben.
"Wenn du willst, kann ich zu deiner Wohnung fahren und dir ein paar Sachen holen. Klamotten, Zahnbürste, Bettsachen. Und ich kann Jiho und Yoora über die Situation aufklären."
"Deine Mitbewohner?", fragte Yixing.
"Geschwister."
"Ja, das ist eine gute Idee. Und Kairi, ich schalte das Handy jetzt erstmal aus", murmelte Chanyeol und ich stimmte ihm nur kurz angebunden zu, während er bereits mit den schlanken Finger nach dem richtigen Knopf suchte.
"Warte! Was ist mit deinen Eltern? Wissen die was los ist und wollen, dass du erreichbar sind?", warf Kyungsoo von der Seite ein, ebenfalls einen Tee in der Hand.
An meine Eltern hatte ich noch nicht einmal gedacht. Wussten sie überhaupt schon von der Sache? Hatten sie es in der Zeitschrift gelesen? Hatten Jiho oder Yoora ihnen davon erzählt? Oder hatten sie es aus den Social Medias erfahren? Meine Eltern waren nicht sonderlich aktiv im Internet, trotzdem las meine Mutter gerne Blogs über Celebrities. Vielleicht wussten sie aber auch gar nichts von der Sache. War das nicht vielleicht sogar besser, als dass ich sie jetzt deswegen wild machte?
Jia fing meinen Blick auf und erhob sich von ihrem Platz um zu zeigen, dass sie bereit zum Aufbruch war.
"Ich kann Jiho fragen, ob sie es wissen. Ich bin dann jetzt los und brauche vielleicht vierzig Minuten um wieder hier zu sein."
"Stress dich nicht, ich bewege mich nicht vom Fleck."
Sie kam auf mich zu, drückte mir einen Kuss auf die Wange und tauschte kurz bedeutungsvolle Blicke mit Jongdae, die ich nicht entschlüsseln konnte. Was genau hatte sie ihm gerade mitgeteilt? Ich versuchte noch darauf zu kommen, als sie sich bereits umdrehte und den Raum verließ. Ich blickte nach rechts und krauste verwirrt die Stirn. Hatte Baekhyun ihr gerade auf den Hinter geschaut?!
"Willst du noch einen Tee?", fragte Kyungsoo, als Chanyeol mir das nun ausgeschaltete Handy reichte.
"Ja gerne", meinte ich und lehnte mich zurück.
"Stört es dich, wenn wir zurück auf die Zimmer gehen?"
"Jongin und ich wollten noch trainieren."
"Da müsst ihr doch nicht fragen! Geht ruhig, ich bin schon in Ordnung."
Sie nickten und erhoben sich von der Couch und nur drei blieben zurück um sich zu mir zu gesellen. Chanyeol warf sich mit seinen langen Gliedmaßen auf die andere Couch und zog sein Handy hervor um die neusten Nachrichten zu checken. Jongdae richtete sich wieder auf und sofort vermisste ich den leichten Druck an meiner Schulter. Ich drehte mich zu ihm um und sah, dass er mich anblickte. Als sich unsere Blicke trafen, zogen sich seine Mundwinkel nach oben und ich lächelte zurück.
"So ist es schon besser", meinte er leise.
"Was meinst du?"
"Lächeln ist viel besser als weinen."
"Da hast du recht", antwortete ich und konnte meinen Blick nicht von seinen funkelnden Augen nehmen.
"Dein Tee!", kam von Kyungsoo und er stellte die dampfende Tasse auf dem kleinen Tisch ab.
Ruckartig drehte ich mich zu ihm um und wurde sofort rot. Wieso war es mir peinlich? Ich hörte Jongdae leise husten und schnell nahm ich den Tee, trank einen Schluck und verbrannte mir die Zunge.
"Soll ich den Fernseher anmachen?", fragte Kyungsoo.
Er war wie eine Mutter, die sich um alle kümmerte und sich immer sorgte. Ich lächelte und nickte, woraufhin er den großen Fernseher einschaltete und mal wieder Weekly Idol lief. Ich wollte mich zurück lehnen, als ich noch einen Blick auf Jongdae warf. Er hatte die Arme ausgebreitet und ohne lange darüber nachzudenken, lehnte ich mich an seine Brust, seine Arme umschlangen meinen Oberkörper.
Und an meinem Ohr hörte ich den sanften Rhythmus seines Herzschlags.
*Sasaeng sind Fans, die auf kranke Art und Weise die KPop Stars lieben und oft auch in deren Häusern Einbrechern um Bilder zu machen oder Klamotten zu stehlen.
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